Effektive Mikroorganismen
Effektive Mikroorganismen (auch EM oder EM-Technologie) ist die Bezeichnung für bestimmte Mikroorganismen enthaltende, umstrittene Produkte zur landwirtschaftlichen Boden- und Pflanzenbehandlung, Kompostbereitung und Abfallwirtschaft. Auch Reinigungsmittel für den Haushalt und Nahrungsmittel auf Basis von EM werden angeboten. Zu den EM-Produkten können auch die so genannten EM-Keramiken gezählt werden.
Die genaue Zusammensetzung der verwendeten Mikroorganismen-Mischung wird von den Herstellern geheim gehalten. Es werden vage Angaben zu den eingesetzten Mikroorganismen gemacht, die sich aber je nach Hersteller und Literaturangabe unterscheiden. Häufig werden Photosynthese- und Milchsäurebakterien sowie Hefen als mikrobielle Bestandteile angegeben. Zum Teil werden auch Schimmelpilze als Inhalt genannt. Über die Wirkung von EM-Produkten gibt es unterschiedliche und widersprüchliche Angaben in Fachzeitschriften und anderen Quellen.
Die Zusammensetzung der Bakterien- und Pilzkulturen und das dahinter stehende Konzept sowie die pseudowissenschaftlichen Spekulationen über deren Wirkungsweise gehen nach eigenen Angaben auf den Japaner Teruo Higa zurück.
Das EM-Konzept
Ausgangspunkt ist die Kombination von etwa 80 verschiedenen Mikroorganismen, die Higa in den 1970er Jahren zusammenstellte. Diese sollen sich bei Anwendung weiter vermehren können und als "gute Keime" ortständige "böse Keime" verdrängen können. Higa erklärt die postulierten Wirkungen mit einem "Dominanzprinzip", nach dem es drei Gruppen von Mikroben gäbe:
- Positive Mikroben (aufbauende/"regenerative")
- Negative Mikroben (abbauende/"degenerative")
- Opportunistische Mikroben ("neutral")
Nach Higas Ansicht sollen die beiden ersten Gruppen dominant sein. Eine sehr kleine Menge an "positiven" Keimen sei demnach in der Lage, auch große Mengen von biologischem Material und die dazugehörigen Fäulnisprozesse positiv zu beeinflussen.
Higa befasste sich überwiegend mit Kulturen, die bei der Herstellung von milchsauren Lebensmitteln verwendet werden.
Produkte
EM-Produkte werden von zahlreichen Esoterik-Läden und Versandhäusern angeboten. Neben den Produkten aus Japan werden ist inzwischen eine kaum überschaubare Menge an Alternativprodukten auf dem Markt, die sich ebenfalls auf Higa und seine EM berufen. Auch EM-Putzmittel gibt es: eine kleine Beigabe von EM zum Wischwasser soll bessere Reinigungsergebnisse zeigen, während der Verbrauch von chemischen Reinigern gesenkt werden könne. Als Nahrungsergänzung werden EM-Getränke und EM-Lebensmittel angeboten, welche die oben genannten unbekannten Mikroorganismen enthalten sollen und in der Lage sein sollen, angebliche, durch "jahrelange industrielle Ernährung" im Darm angereicherte Depots von künstlichen Farbstoffen, Geschmacksverstärkern, Konservierungsmitteln und chemischen Lebensmittelzusätzen zu sanieren. Auch werden Halsketten, Armbänder und Schmucksteine angeboten, bei denen die EM ihre energetisierende Wirkung über den Schmuck direkt auf den Träger übertragen sollen. Eine EM-Kosmetik soll herkömmliche Kosmetika mit Konservierungsstoffen ersetzen, die Duftstoffe stammen dann von mit EM-Wasser gezogenen Kräutern und Blüten.
