Diskussion:Gelsenkirchener Behandlungsverfahren nach Stemmann

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Zitat:

ERFAHRUNGSBERICHT einer Mutter in der Kinderklinik Gelsenkirchen

Der nachfolgende Erfahrungsbericht stammt von einer Mutter, die im Jahr 2003 (zu dem Zeitpunkt waren die heute Verantwortlichen bereits seit 10 Jahren in der Abteilung tätig) mit ihrem damals sechs Monate alten Baby auf der psychosomatischen Station der Kinderklinik Gelsenkirchen aufgenommen wurde. Anlass war ein von der Kinderärztin geäußerter Verdacht, dass eine Neurodermitis vorliegen könnte.

[Vorbemerkung: Die Mutter hat den dreiwöchigen Aufenthalt komplett durchgezogen. Neben den Erfahrungen in der Klinik beschreibt sie auch die Jahre danach, in denen sie das Klinikprogramm zunächst zu Hause weitergeführt hat. Wir finden es sehr mutig und wertvoll, dass sie ihre Geschichte erzählt. Wir bitten deshalb ausdrücklich darum, von Verurteilungen der Eltern abzusehen.]

„TEIL 1 - IN GELSENKIRCHEN

Im Winter 2003 wurden meine sechs Monate alte Tochter F. und ich in Gelsenkirchen stationär für drei Wochen aufgenommen. F. hatte an mehreren Stellen ihres Körpers kleine Ekzeme. Im Rahmen der U 5 meinte unsere Kinderärztin, dass es sich dabei evtl. um Neurodermitis handeln könnte. In meinem Freundeskreis war eine Familie mit zwei sehr stark an Neurodermitis erkrankten Kindern. Ich hatte große Angst, dass dieser Leidensweg auch meiner kleinen Tochter bevorstehen könnte. Daraufhin empfahl mir die Kinderärztin eine „Spezialklinik“, von der sie gehört habe. Ich war ziemlich froh um die Aussicht, das Hautproblem ganz früh in den Griff bekommen zu können.

Bereits am ersten Tag des Klinikaufenthalts war ich irritiert. Es fand zunächst ein Aufnahmegespräch statt. In diesem ging es allerdings überhaupt nicht um F.s Haut. Es wurde vor allem nach ihrem Verhalten in vielen verschiedenen Situationen gefragt, nach der Häufigkeit des Stillens und außerdem nach dem Geburtsverlauf. Ich erzählte, dass es bei F.s Geburt Komplikationen gab und meine Tochter die ersten Tage auf einer Intensivstation verbringen musste. Auf dieser Grundlage wurde bei meiner Tochter dann eine Neurodermitis diagnostiziert. Und zwar soll der Stress bei der Geburt und die Trennung in den ersten Lebenstagen bei meiner Tochter zu einem „Trennungstrauma“ geführt haben, welches dann wiederum die Neurodermitis ausgelöst habe. Um die Neurodermitis zu heilen, müsse die Ursache, also das „Trennungstrauma“, überwunden werden, deswegen seien Salben und ähnliches auf keinen Fall die richtige Behandlungsmethode. Es wurde gesagt, dass man viel Erfahrung auf diesem Gebiet habe und meine Tochter heilen könne.

Den Rest des Tages verbrachten wir damit, uns zu orientieren und Kontakt zu den Mitpatienten bzw. deren Müttern aufzunehmen. Mir fiel auf, dass eine sehr seltsame Stimmung herrschte. Alles kam mir sehr lieblos vor, überall schrien Kinder und das Verhalten der Mütter und des Personals war in meinen Augen unnatürlich und abweisend.

Am nächsten Tag ging es los. Es standen vor allem Gruppenvorträge, aber auch Einzelgespräche und Autogenes Training auf meinem Programm. Während der einzelnen Programmpunkte und auch während des Essens mussten wir die Kinder in der Mäuseburg abgeben. Hiermit tat ich mich anfangs unglaublich schwer. F. war die jüngste Patientin, die meisten anderen Kinder konnten schon laufen oder sogar reden.

