Mitochondrienmedizin
Als Mitochondrienmedizin kann ein alternativmedizinisches Denkmodell bezeichnet werden, das postuliert, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Erkrankungen des Menschen sich alleine oder in Kombination aus einer unterstellten Funktionsstörung der Mitochondrien ergebe. Die hier gemeinte ausserwissenschaftliche Mitochondrienmedizin ist nicht mit der Erforschung bekannter und allgemein anerkannter von der Mutter vererbter Störungen der Mitochondrienfunktion (Mitochondriopathien) zu verwechseln.
Als eine Absurdität sind Annahmen zu bezeichnen, nach denen "leckgeschlagene" Mitochondrien durch ihren "Energiegehalt" zu einer spontanen menschlichen Selbstentzündung führen könnten.
Mitochondrien
Mitochondrien sind Organellen, die sich bei fast allen Eukaryoten (Organismen mit zellkernhaltigen Zellen) vorkommen, so auch beim Menschen. Sie fehlen beim Menschen beispielsweise in den roten Blutkörperchen. Sie sind von einer doppelwandigen Membran umschlossen und besitzen eine eigenständige, ringförmige DNA. Mitochondrien gehen durch Teilung auseinander hervor. Mitochondrien werden (bis auf wenige Ausnahmen) über das Plasma der Eizelle von der Mutter vererbt, daher kann die Mitochondrien-DNA zur Erforschung mütterlicher Verwandtschaftslinien verwendet werden.
Die Aufgabe der Mitochondrien ist es, als "Kraftwerke der Zelle, unter Sauerstoffverbrauch durch Fettsäureverbrennung, Abbau von Acetyl-CoA sowie oxidative Phosphorylierung in der Atmungskette energiereiche Adenosintriphosphatmoleküle (ATP) für die Zellen zur Verfügung zu stellen.
Alternativmedizinische Mitochodrienmedizin
Die in diesem Artikel haupsächlich thematisierten Hypothesen und Denkmodelle unterscheiden sich von den wissenschaftsmedizinisch her bekannten und dokumentierten Mitochondriopathien in mehrfacher Hinsicht:
- Die gemeinten Zuständen sollen erworbenen Funktionsstörungen der Mitochondrien entsprechen, und nicht angeborenen Erbkrankheiten
- Die behaupteten Symptome entsprechen nicht den bekannten Symptomen für bekannte selektive Störungen einer Mitochondrienfunktion
- Die behaupteten Symptome beziehen sich auf sehr unterschiedliche Krankheitsbilder, die bei medizinisch bekannten Zuständen ebenfalls vorkommen, aber hier nicht (oder nicht ausreichend) differentialdiagnostisch berücksichtigt werden
- Krebs als Folge einer selektiven Mitochondriendysfunktion ist eine häufig anzutreffende Meinung unter Anhängern einer "Mitochondrienmedizin", für die aber keine belastbaren Belege vorliegen
- Therapeutisch werden häufig Nahrungsergänzungsmittel und Ernährungshinweise genannt
Verfahren die auf den hier geschilderten Annahmen beruhen, sind beispielsweise die Bioimmuntherapie nach Tallberg und die Redifferenzierungstherapie nach Kremer. Aber auch von Anhängern der Idee die Warburg Hypothese therapeutisch umzusetzen, wird häufig davon ausgegangen, dass eine Mitochondriendsysfunktion zu Krebs führe. Dies ist auch bei Krebsdiät nach Coy zu beobachten.
Engegierte Vertreter der hier gemeinten Annahmen sind die deutschen Ärzte Heinrich Kremer, Juliane Sacher und Enrico Edinger. Neurologe und "Revitalisierungsmediziner" Edinger behauptet beispielsweise über das Thema Analyse der Herzrhythmusvariabilität ( HRV) in der Behandlung von Herzkreislauferkrankungen durch die Mitochondriale Energiemedizin sich in Russland habilitiert zu haben. Auch der Medizingeschäftsmann und ehemalige Krankenpfleger Lothar Hirneise beruft sich auf die Mitochondrienschädigungshypothese.
Mitochondriopathien in der Medizin
In der wissenschaftlichen Medizin sind etwa 50 verschiedeneausschließlich von der Mutter vererbte Erbkrankheiten bekannt, die auf eine Funktionsstörung der Mitochondrien (Mitochondriopathie) bzw Enzymdefekte in den Mitochondrien zurückgehen. Bei Mitochondropathien sind insbesondere Organe betroffen, in denen besonders viel Energie bereitgestellt werden muss, wie Hirn und Muskulatur. Die Diagnose einer angeborenen Mitochondriopathie kann durch eine Muskelbiopsie gesichert werden. Da es sich um Erbkrankheiten handelt, ist eine ursächliche Therapie bisher nicht möglich.
Leitbefund der Mitochondriopathien sind hohe Milchsäurewerte (Laktazidose) durch Aufstau von Pyruvat vor dem Citratzyklus.