Éliphas Lévi

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Alphonse-Louis Constant alias Éliphas Lévi, 1874

Éliphas Lévi, auch Éliphas Lévi Zahed, war das Pseudonym des katholischen Geistlichen Alphonse-Louis Constant (8. Feb. 1810, Paris - 31. Mai 1875, ebenda), unter dem er ab 1854 Schriften magisch-okkulten Inhalts veröffentlichte. Lévi gilt als Wiederbegründer des Okkultismus im 19. Jahrhundert.[1]


Leben

Per aspera ...

Alphonse-Louis' Vater war Schumacher im heutigen 6. Arrondissement von Paris, am linken Ufer der Seine. Die materiellen Verhältnisse der Familie waren sehr beschränkt, doch hatte der Geistliche der Kirche Saint-André-des-Arts eine kostenlose Armenschule für die Kinder seiner Pfarrei eingerichtet, in der auch Alphonse-Louis eine Grundschulbildung erhalten konnte. Nach Zwischenstationen, zuletzt im Priesterseminar von Saint-Sulpice, wurde er 1835 zum Subdiakon geweiht und nun seinerseits mit Lehraufträgen betraut. In eine seiner Schülerinnen (in seiner Verwirrung hielt er sie für die Reinkarnation der Jungfrau Maria) verliebte er sich unsterblich und verließ für sie das Seminar, noch bevor er die Priesterweihe erhalten sollte. Sie ließ ihn jedoch sitzen.

Portrait von 1836

Aus Enttäuschung über den Abbruch seiner Ausbildung nahm sich seine Mutter wenige Wochen später das Leben. Für Alphonse begann eine Zeit ziellosen Suchens, innerhalb eines Jahres machte er sowohl die Bekanntschaft mit Honoré de Balzac, entwickelte seine bildnerischen Fertigkeiten bei der Mitarbeit an einer Revue ("Les Belles Femmes de Paris"), freundete sich mit der militanten Sozialistin Flora Tristan an und träumte doch gleichzeitig weiterhin von einer Zukunft als Priester. Dieser Traum führte ihn in das Benektiner-Kloster von Solesmes, in dessen 20.000 Bände umfassender Bibliothek er sich mit vielen Schriften aus dem frühen Christentum, Gnostikern des Altertums, aber auch Werken frommer Mystiker bekannt machen konnte. Hier verfasste er ein erstes Büchlein betitelt Le Rosier de mai, das so fromm war wie romantisch und dabei so phantasievoll und lebhaft von Liebesdingen schwärmte, dass man es für besser hielt, ihn des Klosters zu verweisen.

Auf Verwendung des Pariser Erzbischofs Denis Auguste Affre für ihn erhielt Constant schließlich eine Anstellung als Aufseher im Kolleg von Juilly östlich von Paris. Seine Vorgesetzten behandelten ihn schlecht, und nun brach der Zorn aus ihm heraus und er schrieb sein erstes wütendes Pamphlet La Bible de la liberté. Mit dessen Erscheinen im Februar 1841 sorgte er nicht nur in der Kirchenhierarchie, sondern auch am Hof in Versailles für einen handfesten Skandal[2]. Er wurde festgenommen und im Mai 1841 zu acht Monaten Haft und 300 Francs Geldstrafe verurteilt. Weil er das Geld nicht hatte, saß er elf Monate und studierte in dieser Zeit die Werke des schwedischen Mystikers Emanuel Swedenborg.

Nach seiner Entlassung aus der Haft empfahl ihn Affre seinem Kollegen in Évreux[3], wo er ab Februar 1843 so erfolgreich predigte, dass schon wenige Monate später seine eifersüchtigen Kollegen den Tod des Abbé Constant von den Zeitungen verkünden ließen. Trotz eines Dementis ließ sich ein Skandal nicht vermeiden, doch der Bischof von Évreux hielt seine schützende Hand über ihn und beauftragte ihn mit der Ausführung eines Wandgemäldes in einem Nonnenkloster. Durch Bürgschaftserklärungen von Bekannten seines Vaters wäre es ihm beinahe gelungen, Mitglied des geheimen Rosenkreuzer-Ordens zu werden, wo man ihm sogar den Grad eines Großmeisters in Aussicht gestellt haben soll. Leider wurde daraus nichts und auch das Gemälde wurde nicht fertig, denn als Anfang 1844 sein zweiter Rundumschlag erschien, La Mère de Dieu, kühlte sich seine Beziehung zum Bischof rapide ab und Constant kehrte nach Paris zurück.