Ich sollte sie nicht in den Arm einer Betreuerin geben, sondern in eine Ecke auf den Boden legen. Ich fragte nach einer Decke zur Unterlage für den winterkalten PVC-Boden, bekam aber nur die Antwort: „Das braucht die nicht“. Es gab dort nur weinende und verzweifelte Kinder und mein Baby lag mittendrin auf dem Boden. In dieser Situation wurde ich aufgefordert, zügig und ohne mich umzudrehen die Mäuseburg zu verlassen.

Die Kinder wurden vom Personal nicht angesprochen oder angeleitet, sondern sich selbst überlassen. Schreiende Kinder und Babys überall. Die Babys lagen auf dem Boden rum. Einmal als ich F. abholte, hatte sie sich zu einem anderen Baby hingerobbt und lutschte an dessen vereitertem Ohr rum. Ein Bild, das ich nie vergessen werde.

In den Vorträgen ging es überwiegend darum, wie Eltern dem Kontrollzwang der Kinder begegnen sollten und wie ausgefuchst Kinder denn seien. Immer wieder wurde gesagt, wie wichtig es ist, dem Kind die an sich gerissene Kontrolle wieder wegzunehmen. Ja, auch meine sechs Monate alte Tochter soll mich schon komplett kontrolliert und tyrannisiert haben. Dieser Zahn müsste ihr mit allen Mitteln gezogen werden. Dazu gehörte auch, dass ich sofort abstillen sollte, um ihr diese „Ausrede“ nach Nähe zu nehmen, denn Stillen wäre ein Mittel, die Mutter an sich zu binden. Innerhalb einer Woche sollte der SÄUGLING komplett abgestillt sein. Stattdessen sollte ich sie zu strikt fest gelegten Zeiten mit Sojamilch (!!!) füttern.

Zusätzlich sollte F. zum Schlafen in ein anderes Zimmer verlegt werden. Sie wurde abends in das Gitterbett gelegt und aus dem Zimmer geschoben. Ich durfte nicht mit. Ich durfte nicht mal sehen in welches Zimmer sie geschoben wurde! Es hieß, am nächsten Morgen um 7 Uhr darf ich sie wiederhaben. Mein Magen schmerzte, mir war übel, ich stand unter maximalem Stress.

Ich habe geweint, sie sollen mir mein Baby dalassen, aber ich wurde einfach ignoriert. Als ich völlig verzweifelt, aber überzeugt, äußerte, dass ich die Klinik sofort mit meinem Kind verlassen will, kam dann sofort Personal, welches mich beruhigte und mir klar machte, dass die Behandlung hier der einzige richtige Weg sei, wenn ich ein gesundes Baby möchte. Immer wieder kam dieser Satz: „Seien Sie stark - für Ihr Baby. Wenn sie wollen, dass es Ihrem Baby gut geht, dann halten Sie durch“. Ich habe mich dem dann gefügt. Nachts habe ich sie schreien gehört. Es war herzzerreißend!

Am nächsten Morgen erzählten mir die Schwestern kurz von der Nacht. Wie hartnäckig F. doch sei, eine „harte Nuss“. Sie würden aber angemessene Maßnahmen ergreifen. Sie sagten mir, wie ich dann auch vorgehen solle, sollte es auch nach dem Aufenthalt nochmal zu „Schwierigkeiten“ nachts kommen. Licht anmachen, sie aus dem Bett nehmen, auf den kalten Wickeltisch legen und ihr ein Fieberthermometer in den Po schieben. Anschließend solle ich sie wieder ins Bett legen und allein im Dunkeln zurücklassen. So würden Babys schnell verstehen, dass nächtliches Weinen nur unangenehme Folgen hat und schnell Ruhe geben.

