Sehtraining nach Bates
Das Sehtraining nach Bates (englisch Bates Method for Better Eyesight) ist eine umstrittene pseudomedizinische Methode des Augentrainings zur Korrektur einer Fehlsichtigkeit, die auf den amerikanischen Arzt William Horatio Bates zurückgeht.
Mit der Behauptung Durch Training besser sehen! versprechen Augen- bzw. Sehtrainer fehlsichtigen (meist kurzsichtigen) Brillenträgern, in Seminaren oder Kursen die natürliche Sehkraft des Auges wiederherzustellen.
Die Vorgeschichte
Bereits um das Jahr 1896 beschrieb ein angeblicher Professor namens William C. Wilson ein Gerät, das mittels Batteriestrom die Sehfähigkeit zu verbessern versprach. Damals setzte in den USA die Elektrifizierung ein, die eine Begeisterung für die Möglichkeiten der Elektrizität auslöst, so dass elektrisch betriebene Geräte aller Art eine Modeerscheinung wurden. Die Aktivitäten von Wilson, der seine Geräte über eine Firma in Kansas City vertrieb, wurden von der US-Gesundheitsbehörde (FDA) jedoch im Jahre 1906 unterbunden.
Im Jahre 1900 brachte eine weiterer 'Professor' namens Charles Tyrell, der zunächst als Masseur gearbeitet hatte und erst im Alter von 57 Jahren Arzt wurde, einen Ideal Sight Restorer auf den Markt. Mit diesem Gerät wollte er nicht nur Sehstörungen wie Kurzsichtigkeit heilen, sondern auch Linsentrübungen (Cataract) oder überhöhten Augeninnendruck (Glaukom) beseitigen können. Die American Medical Association warnte vor diesem Gerät, jedoch vertrieb Tyrell es bis zu seinem Tod im Jahre 1918.
Die Erfindung des Sehtrainings durch Bates
Der US-Arzt William Horatio Bates veröffentlichte 1920 ein Buch mit dem Titel "The cure of imperfect eyesight by treatment without glasses": Die Heilung der Fehlsichtigkeit durch eine Behandlung ohne Brillengläser. Bates behauptete, man könne dies durch Entspannung und Verringerung derjenigen Anstrengung erreichen, die dadurch entsteht, dass vor allem Kinder ihren Blick eine Zeit lang auf vertraute Gegenstände richten dürfen. Bates Meinung zufolge strenge sich das Auge bei einem neuen, fremden Gegenstand zu sehr an, um diesen wahrzunehmen und dadurch komme es zu Brechungsfehlern. Bates ging davon aus, dass schlechtes Sehen auf einer Gewöhnung an exzentrisches Sehen und einer Verspannung der äußeren Augenmuskeln beruhe, die nur durch gesunde Sehgewohnheiten ersetzt werden müssten, um wieder scharf zu sehen. Er war überzeugt, dass diese "gesunden Sehgewohnheiten" vollständig wiedererlernbar seien und empfahl dafür folgende Übungen (Bates 1931):
- Zentrales Sehen: Es soll ein Zustand erreicht werden, in dem die Augen und der Geist von einem Punkt des Bildes zum nächsten schweifen und sich nicht nur auf einen Punkt fixierten. Man solle versuchen, das ganze Gesichtsfeld auf einmal wahrzunehmen.
- Palmieren: Bei durch die Handflächen (= palm) geschlossenen Augen sollte ein möglichst hoher Entspannungsgrad erreicht werden, der wiederum zu besserem Sehvermögen führe.
- Schwingen und Schweifen: Es sollte ein Buchstabe angesehen werden und von diesem aus zu einem weiteren Buchstaben der gleichen Zeile abgeschweift werden. Dadurch sollten beide Buchstaben klarer gesehen werden. Man sollte sich von Seite zu Seite immer entgegengesetzt zur Blickrichtung bewegen. Dadurch entstehe die optische Illusion, dass sich die Buchstaben an der Person vorbei in entgegengesetzter Richtung bewegen. Dieser Eindruck führe dann zur Beweglichkeitsverbesserung sämtlicher Augenbewegungen und auch zu erhöhter Beweglichkeit des Geistes.
- Gedächtnis und Einbildungskraft: Einbildungskraft, Gedächtnis und Sehvermögen sind nach Bates eng verbunden. Könnte man sich einen Buchstaben vollkommen vorstellen, sähe man ihn auch.