Aufgewühlt durch den Tod seiner Freundin Flora Tristan veröffentlichte er L'Émancipation de la femme ou le Testament de la paria und ein Jahr später (1845) sein pazifistisches Manifest La Fête-Dieu ou le Triomphe de la paix religieuse. Überhaupt: Mit den humanistischen und utopistischen Ideen der Zeit beschäftigte er sich intensiv, vor allem dem Saint-Simonismus und den Theorien Charles Fouriers. Aber weder die einen, noch die anderen konnten ihn überzeugen. Saint-Simon lehre eine Religion ohne Frömmigkeit, die ihn abstoße, und Fouriers Ansatz von der Notwendigkeit für den Menschen, seine Triebe auszuleben, erschien ihm absurd und närrisch. Er war jetzt 35, und immer noch suchte er.

Was nimmt es da Wunder, dass auch in seinen privaten Verhältnissen nicht alles geradewegs zuging.[Anm. 1] In dem kleinen Ort Choisy-le-Roi, wenige Kilometer außerhalb von Paris und seit 1840 an der Eisenbahnstrecke nach Orleans gelegen, traf er sich seit seiner Rückkehr aus Évreux regelmäßig mit einer Aufseherin eines (vermutlich, siehe Anmerkung) Mädchenpensionats. Und während er mit ihr Heiratspläne schmiedete und sie von ihm schwanger war, verliebte sich ihre Freundin in Alphonse, die noch minderjährige Marie-Noémi Cadiot. Nach einer Reihe heißer Liebesbriefe entfloh sie und versteckte sich in seiner Mansarde. Vor die Alternative gestellt, sie zu ehelichen oder ein Verfahren wegen Verführung einer Minderjährigen zu gewärtigen - was blieb ihm übrig? Am 13. Juli 1846 heirateten sie. Sie gebar ihm eine Tochter, die er anbetete und die 1854 mit sieben Jahren verstarb. Bald darauf verließ ihn Marie-Noémi. Die Nachkommen der Erzieherin, die er so unglücklich verlassen hatte, leben heute noch.

Die Februarrevolution von 1848 bedeutete auch für Alphonse Constant mehr Freiheiten. Nachdem er ein Jahr zuvor wegen seines Pamphlets La Voix de la famine erneut verurteilt worden war, konnte er sich jetzt ungehindert auf dem politischen Parkett bewegen. Er leitete die linke Zeitschrift Le Tribun du peuple, die nach vier Nummern einging, gründete in revolutionärer Tradition den politischen Arbeiterverein Le Club de la montagne[Anm. 2], und als im Verlauf des Juni der politischen Reaktion die Entwicklung nicht mehr geheuer war und sie das Rad zurückzudrehen versuchte, wurde er beinahe füsiliert. Man verwechselte jemand anderen mit ihm und erschoss den falschen. Er wollte sich in die Nationalversammlung wählen lassen, aber ein langjähriger Freund wurde statt seiner gewählt, worauf die Freundschaft zerbrach. Materiell allerdings ging es dem Ehepaar Constant jetzt gut, denn Marie-Noémi emanzipierte sich. Sie veröffentlichte literarische Feuilletonbeiträge und erhielt Unterricht durch den Bildhauer James Pradier, den schon der Bürgerkönig gefördert hatte und der ihr nun die Türen zur Pariser Gesellschaft öffnete. In ihrem Fahrwasser erhielt auch Alphonse zwei Regierungsaufträge zu Gemälden für das Innenministerium.