Ich wehrte mich nicht nur innerlich gegen dieses Programm, sondern machte meinen Unmut auch deutlich. In der ersten Woche saß ich jeden Abend auf gepackten Koffern und wollte die Klinik verlassen. Dann wurde ich zurück ins Zimmer geordert und es kamen abwechselnd die zuständige Schwester oder einer der Therapeuten, Psychologen oder Ärzte zu mir und überredeten mich, ein paar Tage abzuwarten. Wenn ich dann immer noch gehen wolle, könne ich es ja tun. Aber mir müsste eben auch bewusst sein, dass es dann meine Schuld sei, dass F. nicht gesund wird. Eine Genesung ohne diese Behandlung wurde als abwegig dargestellt und eine zweite Chance würde ich hier nicht bekommen. Das hat immer krass Wirkung bei mir hinterlassen. Auch wenn F.s Hautläsionen nach wie vor minimal waren, hatte ich in der Klinik viele stark von Neurodermitis betroffene Kinder direkt vor Augen. Mir wurde vermittelt, dass DAS die Zukunft von F. wäre, würde ich jetzt gehen. Und immer wieder, dass es dann meine Schuld sei, weil ich meinem Kind die notwendige Hilfe vorenthalten habe. Also blieb ich.

Ich hörte F. schreien. Ich weinte ins Kissen. Und das alles, um eine vermeintliche Neurodermitis zu heilen. Es ging meinem Baby und mir wirklich sehr schlecht. Aber ich blieb. Unglaublich. Im Nachhinein ist es mir unbegreiflich. Ich war wohl zu schwach. Oder die „Fachleute“ zu stark. Vielleicht beides.

In Woche 2 fing ich an, die Vorträge nicht mehr so schlimm zu finden und hörte aufmerksamer zu. Das Trennungstraining fiel mir leichter und an die schmerzenden Brüste hatte ich mich gewöhnt. Auch der schroffe Umgang seitens des Personals mit den Kindern brachte mich nicht mehr aus der Fassung. Zwar kamen in mir immer mal wieder Zweifel auf – aber dann fand ein weiteres Einzelgespräch statt, welches die Zweifel ausradierte.

Und in Woche 3 war ich dann tatsächlich soweit, dass das alles total Sinn ergab und ich überzeugt von diesem Behandlungsverfahren war. Das autogene Training in der Großgruppe kam mir nicht mehr sektenhaft vor und ich verbündete mich mit anderen Müttern im Kampf gegen das Bauchgefühl und gegen unsere Kinder.

Nach drei Wochen verließ ich schließlich die Gelsenkirchener Kinderklinik mit genug „Rüstzeug“ gegen die ständigen Manipulationsversuche meines Babys. Sicherheitshalber wurde ich auch Mitglied im Verein „Allergie und Umweltkrankes Kind e. V.“. Der Verein wurde immer wieder in den Seminaren erwähnt. Ein Aufnahmebogen fand sich in dem Buch von Prof. Stemmann, welches wir zu Beginn des Aufenthalts alle käuflich erwerben sollten. Die Mitgliedschaft wurde uns „Absolventen“ ganz dringend ans Herz gelegt, um bei eventuellen Unsicherheiten zu Hause Ansprechpartner vor Ort zu haben, die einem wieder den richtigen Weg aufzeigen können.

TEIL 2 – NACH GELSENKIRCHEN

Ich bin mit der Anweisung nach Hause gegangen, das Programm jetzt mindestens ein Jahr so weiterzuführen. Ich sollte Kontakte nach außen weitgehend meiden. Kein Besuch bei Freunden, kein Besuch zur Familie, der Tagesplan musste strikt eingehalten werden.

Täglich musste eine 30-minütige Auszeit stattfinden. F. war dann ganz allein in ihrem Zimmer, und egal was darin passierte, egal was ich hörte, ich sollte nicht rein. Zur Erinnerung: meine Tochter war 7 Monate alt als ich mit diesen „Maßnahmen“ begann. Mein Kind weinte verzweifelt nach mir und ich bin nicht ins Zimmer. Ich hörte es krachen und scheppern, hörte wie der Kopf auf den Boden knallte und ich bin nicht ins Zimmer. Anfangs liefen mir jedes Mal die Tränen, aber ich musste stark sein, damit mein Kind gesund wird und nicht so schlimm erkrankt wie die Kinder in der Mäuseburg. Daran wollte ich nicht schuld sein und ich dachte weiterhin, dass ich das Richtige tat. Die Ekzeme verschwanden ja auch. Sie schien ihr Trennungstrauma zu überwinden und versuchte nur noch ihre verlorene Kontrolle über mich zurück zu erlangen. Logisch! Mein Mitgefühl für mein Baby wurde mit jeder Woche weniger. Immerhin lies ich ja nur ihre Manipulationsversuche ins Leere laufen. Dieses berechnende und ausgefuchste Kind!

