− | Auf einer Vielzahl von alternativmedizinischen Internet-Webseiten werden Aussagen verbreitet, nach denen Krebspatienten die keine konventionelle Therapie wählen eine vierfach größere Chance hätten, ihre Krankheit zu überleben als die behandelten Patienten. Eine Krebstherapie hätte demnach nicht nur keinen Nutzen, sondern hätte demnach sogar schädigende Folgen. Im englischen Sprachraum wird dazu der Physiologe Hardin Jones als "a prominent cancer researcher" an der University of California (Berkeley) zitiert: "My studies have proved conclusively that cancer patients who refuse chemotherapy and radiation actually live up to four times longer than treated cases." Das Hardin-Zitat soll in einem Konferenzpaper aus dem Jahre 1969 enthalten sein<ref>Hardin B. Jones, Ph.D. "A Report on Cancer," paper delivered to the ACS's 11th Annual Science Writers Conference, New Orleans, 7. März 1969</ref>. Als Text ist die Aussage jedoch nicht enthalten, siehe das Dokument als Faksimile<ref>[http://www.psiram.com/media/Hardin_Jones/HardinJones1969.pdf Hardin Jones: "A Report on Cancer" 11th Annual Science Writers Conference, New Orleans, 7. März 1969]</ref> Derartige Aussagen werden meist in einem Zusammenhang mit der Aufforderung verbreitet, bei Krebs konventionelle Therapien zu meiden. | + | Auf einer Vielzahl von alternativmedizinischen Internet-Webseiten werden Aussagen verbreitet, nach denen Krebspatienten die keine konventionelle Therapie wählen eine vierfach größere Chance hätten, ihre Krankheit zu überleben als die behandelten Patienten. Eine Krebstherapie hätte demnach nicht nur keinen Nutzen, sondern hätte demnach sogar schädigende Folgen. Häufig und auch von Andreas Moritz wird dazu der Physiologe Hardin Jones als "a prominent cancer researcher" an der University of California (Berkeley) zitiert: "My studies have proved conclusively that cancer patients who refuse chemotherapy and radiation actually live up to four times longer than treated cases." Das Jones-Zitat soll in einem Konferenzpaper aus dem Jahre 1969 enthalten sein.<ref>Hardin B. Jones, Ph.D. "A Report on Cancer," paper delivered to the ACS's 11th Annual Science Writers Conference, New Orleans, 7. März 1969</ref> Als Text ist die Aussage jedoch nicht enthalten, siehe das Dokument als Faksimile<ref>[http://www.psiram.com/media/Hardin_Jones/HardinJones1969.pdf Hardin Jones: "A Report on Cancer" 11th Annual Science Writers Conference, New Orleans, 7. März 1969]</ref> Solche Aussagen werden oft in einem Zusammenhang mit der Aufforderung verbreitet, bei Krebs konventionelle Therapien zu meiden. |
− | Was ist dran an derartigen Angaben? Der Physiologe Jones war nie therapeutisch oder der klinischen Onkologie forschend tätig<ref>http://www.users.on.net/~pmoran/cancer/hardin_jones_and_cancer.htm</ref> und arbeitete über statistische Fragen für die damalige "Atomic Energy Commission" in Berkeley. Zitate von Jones beziehen sich auf einen Vortrag aus dem Jahre 1956<ref>Jones H. B. Demographic consideration of the cancer problem. Transactions, New York Academy of Science, 1956, series 2, v. 18, Seiten 298 - 333, PMID: 13312067</ref>, also von vor über 50 Jahren, als beispielsweise die Chemotherapie noch in den Kinderschuhen steckte. Jones' Artikel von 1956 enthält mehrere statistische Angaben über unbehandelte und behandelte Krebspatienten, häufig auf Brustkrebs bezogen. Er kommt wörtlich zur Ansicht, dass "It is most likely that, in terms of life expectancy, the chance of survival is no better with than without treatment, and there is the possibility that treatment may make the survival time of cancer less" (Seite 331). Weiter geht Jones nicht mit seinen Angaben. Er belegt auch nicht seine Ansicht, dass behandelte Krebspatienten eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit hätten. Von ihm zitierte Arbeiten stammten aus den Jahren 1926 und zweimal aus dem Jahre 1937. Aber selbst diese alten Arbeiten aus der Zeit vor 1956 (mit 651, 100, 64 und 100 Fällen) widerlegen seine Ansicht. Es handelte sich nicht um kontrollierte Studien wie sie erst Jahrzehnte später üblich wurden. Jones stellte auch eine Regel auf, nach der bei sämtlichen Krebsarten die Sterberate über die Zeit konstant bleibe ("the death rate for all kinds of cancer remains nearly fixed from the moment when cancer is identified", Seite 314). Die Theorie wurde auch als das "The Hardin Jones Principle" bezeichnet und beispielsweise von Linus Pauling 1989 zitiert. Heute ist bekannt, dass diese vereinfachende Regel nicht zutrifft – verschiedene Krebsarten zeigen auch unterschiedliche Überlebenskurven.
