Luftionisation
Als Luftionisation wird die technische Anreicherung der Luft mit Ionen bezeichnet.
Hintergrund
Luftionen sind atmosphärische Ionen, die sich aus den Luftatomen und –molekülen bilden. Bei der Ionisation der Luftatome und -moleküle entsteht primär ein Elektron und ein positives molekulares Ion. Diese lagern sich an neutrale Atome und Moleküle an und bilden über verschiedene Reaktionsketten und durch Clusterbildung mit Wassermolekülen die Kleinionen, die eine Elementarladung tragen. Positive Ionen bestehen meist aus einem Proton und einer Anzahl von H2O-Liganden (H+(H2O)n) und können ein zusätzliches Kernmolekül enthalten. In negativen Ionen gruppieren sich Wasser-, HNO3-, oder H2SO4-moleküle um verschiedene Kernionen (CO3-, NO3-, HSO4-) und bilden ebenfalls Cluster aus.
Die Konzentration der Luftionen bestimmt die elektrische Leitfähigkeit in der Troposphäre und Stratosphäre (Atmosphäre). Die Zusammensetzung der Luftionen variiert mit der Höhe. Unter 70 km dominieren Molekül-Cluster, darüber nimmt der Anteil der molekularen und atomaren Ionen zu. In der Troposphäre treten als Kerne der Kleinionen vielfach organische Verbindungen auf. Kleinionen werden vernichtet durch Rekombination und durch Anlagerung an Aerosolteilchen unter Bildung sogenannter Großionen.[1]
Die Konzentration solcher Ionen hängt ferner von der Anwesenheit von Aerosolen und Luftschadstoffen ab. In reiner Luft liegen einige Hundert Ionen pro Kubikzentimeter vor, in verschmutzter Luft kann dieser Wert auf ein Zehntel des Reinluftwertes absinken. Bei hohen Aerosolkonzentrationen nimmt zwar die Konzentration an Ionen in der Luft ab, allerdings bleibt das Verhältnis von Anionen zu Kationen dabei gleich. Das Verhältnis beträgt etwa 1,2. Luftionenkonzentrationen schwanken auch natürlicherweise mit den Jahreszeiten.
Luftionisation und Gesundheit
Den Luftionen wird gelegentlich sowohl eine gesundheitsfördernde als auch gesundheitsschädliche Wirkung nachgesagt. Bereits kurz nach ihrer Entdeckung begannen sich Spekulationen um ihre gesundheitliche Bedeutung zu verbreiten. Häufig wird behauptet, dass vor allem negativ geladene Moleküle vorteilhaft für die Gesundheit seien. Im englischen Sprachraum bürgerte sich dazu der Begriff des "Negative-Ion Myth" ein.[2] Vereinfacht: negative Ionen sind gut, positive Ionen sind schlecht. Dem widerspricht etwas die Beobachtung, dass Luft im Gebirge etwa 3-4 mal mehr positive als negative Luftionen enthält und dennoch allgemein als angenehm und heilsam empfunden wird. Dagegen ist Luft vor einem Gewitter durch das elektrische Feld von Gewitterwolken mit mehr negativen Ionen angereichert als nach einem Gewitter. Dennoch wird die Luft vor einem Gewitter häufiger als "stickig" und belastend empfunden als danach (wobei hier vor allem die Luftfeuchte eine Rolle spielt). Gelegentlich wird auch behauptet, dass in verschmutzter Luft sowie in Räumen mit Kunststoffteppichen das Verhältnis von negativen zu positiven Luftionen, die so genannte "ion balance", deutlich von eins abweiche. Dafür gibt es keine wissenschaftlichen Belege.
Im Deutschland der 1930er Jahre waren negative Luftionen populär in der Behandlung von Krankheiten wie Asthma oder Bronchitis. Die Patienten mussten die Luftionen direkt einatmen. Anekdotisch wurden zu dieser Zeit Wunderheilungen durch negative Luftionen berichtet. Allerdings stellte sich später durch Untersuchungen heraus, dass die damals verwendeten Luftionisatoren gar nicht in der Lage waren, negative Luftionen zu produzieren, da sie keine Hochspannungsquelle zur Ionisation besaßen.
