Alternativmedizin

Aus Psiram
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Alternativmedizin.jpg

Unter Alternativmedizin versteht man Methoden und Behandlungen, welche nicht von der wissenschaftsbasierten Medizin (bzw evidenzbasierten Medizin) angewendet werden. Der Begriff überschneidet sich teilweise mit dem Begriff der Komplementärmedizin. Im englischen Sprachraum, aber zunehmend auch bei uns, werden komplementär- und alternativmedizinische Verfahren als CAM bezeichnet. Das National Center for Complementary and Alternative Medicine NCCAM definiert komplementär- und alternativmedizinische Therapien als Behandlungen, die anstatt ("alternativ") oder zusätzlich ("komplementär") zu einer konventionellen, etablierten Therapie durchgeführt werden. Eine Behandlung gilt dann als etabliert, wenn die klinische Wirksamkeit in prospektiven randomisierten Studien zweifelsfrei belegt ist oder ein biologisches Rationale die Behandlung als sinnvoll erscheinen lässt. Der Grund für die häufig zu beobachtende Ablehnung alternativmedizinischer Methoden seitens der wissenschaftlichen Medizin liegt entweder in einem fehlenden Wirksamkeitsnachweis oder in bestehenden Methoden, die wirksamer und/oder verträglicher sind. Da die moderne Medizin evidence based arbeitet, also durchaus auch mit Methoden, von denen man weiß, dass sie wirken, aber nicht unbedingt weiß, warum, werden und wurden wirksame Verfahren der Alternativmedizin integriert, sofern sie ihre Wirksamkeit belegen konnten und nicht als Evidence-deficient Medicine abgelehnt werden. Der Begriff Alternativmedizin ist daher euphemistisch, da er in der Regel keine wirkliche Alternative anbietet, außer nicht- oder weniger wirksamen Methoden.

In Deutschland ist ein Anstieg der CAM-Anbieter zu verzeichnen. Von 1993-2000 stieg die Anzahl der Heilpraktiker als wichtigster nichtärztlicher CAM-Beruf um 90% (von 11/100.000 auf 21/100.000 Einwohner). Die ärztlichen CAM-Qualifikationen erhöhten sich im gleichen Zeitraum um 125% (von 19/100.000 auf 43/100.000) [1].

Typische Eigenschaften alternativmedizinischer Methoden

Fast immer beruhen alternativmedizinischen Verfahren auf einem Axiom, d.h. auf einem keines Beweises bedürfenden Grundsatzes, und sind daher nicht in üblicher Weise reproduzierbar. Häufig sind alternativmedizinische Axiome oder Annahmen auch nicht falsifizierbar.

Oft erkennt man paramedizinische Verfahren im Alltag auch an folgenden Eigenschaften:

  • Entdeckung im Alleingang durch einen bestimmten Erfinder als "Einzelforscher"
  • Anwendung falscher akademischer Titel, oder Titel von title-mills
  • Ankündigung in Boulevardmedien und nicht über wissenschaftliche Veröffentlichungen
  • Produkte sind häufig chemisch ungenau definiert, ihre Zusammensetzung wird laufend verändert
  • Verfahren haben keine Kontraindikationen und keine Nebenwirkungen
  • Verfahren sind bei vielen Krankheiten (wenn nicht sogar allen) und in allen Krankheits-Stadien wirksam

Siehe auch: Zehn Indizien für Quacksalberei des arznei-telegramms.

Attraktivität

Für die Beliebtheit und Attraktivität können folgende Faktoren angenommen werden:

  • Aktive Beteiligung des Kranken
  • Angebliches oder tatsächliches Fehlen von Nebenwirkungen bei behaupteten Wirkungen ("sanft" und "natürlich")
  • Einfacher, wenn nicht sogar primitiver oder naiv zu nennender unterstellter Wirkmechanismus. Beispiele:
    • Krebs aushungern durch eine Krebsdiät
    • Tumorverbrennung durch Ganzkörperhyperthermie
  • Nennung von Namen wie Galilei oder Semmelweis, als Beispiele für Forscher, deren Erkenntnisse sich erst viel später durchsetzten
  • Nennung von angeblichen oder tatsächlichen Befürwortern mit Professorentitel

Patienten der Alternativmedizin

Der typische Alternativmedizin-Patient bzw. Kunde lässt sich durch folgende Attribute charakterisieren:

  • jung (30 - 50 Jahre) [2]
  • höhere Bildung
  • neigt politisch zu "Links und Grün" [3]
  • relativ hohes Einkommen
  • weiblich