EM-Keramik
Inzwischen sind EM-Keramiken auf dem Markt, bei denen die EM-Mikroorganismenbrühe in Ton eingearbeitet wird, der dann gebrannt wird. Kein einziger Keim kann die hohen Brenntemperaturen dabei überleben. Es werden sogenannte "Pipes" (kleine Tonröhrchen) für verschiedene Anwendungen vorgeschlagen, aber auch Keramikpulver oder entsprechendes Geschirr. Aus einer mit effektiven Mikroorganismen versetzten Keramik stellen mittlerweile Töpfereien Wasserkrüge und Trinkbecher her, in denen Wasser zu besonders lebensfreundlichen Eigenschaften gebracht werden soll, ohne diese Eigenschaften in konkreter Weise zu charakterisieren. Die Anwendung dieses Keramikpulvers als Bestandteil von Zahnfüllungen soll besonders vorteilhaft sein, heißt es in EM-Kreisen.
EM-Produkte und ihre Wirksamkeit
Zu EM-Produkten gibt es mittlerweile eine Vielzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Fast alle Fachartikel stammen aus Asien, viele von ihnen aus dem Umfeld von Higa selbst, einem der schreibfreudigsten Autoren zum Thema. Erstaunlich ist die Tatsache, dass die Autoren durchweg nur positive Versuchsergebnisse beobachten, während eine im Februar 2008 von der ARD beauftragte Studie von Timo Kautz vom Institut für Organischen Landbau der Universität Bonn zu dem Ergebnis kam, dass ein untersuchtes EM-Produkt völlig wirkungslos war.[1] Die Redaktion der TV-Sendung Ratgeber Heim+Garten kam denn auch zum Schluss: "EM schaden Pflanzen, Mensch und Tieren zwar nicht. Risiken und Nebenwirkungen sind jedenfalls nicht bekannt – ein Nutzen aber auch nicht! Eigentlich viel Lärm um teures Nichts."[2] Auch eine Schweizer Studie zeigte enttäuschende Ergebnisse bei einer vierjährigen experimentellen Anwendung von EM in der Landwirtschaft. Die Autoren weisen darauf hin, dass in der wissenschaftlichen Literatur zum Thema nur wenige Hinweise zu finden seien, die eine breite Wirkungsweise von EM belegten. Studien über Wirkungen im Ackerbau unter mitteleuropäischen Klimabedingungen fehlen. Nach Meinung der Autoren sei der auf die Anwesenheit von Mikroorganismen begründete Effekt des EM-Präparates sehr klein und beobachtete positive Effekte seien auf das Trägersubstrat selbst (also die zusätzliche Nährstoffzufuhr) zurückzuführen.[3]
Higa äußerte sich selbst auch skeptisch zur Wirksamkeit und Plausibilität des von ihm erfundenen Konzepts der Effektiven Mikroorganismen: 1994 äußerte er sich mit dem Mikrobiologen Parr zum EM-Konzept und wies auf Schwierigkeiten zur Replikation eigener Versuche und Erlangung verlässlicher "consistent results" hin. Daher habe seine Methode wenig wissenschaftliche Beachtung gefunden und an einem wissenschaftlichem Nachweis seines Verfahrens "mangele es oft". Auch sei der Erfolg seiner Methode von Eigenschaften des Bodens abhängig.[4]
Die meisten der von EM-Verkäufern und Liebhabern angegebenen Anwendungen können noch nicht einmal theoretisch funktionieren und widersprechen Erkenntnissen der Biologie. So ist anzunehmen, dass so gut wie alle EM-Bakterien bei Anwendung in Geschirrspülern oder Waschmaschinen einen Waschgang gar nicht überleben.
Auch ist es völlig abwegig zu glauben, dass bestimmte EM-Bakterien Messer schärfen und entrosten könnten, wie es behauptet wird. Alle organischen Lebensformen können nur in die Richtung der positiven Entropie arbeiten, d.h. Wechsel zu einer Verbindung mit einem niedrigeren Potential als vorher. Bei allen Metallen ist dies die Bildung von Salzen oder Hydraten, die umgekehrte Richtung, bei der elementares Metall entsteht, hat eine negative Entropie, es müssen große Mengen Energie zugeführt werden (mechanisch oder thermisch). Bei der Anwendung bei Mensch oder Tier gilt das gleiche Problem wie bei probiotischen Joghurts: Durch den Salzsäuregehalt des Magens werden die meisten Bakterien zerstört, außer sie sind durch z.B. eine magensaftresistente Ummantelung geschützt. Stattdessen können bereits erkrankte oder geschwächte Personen mit herabgesetzter Immunabwehr durch die zusätzliche Zufuhr von Keimen einen Schaden erleiden.
