Potenzierung
Das Verfahren zur Herstellung homöopathischer Medikamente wird als Potenzierung bezeichnet. Dabei wird der Wirkstoff, die so genannte Urtinktur, in mehreren Schritten entweder mit einem Lösungsmittel (Alkohol, Alkohol-Wassergemisch mit 43% Alkohol oder destilliertes Wasser) verdünnt und gegen einen hart-elastischen Gegenstand (Lederkissen oder ein in Leder eingebundenes Buch) rhythmisch in Richtung Erdmittelpunkt handverschüttelt oder in Milchzucker verrieben. Hierbei wird in jedem Schritt ein Zehntel (D-Potenz) oder ein Hundertstel (C-Potenz) der Ursubstanz verwendet und der Rest mit dem Lösungsmittel aufgefüllt. Dann wird der Behälter mit einer vorgeschriebenen Anzahl von Schlägen verschüttelt. Man erreicht durch dieses Verfahren nach 'N' Potenzierungsschritten also ein Verhältnis von Wirkstoff zu Lösungsmittel von 1:10^N für D-Potenzen und 1:100^N für C-Potenzen. Unterschieden wird auch zwischen einer Einglas-Methode nach Korsakoff und der Mehrglasmethode HAB.
Das Potenzieren erfolgt entweder nach den Vorschriften von Samuel Hahnemann aus seinem Buch Organon der Heilkunst oder nach Regeln des Homöopathischen Arzneibuches (HAB), die sich zum Teil unterscheiden. Als Komplexmittel werden Präparate bezeichnet, die eine Mischung zweier oder mehrerer homöopathischer Einzelmittel verschiedener oder gleicher Potenzierung bzw. Verdünnung sind.
Jenseits der statistischen Nachweisgrenze (Gesetz von Avogadro), also ca. ab C12, ist keine Materie der Ursubstanz oder Lösung mehr in den potenzierten Arzneien enthalten. Solche Arzneien werden deshalb auch als „geisterartig“ oder „dynamisch“ bezeichnet.
Wissenschaftlich betrachtet ist Potenzierung nichts anderes als die stufenweise Verdünnung eines Wirkstoffes, bis (etwa ab C6) nichts mehr im Lösungsmittel vorhanden ist. Das Kuriose an der Potenzierung ist nun, dass diese Form der Verdünnung mit fest vorgeschriebenen Arbeitsschritten nach Auffassung der Homöopathen zur Verstärkung der Wirkung führen soll, was auch als Dynamisierung oder Dynamisation bezeichnet wird. Dabei wird jedoch nicht nur die gemeinte Ausgangssubstanz potenziert, sondern auch alle anderen Substanzen die sich im Lösungsmittel befinden. Die behauptete Wirkungsverstärkung bei fortschreitender Potenzierung (bzw. Verdünnung der Ausgangssubstanz) geht auf eine Weiterentwicklung der Homöopathie durch Hahnemann in den 1820er Jahren zurück. Er unterstellte hier nun die Freisetzung einer "geistartigen" Arzneiwirkung durch genau vorgeschriebene mechanische Bearbeitungen. Man erkennt hier deutlich den magischen Einschlag in dem Glaubenssystem der Homöopathie.
Hahnemann glaubte, dass durch Verdünnen plus Verschütteln oder Verreiben die Arzneistoffe in ihrer Wirkung verstärkt würden. Je stärker die Verdünnung, desto stärker die Wirkung. In Hahnemanns homöopathischem Grundlagenwerk “Organon der Heilkunst” kann man nachlesen, wie er zu dieser Auffassung gelangte: Nur erst wenn wir diesen Stahl-Stab dynamisiren, ihn mit einer stumpfen Feile stark nach Einer Richtung hin reiben, wird er zum wahren, thätigen, kräftigen Magnete, kann Eisen und Stahl an sich ziehen und selbst einem andern Stahl-Stabe, durch bloße Berührung, ja selbst sogar in einiger Entfernung gehalten, magnetische Kraft mittheilen, in desto höherem Grade, je mehr man ihn so gerieben hatte; und ebenso entwickelt Reiben der Arznei-Substanz und Schütteln ihrer Auflösung (Dynamisation, Potenzirung) die medicinischen, in ihr verborgen liegenden Kräfte und enthüllt sie mehr und mehr, oder vergeistiget vielmehr die Materie selbst, wenn man so sagen darf.[1]
Hahnemann schreibt weiter zu seiner Dynamisation: "Ungemein wahrscheinlich wird es hierdurch, daß die Materie mittels solcher Dynamisationen (Entwickelungen ihres wahren, innern, arzneilichen Wesens) sich zuletzt gänzlich in ihr individuelles geistartiges Wesen auflöse und daher in ihrem rohen Zustande, eigentlich nur als aus diesem unentwickelten geistartigen Wesen bestehend betrachtet werden könne."[2]
Andererseits behauptete die Wiener Homöopathin Lisa Eckhard (MedUni Wien) dazu Eine Hochpotenz (ca. ab C12 bzw. D24 aufwärts) enthält kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr. Die Wirkung kann also nicht an einzelne Moleküle gebunden sein [... und ...] Dieses Potenzieren unterscheidet sich vom alleinigen Verdünnen dadurch, dass pro Verdünnungsschritt mehrmals kräftig geschüttelt wird, also kinetische Energie zugeführt wird [...][3] Die Auflösung der Materie nach Hahnemann wird hier also auf die alleinige Zuführung kinetischer Energie reduziert, auf die Schüttelschläge eben. Wieviele potenzierend wirksame Schüttelschläge aber die Heilmittel durch den Transport zu den Kunden als weitere zugeführte kinetische Energie erlangen, kann gar nicht berücksichtigt werden. Auch eine Erwärmung würde den einzelnen Molekülen beträchtliche kinetische Energie zuführen.
