Recancostat
Recancostat ist ein alternativmedizinisches „Wundermittel“, das zur Behandlung von Krebs angeboten wird. Ein wissenschaftlicher Nachweis der Wirksamkeit bei Krebs ist nicht bekannt. Recancostat hat in Deutschland keine Zulassung als Fertigarzneimittel und ist daher nicht verkehrsfähig.
Inhaltsstoffe
Nach Angaben des Herstellers handelt es sich um ein Kombinationspräparat, das 200 mg reduziertes Glutathion, pflanzliche Anthocyane (25 mg Betatom und 291,25 mg Cassis) und 40 mg L-Cystein als Stabilisator beinhaltet (PZ 1996a, AMK 1996). Häufig wird das Mittel in Form zweier getrennter Tabletten angeboten.
Patent
Recancostat wurde 1991 durch den deutschen Arzt Gerhard Ohlenschläger (1930-2008) aus Königstein und den Biochemiker Gernot Treusch (1939-2008) aus Frankfurt/Main als internationales Patent angemeldet.[1] Allerdings ist die Anmeldung sehr allgemein gehalten. Es wird ein Stoffgemisch zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers beschrieben. Konkrete Anteile der möglichen Inhaltsstoffe (Anthocyan-Verbindungen der Gruppe Pelargonidin, Päonidin, Cyanidin, Melvidin, Petunidin, Delphindin) sind nicht genannt.
Beim Kernbestandteil, dem reduzierten Glutathion, behalten sich die Anmelder vor, mindestens ein Thio-Derivat des Glutathions der Gruppe Methyl-Glutathionyl-(Thio)-Äther, Äthyl-Glutathionyl-(Thio)-Äther, Mono-Acetyl-Glutathionyl-(Thio)-Ester oder Mono-Phosphorsäure-Glutathionyl-(Thio)-Ester zu ersetzen. Das Mittel wurde unter der Bezeichnung "therapeutisch wirksames Stoffgemisch aus Glutathion- und Anthocyan-Verbindungen" patentiert. Auch die Nachfolgerpräparation Recancostat comp(ositum) wurde unter der Nummer EP045972 patentiert. Eine solche Patentschrift ist jedoch noch kein Wirksamkeitsnachweis, sondern ein Rechtstitel zur Absicherung der eigenen Entwicklung gegenüber möglicher Konkurrenz, wenn sich ein Produkt als wirksam oder als Verkaufsrenner erweisen sollte.
Behaupteter Wirkmechanismus
Ohlenschläger sieht das Glutathionsystem als die zentrale ordnungs- und informationserhaltende Grundregulation lebender Systeme schlechthin. Alle Zellen von Säugetieren und Menschen seien physiologischerweise relativ gut ausgestattet mit antioxidativen Enzymen. Krebszellen sollen hingegen extrem unterschiedliche Konzentrationen dieser Enzyme aufweisen. Ohlenschläger stellte die Hypothese auf, dass bei der Art der Umwandlung einer gesunden Zelle in eine Tumorzelle deren mehr oder weniger effektive Ausstattung mit antioxidativen Enzymen eine Rolle spielen könnte.
Recancostat wird als 'das Zentrum der biologischen Kraft', 'das stark repräsentierte Zentralmolekül zur Bewahrung potentieller reduktiver Äquivalenzen zur Information, Funktion und Strukturerhaltung als ein allen Katabolen, Struktur- und Informations-zerstörenden Prozessen gegensteuerndes Ordnungsprinzip' bezeichnet. Recancostat sei der 'Garant aller Zelleistungen' und die 'ausgewogene oszillierende Mitte aller Zellregulationen'.
Indikationen
Als medizinische Indikationen werden für Recancostat comp.® folgende Erkrankungen oder Behandlungsumstände genannt:
- vor einer Tumoroperation bzw. der Entfernung eines Primärtumors oder einer größeren Metastase (600 mg bis 1.200 mg pro Tag)
- nach einer Operation während einer Strahlentherapie
- bei chemotherapeutischen Maßnahmen
- bei Hämoblastomen, Leukämien und bestimmten malignen Lymphomen
Diese Einsatzgebiete stehen im Widerspruch zu einer Reihe angeblicher Wechselwirkungen, die nach Herstellerangaben die Wirksamkeit von Recancostat comp.® beeinträchtigen sollen. Dazu zählen radioaktive und UV-Strahlung, Schwermetalle, Aldehyde und die begleitende Einnahme von Elektrolyten, Mineralien oder Spurenelementen. Wie angesichts dieser Ausschlusskriterien die Empfehlung ausgesprochen werden kann, dass man das Mittel gerade u.a. bei einer Strahlentherapie einsetzen solle, bleibt offen. Dies bedeutet, dass das Mittel z.B. bei einer Strahlentherapie, für deren Begleittherapie es gedacht sein soll, in seiner Wirksamkeit gemindert wird.