  1. Die in diesem Absatz geschilderten Ereignisse aus Constants Leben sind mit großer Vorsicht zu genießen. Denn es hat sich bei der Abfassung des Artikels der Eindruck herausgeschält, dass das gesamte Internet aus einer einzigen Quelle abgeschrieben hat. Daten zu der "Institution Chandeau", die sich in Choisy-le-Roi befunden haben soll, waren auch in mehrstündigen Recherchen nicht zu entdecken, dafür aber haufenweise identische Formulierungen, vgl. http://fr.wikipedia.org/wiki/Éliphas_Lévi. Chandeau ist, wie vermutet, ein Eigenname, wird allerdings nirgends in einem Zusammenhang mit auch nur einer geografischen Nähe zu Choisy erwähnt. Angenommen, es handelte sich bei dem Institut Chandeau um eine Bildungsanstalt für Mädchen, findet sich lediglich ein Hinweis, und auch der ist äußerst vage, nämlich http://fr.topic-topos.com/ecole-emile-zola-choisy-le-roi - hier würde wenigstens der zeitliche Rahmen stimmen.
  2. In der Nationalversammlung von 1791 saßen die Abgeordneten der politischen Linken auf den oberen Rängen, daher der Name La Montagne (Bergpartei).

... ad occultum

Darf man einen Menschen beurteilen, nachdem man so wenig und so gedrängt über ihn erfahren hat? Vielleicht nicht, aber man darf einen Eindruck von ihm haben und den darf man äußern. Würde man Alphonse Constant jetzt, im Jahr 1850, mit der Ansicht konfrontiert haben, er sei mit seinem bisherigen Leben doch recht eigentlich gescheitert, er würde dies vermutlich von sich weisen, empört vielleicht und polternd und dabei doch insgeheim fürchtend, dass man so falsch nicht gelegen habe. Denn was hatte er bisher erreicht? Seine theologischen und (kirchen-) politischen Schriften hatten ihm außer Ärger und den Unbequemlichkeiten des Strafvollzugs nicht viel eingebracht, von einer Karriere als Seelsorger konnte kaum die Rede sein, sein politisches Engagement blieb erfolglos und sein künstlerisches Schaffen war kaum mehr als ein Steckenpferd - man kann sich vorstellen, dass all das an ihm zu nagen begann.

Baphomet, Abbildung aus Dogma und Ritual der Hohen Magie, 1856

Doch es zog sich während all der Jahre noch ein weiterer roter Faden durch sein Leben. Beginnend während seines Aufenthalts in Solesmes (1838-39), weitergesponnen in der Swedenborg-Lektüre des Strafgefangenen (1841), beinahe verlängert durch den Großmeister-Grad im Rosenkreuzer-Orden in Evreux (1843/84), und neuerdings (1850/51) im Studium der Kabbala denudata Rosenroths verdichtete er sich und wurde auch für Alphonse Constant selbst sichtbar als Leitmotiv und als Halt für sein weiteres Leben: die Mystik, die Theosophie, oder allgemeiner das okkulte Wissen. Er erinnerte sich an den Namen Éliphas Lévi Zahed, den ihm die Rosenkreuzer gegeben hatten und der eine Übersetzung seines Namens ins Hebräische darstellen solle[Anm. 1], und wählte ihn als sein Pseudonym. In dieser Zeit begann er auch mit der Abfassung seines späteren Hauptwerks Dogme et rituel de la haute magie. Er hatte seinen Weg gefunden.

Im Frühjahr 1854 reiste Lévi nach London, wo er die Bekanntschaft mit dem zu Lebzeiten europaweit berühmten Schriftsteller Edward Bulwer-Lytton machte. Über ihre gemeinsamen Interessen am Okkulten[Anm. 2] wurden sie Freunde. Durch Bulwer-Lytton kommt er erneut in Kontakt mit rosenkreuzerischen Kreisen, in denen ihm eine Reihe von erfolgreichen Geisterbeschwörungen gelingen, darunter eine des Apollonios von Tyana. In die Londoner Zeit fällt auch die gütliche Regelung seiner privaten Angelegenheiten: Die junge Frau, die er in Choisy-le-Roi verlassen hatte, verzieh ihm und er erkannte das uneheliche Kind als seines an. Gleichzeitig erfolgte mit Hilfe eines Freundes die endgültige, räumliche Trennung von seiner Frau.

