Airnergy
Airnergy (auch Airnergy-Spirovitaltherapie) ist der Handelsname eines umstrittenen, Energie-Tankstelle genannten Gerätes der Firma Airnergy AG (vormals "Natural Energy Solutions AG", NES), das laut Hersteller in der Lage sein soll, als "Atmungsergänzung" Luftsauerstoff in eine körpergerechte Form zu bringen, um ihn für den Organismus besser nutzbar zu machen. Damit ist dieses Produkt im erweiterten Sinn als eine Anwendung von Sauerstoffwasser aus dem Spektrum der Sauerstoff-Therapien zu sehen. Ziel des "Energietankstellen"-Produktes sei es, "jeder einzelnen Körperzelle mehr Sauerstoff" zuzuführen, den Sauerstoffverbrennungsprozess zu "optimieren", um dem Körper einen "Energieschub" zu gewähren. Vorteile für den Kunden ergäben sich bei diversen Krankeiten, wie Tinnitus, Gedächtnisstörungen, Herz-Kreislauf, Diabetes, bis zur postoperativen Behandlung nach Herztransplantationen. Ebenso sollen Alterungsvorgänge in den Organen gebremst werden. Des Weiteren werden anekdotische Berichte über angebliche Wunderheilungen von MS-Patienten verbreitet.
Die Geräte werden in Hennef bei Bonn hergestellt und sollen 5.000 bis 7.000 Euro kosten. Nach NES-Angaben sollen bereits 9.000 Geräte verkauft worden sein. Aufsichtsratsvorsitzender ist Guido Bierther. Erfinder ist der ehemalige Heilpraktiker Jörg Klemm. Ärztliche Anwender der Geräte können ihren Kunden für 20 Minuten feuchtwarme Luft 20 IGEL-Euro berechnen, im Wellnessbereich dagegen 5 Euro. Die Krankenkasse erstattet diese Kosten nicht. Die Geräte werden mit diversen Tricks vermarktet, so z.B. über den MDR-Fernseharzt Dr. Thomas Höhn als Studiogast bei n-tv oder Hademar Bankhofer.
Zielgruppe sind offenbar Sportler und Sportfunktionäre. Entsprechend kam auch Fußballtrainer Ottmar Hitzfeld zu Wort: "Sehr gerne haben meine Frau und ich seit mittlerweile fünf Monaten regelmäßig 'geatmet'. Die Airnergy-Methode wollen wir wegen der vielen guten Erfahrungen nicht mehr missen."
Konkurrent war die Medical Biophysics GmbH aus Potsdam, die neben active air auch ein active water anbot, aber im Febraur 2010 wegen Insolvenz aufgelöst wurde.
Insolvenz 2007
Vorgängerin der Airnergy AG war die Natural Energy Solutions AG, die im September 2007 in Insolvenz geriet.[1] NES betrieb bis zur Insolvenz "Atemluftstudios" und öffnete eine eigene Motorsportabteilung. Aufsichtsrat war bereits damals Guido Bierther. Vorstand war auch damals Jürgen Dressler, ein Führungskräftecoach aus dem Umfeld des Airnergy-Fans Elmar Wienecke, mit Kontakten zu Dietrich Grönemeyer.
Die Methode
Über eine Nasenbrille atmet der Kunde Luft ein, die von dem Airnergy-Produkt mit "Energie angereichert" sein soll. Verantwortlich für die "Energieanreicherung" sei die Produktion von Singulett-Sauerstoff. Es gehe also nicht darum, dem Körper mehr Sauerstoff zuzuführen (was die Sauerstoffsättigung im Blut ggf. anheben würde), sondern um "besseren" Singulett-Sauerstoff als angeblich "physiologisch aktiven Sauerstoff". Allerdings kommt der Einatmende nach NES-Angaben gar nicht direkt in Kontakt mit Singulett-Sauerstoff, sondern nur mit der Energie, die an anwesende Wasserdampfmoleküle abgegeben werde. Über die Art dieser Energie sind jedoch keine weiteren Angaben zu erfahren. Es kann sich hierbei um eine Erwärmung oder die Abstrahlung von Licht handeln.
Singulett-Sauerstoff
Das Zellgift Singulett-Sauerstoff ist der niedrigste Anregungszustand des molekularen Sauerstoffs. Die geringe Anregungsenergie von 0,98 eV reicht jedoch als Aktivierungsenergie für verschiedene oxidative Prozesse aus, die Zellschäden innerhalb seiner Diffusionsreichweite auslösen kann, die bis zum Zelltod reichen können.[2] Am Produktionsort von Singulett-Sauerstoff kommt es zu einer oxidativen Schädigung der DNA (Purinbasen). Dabei ist Singulett-Sauerstoff äußerst kurzlebig. Nach 10-9 bis 10-4 Sekunden hat er sich in Triplet-Sauerstoff umgewandelt, wobei es drei Möglichkeiten gibt:
- Bei Singulett-Sauerstoff, dessen Elektronen auf zwei π*-Orbitalen verteilt sind, erfolgt der Übergang durch einfache Spinumkehr eines Elektrons, wobei Energie in Form roten Lichts (759,6 nm) abgegeben wird.