Bekannte Verdünnungen (Potenzierungen)
- D (1:10) die Decimal-Potenzierung. Bei der D-Potenzierung wird der Arzneistoff pro Potenzierungsschritt im Verhältnis 1:10 verdünnt und durch zehn Schüttelschläge verschüttelt oder mit Lactose verrieben. Wird also 1 Teil der Urtinktur mit 9 Teilen Alkohol verdünnt und durch 10 kräftige Schüttelschläge dynamisiert, erhält man als ersten Potenzgrad, die Dilution D1. Wird die Potenzierung fortgesetzt, so können aus der D1 die folgenden Potenzen D2, D3, D4 und alle höheren Decimalpotenzen angefertigt werden. Diese D-Potenzen werden vorwiegend in deutschsprachigen Ländern verwendet.
- C (1:100) die Centesimal-Potenzierung. Hahnemann hatte sich zunächst für die Centesimalmethode entschieden. Bei jedem Potenzierungsschritt wird 1:100 verdünnt und durch zehn Schüttelschläge verschüttelt oder mit Lactose verrieben. Die damit erzeugten C-Potenzen wandte er vorwiegend im Potenzgrad C30 an. Die erste Potenzierung ist die C1. Dabei wird ein Gewichtsteil mit 99 Teilen Alkohol (= Verdünnungsverhältnis 1:100) verdünnt und durch 10 kräftige Schüttelschläge dynamisiert. Um die Dilution C2 zu erhalten, wird genauso vorgegangen.
- FC (1:100) mit Fluxionsverdünnung (durch Einspritzen).
- K (1:100) die K-Potenzen nach Korsakoff sind Einglasverfahren die häufig bei maschineller Herstellung zu beobachten sind.
- LM (1:50.000) die LM-Potenzierung. Hahnemann entwickelte die LM-Potenzierung, bei dem die Arzneistoffe pro Potenzierungsschritt im Verhältnis 1:50.000 verdünnt und mit jeweils 100 Schüttelschlägen dynamisiert werden. Dabei erfolgt ein Wechsel zwischen fester und flüssiger Arzneiphase, indem für jede Potenzstufe ein Globulus der LM-Vorpotenz in Wasser gelöst, mit Alkohol verdünnt, durch Verschüttelung dynamisiert und mit dieser alkoholischen Lösung ca. 50.000 neue Globuli benetzt werden, die dadurch den nächsten LM-Potenzgrad darstellen. Diese LM-Potenzen werden auch Q-Potenzen oder Hochpotenzen genannt. Hochpotenzen gelten unter Homöopathen als geeignete Mittel bei chronischen Krankheiten.
- Q (1:50.000) Quinquagintamillesimal-Potenzen. Die Q-Potenzen gehen auch auf Hahnemann zurück und sind synonym zu den LM-Potenzen und werden auch Hochpotenzen genannt.
Als Tiefpotenzen werden die Potenzen D1-D6 bzw. C1-C6 bezeichnet.
Verschüttelungen
- Handverschüttelung. Für die Handverschüttelung wurden früher in Leder eingebundene Bücher verwendet, heute sind es dagegen speziell für diesen Zweck hergestellte Lederböcke.
- Maschinelle Verschüttelung durch Potenziermaschinen.
- Ultraschallverschüttelung mit Ultraschall (in Frankreich gebräuchlich)
Verreibung / Trituration
Die Verreibung oder Trituration erfolgt entweder mit der Hand oder durch entsprechende Maschinen. In so genannten Reibschalen aus Porzellan wird mindestens eine Stunde lang pro Potenzierungsschritt mit Lactose (Milchzucker) oder Saccharose (üblicher Zucker) verrieben. Bei erhaltenen höheren Potenzierungsschritten wird häufig flüssig weiter verdünnt.