Wieder zurück in Paris, veröffentlichte er gegen Ende 1854 den ersten Band von Dogme et rituel de la haute magie. Seine intensive Beschäftigung mit der Kabbala fand ihren Ausdruck in einer Reihe von Aufsätzen, die er in der Revue philosophique et religieuse veröffentlichte, einer Zeitschrift, die er 1855 zusammen mit dem belgischen Schriftsteller Camille Lemonnier[4] und dem Philosophen Charles Fauvety gründete und über die drei Jahre ihres Erscheinens betrieb. Zu seiner Ablenkung schrieb er eine Reihe von Chansons. In einem davon verglich er den mittlerweile als Kaiser herrschenden Napoléon III. mit Caligula, was ihm - wir kennen ihn inzwischen - einen weiteren Gefängnisaufenthalt einbrachte. (Ein paar Chansons konnte er allerdings in Le Mousquetaire veröffentlichen, einer Zeitschrift, die Alexandre Dumas zu der Zeit herausgab.)

Dann endlich, im Jahr 1859 (er war jetzt 49 Jahre alt), der wirtschaftliche Durchbruch: Die Veröffentlichung seiner Geschichte der Magie bringt ihm 1.000 Francs ein, das sind umgerechnet und nach heutiger Kaufkraft über 30.000 Euro. Aber nicht nur wirtschaftlich ist l'Histoire de la magie ein Erfolg, sie bringt ihm auch die Anerkennung weiter Kreise des "esoterischen" Frankreichs, darunter der Arzt Fernand Rozier[Anm. 3], der sein Schüler wird. Im März 1861 schließlich wird er in die Freimaurerloge La Rose du parfait silence aufgenommen, die ihm bald darauf den Grad eines Meisters verleiht. Im selben Jahr erscheint La Clef des grands mystères, der letzte Teil der Trilogie, die mit Histoire de la magie beginnt und als deren zweiter Band Dogme et rituel de la haute magie konzipiert war.

Titelblatt zu Le Grand Arcane, Ausgabe von 1910

Lévi arbeitet jetzt viel, hauptsächlich als Lehrer der Hocharistokratie, und für sein fachliches Ansehen spricht auch, dass er sogar dem neuen Bischof von Évreux[5] Unterricht in Kabbalistik erteilt. Materiell geht es ihm gut, Überschüsse investiert er in seine Bibliothek. Während eines erneuten Aufenthaltes in London macht er die Bekanntschaft mit Eugène Vintras, einem Arbeiter, der überzeugt ist, eine Wiedergeburt des Propheten Elias zu sein. Lévi, jetzt ganz Gelehrter, hält Vintras allerdings mehr für ein begabtes Medium, auf jeden Fall für ein Studienobjekt. Im selben Jahr tritt er in Briefkontakt mit einem italienischen Baron Spedalieri, von dem nichts weiter überliefert ist, als dass er zu Lévis wichtigstem Mäzen wurde und von Lévi einen über 1.000 Briefe umfassenden Kursus zur Kabbala erhielt. Der Briefwechsel erstreckte sich über beinahe 13 Jahre.

Die Jahre ab 1861 sind auch für seine Autorenschaft die fruchtbarsten. Nach Le Sorcier de Meudon (1861) folgt ein Jahr später Fables et symboles mit umfangreichen Analysen der Symboliken des Pythagoras, der Evangelien, des Talmud und anderer Quellen. 1865 erscheint die Science des esprits, und von Pierre Larousse ergeht die Bitte, Artikel über die Kabbala zu dessen großem Lexikon beizusteuern. Zur selben Zeit beginnt er mit der Monographie über den Zohar, die allerdings erst nach seinem Tod erscheinen wird.[6]