- In die Sonne sehen: Bei geschlossenen Augen sollte man diese im Sonnenlicht baden.
- Reduktion des Brillentragens: Bates war der Ansicht, dass das Tragen einer Brille zu Schwindel und Kopfschmerz führe, das Gesichtsfeld verkleinere und die Sehfähigkeit vermindere.
Nach dem I. Weltkrieg eröffneten zahlreiche nach dem Bates'schen System arbeitende Sehschulen. Auch in das Gesundheitskonzept des III. Reiches passte der mechanistische Teil der Methode, der zu ermöglichen schien, durch eine Art Leibesertüchtigung vom Brillenträger zum Menschen ohne Beeinträchtigung zu werden.[1]
Der in augenärztlichen Fachkreisen über Jahrzehnte bekannte Würzburger Ophthalmologie-Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Leydhecker (1987), Verfasser eines Standardlehrbuches der Augenheilkunde, sah die Bates'schen Übungen als ungeeignet. Er kritisierte: "Was als Übungsresultat erreicht wird, ist natürlich nicht als bessere Abbildung auf der Netzhaut, sondern eine anders orientierte Interpretation des unscharfen Bildes, in dem man z.B. eine Person nicht mehr an den Gesichtszügen erkennt, [...] sondern an der Körperhaltung, dem Gang oder der Kleidung".[2].
Zweifelhafte Studien als Beweise
Die Anhänger der Bates'schen Lehre behaupten immer wieder, die Wirksamkeit des Sehtrainings sei in Studien belegt worden. Sie führen dabei zwei Studien an: jene von Kelley[3] und jene von La Salle und Brown.[4] Bei Kelleys Studie handelt es sich um eine Doktorarbeit aus den USA, die in Europa nicht erhältlich ist. Man ist deshalb auf indirekte Zitate angewiesen, um nähere Informationen über diese Studien zu erhalten.
Die Kelley-Studie
Die Dipl.-Psychologin Eva Hevekerl beschrieb in ihrer Diplomarbeit die Studie von Kelley in wenigen Zeilen: Diese trainierte zwei Männer und drei Frauen jeweils 50 Stunden lang nach der Bates-Methode. Es wurde eine Verbesserung der Augen um 6 Einheiten (1 Einheit = der Logarithmus der Fläche um einen erkannten Buchstaben der Snellentafel) erreicht, das heißt eine Verbesserung um Werte zwischen 0,3-1,5 dpt.
Ob das Training von nur fünf Personen im Rahmen einer Dissertation wirklich ein Beleg für die Wirksamkeit des Bates'schen Trainings war, sei einmal dahingestellt. Bemerkenswert jedoch erscheint die Untersuchungsweise durch Snellen-Tafeln. Der Holländer Snellen entwarf vor mehr als 120 Jahren Optotypen zur Sehschärfenbestimmung. Auf einer Fläche von 5x5 Feldern konzipierte er typische Zeichen, wie sie in der nebenstehenden Abbildung dargestellt sind.[5]
Sehzeichen nach dem Snellenschen Prinzip nach Axenfeld
Bei der Sehschärfenprüfung ist der Abstand zwischen den Flächen (z.B. der Leerraum des "C"-Hakens oder die Leerräume zwischen den beiden "E"-Haken) entscheidend. Allerdings spielt für die Erkennung dieser Buchstaben und Haken nicht allein das Trennschärfevermögen des Auges eine Rolle, sondern es genügt auch ein gut ausgeprägtes Formerkennungsvermögen des Probanden, um die korrekte Erkennung zu sichern. Durch etwas Übung kann eine deutlich bessere Sehschärfe als tatsächlich gegeben vorgetäuscht werden. Exakter wird die gerade noch erreichbare tatsächliche Sehschärfe deshalb mit Pflügerschen Haken oder Landoltschen Ringen geprüft (Axenfeld 1980).
Kelley verwendete zur Beweisführung der Wirkung des Bates'schen Trainings[3] also eine ungenaue Untersuchungsmethode, die zudem stark von subjektiven Komponenten (dem Formerkennungsvermögen) und nicht von objektiven opthalmologischen Veränderungen am Auge beeinflusst wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass die Patienten ihre Erkennungsrate durch Übungseffekte nach oben drücken konnten. Eine methodisch ungenaue, mit gerade einmal fünf Probanden besetzte Dissertation kann keinen Beweis für ein Sehtraining darstellen.