Aktuell (2012) werden Ionisatoren genannte Geräte angeboten, die den Anteil an Ionen in der Luft erhöhen, vor allem den Anteil an Sauerstoff-Ionen. Mit den Geräten soll man angeblich
- Wetterfühligkeit bzw. Föhnbeschwerden lindern,
- Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Depressionen lindern,
- die Leistungsfähigkeit steigern und
- Asthma- sowie Bronchitissymptome bessern können
- desinfizieren können (in der Getränkeabfüllung werden vor Füllbeginn die Flaschen mit ionisierter Luft ausgeblasen, um Mikroorganismen abzutöten)
- Gerüche neutralisieren können
Zum Glauben an positiv zu bewertende negative Luftionen trug der Wissenschaftler Albert P. Krueger von der University of California (Berkeley) bei, der ab 1957 behauptete, dass positive Luftionen die Beweglichkeit von Zilien in den oberen Luftwegen beeinträchtigten, was nach der Hypothese dazu führe, dass Fremdkörper und Sekrete schlechter aus der Nasenhöhle entfernt würden.[3][4] Negative Luftionen hingegen hätten die gegensätzliche Wirkung. Andere Forscher konnten die Beobachtung nicht bestätigen, dennoch hält sich der Krueger-Mythos teilweise noch bis heute, obwohl spätestens 1971 Andersen endgültig zeigen konnte, dass der Effekt nicht existiert.[5] Auch gibt es Behauptungen, dass als unangenehm empfundene Föhnwinde oder der warme Scirocco mehr positive (also angeblich schädliche) als negative Luftionen mit sich führten. Hierfür gibt es keinen belastbaren wissenschaftlichen Beleg, genausowenig wie für die Behauptung, dass innerhalb von Gebäuden positive Luftionen vorherrschten. Diese Behauptung ist auch eine der Hypothesen der Befürworter des Sick-Building-Syndroms (SBS).
Behauptete positive Wirkungen von negativ geladenen Luftionen wurden bis heute nicht wissenschaftlich glaubhaft nachgewiesen. Grund dafür mag sein, dass die geladenen Moleküle kaum über die Atemluft in die Bronchiolen gelangen. Sie werden in der Regel bereits im Nasen-Rachen-Raum abgeschieden und entladen. Es treffen maximal 5 Ionen pro cm2 Lungenoberfläche auf, die spätestens dort entladen werden.
Die Beliebtheit der Ionisatoren erklärt sich aus einem banalen Effekt. Nach Einschalten des Ionisators baut sich innerhalb von Sekunden eine Raumladung von einigen kV/m Feldstärke auf. Dadurch wird die Eliminationsgeschwindigkeit von (Rauch-)Partikeln etwa verdoppelt. Als Folge bilden sich Schmutzfilme an den Zimmerwänden und an geerdeten Einrichtungsgegenständen. Gleichzeitig wird durch die Geräte in nicht unerheblicher Menge Ozon produziert, nämlich bis zu 1011 Ozonmoleküle pro cm3. Diese Ozonkonzentration, die aber nur in der direkten Umgebung des Ionisators die genannten Werte erreicht, kann vom Menschen wahrgenommen werden und wird als "frische Luft" empfunden.
In letzter Zeit werden Luftionenkonzentrationen auch mit einer besonderen Form der Depression, der saisonal abhängigen SAD, in Zusammenhang gebracht. Eine Studie des Departments of Psychology der Hollins University in Roanoke (Virginia) mit 73 Frauen über einen Zeitraum von fünf Jahren stellte fest, dass eine hohe Dichte negativer Ionen einen positiven Effekt bei der saisonalen Depression ("Winterdepression") haben könnte; die Wirkung war zwar geringer als bei der Lichttherapie, jedoch höher als bei der Placebobehandlung. Der Unterschied zum Placebo war jedoch nicht signifikant.[6] Andere Studien mit zum Teil nur geringer Probandenzahl wiesen ebenfalls positive Effekte negativer Ionen bei der saisonal abhängigen Depression nach, ohne jedoch Aussagen zur Signifikanz der Unterschiede zu anderen Methoden wie der Lichttherapie und zur Placebobehandlung zu machen.[7][8] Insgesamt ist bei der derzeitigen Studienlage ein Nutzen unzureichend belegt.
Technische Anwendungen
Bestimmte Luftionisatoren, die sowohl Anionen wie auch Kationen freisetzen, werden zur Herabsetzung statischer Elektrizität verwendet und sind als "ESD Ioniser" bekannt.
Geschichtliches
Bereits 1796 beobachtete Coulomb, dass völlig isolierte Ladungsträger ihre Ladung allmählich verlieren, wenn sie der Luft ausgesetzt sind. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden bewegliche Ionen in der Luft nachgewiesen (Elster, Geitel und C.T.R. Wilson). Diese wurden zu Recht als Effekt des spontanen radioaktiven Zerfalls von Isotopen angesehen. Heute ist bekannt, dass auch kosmische Strahlung zur Luftionisation beiträgt.
Der erste Luftionisator aus dem Jahre 1918 geht vermutlich auf den Russen Alexander Chizhevsky zurück (Chizhevsky Chandelier).
Weblinks
Siehe auch
Quellennachweise
- ↑ http://www.geodz.com/deu/d/Luftionen
- ↑ http://www.ce-mag.com/archive/02/11/mrstatic.html
- ↑ AP Krueger and RF Smith, Proceedings of the Society of Experimental Biology 96 (1957): 807–809.
- ↑ AP Krueger, PC Andriese, and S Kotaka, International Journal of Biometeorology 7 (1963): 3–16.
- ↑ I Andersen, Mucociliary Function in Trachea Exposed to Ionized and Non-Ionized Air (Aarhus, Denmark: Akademisk Boghandel, 1971)
- ↑ http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20381162
- ↑ http://journals.cambridge.org/action/displayAbstract?fromPage=online&aid=315728
- ↑ http://archpsyc.ama-assn.org/cgi/content/abstract/55/10/875