- Singulett-Sauerstoff, dessen Elektronen sich in einem π*-Orbital befinden, hat zwei Möglichkeiten, in den Grundzustand zurückzukehren. Durch die Spinumkehr und den Wechsel zu dem anderen π*-Orbital eines Elektrons wird Energie in Form nicht sichtbaren Lichts abgegeben.
- Zwei Singulett-Sauerstoffmoleküle können aber auch einfach ein Elektron ohne dessen Spinumkehr austauschen, wodurch sich beide Moleküle wieder im Triplet-Zustand befinden. Hierbei wird Energie in Form roten Lichts (633,4 nm) frei.
Nachgewiese Unwirksamkeit musste per Gerichtsbeschluss bestätigt werden
Die Natural Energy Solutions AG in Hennef wollte zu werbewirksamen Studienergebnissen kommen und nahm mit Wissenschaftlern Kontakt auf. Eine Studie sollte die angeblich leistungssteigernde Wirkung ihrer Atemluft-Aufbereitungstechnologie Airnergy bestätigen. Doch als die beauftragten Forscher um die Sportwissenschaftlerin Petra Platen von der Ruhr-Uni Bochum keinen Unterschied zum Placebo fanden (O-Ton Platen: "Wir haben keine Unterschiede in der Leistungsentwicklung zwischen der Verumgruppe und der Placebogruppe gefunden."), verweigerte die Firma die ausstehende Zahlung an die Wissenschaftlerin mit dem Vorwurf, Platen habe sich nicht an das abgesprochene Studienprotokoll gehalten. Die Parteien trafen sich vor dem Landgericht Köln, wo die Wissenschaftlerin Recht bekam. Das Forschungsergebnis möchte Platen später in einem Fachmagazin veröffentlichen. In der Werbung für Airnergy taucht die "amtliche Unwirksamkeitsbestätigung" natürlich nicht auf.
Um die Plausibilität des eigenen Verfahrens zu erhöhen, wird auch auf eine Nachweisbarkeit von Effekten durch die ansonsten für ganz andere Fragestellungen genutzte Herzfrequenzvariabilität verwiesen.
Gefahren des Sauerstoffs
Sauerstoff ist nicht nur eine Voraussetzung für das Leben des menschlichen Organismus, sondern kann bei zu hoher Konzentration schädliche Folgen haben. Wenn man reinen Sauerstoff oder Luft mit einem höheren Sauerstoffanteil über längere Zeit einatmet, kann es zur Vergiftung der Lunge, dem so genannten Lorrain-Smith-Effekt kommen. Dabei werden die Lungenbläschen (Lungenalveolen) durch Anschwellen in ihrer normalen Funktion gehindert.
Auch das Zentralnervensystem kann durch Sauerstoff geschädigt werden (Paul-Bert-Effekt). Bei Sauerstoff-Teildrücken oberhalb 1,7 bar kommt es innerhalb relativ kurzer Zeit zu einer Vergiftung. Symptome dafür sind Krampfanfälle, ähnlich einer Epilepsie. Die Anfälle beginnen zumeist mit Zuckungen im Bereich des Mundes und der Augenlider, zuvor können schnellerer Puls, Übelkeit, Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, innere Unruhe, Ohrgeräusche und Röhrensehen als erste Signale auftreten. Anfälle können aber auch schlagartig in Erscheinung treten. Atemprobleme, die sich in einer schnellen, flachen Atmung verbunden mit Erstickungsgefühlen und Beklemmungen äußern, bilden dann die Überleitung, bis es sehr schnell zu toxischen Krämpfen des ganzen Körpers kommt und Bewusstseinsverlust eintritt.
RCA Airnergy Charger
Unter dem Produktnamen "Airnergy" vermarktet RCA (Radio Corporation of America) eine mit einem USB-Stecker versehene Antenne, die WLAN-Signale und andere elektromagnetische Signale in einen schwachen elektrischen Strom (Energie im Mikrowatt-Bereich) umwandeln soll, um damit Batterien aufzuladen.[3][4] Dieses 40 US-Dollar teure Gerät hat jedoch nichts mit dem hier thematisierten pseudomedizinischen Produkt zu tun.
Quellennachweise
- ↑ Verkaufen, um nicht zu schließen Kölner Stadt-Anzeiger, 4. September 2009
- ↑ Untersuchung der physikalischen Grundlagen der Generierung von Singulett-Sauerstoff bei der photodynamischen Therapie von Tumoren und anderer Hautkrankheiten Arbeitsgruppe Prof. Dr. Max Maier an der Unviversität Regensburg
- ↑ Airnergys Fischen im Trüben Heise-Newsticker, 12. Januar 2010
- ↑ Evan Ackerman: RCA Airnergy Charger Harvests Electricity From WiFi Signals OhGizmo!, 9. Januar 2010