Meine Tochter wurde vom Baby zum Kleinkind. Jedes Weinen, jedes Schreien, jede Unmutsäußerung interpretierte ich als Manipulationsversuch und wurde deswegen von mir strikt ignoriert. Sie lernte dann laufen. Wenn sie fiel, ließ ich sie liegen bis sie sich von selbst beruhigte. Zuwendung gab es nur für besonders „liebes“ Verhalten. Kein Kuscheln bei Aufforderung, sondern dann, wenn ich bestimmte, dass Zeit dafür ist. Und schon gar nicht als Trost oder Stressregulation. Meine Empathie für diesen kleinen, von mir komplett abhängigen Menschen war kaum noch vorhanden.

Mit der angeblichen Neurodermitis hatte das schon lange nichts mehr zu tun. Die Ekzeme waren relativ schnell nach dem Klinikaufenthalt verschwunden und ich habe darüber gar nicht mehr viel nachgedacht. Vielmehr war das Konzept des „Kindes als Tyrann“ derart stark in meinem Denken verankert, dass mein Handeln mir selbstverständlich vorkam.

Das änderte sich erst, als meine zweite Tochter auf die Welt kam. Sie ist drei Jahre jünger als F. Plötzlich hatte ich wieder diese natürliche Zärtlichkeit; diesen Instinkt, mein Baby vor allem beschützen zu wollen, zu stillen, zu tragen, bedingungslos zu lieben. Ich genoss das Kuscheln ohne Hintergedanken und ohne schlechtes Gewissen so sehr. Ich begann an meinem Umgang mit F. zu zweifeln.

Der Wendepunkt war dann der Zeitpunkt, an dem meine jüngere Tochter mit ca. 4 Monaten ebenfalls diese Ekzeme entwickelte. Bei dem Gedanken, mit ihr ebenfalls nach Gelsenkirchen gehen zu müssen, überkamen mich mit aller Wucht die Gefühle der ersten Aufenthaltswoche erneut. Das Gefühl der Hilflosigkeit. Das Gefühl, mein Baby beschützen zu wollen und es nicht zu schaffen. Das Gefühl, als junge Frau vorgeblichen Autoritäten ausgeliefert zu sein. Nie hätte ich zugestimmt, mit ihr nach Gelsenkirchen zu gehen und das Programm erneut durchzumachen.

Da erst wurde mir komplett bewusst, was im Umgang mit F. alles falsch lief. Ich begann zu verstehen, was ich meinem großen kleinen Mädchen seit diesem Klinikaufenthalt angetan hatte. Wie hatte ich diese offensichtlichen Absurditäten nur zulassen können? Warum habe ich nicht auf mich gehört? Wie konnte es sein, dass mir völlig fremde Menschen sagen konnten, wie ich MEIN BABY zu behandeln habe? Warum habe ich nicht für sie, nicht für uns einstehen können?

Ich versuchte, die bedingungslosen Gefühle für meine nun Dreijährige wieder zu fühlen und nach ihnen zu handeln. Leider war dies viel schwerer, als man meinen könnte. Immer wieder rutschte ich in die Gelsenkirchener Denkmuster des manipulativen, kleinen Tyrannen. Während ich die kleine Schwester intuitiv und selbstverständlich mit adäquater elterlicher Zuneigung tröstete, wenn sie sich weh getan hatte, etwas misslang oder sie aus anderen Gründen traurig war, blieb es meine ältere Tochter betreffend immer ein rationaler Akt. Selbst wenn F. sich weh tat und weinte, musste ich mir klar machen, dass sie mich NICHT manipuliert, dass sie ein kleines Kind ist, das einfach Trost braucht und eine Mutter, die den Schmerz weg pustet. Mein kleines Kind, das mich braucht, meine Präsenz, meine Aufmerksamkeit, meine Sicherheit. Viel zu oft ist mir dieser rationale Akt nicht gelungen und ich unterstellte doch wieder Manipulationsversuche. So wusste F. auch nie woran sie bei mir war und welche Reaktion sie von mir erwarten konnte. Bei meiner jüngeren Tochter sind die Ekzeme übrigens – genau wie bei F. – innerhalb weniger Wochen wieder verschwunden, was meine Schuldgefühle F. gegenüber noch verstärkte; anscheinend hatte es sich nie um Neurodermitis gehandelt. Ich hätte nur ein bisschen abwarten müssen und das alles wäre nie passiert.

