Spagyrik
Spagyrik bezeichnet verschiedene pseudomedizinische Konzepte, die sich auf die Alchemie beziehen.
Der Begriff Spagyrik kommt aus dem Griechischen und besteht aus spagein (trennen) sowie ageirein (verbinden). Vermutlich wurde der Begriff durch Paracelsus, den Schöpfer der Iatrochemie, geprägt.
Die Heilmittel der Spagyrik ("Spagyrika") werden aus pflanzlichen, mineralischen und tierischen Ausgangsstoffen durch überlieferte alchemistische Verfahren hergestellt. Die spagyrische Arzneimittelherstellung zeichnet sich durch die für sie typischen Prozesse der Destillation, Gärung, Reinigung, Veraschung und Zusammenführung aus. Die Destillation kommt auch in besonderen Formen zur Anwendung, welche als Kohobation und Zirkulation bezeichnet werden. Unter Kohobation wird eine Form der Mehrfach-Destillation verstanden, unter Zirkulation eine Form der Rückflussdestillation. Der erste Schritt der Spagyrikaherstellung besteht in der Regel aus einem "Aufschluss" der Materie, welcher üblicherweise durch Mazeration bewerkstelligt wird. Läuft dieser Prozess unter Wärme ab, wird er "Digestion" genannt. Bei organischen Ausgangsstoffen wird er oft von Fäulnis oder Gärungsprozessen begleitet. Die Veraschung und Trocknung des Destillationsrückstands wird als "Kalzinierung" bezeichnet. Der letzte Schritt, "Konjugation" oder "Konjunktion" genannt, besteht in der zusammenführung der Zwischenstufen zum Endprodukt welchem besondere Heilkräfte zugeschrieben werden. [1]
Allgemeines
Spagyrik nennt man den Teil der Alchemie, der sich mit Hilfe überlieferter alchemistischer Verfahren der aufwendigen Fertigung von Medikamenten und Tinkturen widmet. Es handelt sich um Verfahren, die sich beträchtlich sowohl von denen der Hochschulmedizin und der Pflanzenheilkunde als auch von denen der Homöopathie unterscheiden. Die Fertigungsschritte Gärung, Destillation, Reinigung, Veraschung und Zusammenführung – an sich schon zeitaufwändiger als die meisten heute üblichen medizinischen Herstellungsverfahren – müssen zudem noch in Harmonie mit bestimmten kosmozyklischen Abläufen wie dem Stand von Sonne, Mond und Planeten durchgeführt werden. Eisklares Wasser wird in Spiralen über sieben Ringe geleitet, die die Information von sieben verschiedenen Metallen enthalten, welche wiederum mit den sieben Planeten in Beziehung stehen. Dann fließt das auf diese Weise energetisierte Wasser durch Holzrinnen zu Feldern und Gärten mit den unterschiedlichsten Heilpflanzen. Zu bestimmten Zeiten, im Rhythmus der Auf- und Untergänge von Sonne und Mond, werden die Heilpflanzen bewegt, um die polaren Kräfte dieser Gestirne in den Pflanzensäften harmonisch zu entfalten. Nach Destillation, Reinigung und anderen Fertigungsschritten sind die Pflanzen, Mineralien und Metalle in eine spagyrische Tinktur verwandelt.
Die Verbindung der Spagyrik zu Alchemie, Numerologie und esoterischer Kosmologie ist offensichtlich. Allein die Behauptung, Wasser könne "energetisiert" werden, ist aus physikalischer Sicht unhaltbar.
Die Spagyrik wurde durch den Eisenbahningenieur Carl Friedrich Zimpel (1801-1879) im 19. Jahrhundert neu belebt. Dieser ohne Ausbildung zum Dr. med. promovierte Arzt arbeitete auf der Basis der Humoralpathologie zu einer Zeit, als es in Deutschland keine standardisierte Ausbildung für Ärzte und Mediziner gab bzw. totale Kurierfreiheit herrschte.
Die Szene näherte sich während des III. Reichs der Homöopathie-Szene an und konnte im Nachkriegs-Deutschland durch enge politische Kontakte erreichen, einen Ausnahmetatbestand im Arzneimittelsystem zu etablieren. Da einige Mittel, die zur Herstellung von Spagyrika notwendig sind, von der Zulassungskomission, die das Homöopathische Arzneimittelbuch (HAB) erarbeitete, in das HAB eingeführt wurden, war es einschlägigen Firmen möglich, aus diesen Substanzen hergestellte Mittel ohne Wirksamkeitsnachweis in Deutschland legal in den Verkehr zu bringen. Diese Sonderstellung haben die Spagyrika (wie auch Homöopathika und Anthroposophika) bis heute erhalten können, da trotz der Reformbemühungen im Gesundheits- und Arzneimittelsektor Deutschlands solche Präparate auch bei fehlendem Wirksamkeitsnachweis in den Handel gebracht werden dürfen.
