Urintherapie

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Die Urintherapie (meist als Eigenharnbehandlung oder Eigenurintherapie) ist eine eigenwillige pseudomedizinische Behandlungsmethode, bei der der eigene Urin in kleinen oder größeren Mengen getrunken, äußerlich angewendet oder per Spritze verabreicht wird. Auch ist Einträufeln in Augen, Nase oder Ohren beschrieben.

Nach einer gewissen Popularität im Altertum und Mittelalter hat die Urintherapie in der modernen evidenzbasierten Medizin hat die Urintherapie keinen Platz mehr. Fachliteratur, die eine aus wissenschaftlichen Studien abgeleitete Wirksamkeit zeigen würden, existieren nicht.

Harn als Heilmittel vom Altertum bis Mittelalter

Zur Urintherapie schrieb der in der griechischen Antike lebende Militärarzt Dioskurides:

"Der Menschenurin, der eigene getrunken, hilft gegen den Biss der Viper, gegen tödtliche Gifte und gegen beginnende Wassersucht, gegen den Biss des Meerigels, des Meerskorpions und Meerdrachen, wenn er darauf gegossen wird, der Urin des Hundes gegen den Biss des wüthenden Hundes als Aufguss; mit Natron ist er ein Schmiermittel bei Aussatz und Jucken; der alte entfernt noch besser bösen Grind, Schorf, Krätze und nässenden Ausschlag; fressende Geschwüre, auch an den Schamtheilen hält er auf. Als Injection macht er bei eiterflüssigen Ohren trocken, wenn er in der Schale des Granatapfels gekocht wird, wirft auch die in den Ohren be- findlichen Würmer heraus. Der Urin eines unschuldigen Knaben geschlürft hilft gegen Orthopnöe; mit Honig in einem Kupfergefässe gekocht bringt er Narben, Leukome und Verdunkelungen (der Augen) weg. Es wird auch aus ihm und Kupfererz eine für Gold geeignete Löthsubstanz bereitet. Der Absatz des Harns beseitigt, eingerieben, roseartige Entzündungen. Mit (Lawsonien-) Kyprossalbe erhitzt und als Zäpfchen eingelegt besänftigt er Schmerzen der Gebärmutter, lindert Gebärmutterkrämpfe, glättet die Augenlider und reinigt die Wunden im Auge. Der Stierharn, mit Myrrhe verrieben und eingetröpfelt, lindert Ohrenschmerzen. Der Schweineurin hat dieselbe Kraft; specifisch ist ihm aber eigen, Blasensteine zu zerstören und auszuscheiden. Der Ziegenharn, mit Spikenard täglich in der Menge von 2 Bechern mit Wasser getrunken, soll das unter dem Fleische gebildete Wasser abführen und den Bauch lösen, eingetröpfelt auch Ohrenleiden heilen, der vom Esel aber Nierenleidende gesund machen."

Seine Arzneimittellehre war die Basis der bis in das europäische Mittelalter hineinreichenden so genannten Dreckapotheke. Dioskurides kannte noch andere Mittel: von Schnecken bis Wanzen, von Schuhsohlen bis zur Spitzmaus und sogar den Kot von der Weidekuh hatte der Heiler in seinem Arzneidepot.

Bereits im alten Ägypten gab es eine Spielart der Dreckapotheke. Das Medizinkästchen des damaligen Arztes konnte neben Aloe, Knoblauch und Honig auch Dinge wie Blei, Sandalenleder, Ruß, Samenflüssigkeit, Rindergalle und Exkremente von Tier und Mensch enthalten. Das therapeutische Ziel schien dabei eher in Abschreckung zu bestehen, denn die Salben und Umschläge, die mit den Zutaten dieser Drecksapotheke hergestellt wurden, sollten einen solchen Widerwillen im Körper des Patienten hervorrufen, dass die Krankheit - oder der Dämon - umgehend die Flucht ergriff.

Urintherapie der Gegenwart

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Auch heute noch ist die Urintherapie eine Methode der Alternativmedizin.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Eigenharntherapie durch den britischen Autor John W. Armstrong wiederbelebt. Laut eigenen anekdotischen Angaben hatte sich Armstrong angeblich durch ein 45-tägiges Fasten und der Einnahme eigenen Urins von einer als unheilbar diagnostizierten Tuberkulose kuriert. Auslöser für seinen Versuch war eine fehlinterpretierte Bibelstelle des alten Testaments: Im Buch der Sprichwörter heißt es in Kapitel 5, Vers 15:

Trinke Wasser aus deiner Zisterne und was quillt aus deinem Brunnen.

Allerdings befasst sich dieses Kapitel mit einer Warnung an die Männer vor dem Ehebruch, und verwendet in diesem Zusammenhang die Begriffe deine Zisterne und dein Brunnen als Metapher für die eigene Gattin.