Der Alternativmedizin-Markt

In Deutschland werden jährlich pflanzliche Heilmittel für rund zwei Milliarden Euro verschrieben und es werden rund neun Milliarden Euro pro Jahr für komplementär- und alternativmedizinische Verfahren ausgegeben (Stand 2006) [4]. Fünf Milliarden Euro davon zahlen die Patienten selbst. Vier Milliarden Euro erstatten die Krankenkassen. 40.000 Ärzte bieten entsprechende Therapien an [5]. Eine andere Schätzung ergibt, dass in Deutschland der Gesamtumsatz der Branche bei etwa 20% der gesamten Wellnessbranche liegt, die jährlich etwa 50 Milliarden Euro umsetzt, und würde demnach bei etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr liegen [6]. Forschungsgelder für den Bereich der Alternativmedizin stammen zu einem großen Teil von privaten Stiftungen wie:

  • Carstens-Stiftung (27 Mio. Euro). Zuletzt sponserte sie im Mai mit 1,5 Mio. Euro die Stiftungsprofessur für alternative Medizin an der Charité.
  • Krupp-Stiftung
  • Kneipp-Stiftung
  • Gerhard Kienle Stiftung
  • Erich Rothenfußer Stiftung

Aber auch Hersteller von alternativmedizinischen Präparaten finanzieren Forschung auf diesem Gebiet. Bionorica und Schwabe haben Forschungsetats von 17 und 25 Mio. Euro. Zwar lassen sich Substanzen, die in der Natur (etwa Pflanzen) vorkommen, nicht patentieren, spezielle Zubereitungen hingegen schon.

Zahlen zu Umsätzen der Alternativ- und Komplementärmedizin sind auch aus den USA bekannt. Dort wurden für Komplementärmedizin 1997 36 bis 47 Milliarden US Dollar (USD) ausgegeben. Davon wurden 12 bis 20 Milliarden USD aus eigener Tasche für Komplementär-Therapeuten eingesetzt [7]. Dies entspricht der Hälfte der aus eigener Tasche ausgegebenen Summe für eine ärztliche Dienstleistung. Nach einer anderen Quelle werden jährlich sogar 27 Milliarden US-Dollar für komplementär- und alternativmedizinische Verfahren durch die Konsumenten selbst ausgegeben [8]. Nach einer Untersuchung des Autors McGinnis wurden in den USA 1987 viermal mehr Geld für Komplementärmedizin als für die gesamte Krebsforschung ausgegeben [9]. 1981 erzielte Laetrile, ein damals populäres alternatives und unwirksames Krebsmedikament aus Aprikosenstein-Extrakt, einen Umsatz von 2 Milliarden US-Dollar, im gleichen Zeitraum wurde für Chemotherapie 0.2 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Dem National Center for Complementary and Alternative Medicine in den USA steht ein Jahresbudget von 122 Mio. $ zur Verfügung, finanziert vom Staat.

Kritik

Anwender alternativmedizinischer Methoden berufen sich bei der Frage nach einer Wirksamkeit häufig lediglich auf ihre eigene Erfahrung, die sich auf die selektive Auswahl bestimmter eigener Wahrnehmungen in der Vergangenheit bezieht. Derartige retrospektive Betrachtungen haben jedoch keinen beweisenden Charakter. Auch die gelegentlich zu hörende Argumentation "Wer heilt hat Recht" ist nicht zielführend, da bei einem therapeutischen oder diagnostischen Vorgehen stets das optimale Verfahren mit günstigstem Verhältnis von Nutzen zu Risiken gewählt werden muss (wenn dieses bezahlbar ist), und nicht lediglich ein Hinweis auf Eignung.

Der Begriff einer postulierten und unscharf formulierten Ganzheitlichkeit (meist verbunden mit "...von Körper, Geist und Seele") bleibt innerhalb alternativmedizinischer Verfahren ein reines Versprechen, das aufgrund des zeitlichen oder finanziellen Bedarfs auch nur schwer umzusetzen wäre. (siehe Ganzheitlichkeit nach Issels)

Im Bereich der Alternativmedizin sind häufig Therapeuten ohne fundierte fachliche Ausbildung zu finden, was in der Vergangenheit zu grotesken Fehldiagnosen (siehe Tests der Stiftung Warentest), unnötigen bleibenden Schäden und zu vermeidbaren Todesfällen geführt hat.