Sein Privatleben allerdings verläuft weniger erfreulich. Zwar entschließt er sich 1861, sich mehr um seinen Sohn zu kümmern und erhält auch die Zustimmung der Mutter dazu, aber sechs Jahre später kommt es zum endgültigen Zerwürfnis zwischen den Eltern und er wird weder seinen Sohn noch die Mutter je wiedersehen. Dazu stellen sich Kopfschmerzen ein, die ihn immer häufiger peinigen. Die Belagerung von Paris 1870 schneidet ihn von den Zuwendungen durch seine Schüler ab, und der Dienst bei der Nationalgarde bringt ein Herzleiden zum Ausbruch. Als dann Ende Mai 1871 auch die Episode der Commune vorbei ist, sieht sich Lévi wieder einmal am Ende seiner materiellen Ressourcen.

Éliphas Lévi auf dem Totenbett, 1875

Zwar arbeitet er weiter (bereits im Dezember 1871 beendet er das Grimoire franco-latomorum über die Riten der französischen Freimaurerei), aber sein gesundheitlicher Zustand verschlechtert sich zusehends. Die Herzkrankheit macht ihn immer wieder zum Opfer von Ohnmachtsanfällen - er wäre allerdings nicht der er ist, würde er nicht von ekstatischen Visionen während dieser Zustände berichten. Den so spät errungenen Lebensweg kann er nicht lassen: 1873 entsteht L'Évangile de la science, der Catéchisme de la paix im Januar 1875 ist sein letztes Werk. Er hat es dem Leben noch (oder schon dem Tod?) abgerungen, kämpfend gegen eine chronische Bronchitis, ständiges Fieber, Wasser in den Beinen und wiederkehrende Atemnot. Am 31. Mai 1875 stirbt Éliphas Lévi im Alter von 65 Jahren.

  1. Das ist allerdings eine sehr fragwürdige "Übersetzung". Der Name Alphonse stammt aus dem Germanischen, auch wenn sein Ursprung nicht vollständig geklärt ist. Eliphas war aber, das sei zur Ehrenrettung der Rosenkreuzer erwähnt, der Sohn Esaus.
  2. Bulwer-Lytton traf mit seinen fiktionalen Werken den Hang seiner Zeit zum Magischen und Übersinnlichen ebenso wie das Interesse an archäologischen Entdeckungen. Beides wusste er in spannende Geschichten zu verpacken, die ihn in den Bürgerhäusern zu einem vor allem von Frauen viel gelesenen Autor machten. Sein Spätwerk, The Coming Race, inspiriert noch heute die Anhänger der Reichsflugscheiben-Theorie.
  3. Rozier war Arzt und hatte außerdem Pharmazie, Chemie und Physik studiert. Das hielt ihn nicht davon ab, geschäftstüchtig als Medium und Hellseher aufzutreten.

Rückblick

Portraitfoto von 1872

So krumm, holprig und verworren der Lebensweg Lévis dem Betrachter auch erscheinen mag, folgte er doch stets einem Ziel: sozialer Aufstieg und die davon erhoffte gesellschaftliche Anerkennung. Dass der junge Alphonse über vielversprechende Anlagen verfügte, zeigt seine schulische Laufbahn. Die eingeschlagene Richtung hin zu einer Karriere als Geistlicher stellte im Frankreich der Restauration eine gesicherte Zukunft in Aussicht, in der er das angestammte kleinbürgerliche Milieu verlassen und sein Leben in einer sozial wie materiell gesicherten Position würde führen können. Wie groß die darauf gehenden Hoffnungen seiner Eltern waren, dafür ist der Freitod seiner Mutter ein beredtes Zeichen. Dass sie zumindest nicht unberechtigt waren, mag man an dem Einsatz des Pariser Erzbischofs für Alphonse ablesen.