Vertrieb
In Deutschland war bis vor kurzer Zeit die Firma Syncomp Pharma GmbH mit Sitz in Frankfurt/Main und deutscher Webseite der Ansprechpartner für Recancostat. Die Firma hat Namen und Standort gewechselt und findet sich unter der Bezeichnung Clear Vision BV im niederländischen Heerlen wieder.
Recancostat wird auf zahlreichen Internetseiten angeboten. Hersteller sind die Firmen BIOREAL LTD sowie PURES BVBA mit Sitz in 8730 Beernem in Belgien.[2][3]
Nach Angaben des Herstellers sowie verschiedener Vermarkter beträgt der Preis für 200 Kapseln etwa 196 Euro.
Klinische Prüfungen
Bereits Büschel et al. (1997), die onkologische Patienten in den Städt. Kliniken Nürnberg Nord behandelten, fiel nach einer Umfrageaktion unter 40 Recancostat-Anwendern mit meist fortgeschrittener Krebserkrankung auf, dass sichere Tumorremissionen unter alleiniger Anwendung von Recancostat nicht zu beobachten waren. Auch zwei Ärztekollegen, die jeweils zehn onkologisch austherapierte Krebspatienten im Rahmen eines Heilversuches mit Recancostat behandelten, sahen keine positive Beeinflussung des weiteren Tumorverlaufs.[4]
In der Abteilung für kinderheilkundliche Onkologie der Universität Bonn wurde von Bode et al. (1999) eine kontrollierte Studie von Recancostat comp.® an insgesamt 16 kindlichen Patienten mit lange und intensiv vorbehandelten Tumoren durchgeführt. Als Tumoren kamen bei den Kindern Rhabdomyosarkome (n=3), Ependymome (n=2) und Medulloblastome (n=2) sowie jeweils ein Fall von Astrozytom, Glioblastom, epitheloidzelligem Sarkom, Chondrosarkom, Osteosarkom, Kolonkarzinom, Germ Cell Tumor, NSCLC und Ewingssarkom vor. Den Kindern wurde eine Recancostat comp.-Dosis von 40 mg pro kg Körpergewicht bzw. 1.200 mg pro m2 bis zu einer maximalen Dosis von 2 Gramm pro Patient verabreicht. Ursprünglich war geplant, diese Behandlung über 8 Wochen fortzusetzen. Aber bereits zu diesem Zeitpunkt waren 50% (n=8) aller behandelten Tumorpatienten bereits verstorben. Die verbleibenden acht Kinder überlebten ihre Tumorerkrankung maximal bis zu weiteren 40 Wochen. Es zeigten sich keinerlei positiven Veränderungen hinsichtlich des Tumorwachstums. Die Autoren kamen zu dem ernüchternden Schluss: Diese Ergebnisse bieten keinen Anhalt für eine positive Wirkung von Recancostat comp.® auf maligne Tumoren.[5] Das Ergebnis dieser Studie wurde bisher auf keiner einzigen Webseite der Promotoren erwähnt.
Aussagekräftige klinische Studien zur antitumorösen Wirksamkeit einer Behandlung mit Glutathion beim Menschen fehlen bisher.[6] Zwar ist Recancostat comp.® kein Mittel, bei dem der begründete Verdacht besteht, dass es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen auslöst. Unerwünschte Wirkungen sind beim Einsatz von Glutathion und Anthocyanen auch nicht zu erwarten. Es ist aber zu bedenken, dass Patienten, die an Krebs leiden und bei denen u.a. durch einseitige und überzogene Darstellung der Wirksamkeit des Mittels in den Massenmedien falsche Hoffnungen geweckt werden, durch den Heilungsanspruch von Recancostat comp.® möglicherweise den Einsatz einer adäquaten medizinischen Therapie hinauszögern und somit zum Nachteil des Betroffenen wertvolle Zeit unwiederbringlich verloren geht.
Der Fall Verena Schnier
Recancostat wurde durch den Fall des Mädchens Verena Schnier bekannt, das durch die Einnahme von Recancostat comp.® vor und parallel zu einer konventionellen onkologischen Therapie angeblich von einem Neuroblastom geheilt wurde. Allerdings wurde dieser Fall von wissenschaftlicher Seite nicht verifiziert.
