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− | Die '''Urintherapie''' (meist als Eigenharnbehandlung oder Eigenurintherapie) ist eine eigenwillige [[Pseudomedizin|pseudomedizinische]] Behandlungsmethode, bei der der eigene Urin in kleinen oder größeren Mengen getrunken, äußerlich angewendet oder per Spritze verabreicht wird. | + | Die '''Urintherapie''' (meist als Eigenharnbehandlung oder Eigenurintherapie) ist eine eigenwillige [[pseudomedizin]]ische Behandlungsmethode, bei der der eigene Urin in kleinen oder größeren Mengen getrunken, äußerlich angewendet oder per Spritze verabreicht wird. |
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− | "Der Menschenurin, der eigene getrunken, hilft gegen den Biss der Viper, gegen tödtliche Gifte und gegen beginnende Wassersucht, gegen den Biss des Meerigels, des Meerskorpions und Meerdrachen, wenn er darauf gegossen wird, der Urin des Hundes gegen den Biss des wüthenden Hundes als Aufguss; mit Natron ist er ein Schmiermittel bei Aussatz und Jucken; der alte entfernt noch besser bösen Grind, Schorf, Krätze und nässenden Ausschlag; fressende Geschwüre, auch an den Schamtheilen hält er auf. Als Injection macht er bei eiterflüssigen Ohren trocken, wenn er in der Schale des Granatapfels gekocht wird, wirft auch die in den Ohren be- findlichen Würmer heraus. Der Urin eines unschuldigen Knaben geschlürft hilft gegen Orthopnöe; mit Honig in einem Kupfergefässe gekocht bringt er Narben, Leukome und Verdunkelungen (der Augen) weg. Es wird auch aus ihm und Kupfererz eine für Gold geeignete Löthsubstanz bereitet. Der Absatz des Harns beseitigt, eingerieben, roseartige Entzündungen. Mit (Lawsonien-) Kyprossalbe erhitzt und als Zäpfchen eingelegt besänftigt er Schmerzen der Gebärmutter, lindert Gebärmutterkrämpfe, glättet die Augenlider und reinigt die Wunden im Auge. Der Stierharn, mit Myrrhe verrieben und eingetröpfelt, lindert Ohrenschmerzen. Der Schweineurin hat dieselbe Kraft; specifisch ist ihm aber eigen, Blasensteine zu zerstören und auszuscheiden. Der Ziegenharn, mit Spikenard täglich in der Menge von 2 Bechern mit Wasser getrunken, soll das unter dem Fleische gebildete Wasser abführen und den Bauch lösen, eingetröpfelt auch Ohrenleiden heilen, der vom Esel aber Nierenleidende gesund machen." | + | "Der Menschenurin, der eigene getrunken, hilft gegen den Biss der Viper, gegen tödtliche Gifte und gegen beginnende Wassersucht, gegen den Biss des Meerigels, des Meerskorpions und Meerdrachen, wenn er darauf gegossen wird, der Urin des Hundes gegen den Biss des wüthenden Hundes als Aufguss; mit Natron ist er ein Schmiermittel bei Aussatz und Jucken; der alte entfernt noch besser bösen Grind, Schorf, Krätze und nässenden Ausschlag; fressende Geschwüre, auch an den Schamtheilen hält er auf. Als Injection macht er bei eiterflüssigen Ohren trocken, wenn er in der Schale des Granatapfels gekocht wird, wirft auch die in den Ohren be- findlichen Würmer heraus. Der Urin eines unschuldigen Knaben geschlürft hilft gegen Orthopnöe; mit Honig in einem Kupfergefässe gekocht bringt er Narben, Leukome und Verdunkelungen (der Augen) weg. Es wird auch aus ihm und Kupfererz eine für Gold geeignete Löthsubstanz bereitet. Der Absatz des Harns beseitigt, eingerieben, roseartige Entzündungen. Mit (Lawsonien-) Kyprossalbe erhitzt und als Zäpfchen eingelegt besänftigt er Schmerzen der Gebärmutter, lindert Gebärmutterkrämpfe, glättet die Augenlider und reinigt die Wunden im Auge. Der Stierharn, mit Myrrhe verrieben und eingetröpfelt, lindert Ohrenschmerzen. Der Schweineurin hat dieselbe Kraft; specifisch ist ihm aber eigen, Blasensteine zu zerstören und auszuscheiden. Der Ziegenharn, mit Spikenard täglich in der Menge von 2 Bechern mit Wasser getrunken, soll das unter dem Fleische gebildete Wasser abführen und den Bauch lösen, eingetröpfelt auch Ohrenleiden heilen, der vom Esel aber Nierenleidende gesund machen." |