Man kann nur vermuten, was der Suizid seiner Mutter und der mit ihm ausgedrückte Vorwurf in Constant bewirkt hat. Dass beides nicht dazu beigetragen hat, sein Verhältnis zu Menschen zu stabilisieren, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Die einzige Freundin, die er zeitlebens hatte, Flora Tristan, starb zu früh. Seine Ehe und das Verhältnis zur Mutter seines Sohnes endeten beide im Zwist. Er ist ein einsamer Mensch, der Eindruck drängt sich auf. Viele Menschen kreuzen seinen Weg, aber aus keiner dieser Begegnungen entsteht eine stabile Beziehung auf gleicher Höhe. Er scheint vielmehr stets auf Distanz bedacht gewesen zu sein, in der überlegenen Position des Lehrers, der entrückten eines Mediums, der des Wissenden um das Unerreichbare, das Okkulte. Das mag kalkuliert gewesen sein als zur gewählten Rolle gehörend. Stabil und lange bestehend scheint aber nur eine Beziehung gewesen zu sein: die zum Baron Spedalieri, mit der doppelten Distanz der Geographie und der des Lehrers zum Schüler.

Beide Momente fügen sich zu einem Bild zusammen: Da ist der in der Kindheit tief in ihn gepflanzte Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg, nach Bedeutung und Anerkennung, und da ist die ultimative Geste grenzenloser Verachtung für seinen Verrat an diesem Ziel, der Freitod der Mutter. Ihre Schuldzuweisung wirft ihn für lange Zeit aus dem Gleis, er leidet sichtbar darunter, und seine Aktivitäten in den folgenden Jahren wirken alle ein wenig zu laut, zu auffallend, zu sehr auf Effekt bedacht, wie von jemandem, den ein schlechtes Gewissen plagt, das nur ja niemand erkennen darf. Erst der nächste schwere Schlag, der Tod seiner Tochter 1854 hat diese Getriebenheit beendet - wenngleich um einen hohen Preis: Unter dem Eindruck des jüngsten Verlustes akzeptiert er den alten Vorwurf der Mutter. Einsamkeit wird die gewählte Strafe für seine Schuld, beide zu überwinden erwächst als Triebkraft seines weiteren Lebens. Fortan schreibt er, um sich von der Schuld zu befreien. Er erkennt nicht, dass nur er selbst diese Befreiung erreichen kann, war er es doch, der die Schuld akzeptiert hat. Und je mehr er schreibt, umso tiefer sinkt diese einzige tatsächliche Möglichkeit zur Befreiung hinab ins Verborgene und umso tiefer muss er im Verborgenen schürfen, ohne je zu treffen, was er sucht.


Wirkung

Laut Papus der von Lévi entdeckte universelle Talisman, der alle bösen Geister bannen kann, vorausgesetzt man zeichnet ihn mit goldener Tinte auf sauberes Pergament und trägt ihn in einem Säckchen aus goldfarbener Seide.

Éliphas Lévi war im Paris des Zweiten Kaiserreichs eine bekannte Figur. Seine ursprünglich eher beiläufige Beschäftigung mit esoterischen Gegenständen verschaffte ihm ein singuläres Wissen, wie geschaffen für eine Gesellschaft, die den Tröstungen der Kirche nicht mehr und denen der Ersatzreligion Wissenschaft[7].noch nicht zu glauben im Stande war. Die innenpolitischen Umwälzungen, die Frankreich in den sechs vorangegangenen Jahrzehnten aus den Fugen geworfen hatten, gelangten unter Napoléon III. zwar zu einer zeitweisen Beruhigung, doch weder seine imperialistische Außenpolitik noch der Pomp seiner Selbstinszenierungen konnten die Verunsicherung der Menschen beheben. Man fühlte, dass etwas verloren gegangen war, und auch wenn nur eine kleine Minderheit die Geschichte ungeschehen machen wollte, war da doch eine weit verbreitete diffuse Sehnsucht - nach einem modernen Früher, nach einem "wie damals, nur heute". Eine Auflösung dieses Widerspruches schien die Esoterik zu bieten. Indem man Methoden und Darstellungsformen der Naturwissenschaften anwandte auf übernatürliche Vorstellungen, entstand eine scheinbare Verbindung zwischen beiden, entstanden die okkulten Wissenschaften.