| + | Jones arbeitete über statistische Fragen am "Donner Laboratory" für die damalige "Atomic Energy Commission". Er war nie therapeutisch oder der klinischen Onkologie forschend tätig.<ref>http://www.users.on.net/~pmoran/cancer/hardin_jones_and_cancer.htm</ref> Zitate von Jones beziehen sich auf einen Vortrag aus dem Jahr 1956<ref>Jones, H. B.: Demographic consideration of the cancer problem. Transactions, New York Academy of Science, 1956, series 2, v. 18, Seiten 298 - 333, PMID: 13312067</ref>, also von vor über 50 Jahren, als beispielsweise die Chemotherapie noch in den Kinderschuhen steckte. Jones' Artikel von 1956 enthält mehrere statistische Angaben über unbehandelte und behandelte Krebspatienten, häufig auf Brustkrebs bezogen. Er kommt wörtlich zur Ansicht, dass "It is most likely that, in terms of life expectancy, the chance of survival is no better with than without treatment, and there is the possibility that treatment may make the survival time of cancer less" (Seite 331). Weiter geht Jones nicht mit seinen Angaben. Er belegt auch nicht seine Ansicht, dass behandelte Krebspatienten eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit hätten. Von ihm zitierte Arbeiten stammten aus den Jahren 1926 und zweimal aus dem Jahre 1937. Aber selbst diese alten Arbeiten aus der Zeit vor 1956 (mit 651, 100, 64 und 100 Fällen) widerlegen seine Ansicht. Es handelte sich nicht um kontrollierte Studien, wie sie erst Jahrzehnte später üblich wurden. Jones stellte auch eine Regel auf, nach der bei sämtlichen Krebsarten die Sterberate über die Zeit konstant bleibe ("the death rate for all kinds of cancer remains nearly fixed from the moment when cancer is identified", Seite 314). Die Theorie wurde auch als das "The Hardin Jones Principle" bezeichnet und beispielsweise von Linus Pauling 1989 zitiert. Heute ist bekannt, dass diese vereinfachende Regel nicht zutrifft – verschiedene Krebsarten zeigen auch unterschiedliche Überlebenskurven. |
| Die Angaben von Jones sind auf die heutige Situation bezogen falsch. Ende der 1950er Jahre lag die 5-Jahresüberlebensprognose noch bei 25%, heute liegt sie in Industriestaaten bei über 80% (so für das Jahr 2003 in den USA<ref> Jemal A, Thomas A, Murray T, Thun M. Cancer statistics, 2002. CA Cancer J Clin. 2002: 23-47 Also: Weir HK, Thun MJ, Hankey BF, Ries LA, Howe HL, Wingo PA, Jemal A, Ward E, Anderson RN, Edwards BK Annual report to the nation on the status of cancer, 1975-2000, featuring the uses of surveillance data for cancer prevention and control. J Natl Cancer Inst. 2003 Sep 3;95(17):1276-99</ref>), auch wenn man berücksichtigt, dass heute Brustkrebs (z.B. wegen Vorsorgemaßnahmen) früher diagnostiziert wird. | | Die Angaben von Jones sind auf die heutige Situation bezogen falsch. Ende der 1950er Jahre lag die 5-Jahresüberlebensprognose noch bei 25%, heute liegt sie in Industriestaaten bei über 80% (so für das Jahr 2003 in den USA<ref> Jemal A, Thomas A, Murray T, Thun M. Cancer statistics, 2002. CA Cancer J Clin. 2002: 23-47 Also: Weir HK, Thun MJ, Hankey BF, Ries LA, Howe HL, Wingo PA, Jemal A, Ward E, Anderson RN, Edwards BK Annual report to the nation on the status of cancer, 1975-2000, featuring the uses of surveillance data for cancer prevention and control. J Natl Cancer Inst. 2003 Sep 3;95(17):1276-99</ref>), auch wenn man berücksichtigt, dass heute Brustkrebs (z.B. wegen Vorsorgemaßnahmen) früher diagnostiziert wird. |