Auf der Webseite von Verenas Vater wurde das Kind zu Marketingzwecken für Recancostat eingesetzt. Die Seite verlautbarte, dass ab Anfang April 2000 Apotheker sowie Arzneimittelgroßhändler nach § 73,3 des Arzneimittelrechts Recancostat auf ein Rezept [...] als ein im Ausland zugelassenes Fertigarzneimittel bestellen können. Wenn allerdings ein eingeführtes Mittel keine Wirkung hat, ist es kein Arzneimittel und damit nicht verkehrsfähig. Im § 8 Absatz 1 steht eindeutig: "Es ist verboten, Arzneimittel herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die [...] mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung versehen sind. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn [...] Arzneimittel eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben [...]' oder 'fälschlich der Eindruck erweckt wird, dass ein Erfolg mit Sicherheit erwartet werden kann oder dass nach bestimmungsmäßigem oder längerem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen eintreten".
Die Eltern des erkrankten Kindes traten bereits 1995 mit einem Schreiben an alle Apotheker in die Öffentlichkeit, in dem auf das Mittel Recancostat comp.® hingewiesen wurde. Mindestens eine Landesapothekerkammer wurde zusätzlich von einem Verein 'Regenbogen e.V.' angeschrieben. In beiden Schreiben wurden Mitteilungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft kritisiert. Dies betraf insbesondere ein Schreiben vom 16. November 1995, das den Apothekerkammern der Länder zur Weiterleitung an alle Apotheken übermittelt wurde (PZ 1995b).
In einem Urteil des LG Bad Kreuznach[7] vom 14. November 2001 wurde festgestellt, dass die Veröffentlichung einer Homepage im Internet, in der Eltern die Krebserkrankung ihrer Tochter Verena darstellen und darüber berichten, dass das Kind durch die Verabreichung eines als Wundermittel angepriesenen, nicht zugelassenen Arzneimittels (hinter dem Rücken der behandelnden Ärzte) von seiner schweren Erkrankung geheilt worden sei, eine Wettbewerbshandlung sei, sofern neben der namentlichen Nennung des Mittels auch Angaben zu seinem Preis, der Bezugsquelle und schließlich auch zum Entdecker des Mittels unter umfassender Darlegung seiner persönlichen und wissenschaftlichen Verdienste erfolgen. Die Internetveröffentlichung verletzt sowohl § 3 a HWG (Werbung für ein nicht zugelassenes Arzneimittel) als auch § 12 HWG (Werbeverbot für Arzneimittel außerhalb der Fachkreise). Durch den mehrfachen Verstoß gegen ausdrückliche Verbote des Heilmittelwerbegesetzes werden durch Rechtsbruch schwerwiegende Rechtsgüter, nämlich die Gesundheit des einzelnen und die Volksgesundheit, verletzt. Der Verband Sozialer Wettbewerb e.V., Kantstr. 100, 10627 Berlin erstritt diese einstweilige Verfügung.
Quellennachweise
- ↑ WO 9203146 A1: Therapeutically active mixture of Glutathion and Anthocyan compounds. Anmeldedatum: 20.08.1991
- ↑ http://arzneimittel-datenbank.de/produkte-mit-r-4100.htm
- ↑ glutathion-portal.com/pdf07_MailingMai2010.pdf
- ↑ Büschel G, Kaiser G, Gallmeier WM: Recancostat Comp. - ein neues Krebsmittel? Münch Med Wschr, 139, 237-240, 1997
- ↑ der-arzneimittelbrief.de/Jahrgang1999/Ausgabe09Seite72a.htm Recancostat compostium unwirksam bei pädiatrischen Patienten mit vorbehandelten soliden Tumoren Der Arzneimittelbrief, Jahrgang 1999, Seite 72a
- ↑ Büschel G, Kaiser G, Gallmeier WM: Recancostat Comp. - ein neues Krebsmittel? Münch Med Wschr, 139, 237-240, 1997
- ↑ Aktenzeichen 5 0 69/01
- AMK (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft): Gemeinsame Information der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. zu Recancostat comp.®, einem Substanzgemisch ohne nachgewiesene Wirkung. Dt. Ärztebl., 93, A-561, 1996
- Bode U, Hasan C, Hülsmann B, Fleischhack G: Recancostat compositum® therapy does not prevent tumor progession in young cancer patients. Klin Pädiatr, 211, 353-355, 1999
- PZ: Recancostat Comp. Pharmazeutische Zeitung, 140, 94, 1995a
- PZ: Recancostat. Pharmazeutische Zeitung, 140, 4381, 1995b
- PZ: Warnung vor Recancostat comp. Pharmazeutische Zeitung, 141, 870, 1996a
- PZ: Recancostat Comp. Pharmazeutische Zeitung, 142, 2930, 1997b
- Schneider G: Deutscher Heilpraktiker-Führer: Therapie- und Diagnoseverfahren. Gluthationtherapie (Recancostat). http://naturheilkunde-aktuell.de/therapie-diagnose/glutathiontherapie.html, 2000