Éliphas Lévi war erfolgreich unter anderem, weil er in Frankreich der erste war, der diesen Weg konsequent beschritt. Er war nach Agrippa von Nettesheim der erste, der sich dem Gebiet mehr als nur beiläufig widmete, und konnte so aus einer umfangreichen Quelle schöpfen, ohne dass die ihm nur in geringem Umfang eigene Fähigkeit zu systematischer Arbeit hinderlich wurde. Seine Schriften beeinflussten daher sowohl durch die breite Streuung ihrer Themengebiete, wie durch ihre relative Originalität alle namhaften Esoteriker der Folgezeit. Seine Neigung zu exzentrischem, auf Effekt kalkulierten Auftreten ohne Rücksicht auf mögliche negative Folgen förderte seine Popularität bei den Zeitgenossen. Noch sieben Jahre nach seinem Tod veröffentlichte die Pariser Zeitung Le Figaro einen Leitartikel über ihn.[8] Zu den von ihm beeinflussten Esoterikern in Frankreich gehörten neben dem bereits erwähnten Fernand Rozier vor allem:

Im englischen Sprachraum erreicht er unter anderen:


Werke

Lévi hat, nachdem er sich dieses Pseudonym gewählt hatte, nichts mehr unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlicht. Auch inhaltlich gibt es eine klare Scheidung: die Werke mit theosophischen/ okkulten Inhalten sind ausschließlich "von" Éliphas Lévi verfasst, die politischen Pamphlete und das wissenschaftliche Dictionnaire de la littérature chrétienne schrieb Alphonse-Louis Constant.

Alphonse-Louis Constant

1839 Le Rosier de mai
1841 La Bible de la liberté
  L'Assomption de la femme ou le Livre de l'amour
  Doctrines religieuses et sociales
1845 La Fête-Dieu ou le Triomphe de la paix religieuse
  Paix! Paix! Réprimande adressée par un abbé et un théologien à Timon qui n'est ni l'un ni l'autre
  Le Livre des larmes ou le Christ consolateur, Essai de conciliation entre l'Église catholique et la philosophie moderne
  Les Trois Harmonies
1846 La Dernière Incarnation
  La Voix de la famine
1847 Le Deuil de la Pologne. Protestation de la Démocratie française et du Socialisme universel
  Rabelais à la Basmette
  Les Trois Malfaiteurs
  Le Sorcier de la Devinière
1848 Zwei Chansons: La Marseillaise du peuple und Le Règne du peuple
  Le Testament de la liberté
1851 Dictionnaire de la littérature chrétienne
unbekannt La Bible de l'humanité[9]