Meine jüngere Tochter entwickelte sich komplett ohne psychische Auffälligkeiten. Bei F. sah das leider anders aus. Mit 14 Jahren entwickelte sie eine ausgeprägte Sozialphobie und Schulangst. Außerdem eine juvenile Depression. Diese wurde so ausgeprägt, dass die Notwendigkeit einer stationären Behandlung immer deutlicher wurde. Die Entscheidung, sie in einer Klinik aufnehmen zu lassen, war fürchterlich. Sofort hatte ich Gelsenkirchen im Kopf! Am Gedanken, dass ich nicht mitbekommen würde, was sie dort mit ihr machen und dass ich sie wieder nicht würde beschützen können, zerbrach fast mein Herz. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wegen des Verdachts auf Herzinfarkt lag ich erst im Krankenhaus und war danach sechs Wochen zuhause.

Das Gute an dieser Episode war, dass F. und ich uns in diesen Wochen, in denen wir beide krankgeschrieben waren, so nah kamen wie nie zuvor. Ich erzählte ihr zum allerersten Mal die ungefilterte Version aus Gelsenkirchen. Und sprach über meine Sorge, jetzt eine falsche Entscheidung zu treffen. Und dann sagte meine mittlerweile 15-jährige Tochter zu mir: „Mama, dann entscheide ich jetzt. Ich gehe in die Klinik. Auf meine Verantwortung“.

Einige Wochen später bekam sie endlich den stationären Therapieplatz. Sie war drei Monate in der Klinik und es hat tat ihr wirklich gut. Zwischenzeitlich begann auch ich eine ambulante Psychotherapie, in der ich auch den Aufenthalt in Gelsenkirchen, verbunden mit der von mir dort erlebten Hilflosigkeit, aufarbeitete. Auch meine Schuldgefühle F. gegenüber und wie inkonsistent ich lange damit umgegangen war, konnte ich bearbeiten.

Unser Weg ist nach wie vor steinig, aber das Verhältnis zwischen F. und mir ist nun wirklich gut. Es kommt kaum noch vor, dass ich in alte Denkmuster zurückfalle. In den letzten Jahren handle ich fast ausschließlich nach meinem Herzgefühl, auch wenn das für Außenstehende manchmal so aussieht, als ließe ich zu viel durchgehen. Aber ich knüpfe meine Zuneigung nicht mehr an Bedingungen. Ich unterstelle ihr keine schlechten Intentionen mehr, wenn sie einfach sie ist. Und ich sehe, wie meine Tochter aufblüht. Wie sie lacht, wie sie vorsichtig Kontakte knüpft, sich wieder mehr zutraut. Wie sehr sie mein Vertrauen genießt und aufsaugt. Sie geht wieder in die Schule und schmiedet Pläne für die Zukunft.

Ich möchte gar nicht behaupten, dass die drei Wochen in Gelsenkirchen „schuld“ sind an unserem Leidensweg. Tatsächlich versuche ich das Konzept der Schuld, welches während des Aufenthalts allgegenwärtig war, hinter mir zu lassen. Aber mit welchen Augen und impliziten Vorurteilen ich F. die ersten Jahre gesehen und behandelt habe und wie sie anschließend mit meinem inneren Konflikt all die Jahre klarkommen musste, das kreide ich dem Gelsenkirchener Behandlungsverfahren an! Gelsenkirchen hatte einen viel zu großen Einfluss auf unsere Mutter-Tochter-Beziehung.

Ich würde gerne mit anderen betroffenen Familien in Kontakt treten. Das würde mir guttun, da mal zu reden. So eine Art Selbsthilfegruppe. Ich würde gerne hören, wie sich das Leben anderer Familien nach dem Aufenthalt so entwickelt hat. Ob sie auch zwei Zeitrechnungen haben. Vor und nach Gelsenkirchen.“


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