Fazit
Hier ist es sinnvoll, die üblichen Argumente kritisch zu betrachten:
- Anhänger der Bates'schen Lehren behaupten, durch die am Augapfel (=Bulbus) ansetzenden Muskeln könne eine Kompression des Augapfels erzeugt und somit die Kurzsichtigkeit (Myopie) bekämpft werden:
- Diese Behauptung ist falsch, denn die Augenmuskeln können den Bulbus nur bewegen, aber nicht komprimieren.
- Andere Aussagen aus der Bates'schen Szene behaupten, man könne mit gezieltem Training der Ziliarmuskeln die Brechung der Linse so beeinflussen, dass Kurzsichtige besser sehen könnten:
- Auch diese Behauptung ist falsch, denn die Linse ist so im Auge aufgehängt, dass sie nur gedehnt, aber nicht komprimiert werden kann. Unter Zug der Ziliarmuskeln dehnt sie sich und schnellt bei Entspannung derselben in ihre (kugelige) Ausgangslage zurück. Die Dehn- und Rückschnellfähigkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab, was Ursache der so genannten 'Alterssichtigkeit' ist.
- Eine weitere Behauptung ist, dass man durch Iristraining die Linse beeinflussen könne:
- Auch dies ist falsch, denn die Linse ist hinter der Iris aufgehängt und nicht durch anatomische Strukturen mit der Iris verbunden.
Aus anatomischer Sicht gibt es keinerlei Grund anzunehmen, dass man mit Muskel-, Lid- oder Iris-Training einen Effekt auf die Sehschärfe bewirken kann. Auch die zwei kursierenden Studien von nur mäßiger wissenschaftlicher Qualität dienen eher als Gegenbeweis.
Das letzte Argument der Sehtrainingsbefürworter ist der Prozess des Sehens im Großhirn. Für das Farbensehen sind 6-7 Millionen Sehzäpfchen und für das s/w-Dämmerungssehen weitere 120 Millionen Sehstäbchen in der Retina vorhanden. Diese weit über 100 Millionen Rezeptoren leiten die Erregung über bipolare Zellen der Retina zu 1,1 Millionen Ganglienzellen, die die Impulse in den Sehnerv einspeisen. Zwar erreichen jede Sekunde optische Informationen in einer Menge von etwa 10 Millionen Bit das Auge, aber höchstens 60 Bit können davon im Gehirn wirklich verarbeitet werden.[6] Schon in der Netzhaut werden deshalb die Signale auf Relevanz geprüft und ausgewählt. Es findet zusätzlich eine Kontrastverstärkung statt. Die Außenwelt wird nicht als ungeordnetes Mosaik von Reizen wahrgenommen, sondern geordnet und integriert zu Gestalten, die sich durch Prägnanz, Transponierbarkeit und Konstanz von Form und Farbe auszeichnen. Unstrittig ist, dass neben Geruchs- und Hörvermögen auch das Sehvermögen nicht nur auf rein physikalisch-chemischer Basis funktioniert, sondern auch mit Erwartungshaltungen, Erinnerungen und ähnlichen Faktoren arbeitet. Wie dies in allen Einzelheiten funktioniert, ist jedoch auch heute noch Gegenstand der augenheilkundlichen und vor allem der neurobiologischen Forschung.
Es erscheint angesichts des komplexen Sehsystems äußerst unwahrscheinlich, dass ein optisch "falsch" (weil kurz- oder weitsichtiges, ggf. noch astigmatisch) gebautes unbebrilltes Auge, das dem Gehirn aus physikalisch-technischen Gründen nur ein verwaschenes Bild liefert, durch Muskel- oder sonstiges "Sehtraining" in die Lage versetzt werden kann, einen perfekten Seheindruck zu liefern. Ebenso unglaubhaft ist die Behauptung, ein verwaschenes Bild könne durch das Gehirn quasi 'scharf gerechnet' werden.