In den folgenden Jahrzehnten nahm Armstrong die Supervision von mehreren tausend Fällen von kombinierten Urin-Fastenkuren vor. Seine Beobachtungen veröffentlichte er in dem 1944 erschienenen Buch "The Water of Life" (deutschsprachiger Titel: "Urin – Wasser des Lebens").[1] Nach Armstrong behauptete dabei, dass eine herkömmliche Diagnose bei der Eigenurintherapie so gut wie keine Rolle spiele, da nahezu alle Krankheiten angeblich auf diese spezielle Therapie ansprechen würden, und es daher egal sei wie die Diagnose laute.

Es wird von Urintherapie-Anhängen immer wieder die Wirksamkeit des Auftragens von Urin auf die Haut als Argument angeführt. Was davon zu halten ist, hat Prof. Dr. med. et. phil. Wolfgang Hopff vom Pharmakologischen Institut der Universität Zürich vor einigen Jahren schön beschrieben:

So wird z.B. berichtet, dass in ländlichen Gebieten bei Wunden und 'Hautkrankheiten' an den unteren Extremitäten von Großvieh durch den Bauern oder auch vom Tierarzt auf diese Wunden uriniert wird. Die Wunden sollen dann schneller heilen. Von Patienten wird berichtet, dass Nagelpilze und 'Ekzeme' mit Urin erfolgreicher behandelt worden seien. Man brauche dazu nur eigenen oder Fremdurin für einen Umschlag zu verwenden.[2]

Vor einer Erklärung sei zunächst festgehalten, dass die Begriffe 'Hautkrankheit' oder 'Ekzem' keineswegs einer Diagnose entsprechen, wie man sie von einem seriösen Mediziner erwarten darf. Bereits ein Medizinstudent der ersten klinischen Semester kann die Symptomatik einer 'Hautkrankheit' näher definieren und dann eine konkrete Diagnose stellen. Auch wird er feststellen können, um welche Pilze es sich bei einer Infektion handelt.

Warum kann Urin wirksam sein? Jeder weiß, dass die Zugabe von Zucker ab einer bestimmten Konzentration die Marmelade haltbar macht. Die Wirkung gegen Schimmelpilze ist dabei recht gut, aber unspezifisch, d.h. aus osmotischen Gründen gehen die Pilze, Bakterien und Sporen zugrunde. Bei der Osmose dringt Lösungsmittel durch eine halbdurchlässige Membran - hier die Zellwand der Erreger - hindurch, bis die Konzentration gelöster Teilchen auf beiden Seiten der Membran gleich ist. Die gleiche Wirkung hat auch Harnstoff. Nur wird Zucker von Hausfrauen vorgezogen, weil er die Marmelade süßt. Harnstoff ist in chemisch reiner Form dagegen völlig geschmacklos.

Erwachsene scheiden im Urin pro Tag etwa 30 Gramm Harnstoff aus. Beim Urinieren auf Wunden wird der noch warme Urin zusätzlich erwärmt, so dass Wasser verdampfen kann. Dadurch wird Harnstoff konzentriert und kann so unspezifisch osmotisch wirken.

Um es auf den Punkt zu bringen: Der Harnstoff im Urin verschlechtert auf der Wunde die Wachstumsbedingungen für Keime, in dem er diesen das Wasser entzieht. Es fragt sich nur, was daran gesund sein soll, Urin auf eine Wunde zu geben, da Urin selbst bakterienhaltig ist. Urin ist bei einem Gesunden nur dann keimfrei, wenn er direkt durch eine Punktion aus der Blase gewonnen werden kann. Durchfließt der Harn den unteren Harnleiter, wird er zwangsläufig von den dort angesiedelten Bakterien verunreinigt. Normalerweise liegen dann im Mittelstrahlurin (aber auch im mittels Katheter gewonnenen Urin!) Keimzahlen bis zu 10.000/ml vor. Als eine signifikante bakterielle Besiedelung, die einer Therapie bedarf, gelten übrigens Keimzahlen ab 100.000/ml in frischem Urin. Es macht also ausgesprochen wenig Sinn, sich frischen, keimhaltigen Urin auf die ebenfalls mit Bakterien besiedelte Haut zu geben in der Hoffnung, dass möglichst schnell das Wasser verdampft und dann der Harnstoff die Angelegenheit irgendwie regelt. Hierfür ist eine harnstoffhaltige Salbe aus der Apotheke besser geeignet, die nicht nur keine Bakterien, sondern auch mehr Harnstoff enthält.

In der Urintherapie-Szene wird behauptet, der Harnstoff des Urins würde in die Haut aufgenommen und dort zur Linderung der Symptome führen, weil es ja auch harnstoffhaltige Salben gäbe, die gleichartiges nachweislich tun würden. Wässrig gelöster Harnstoff kann die fettige Hautschicht aber nicht durchdringen. Ist Harnstoff jedoch in einer fetthaltigen Creme gebunden, dann ist es möglich, dass die fetthaltige Grundlage ihm die Penetration in die oberen Hautschichten erlaubt.