Esoterisch effektive Mikroorganismen
Überschneidungen mit verschiedenen esoterischen Ideen sind unverkennbar und beabsichtigt, um im lukrativen Esoterikmarkt Fuß zu fassen. Hierbei werden insbesondere Personenkreise angesprochen, die Düngemittel ablehnen und die stattdessen ihre entsprechenden Ausgaben in die Kassen des EM-Kartells umlenken sollen. Nach Higos Theorie erreicht man mit der Behandlung von Pflanzen oder Böden durch Besprühen und Gießen mit Mikroorganismen angereichertem Wasser bessere Ernten und höhere Qualität der Nahrungsmittel als unter Einsatz der herkömmlichen Agrarchemie. EM seien demnach ein ökologischer Gegenpol zum abgelehnten Industriedünger und Spritzmitteln.
Zur Anwendung von EM bei Keramiken sich Higa in sehr nebulös gehaltenem Esoterikjargon: "Ton ist ein Kolloid mit elektrischer Ladung, das bei Verdichtung seiner elektrischen Eigenschaften die Informationen der Mikroorganismen wie eine Schablone duplizieren kann. Die Theorie, dass Leben aus Ton entstanden ist, hat möglicherweise ihren Ursprung darin, dass Ton tatsächlich die Eigenschaft hat, vielfältige elektrische Informationen aufzunehmen, zu fixieren und zu binden. Daraus folgt, dass EM-Keramik als Schablone für die EM-Information betrachtet werden kann. [...] Wenn man die Keramik mit Wasser in Verbindung bringt, wird es möglich, die EM-Information aus der Schablone herauszuziehen [...]".
- Die Vereinszeitschrift enthält beispielsweise einen Kalender mit Mondphasen. Ausgehend von der Vorstellung von Einflüssen der Mondphasen auf das Pflanzenwachstum wird hier entsprechenden Ansichten der Anthroposophie und der Astrologie Vorschub geleistet.
- Der Erklärungsmechanismus für die EM-Keramik (Pipes) basiert auf esoterischen Annahmen, wie sie auch in der Heilsteinlehre von Kristallen oder in der Homöopathie erkennbar werden. Nach dem Brennvorgang ist es unmöglich, dass Mikroorganismen überlebt haben. Angeblich überdauern jedoch ihre "Schwingungen".
- Die Theorie der Umwandlung organischer Reststoffe stützt sich weitgehend auf ein mystisches Verständnis des Bodenlebens, mit Parallelen zu anthroposophischen Vorstellungen. Dies mag aber ein spezifisch mitteleuropäisches Element sein.
Siehe auch
Weblinks
- Höge, H.: Essen aus dem Labor. Der tägliche Mikroben-Mix in: TAZ am 14.04.2008
- Borchert, F.: Effektive Mikroorganismen im Test. Topp oder Flop? WDR Köln 2008. (Archiv-Version)
- Ein Mikroben-Mix soll die Welt retten in: Focus 35 (2013)
Quellennachweis
- ↑ http://web.archive.org/web/20090521012956/http://www.wdr.de/tv/ardheim/download/test_EM-RoteBete.pdf
- ↑ http://web.archive.org/web/20081011122904/http://www.wdr.de/tv/ardheim/sendungen/2008/februar/080203_4.phtml
- ↑ http://orgprints.org/9691/01/9691_Mayer_Vortrag.pdf
- ↑ Teruo Higa, James Parr: (1994) Beneficial and Effective Microorganisms for a Sustainable Agriculture and Environment. International Nature Farming Research Center, Atami, Japan. [1] Zitat: [...] it is difficult to demonstrate conclusively which microorganisms are responsible for the observed effects, how the introduced microorganisms interact with the indigenous species, and how these new associations affect the soil plant environment. Thus, the use of mixed cultures of beneficial micro-organisms as soil inoculants to enhance the growth, health, yield, and quality of crops has not gained widespread acceptance by the agricultural research establishment because conclusive scientific proof is often lacking [...]