Fluxionspotenzierung
Dies ist eine flüssige Potenzierung ohne Verschüttelung, bei der die zuzufügende Flüssigkeit ins Potenzierungsgefäß eingespritzt wird, was zu Turbulenzen führen soll und eine weitere Verschüttelung unnötig machen soll. Fluxionspotenzen nach Dellmour sind heute vor allem in Südamerika in Gebrauch.
Ein- und Mehrglasmethode
- Einglasmethode: Die Einglas-Methode wird häufig für hohe Potenzen verwendet und geht auf einen Constantin Hering zurück. Bei dieser Methode wird nur ein einziges so genanntes Verschüttelungsgefäß benutzt. Eine Weiterentwicklung ist von NS Korsakoff (1831) bekannt. Die erhaltenen Verdünnungen/Potenzen nach Korsakoff werden K-Potenzen genannt und haben eine jeweilige Verdünnung wie die C-Potenzen, also 1:100. Die Korsakoff-Verdünnungen werden häufig bei Potenziermaschinen angewandt.
- Mehrglas-Methode: Diese Potenzierungsmethode geht auf Hahnemanns zurück. Für jeden Potenzierungsschritt wird dabei ein eigener Behälter (Fläschen) verwendet. Bei hohen Potenzen kommt es so zu einer großen Zahl von Behältern.
Nosoden
Nosoden werden aus menschlichen oder tierischen Krankheitsprodukten (z.B. Eiter, Nasenschleim, Lungenauswurf), pathologischen Sekreten, Körperflüssigkeiten, Krankheitserregern und Organteilen oder aus Mikrobenkulturen hergestellt. Wegen gefährlicher bakterieller Ansteckungsgefahr müssen die gewonnenen Urtinkturen dieser Stoffe inzwischen vor der Potenzierung gegen den Protest vieler Homöopathen sterilisiert werden.
Beispiele für homöopathische Komplexmittel und ihre Leitsymptome
- Ambra, – Ambra grisea, (Substanz aus dem Hirn des Pottwals)
- Carcinosin, Krebsgewebe potenziert
- Excrementum caninum (Hundekot). Leitsymptome: Nesthockersyndrom, extremes Sinnlosigkeitsgefühl und Depression mit Suicidalität, Arbeitslosigkeit, entwurzelte Menschen, Schokolade oder Alkohol-Abusus, bei Schlafmangel, Folgen von zu viel mit Alkohol und Rauchen, Schokoladeverlangen usw. [2]
- HIV /AIDS, Blutserum eines Menschen mit HIV
- Placenta humana
- Plutonium nitricum, Plutonium
- Lac-h-masc – lac humanum masc., menschliche Milch (männlich)
- Lac-h-f – lac humanum fem., menschliche Milch (weiblich)
- Lac-suinum, Schweinemilch
- Microwelle 2,45 GHz – in der Mikrowelle erwärmtes Wasser
- Porcellanum misniense (Meißner Porzellan). Leitsymptome Ekzeme und Herpes labialis.
- Vip – Vipera, die deutsche Kreuzotter
- Magnetis polis arctis (M-arct). Nördlicher Magnetpol
Praktische Probleme
Man stellte bereits 1935 fest, dass bei der Produktion Teile der Wirkstoffmoleküle durch Adhäsion am Glasbehälter verbleiben und so zu einer höheren Verdünnung führen, als rechnerisch erwartet.[4] Spätere Untersuchungen belegen auch die Abgabe von Substanzen aus der Gefäßwand an das Mittel.[5] Ab D8 bis D12 (je nach Molekülstruktur) ist die Verdünnung nicht mehr kalkulierbar. Da es für Homöopathen sehr wohl einen großen Unterschied zwischen z.B. D100 und D1.000 gibt und das höherverdünnte viel wirksamer sei, ist diese Erkenntnis eigentlich für die Homöopathie eine Katastrophe. Entsprechend wird das Thema totgeschwiegen. Bei der Einglasmethode (die Verdünnung wird immer im selben Behälter hergestellt), gibt es einen umgekehrten Effekt. Wird am Anfang mit Alkohol, dann mit Wasser und am Schluss wieder mit Alkohol verdünnt (ein aus Sparsamkeitsgründen gern verwendetes Verfahren), kann sich an der Glasoberfläche Substanz absetzen, die erst am Schluss wieder in Lösung übergeht. In Versuchen (A. Kuhn) hatte so eine angebliche D200 tatsächlich aber D6! Aus Sicht der Homöopathie vielleicht nicht schlimm, aus naturwissenschaftlicher Sicht umso mehr, da die Homöopathen auch giftige Substanzen wie Quecksilber verwenden. Bei D6 kann das zu einem ernsthaften Problem werden.