Zur angeblich wundersame Wirkung getrunkenen Urins meint Hopff:

Neben den bereits beschriebenen unspezifischen Wirkungen gibt es aber noch eine spezifische Wirkung bei innerlicher (oraler) Anwendung. Der Harnstoff wirkt dann als Diuretikum, d.h. harntreibend. Das wussten schon die Apotheker des Mittelalters, die den 'apozème Suisse' offerierten. Es handelte sich dabei um eingedickten Kuh-Harn, der mit verschiedenen Aromastoffen behandelt wurde, um den unangenehmen Geruch zu überdecken. Selbstverständlich mussten die Patienten auch die durch andere Bestandteile des Urins bedingten Nebenwirkungen in Kauf nehmen. Aber die Hauptwirkung, die osmotische Wirkung, war beachtlich.[3]

Es ist bekannt, dass man in Notsituationen den eigenen Urin trinken kann, um eine zeitlang zu überleben. Es ist aber hierbei so wie mit dem Trinken von Salzwasser: Je mehr osmotisch wirkende Substanzen man sich einverleibt, um so schlimmer wird die Angelegenheit.

In Deutschland wurde die Eigenurintherapie Anfang der 90er Jahre einer breiten Öffentlichkeit durch die Journalistin Carmen Thomas bekannt, die in ihren Sendungen das Thema aufgriff und 1993 das Buch "Urin − ein ganz besonderer Saft" publizierte.[4] Auch die Schlagersängerin Katja Ebstein machte mit ihren Urin-Gurgelvorschlägen auf sich aufmerksam. Laut Ebstein helfe Urin gegen Halsschmerzen (Wenn man damit gurgelt, ist Halsweh innerhalb von zwei Stunden weg.) und auf der Haut angewandt, helfe es "schön" zu bleiben. (Wenn ich Pickel habe, reibe ich sie mit meinem Urin ein. Dann heilen sie schneller ab.)[5]

Urindiagnostik und Uroskopie

Der Harn war schon seit vielen Jahrhunderten Gegenstand diagnostischer Bemühungen gewesen. Aus Harn pflegte man im klassischen Altertum Diagnosen zu stellen. Die ersten Grundregeln auf diesem Gebiet stellte im 7. Jahrhundert Theophil (genannt Protosphatharios) auf. Actuarius modernisierte sie im 13. Jahrhundert nach eigenen Vorstellungen. Nach einer ausgeklügelten Technik wurde der erste, 'nach dem Hahnenschrei' produzierte Harn in einem durchsichtigen Gefäß (Urinal oder matula genannt) gesammelt. Das Gefäß wurde vor Sonnenlicht geschützt und fern von Wärmequellen aufbewahrt. An sich ein vernünftiges Vorgehen, denn Urin verfärbt sich unter Sonnenlicht und Wärme fördert das Wachstum von im Harn befindlichen Keimen. Das Urinal setzte man in einen Weidenkorb und trug es dann zum Harnbeschauer, der die Probe im frischen Zustand und noch einmal zwei Stunden später begutachtete. Entsprechend der Vorschriften des Erfinders der Säftepathologie, des römischen Modearztes Galen (2. nachchr. Jahrhundert), prüfte man Dichte, Farbe, Geruch, Geschmack und Sediment des Urins. Der Zustand des Urins wurde je nach der körperlichen Verfassung des Kranken, seines Temperaments, seines Geschlechts und der Jahreszeit bewertet. Im Mittelalter arbeitete man sogar minutiöse Urinkarten aus, die weit verbreitet waren. Die höchst merkwürdigen Deutungen der damaligen Zeit sind ein Beispiel dafür, wie primitiv die medizinische Denkwelt bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in Europa wirklich war.

Moderne Urindiagnostik

Heutzutage wird der Urin in der klinischen Chemie immer noch zur Diagnostik eingesetzt. Allerdings werden quantitativ bestimmbare Inhaltsstoffe geprüft wie Elektrolyte, Bakterienzahl, Kreatininausscheidung, Vorhandensein von Eiweiß und andere Parameter. Natürlich kann man durch die Färbung oder Trübung oder Geruch des Urins auch heute noch vorläufige Rückschlüsse auf Erkrankungen des Menschen ziehen, aber die laborchemische Diagnostik bietet hier wesentlich bessere und genauere Bewertungsmöglichkeiten. Allgemein bekannte Inhaltsstoffe des Harns sind beispielsweise Harnsäure, Glukose, Eiweisse und Harnstoff.

Verwandte Therapien

Literatur

  • Dufour A: Geschichte der Urologie. in: Toellner R: Illustrierte Geschichte der Medizin. Andreas & Andreas Verlag, Salzburg, Band 3, S.1409, 1990

Quellennachweise

  1. John W. Armstrong: "Urin – Wasser des Lebens", Ingeborg Allmann Verlag und Buchversand, 2002
  2. Hopff W: Urin als Medikament? Skeptiker, Nr. 2, 61-62, 1995
  3. Hopff W: Urin als Medikament? Skeptiker, Nr. 2, 61-62, 1995
  4. Carmen Thomas: "Ein ganz besonderer Saft, Urin", VGS Verlagsgesellschaft, Köln 1993
  5. http://www.bild.de/BTO/leute/2007/05/16/ebstein-katja-lets-dance/rtl-urin-schoenheit.html
Dieser Text ist ganz oder teilweise von Paralex übernommen