Seriöse Studien
Die Medizin beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit der Untersuchung der Wirkung von verschiedenen Augentrainingsverfahren. Allerdings handelt es sich nicht um Verfahren nach Bates, Gollub oder Selby, sondern primär um Biofeedbackverfahren. Eine der zentralen Behauptungen der Bates'schen Anhänger ist es, durch Entspannungs- und Konzentrationsübungen zu besserem Sehvermögen zu kommen. Dies fordert den Vergleich mit seriösen Studien heraus, die mittels Biofeedback versuchten, eine Verbesserung der Sehschärfe zu erreichen oder zumindest eine Verschlechterung von Kurzsichtigkeit mit zunehmendem Lebensalter zu stoppen.
So zeigt die Studie von Balliet et al., in der 17 Kurzsichtige mit einem computerbasierten Optometer ihre Sehschärfe in der Ferne durch Biofeedbacktraining bessern sollten, nicht einmal eine Verbesserung bei kurzfristiger maximaler Konzentrationssteigerung.[7] Die Studie von Koslowe et al., in der 15 Versuchs- und 15 Kontrollpersonen u.a. hinsichtlich der Sehschärfe untersucht wurden, konnte ebenfalls keinen Vorteil des Augentrainings aufzeigen.[8]
In augenärztlichen Fachkreisen trifft die Bates'sche Therapie auf deutlichen Widerstand. So teilt der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) auf seiner Website die Meinung des Augenarztes und Leiters des Arbeitskreises Psychosomatik im Berufsverband der Augenärzte, Dr. Christian Laugs. Dieser betont, dass es beim 'Sehtraining' keine nachgewiesene Wirkung gibt. Augenübungen könnten lediglich den Patienten entlasten, indem sie ihm das Gefühl geben, dass er etwas für sich tun könne.[9]
Auf der Webseite Augen und Mehr wird Prof. Dr. Herbert Kaufmann, Direktor der Universitätsaugenklinik für Schielbehandlung und Neuroophthalmologie in Gießen, mit den Worten zitiert, dass Augentraining reine Scharlatanerie sei. Er, Kaufmann, bekomme einen heiligen Zorn, wenn er höre, dass die Leute anstatt Gläser oder Kontaktlinsen zu tragen, lieber schlecht sehen und sich quälen wollten.
Das Augentraining nach Bates erlebt in den letzten Jahren in New-Age-Kreisen eine gewisse Renaissance. Das Augentraining - auch jenes nach Bates, Gollub oder Selby - mag aufgrund der eingebauten Entspannungsübungen eine lösende Wirkung auf innere Verspannungen oder subjektiv empfundenen Stress haben. Unglaubwürdig ist jedoch die Behauptung von Seh- oder Augentrainern, mit solchen Verfahren die Sehleistung zu erhöhen oder gar die Sehschärfe zu verbessern. Bis heute konnte in fast 100 Jahren keine glaubwürdige, seriöse Studie diese Behauptung belegen.
Siehe auch
- Zhdanov Methode nach Wladimir Zhdanov
Quellennachweise
- ↑ Federspiel K, Herbst V: Die Andere Medizin. Nutzen und Risiken sanfter Heilmethoden. Stiftung Warentest Verlag, 4. Aufl., 1996
- ↑ Leydhecker W: Augenheilkunde. Springer Verlag, Berlin, 1987, S.213 (zit. n. Hevekerl 1991)
- ↑ 3,0 3,1 Kelley CR: Psychological factors in myopia. Doctoral Diss., New School for Social Research, 1958 (zit. n. Hevekerl 1991).
- ↑ La Salle C, Brown C: Some psycho-physiological influences in myopia. Unveröff. Diplomarbeit, Los Angeles (zit. n. Hevekerl 1991)
- ↑ Hevekerl EM: Kurzsichtigkeit. Zum Einfluss psychologischer Faktoren und einer verhaltensmedizinischen Intervention. Schriftliche Arbeit zur Diplom-Hauptprüfung im Fach Psychologie am IFP Freie Universität Berlin, Institut für Psychologie, Berlin 1991
- ↑ Grehn, F.; Leydhecker, W.: Augenheilkunde, Springer, 1995
- ↑ Balliet et al.: The training of visual acuity in myopia. J Am Optom Assoc, 53, 719-724, 1982
- ↑ Koslowe et al.: Evaluation of accomotrac biofeedback training for myopia control. Optom Vis Sci, 68, 338-343, 1991
- ↑ http://www.augeninfo.de/patinfo/myopie.htm
- Bates WH: Rechtes Sehen ohne Brille. Grimma, 1931 (zit. n. Hevekerl 1991).