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| ==Harn als Heilmittel seit vielen Jahrhunderten== | | ==Harn als Heilmittel seit vielen Jahrhunderten== |
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| ==Urindiagnostik und Uroskopie== | | ==Urindiagnostik und Uroskopie== |
− | Der Harn war schon seit vielen Jahrhunderten Gegenstand diagnostischer Bemühungen gewesen. Aus Harn pflegte man im klassischen Altertum Diagnosen zu stellen. Die ersten Grundregeln auf diesem Gebiet stellte im 7. Jahrhundert Theophil (genannt Protosphatharios) auf. Actuarius modernisierte sie im 13. Jahrhundert nach eigenen Vorstellungen. Nach einer ausgeklügelten Technik wurde der erste, 'nach dem Hahnenschrei' produzierte Harn in einem durchsichtigen Gefäß (Urinal oder matula genannt) gesammelt. Das Gefäß wurde vor Sonnenlicht geschützt und fern von Wärmequellen aufbewahrt. An sich ein vernünftiges Vorgehen, denn Urin verfärbt sich unter Sonnenlicht und Wärme fördert das Wachstum von im Harn befindlichen Keimen. Das Urinal setzte man in einen Weidenkorb und trug es dann zum Harnbeschauer, der die Probe im frischen Zustand und noch einmal zwei Stunden später begutachtete. Entsprechend der Vorschriften des Erfinders der Säftepathologie, des römischen Modearztes Galen (2. nachchr. Jahrhundert), prüfte man Dichte, Farbe, Geruch, Geschmack und Sediment des Urins. Der Zustand des Urins wurde je nach der körperlichen Verfassung des Kranken, seines Temperaments, seines Geschlechts und der Jahreszeit bewertet. Im Mittelalter arbeitete man sogar minutiöse Urinkarten aus, die weit verbreitet waren. Die höchst merkwürdigen Deutungen der damaligen Zeit sind ein Beispiel dafür, wie primitiv die medizinische Denkwelt bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in Europa wirklich war. | + | Der Harn war schon seit vielen Jahrhunderten Gegenstand diagnostischer Bemühungen gewesen. Aus Harn pflegte man im klassischen Altertum Diagnosen zu stellen. Die ersten Grundregeln auf diesem Gebiet stellte im 7. Jahrhundert Theophil (genannt Protosphatharios) auf. Actuarius modernisierte sie im 13. Jahrhundert nach eigenen Vorstellungen. Nach einer ausgeklügelten Technik wurde der erste, 'nach dem Hahnenschrei' produzierte Harn in einem durchsichtigen Gefäß (Urinal oder matula genannt) gesammelt. Das Gefäß wurde vor Sonnenlicht geschützt und fern von Wärmequellen aufbewahrt. An sich ein vernünftiges Vorgehen, denn Urin verfärbt sich unter Sonnenlicht und Wärme fördert das Wachstum von im Harn befindlichen Keimen. Das Urinal setzte man in einen Weidenkorb und trug es dann zum Harnbeschauer, der die Probe im frischen Zustand und noch einmal zwei Stunden später begutachtete. Entsprechend der Vorschriften des Erfinders der Säftepathologie, des römischen Modearztes Galen (2. nachchr. Jahrhundert), prüfte man Dichte, Farbe, Geruch, Geschmack und Sediment des Urins. Der Zustand des Urins wurde je nach der körperlichen Verfassung des Kranken, seines Temperaments, seines Geschlechts und der Jahreszeit bewertet. Im Mittelalter arbeitete man sogar minutiöse Urinkarten aus, die weit verbreitet waren. Die höchst merkwürdigen Deutungen der damaligen Zeit sind ein Beispiel dafür, wie primitiv die medizinische Denkwelt bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in Europa wirklich war. |