Laut Stiftung Warentest liegen keinerlei Belege für eine therapeutische Wirksamkeit für Methoden aus dem Bereich der Spagyrik vor.[2]
Moderne Vermarktung
Wie bereits vor über hundert Jahren werden auch heute noch viele Erscheinungsformen der Spagyrik mit oftmals eigenen Herstellerfirmen und eigenen Bezeichnungen beobachtet. Einige von ihnen sind zugelassene Hersteller aus dem Bereich besondere Therapieeinrichtungen und dürfen Spagyrika ohne wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit wie Homöopathika rezeptfrei anbieten.
- Spagyrik nach Bernus (Soluna GmbH, Donauwörth) nach Alexander von Bernus
- Spagyrik nach Glückselig (Phönix, Bondorf) nach Conrad Johann Glückselig (1864 - 1934)
- Spagyrik nach Ulrich-Jürgen Heinz (Heinz Spagyrik)
- IFAS-Spagyrik (Institut für angewandte Spagyrik, Hanau)
- Spagyrik nach Krauß (ISO Arzneimittel GmbH, Ettlingen) nach Theodor Krauß (1864-1924) und Johannes Sonntag
- Spagyrik nach Lemasor (Lemasor GmbH, Püttingen) nach Heilpraktiker Thomas Bönschen
- Spagyric nach Pekana (Pekana Naturheilmittel GmbH, Kißlegg) nach Peter Beyersdorff
- Solitaire-Spagyrik (Solitaire, Kirchzell) nach Achim Stockhardt
- Spagyrik nach Strathmeyer (Strath Labor, Donaustauf) nach Walter Strathmeyer (1899-1969)
- Spagyrik nach Zimpel (Staufen Pharma, Göppingen) nach Carl Friedrich Zimpel
Clustermedizin als neue Variante
Eine neue Variante der Spagyrik ist die so genannte Clustermedizin, die von dem Heilpraktiker Ulrich-Jürgen Heinz aus seiner vorherigen "Heinz-Spagyrik" entwickelt wurde. Das Verfahren benutzt zur diagnostischen Informationsgewinnung Proben von Körpersubstanzen (z.B. Blut oder Urin), welche kristallisiert werden. Dabei entstehende Muster (so genannte Graphen oder fraktalgeometrische und geometrische Muster) werden zur Diagnose herangezogen. Anhand des ermittelten "Codes" wird auf Erkrankungen, organische Störungen, Toxinbelastungen, Vitamin- und Mineralienmangel geschlossen. Auch soll die Diagnostik eine Darstellung der Persönlichkeit des betreffenden Patienten ermöglichen. Da auf dieser Basis durchaus ernsthafte Diagnosen und entsprechende therapeutische Konsequenzen gefolgert werden, können Patienten durch Unterlassen angemessener Therapien Schäden erleiden.
Literatur
- Hans-Josef Fritschi: Spagyrik. Lehr- und Arbeitsbuch. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart u. a. 1997, ISBN 3-437-55230-9.
- Axel Helmstädter: Spagyrische Arzneimittel - Pharmazie und Alchemie der Neuzeit. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1990, ISBN 978-3-8047-1113-6.
- Ingrid Kästner: Spagyrik im medizinhistorischen Kontext. In: Nova Acta Paracelsica 13, 1999, S. 185-216.
- Homöopathisches Arzneibuch 2009 (HAB 2009). Amtliche Ausgabe. 2009, ISBN 3-769-24991-7.
- Alchymie und Heilkunst. Erweiterte Neuausgabe, hg. von Marino Lazzeroni und Irmhild Mäurer. Verlag am Goetheanum, Dornach 1994, ISBN 3-7235-0757-3.
- Krauß, Th.: Die Grundgesetze der ISO-Komplex-Heilweise, ISBN 3-877-58010-6.
- Helmut Gebelein: Alchemie. Sonderausgabe. Hugendubel, Kreuzlingen u. a. 2000, ISBN 3-89631-402-5, (Diederichs Gelbe Reihe, Europa 165).
- Axel Helmstädter: Spagyrische Arzneimittel. In: Wolf-Dieter Müller-Jahnke, Jürgen Reichling (Hrsg.): Arzneimittel der Besonderen Therapierichtungen. Historische Grundlagen und heutige Anwendung. Haug Verlag, Heidelberg, 1996, ISBN 3-7760-1532-2, (Erfahrungsheilkunde, Naturheilverfahren).
- Wolfgang Schneider (Hrsg.): Wörterbuch der Pharmazie. Band 4. Geschichte der Pharmazie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1985, ISBN 3-8047-0688-6.
- Stiftung Warentest (Hrsg.): Die Andere Medizin. Nutzen und Risiken sanfter Heilmethoden. In Zusammenarbeit mit Krista Federspiel und Vera Herbst. 4. überarbeitete und erweiterte Auflage. Stiftung Warentest, Berlin 1996, ISBN 3-924286-96-5, (Ein Buch von Test), (Handbuch Die andere Medizin).
Siehe auch
Weblinks
- Joachim Bandlow: TAM, traditionelle abendländische Medizin 2010
- Colin Goldner: Spagyrik/Clustermedizin: Vergebliche Suche nach dem "Universalmittel" SZ Wissen 13.05.2010
- Vojtech Mornstein in Skeptical Inquirer 11. Januar 2002.
Quellennachweise
Dieser Text ist ganz oder teilweise von Paralex übernommen