Gefahrenpotential

Alternativmedizinischer Mittel oder Verfahren bergen Gefahren und Risiken [10]:

  • Ablehnung effektiver Diagnostik oder Therapie zugunsten von alternativmedizinischen Methoden ohne Wirksamkeitsnachweis, mit der Folge einer Verschleppung einer Krankheit, oder dem Erscheinen vermeidbarer Symptome
  • Verschlechterung der Therapieaussichten durch vergebliche alternativmedizinische Bemühungen
  • Entstehung von Schuldgefühlen bei Misserfolg, sich selbst oder Angehörigen gegenüber
  • Todesfälle oder körperliche Schäden durch nicht geeignete Verfahren

Einschüchterungsversuche und Aktivitäten gegen Kritiker der Alternativmedizin

Personen oder Institutionen, die alternativmedizinische Verfahren kritisch betrachten, müssen auch mit persönlichen Angriffen rechnen. So wurden zwei Frauen, die auf einer Veranstaltung von Helmut Pilhar zur Germanischen neuen Medizin in Frankfurt kritische Fragen zu dem Verfahren stellten, von glatzköpfigen Herren "nach Hause" begleitet. Die zwei Frauen mussten die Polizei zu Hilfe holen. Auch wollten Frischzellentherapeuten einem Kritiker gerichtlich verbieten lassen, gegenüber der Presse auf Anfrage seine Beurteilung der Frischzellentherapie mitzuteilen [11]. Ein weiteres Beispiel sind Zivilklagen gegen das Projekt Paralexx, die zur zeitweisen Einstellung der Aktivitäten von Paralexx führten.

Die Stiftung Warentest wollte ein Buch herausgeben mit kritischer Analyse und Bewertung von Natur- und Alternativmedizin. Die Zeitschrift Stern nahm die Chance für eine Vorveröffentlichung auf: Krista Federspiel, eine der beiden Autorinnen, und ihr Kollege Hans Weiss boten an, eine Wallraffiade durch diese Szene zu unternehmen und sich von je zehn Naturheilern eine Diagnose erstellen zu lassen. Der Stern garantierte eine großzügige Bezahlung für die Reportage und forderte einen zweiten Teil an, in dem von Alternativmethoden Geschädigte namentlich vorgestellt werden sollten. Zum Nachweis, dass Journalisten tatsächlich bei den angegebenen Naturheilern waren, kam jedes Mal ein Fotograf mit und hielt das Geschehen fest. Jeder besuchte Heiler dichtete den Probanten mehrere Krankheiten an: Insgesamt wurden 38 verschiedene Krankheiten sowie eine Unzahl von Störungen und Allergien attestiert und mehr als 130 Medikamente verschrieben. Als die Reportage „Wunderheiler und Krankbeter“ im Stern 49/1991 zu lesen war, löste die darin erhobene Kritik so viel Empörung und massive Heilpraktikerproteste aus, dass die Redaktion aus Angst vor Leserverlust die Veröffentlichung des zweiten Teiles scheute und ihn schließlich ganz absagen musste. Man gab die Rechte an die Autoren zurück. [12].

In einer Sendung des ZDF vom 5. September 2007 "Heilen mit dem Nichts?" berichtete der Journalist Joachim Bublath über wissenschaftliche Erkenntnisse zur Homöopathie (unter anderem eine Analyse des renommierten "The Lancet" [1]), die eine etwaige Wirksamkeit dieser umstrittenen Mthode gegenüber Placebo in Frage stellte. Die Folge waren Aufrufe zum spamming von Seiten der Homöopathiebefürworter und das ZDF kuschte, indem es die Webseiten mit den zitierten Lancet-Angaben löschte [13].

Alternativmedizinische Phytotherapie mit geschützten Pflanzenarten

Viele Methoden der Alternativmedizin verwenden Wirkstoffe pflanzlicher Herkunft. Unter den Pflanzen sind auch etwa 350 geschützte Pflanzenarten zu finden. Beispielsweise:

  • Hoodia spp.
  • Afrikanisches Stinkholz (Prunus africana, syn.Pygeum africanum). Handel verboten
  • Indische Kostuswurzel (Saussurea costus, syn. S. lappa)
  • Arnika
  • Kanadische Gelbwurz
  • Adonisröschen

Ein Handel mit diesen Pflanzen oder mit Präparaten daraus ist nur unter besonderer Kontrolle der Organisation CITES erlaubt.

Durch intensiven Abbau sind für die kommerzielle internationale Nutzung viele Pflanzenarten so rücksichtslos ausgebeutet worden, dass sie heute vom Aussterben bedroht sind [14]. Gleichzeitig ist der Wirksamkeitsnachweis oftmals schwach oder nicht existent [15].