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| ==Moderne Urindiagnostik== | | ==Moderne Urindiagnostik== |
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| Heute noch gibt es in der Komplementärmedizin interessierte Kreise, die den mittelalterlichen Kult um die Urin-Therapie aufrecht erhalten. Obwohl es sich um eindeutige Quacksalberei handelt, wird dem Urin immer noch eine heilende Wirkung nachgesagt. Es wird empfohlen, ihn zu trinken oder ihn auf die Haut aufzutragen. | | Heute noch gibt es in der Komplementärmedizin interessierte Kreise, die den mittelalterlichen Kult um die Urin-Therapie aufrecht erhalten. Obwohl es sich um eindeutige Quacksalberei handelt, wird dem Urin immer noch eine heilende Wirkung nachgesagt. Es wird empfohlen, ihn zu trinken oder ihn auf die Haut aufzutragen. |
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− | Es wird von Urintherapie-Anhängen immer wieder die Wirksamkeit des Auftragens von Urin auf die Haut als Argument angeführt. Was davon zu halten ist, hat Prof. Dr. med. et. phil. Wolfgang Hopff vom Pharmakologischen Institut der Universität Zürich vor einigen Jahren schön beschrieben: | + | Es wird von Urintherapie-Anhängen immer wieder die Wirksamkeit des Auftragens von Urin auf die Haut als Argument angeführt. Was davon zu halten ist, hat Prof. Dr. med. et. phil. Wolfgang Hopff vom Pharmakologischen Institut der Universität Zürich vor einigen Jahren schön beschrieben: |
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| 'So wird z.B. berichtet , dass in ländlichen Gebieten bei Wunden und 'Hautkrankheiten' an den unteren Extremitäten von Großvieh durch den Bauern oder auch vom Tierarzt auf diese Wunden uriniert wird. Die Wunden sollen dann schneller heilen. Von Patienten wird berichtet, dass Nagelpilze und 'Ekzeme' mit Urin erfolgreicher behandelt worden seien. Man brauche dazu nur eigenen oder Fremdurin für einen Umschlag zu verwenden. | | 'So wird z.B. berichtet , dass in ländlichen Gebieten bei Wunden und 'Hautkrankheiten' an den unteren Extremitäten von Großvieh durch den Bauern oder auch vom Tierarzt auf diese Wunden uriniert wird. Die Wunden sollen dann schneller heilen. Von Patienten wird berichtet, dass Nagelpilze und 'Ekzeme' mit Urin erfolgreicher behandelt worden seien. Man brauche dazu nur eigenen oder Fremdurin für einen Umschlag zu verwenden. |
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| Warum kann Urin wirksam sein? Jeder weiß, dass die Zugabe von Zucker ab einer bestimmten Konzentration die Marmelade haltbar macht. Die Wirkung gegen Schimmelpilze ist dabei recht gut, aber unspezifisch, d.h. aus osmotischen Gründen gehen die Pilze, Bakterien und Sporen zugrunde. Bei der Osmose dringt Lösungsmittel durch eine halbdurchlässige Membran - hier die Zellwand der Erreger - hindurch, bis die Konzentration gelöster Teilchen auf beiden Seiten der Membran gleich ist. Die gleiche Wirkung hat auch Harnstoff. Nur wird Zucker von Hausfrauen vorgezogen, weil er die Marmelade süßt. Harnstoff ist in chemisch reiner Form dagegen völlig geschmacklos. | | Warum kann Urin wirksam sein? Jeder weiß, dass die Zugabe von Zucker ab einer bestimmten Konzentration die Marmelade haltbar