Ein weiteres praktisches Problem ist, dass es nirgends komplett reine Arbeits- und Verdünnungsmittel gibt. So lassen sich selbst in hochreinem destillierten Wasser noch Unterschiede finden zu anderen Herstellern. In reinstem Wasser und Alkohol, die man beim "Potenzieren" zum Verdünnen nimmt, kommen in Spuren fast alle wichtigen, natürlichen Elemente vor. Diese Verschmutzungen sind dann viel höher konzentriert als der angestrebten Verdünnung der Ursubstanz entspricht. Ebenso im Glas selbst. Zudem werden die Potenzen nicht in Reinräumen hergestellt. So können sich auch mal verschiedenste Pollen, die z.T. ebenso als Ursubstanz gelten, in die Zubereitung mischen. Die Frage ist nun: Wie können die Stoffe unterscheiden, ob sie potenziert werden sollen oder nicht? Woher wissen z.B. Eisenmoleküle, dass sie diesmal nicht gemeint sind, ein andermal aber schon? Das „Gesetz des unendlich Kleinen“ behauptet, dass extreme Verdünnung die Wirksamkeit der verdünnten Substanz erhöht, aber nur die vorteilhaften Wirkungen, während alle schädlichen Wirkungen vermindert werden. Es gibt keinen Mechanismus, um auf diese einfache Weise erwünschte von unerwünschten Wirkungen zu trennen.
Das homöopathische Problem der Nachdynamisierung: manche Homöopathen befürchten, dass homöopathische Mittel auf dem Transportweg durch Erschütterungen "nachdynamisiert" würden. Daher füllt die Herstellerfirma Remedia Fläschen mit Homöopathika randvoll ab, um eine "Dynamisierung" zu minimieren.[6]
Bereits im 19. Jahrhundert wurde für den Vorgang der Potenzierung so genannte Potenziermaschinen erfunden.
Größenordnungen üblicher homöopathischer Potenzen
- D3 = 1 Gramm Salz gelöst in 1 Liter Wasser
- D4 = 1 Gramm Salz gelöst in einem Eimer Wasser
- D20 = 1 Gramm Salz gelöst im Atlantik
- D23 = kein einziges Molekül Salz mehr in einem Fläschchen
- D27 = 1 Gramm Salz verdünnt in der Menge der ganzen Erdmasse
- C30 = die gebräuchlichste Verdünnung: ein Salzkorn in Zehntausend Milliarden Kugeln, jede so groß wie das gesamte Sonnensystem
Absurde homöopathische Heilmittel
Absurderweise wird von einem englischen Hersteller homöopathischer Mittel namens Helios in Tunbridge Wells (Kent) auch diluted water als Water element angeboten. 4 Gramm davon kosten dann 4,15 Pfund.[7] Derselbe Hersteller bietet außerdem noch verdünnte schwarze Löcher an.
Literatur
- Jan Geißler, Thomas Quak: Leitfaden Homöopathie, Urban & Fischer - Elsevier Verlag
- Haas K, Der Einfluss der Adsorption auf die Konzentration der nach verschiedenen Verfahren hergestellten homöopathischen Verdünnungen, Pharmaceutica acta Helvetiae 24. Jhg Nr. 8, August 1949
Literatur
Weblinks
- http://www.mickler.de/potenzierung.htm
- Forth, Wolfgang: Unklare Konzentrationsangaben der Hersteller: Potentiell toxische Schwermetalle als Therapeutikum in der Homöopathie
Quellennachweise
- ↑ ”Organon” § 269 ff. - 1810
- ↑ Hahnemann: Organon der Heilkunst 6. Auflage
- ↑ Blogbeitrag Lisa Eckhard vom 8. November 2008 [1]
- ↑ KUHN A: Kolloidchemie, Homöopathie und Medizin. Chem Ztg Bd 59, S. 85, 1935; MADAUS G, a.a.O. Bd 2, S. 302
- ↑ Milgrom LR, King KR, Lee J, Pinkus AS. On the investigation of homeopathic potencies using low resolution NMR T2 relaxation times: an experimental and critical survey of the work of Roland Conte et al. Br Homeopath J. 2001 Jan;90(1):5-13.
- ↑ Webseite Remedia.at: Für die Abgabe an den Patienten wird das Fläschchen randvoll gefüllt, um eine Dynamisierung beim Transport zu vermeiden.
- ↑ https://www.helios.co.uk/cgi-bin/store.cgi?action=link&sku=Wate-g&uid=11666