Alternativmedizinische Therapieverfahren

Alternativmedizinische Diagnoseverfahren

Literatur

  • Shermer M. und Lee Traynor: Heilungsversprechen - Alternativmedizin zwischen Versuch und Irrtum,Skeptisches Jahrbuch III, Alibri, 2004, ISBN 3-932710-86-X
  • Ullmann Christian: Fakten über die „andere Medizin“. Augsburg: Foitzick 2006
  • Lambeck Martin, Irrt die Physik?: (2003) Über alternative Medizin und Esoterik, Beck Verlag
  • Heyll Uwe, Wasser, Fasten, Luft und Licht: Die Geschichte der Naturheilkunde in Deutschland, (2006) Campus Verlag
  • Singh Simon, Ernst Edzard, Trick or Treatment: The Undeniable Facts about Alternative Medicine, (2008) Random House
  • Goldner C: Alternative Diagnose- und Therapieverfahren: Eine kritische Bestandsaufnahme. Alibri 2008 ISBN-10: 3865690432
  • Federspiel K., I. Lackinger-Karger: Kursbuch Seele. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1996 (544 S.)
  • Beyerstein B.L.: Warum falsche Therapien zu wirken scheinen. In Shermer/Traynor (s. u.)
  • Harder Bernd: Stimmt es, dass Recht hat, wer heilt? Skeptiker 2/07, 74-75
  • Much Theodor: Der veräppelte Patient?: Alternativmedizin zwischen (Aber-)Glauben und Wissenschaft. Verlag: EDITION VA bENE, Klosterneuburg; 2003. ISBN-10: 3851671430
  • Oepen I.: An den Grenzen der Schulmedizin. Eine Analyse umstrittener Methoden. Köln: Dt. Ärzte-Verlag 1985
  • Oepen I., O. Prokop (Hrsg.): Außenseitermethoden in der Medizin. Ursprünge, Gefahren, Konsequenzen. WBG 1989
  • Oepen I. (1993): Unkonventionelle medizinische Verfahren, Stuttgart.
  • Oepen I., Amardeo Sarma (Hrsg.)(1998): Paramedizin - Analysen und Kommentare, Muenster.
  • Oepen I., R. Scheidt: Wunderheiler heute. Eine kritische Literaturstudie. München: Zuckschwerdt 1989
  • Randi J.: Flim-Flam! Buffalo: Prometheus 1982, ch. 7 (Wunderheiler entlarvt)
  • Siebert A.: Strafrechtliche Grenzen ärztlicher Therapiefreiheit. Berlin: Springer 1983
  • Stalker D., C. Glymour (eds.): Examining holistic medicine. Buffalo: Prometheus 1985
  • Ernst E.: The Desktop Guide to Complementary and Alternative Medicine. An evidence-based approach. Mosby, Harcourt Publishers Limited 2001
  • R. Barker Bausell: Snake Oil Science. The Truth about Complementary and Alternative Medicine, B&T, 2007
  • Weber Tobias: Christian Ullmanns „Fakten über die andere Medizin“. Skeptiker 19 (3/06) 103-106
  • Margaret Thaler Singer und Janja Lalich: (1996) "Crazy" Therapies - What are they? Do They Work? San Francisco: Jossey-Bass Publishers, 1996

Siehe auch: Helsana-Studie

Weblinks

Quellenangaben

  1. Susanne Weinbrenner, MPH FG Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
  2. Richardson M.A., Ramirez T., Palmer J.L. et al.: Complementary/alternative medicine use in a comprehensive cancer center and the implications for oncology. J Clin Oncol 2000; 18: 2505-2514
  3. Lee M.M., Lin S.S., Wrensch M.R. et al.: Alternative therapies used by women with breast cancer in four ethnic populations. J Natl Cancer Inst 2000; 92: 42 – 47
  4. Anja Achenbach: Artikel Millionenmarkt Naturheilkunde. In: Financial Times, 21.1.2009
  5. http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=heft&id=57593 Deutsches Ärzteblatt 104, Ausgabe 46 vom 16.11.2007
  6. Horst Klinkmann, dritte nationale Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft (Rostock)
  7. Eisenberg DM, Davis RB, Ettner SL, Appel S, Wilkey S, Van Rompay M, Kessler RC. Trends in alternative medicine use in the United States, 1990–1997: results of a follow-up national survey. JAMA 1998;280:1569–75
  8. Curt G.A.: Introduction: Complementary and Alternative Medicine in Cancer Treatment. Sem Oncol 2002; 29: 529-530
  9. McGinnis L.S.: Alternative therapies, 1990. An overview. Cancer 1991; 67 (6 Suppl): 1788-1792
  10. Markman M.: Safety issues in using complementary and alternative medicine. J Clin Oncol 2002; 20: 39s-41s
  11. LG Stuttgart AZ 17 0 289/76 Streitwert 500.000 DM
  12. http://kritischgedacht.wordpress.com/2007/12/25/sanfte-alternative/
  13. http://www.promed-ev.de/modules/news/article.php?storyid=110
  14. http://www.wwf.at/functions/php/force_download.php?download=512
  15. http://dcscience.net/?p=169