macht. Die Wirkung gegen Schimmelpilze ist dabei recht gut, aber unspezifisch, d.h. aus osmotischen Gründen gehen die Pilze, Bakterien und Sporen zugrunde. Bei der Osmose dringt Lösungsmittel durch eine halbdurchlässige Membran - hier die Zellwand der Erreger - hindurch, bis die Konzentration gelöster Teilchen auf beiden Seiten der Membran gleich ist. Die gleiche Wirkung hat auch Harnstoff. Nur wird Zucker von Hausfrauen vorgezogen, weil er die Marmelade süßt. Harnstoff ist in chemisch reiner Form dagegen völlig geschmacklos. |
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− | Erwachsene scheiden im Urin pro Tag etwa 30 Gramm Harnstoff aus. Beim Urinieren auf Wunden wird der noch warme Urin zusätzlich erwärmt, so dass Wasser verdampfen kann. Dadurch wird Harnstoff konzentriert und kann so unspezifisch osmotisch wirken. | + | Erwachsene scheiden im Urin pro Tag etwa 30 Gramm Harnstoff aus. Beim Urinieren auf Wunden wird der noch warme Urin zusätzlich erwärmt, so dass Wasser verdampfen kann. Dadurch wird Harnstoff konzentriert und kann so unspezifisch osmotisch wirken. |
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| Um es auf den Punkt zu bringen: Der Harnstoff im Urin verschlechtert auf der Wunde die Wachstumsbedingungen für Keime, in dem er diesen das Wasser entzieht. Es fragt sich nur, was daran gesund sein soll, Urin auf eine Wunde zu geben, da Urin selbst bakterienhaltig ist. Urin ist bei einem Gesunden nur dann keimfrei, wenn er direkt durch eine Punktion aus der Blase gewonnen werden kann. Durchfließt der Harn den unteren Harnleiter, wird er zwangsläufig von den dort angesiedelten Bakterien verunreinigt. Normalerweise liegen dann im Mittelstrahlurin (aber auch im mittels Katheter gewonnenen Urin!) Keimzahlen bis zu 10.000/ml vor. Als eine signifikante bakterielle Besiedelung, die einer Therapie bedarf, gelten übrigens Keimzahlen ab 100.000/ml in frischem Urin. Es macht also ausgesprochen wenig Sinn, sich frischen, keimhaltigen Urin auf die ebenfalls mit Bakterien besiedelte Haut zu geben in der Hoffnung, dass möglichst schnell das Wasser verdampft und dann der Harnstoff die Angelegenheit irgendwie regelt. Hierfür ist eine harnstoffhaltige Salbe aus der Apotheke besser geeignet, die nicht nur keine Bakterien, sondern auch mehr Harnstoff enthält. | | Um es auf den Punkt zu bringen: Der Harnstoff im Urin verschlechtert auf der Wunde die Wachstumsbedingungen für Keime, in dem er diesen das Wasser entzieht. Es fragt sich nur, was daran gesund sein soll, Urin auf eine Wunde zu geben, da Urin selbst bakterienhaltig ist. Urin ist bei einem Gesunden nur dann keimfrei, wenn er direkt durch eine Punktion aus der Blase gewonnen werden kann. Durchfließt der Harn den unteren Harnleiter, wird er zwangsläufig von den dort angesiedelten Bakterien verunreinigt. Normalerweise liegen dann im Mittelstrahlurin (aber auch im mittels Katheter gewonnenen Urin!) Keimzahlen bis zu 10.000/ml vor. Als eine signifikante bakterielle Besiedelung, die einer Therapie bedarf, gelten übrigens Keimzahlen ab 100.000/ml in frischem Urin. Es macht also ausgesprochen wenig Sinn, sich frischen, keimhaltigen Urin auf die ebenfalls mit Bakterien besiedelte Haut zu geben in der Hoffnung, dass möglichst schnell das Wasser verdampft und dann der Harnstoff die Angelegenheit irgendwie regelt. Hierfür ist eine harnstoffhaltige Salbe aus der Apotheke besser geeignet, die nicht nur keine Bakterien, sondern auch mehr Harnstoff enthält. |