Éliphas Lévi

1854 Dogme et rituel de la haute magie, Tome 1: Dogme Deutsch: Dogma und Ritual der Hohen Magie. Wien, München, Leipzig: Barth, 1927
  La Clavicule universelle des clavicules de Salomon ou le Grimoire des Grimoires (postum veröffentlicht) Deutsch: Die Salomonischen Schlüssel. München: Barth, 1927
1856 Dogme et rituel de la haute magie, Tome 2: Rituel
1856 ff. Carnet de notes (postum veröffentlicht)
1860 La Clavicule prophétique des sept esprits de Jean Trithème (p.v.)
1861 Histoire de la magie, avec une exposition claire de ses procédés, de ses rites et de ses mystères. Paris: Germer-Baillère, 1861[10] Deutsch: Geschichte der Magie. Wien, München, Leipzig: Barth, 1926
  La clef des grands mystères suivant Hénoch, Abraham, Hermès Trismégiste et Salomon. Paris: Germer-Baillère, 1861. Deutsch: Der Schlüssel zu den grossen Mysterien nach Henoch, Abraham, Hermes Trismegistos und Salomon. Weilheim: Barth, 1966
  Le sorcier de Meudon. Paris: Librairie nouvelle, 1861
1861 ff. Cours de philosophie occulte. Lettres au baron Spedalieri (beendet Februar 1874, p.v.)
1862 La philosophie occulte. Fables et symboles, avec les explications. Paris: Germer-Baillère, 1862/ 63 (2 Bde.)[10]
1863 Appel de la Pologne à la France par un Polonais
1864 La science des esprits. Paris: Germer-Baillère, 1864[10]
1868/ 69 Le Grand Arcane ou l'Occultisme dévoilé. Paris: Chamuel, 1898 (p.v.)
1869/ 70 Le livre des Sages. Paris: Bibliothèque Chacornac, 1912 (p.v.) Deutsch: Das Buch der Weisen. Wien, München. Leipzig: Barth, 1928
1870 Les Éléments de la Kabbale (p.v.)
1871 Les Portes de l'avenir ou les Dernières Paroles d'un voyant (p.v.)
  Le Grimoire franco-latomorum (p.v.)
1872 - 74 Le Voile du temple déchiré (p.v.)
1873 L'Évangile de la science (p.v.)
  La Religion de la science (p.v.)
  Les Paradoxes de la haute science (p.v.)
1874 La Sagesse des Anciens (p.v.)
  Le Livre d'Abraham le Juif retrouvé (p.v.)
1875 Le Catéchisme de la paix (p.v.)
unbekannt Clefs majeures et clavicules de Salomon. Paris, 1895[11]
unbekannt Le Livre d'Hermès restitué et expliqué par Éliphas Lévi et commenté par Éliphas Ben Zahed
unbekannt L'Annexe de Salomon


Quellen

  1. Grundgerüst bei der Abfassung dieses Artikels war der entsprechende in der französischen Wikipedia (http://fr.wikipedia.org/wiki/Éliphas_Lévi). Dessen Nachteil sind die fehlenden Quellenverweise, weshalb diese auch hier nur sehr spärlich eingestreut sind. Quelle dürfte aber folgendes Werk sein:
    l'Estoile, Arnaud de: Qui suis-je? Éliphas Lévi. Grez-sur-Loing: Pardès, 2008
    Soweit möglich/ erforderlich, wurden Daten nachrecherchiert und ergänzt.
  2. Eine ziemlich süffisante zeitgenössische Schilderung dieser Vorgänge und der folgenden findet sich in: Mystères galans des théâtres de Paris. Paris: Cazel, 1844. S. 88 ff.
  3. Das war Nicolas-Théodore Olivier.
  4. Die deutsche Wikipedia enthält keinen Artikel zu Lemonnier. Das englische Pendant findet sich hier.
  5. Wenn die Jahreszahl stimmt, dann war das Jean-Sébastien Devoucoux, der seit 1858 die Diözese Évreux leitete. Eine vollständige Liste der Bischöfe findet sich hier: http://fr.wikipedia.org/wiki/Liste_des_évêques_d'Évreux
  6. Eine Quelle von 1880 behauptet, er sei zu dieser Zeit auch "Chef" einer Gesellschaft von "Groß-Magiern" gewesen. Es handelt sich dabei allerdings um ein Dokument zur nachträglichen Verteidigung der Marienerscheinung von La Salette im Jahr 1846. Die Objektivität der Aussage kann bezweifelt werden.
  7. Das ist keineswegs polemisch gemeint. Es hat über 100 Jahre (bis Tschernobyl) gedauert, bis wir die Wissenschaft von dem Nimbus befreien konnten, den das 19. Jhd. ihr zugemessen hatte.
  8. Un maitre sorcier. Le Figaro v. 6. Oktober 1882 (enthält eine detaillierte Schilderung der Ereignisse um Lévis beinahe Füsilierung)
  9. gefunden in: Dictionnaire des pseudonymes, Paris, 1887. S. 461
  10. 10,0 10,1 10,2 Daten entnommen aus: Manne, Edmond-Denis: Nouveau dictionnaire des ouvrages anonymes et pseudonymes. Lyon: Scheuring, 1868
  11. entnommen aus: Le Monde occulte Nr. 5-6. Paris, 1903. Evtl dort falsch zitiert, siehe 1854

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