Perna canaliculus - Ernte in Neuseeland
Diätetisches Lebensmittel "Lyprinol" mit Extrakten von Perna canaliculus

Grünlippmuschel-Produkte (Grünschalmuschel-Extrakte) enthalten Extrakte aus Grünlippmuscheln (Perna canaliculus) und werden in der Alternativmedizinszene zur Behandlung von entzündlichen Erkrankungen wie (rheumatoider) Arthritis und Asthma beworben. Wirksam sollen dabei Glykosaminoglykane (langkettige Aminozuckerverbindungen) sein, die auch in der Gelenkflüssigkeit (Synovialflüssigkeit) vorkommen.

Studien zeigen eine Wirksamkeit im Tierversuch und beim Menschen; problematisch sind mögliche Belastung mit verschiedenen Algentoxinen.

Die Grünlippmuschel (Perna canaliculus) ist als Lebensmittel beliebt und erinnert an die Miesmuschel. Neuseeland ist derzeit der weltgrößte Anbieter dieser New Zeeland Greenlip Oyster (Green Shell Mussel) genannten Muscheln. Die Muscheln aus Neuseeland werden auch unter dem Markennamen "Greenshell" vermarktet. Ein typisches Produkt ist "Seatone", ein gefriergetrockneter Extrakt der neuseeländischen Grünschalmuschel. Im Jahre 2000 wurden mit Grünlipp- / Grünschalprodukten über 120 Mio. neuseeländische Dollars umgesetzt.

Die Saison für die Ernte dieser Muscheln ist ganzjährig. Nach einer Wachstumszeit von 1,5 Jahren ist die Muschel erntefähig bzw. die Ernte erfolgt ab einer Mindestgröße von 10 cm. Neben den USA ist Spanien der zweitgrößte Importeur von Grünlippmuscheln.

Etwa 20% der Ernte wird im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel, als diätetisches Lebensmittel und als Zusatzstoff für Tiernahrung (insbesondere Hundefutter) angeboten. Dabei wird aus 40 kg Muscheln 1 kg Extrakt hergestellt. Nahrungsergänzungsmittel auf Basis dieser Extrakte werden als gefriergetrocknetes Muschelfleisch-Pulver und als Muschelfleischöl im Internet zur Therapie diverser Erkrankungen unter der Bezeichnungen wie Lyprinol, Perna oder anderen Bezeichnungen angeboten. Die Preise sind unterschiedlich; 1 kg Extraktrohware ist ab 75 Euro erhältlich.

Trotz einiger vielversprechender Studienergebnisse gibt es zur Zeit kein zugelassenes Arzneimittel, das Inhaltsstoffe aus Perna canaliculus enthält (Stand 2012). Dies ist erstaunlich, da bereits auf dem Markt befindliche und seit langem etablierte entzündungshemmende Arzneimittel (insbesondere NSAR und kortisonhaltige Mittel) neben ihrer nachgewiesenen Wirkung auch stets ein jeweiliges Nebenwirkungsspektrum haben (beispielsweise Blutungsneigung, Gerinnungshemmung, Auslösung von Asthmaanfällen oder Magengeschwüre). Anwender die hoffen von den Inhaltsstoffen profitieren zu können sind daher gezwungen auf Lebenmittel und siätetische Lebensmittel zurückzugreifen und müssen dabei sich auf die Angaben der jeweiligen Hersteller zum Inhalt der Produkte verlassen, die als Lebensmittel keinem Zulassungsverfahren analog zu Arzneimitteln unterworfen waren. Insbesondere muss der Käufer den Herstellerangaben zu Konzentrationsangaben, Abwesenheit kontaminierender Mikrooganismen und zum Schwermetallgehalt vertrauen.

Grünlippmuschel-Extrakte und der Arachidonsäurestoffwechsel

Grünlippmuscheln enthalten eine Substanz, die - z.B. analog zu Weihrauch - in den Arachidonsäurestoffwechsel eingreift und die Umwandlung von 5-Lipoxyoxygenase zu Leukotrienen bzw. 5-Hydroxy-Eicosatetraensäure (5-HETE) hemmt. Auch bremst sie die Umwandlung von 12-Lipooxygenase in 12-HETE[1]. Viele der genannten Substanzen aus Perna canaliculus spielen eine Rolle bei Entzündungsprozessen.

Wissenschaftliche Studienlage

In diversen klinischen Studien wurde in den letzten Jahren die entzündungslindernde Wirkung von Grünlippmuschel-Extrakten beim Menschen und in Tierversuchen untersucht. Aktuell (2012) liegen nur drei Übersichtsarbeiten (reviews) zum Thema vor. Bis zum Jahre 2008 lagen nur vier so genannte RCT-Studienergebnisse (randomized clinical trials) vor.

Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2006, die die bis dahin gemachten Studien zusammenfassend bewertet, kam zum Ergebnis, dass es bislang keine ausreichenden Wirksamkeitsbelege gibt, die eine Anwendung beim Menschen als entzündungshemmendes Mittel rechtfertigen würde. Weitere Forschungen seien nötig. Zitat:

"Conclusion
There is little consistent and compelling evidence, to date, in the therapeutic use of freeze-dried green-lipped mussel powder products for rheumatoid or osteoarthritis treatment, particularly in comparison to other cheaper alternative nutriceutical supplements of proven efficacy. However, further investigations are necessary to determine whether green-lipped mussel supplements, such as Seatone, are therapeutic options in the management of arthritis."
[2]

Eine Auswertung von 2008 ist in Bezug auf die Wirksamkeit von auf dem Alternativmedizinmarkt "komplementär" angebotenen Inhaltsstoffen aus Perna canaliculus bei Gelenkentzündungen optimistischer. Demnach würden zum Zeitpunkt der Studie nur vier randomisierte RTC-Studien vorliegen, von denen nur drei placebokontrolliert seien. Keine einzige Studie würde die Therapie mit Lyprinol mit einer etablierten Therapie vergleichen. (No RCTs comparing GLM to conventional treatment were identified. All four studies assessed GLM as an adjunctive treatment to conventional medication for a clinically relevant time in mild to moderate OA.) Zwei Studien, die positive Effekte aufzeigen seien nicht für eine Übersicht auswertbar schreiben die Autoren, weil Unklarheit über die Verblindung herrsche und ungeeignete statistische Verfahren benutzt worden seien. Die beiden einzig auswertbaren Arbeiten lassen auf eine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung bei milden und mittelgradisgen Formen einer Osteoarthritis schliessen.[3]

Mögliche Kontamination durch Bakterien und Algen und mögliche Toxinbelastung

Wie bei jedem Naturprodukt, sind auch beim Grünlippmuschelextrakt bestimmte Gefahren nicht auszuschließen.
Grünlippmuscheln ernähren sich von Plankton. Dieses beinhaltet Algen und Bakterien und andere Mikroorganismen (besonders die hochgiftigen Dinoflagellaten [1]), die wiederum Nervengifte gegen ihre Fressfeinde produzieren. Jene Gifte müssen nicht automatisch für Grünlippmuscheln tödlich sein, können aber wiederum beim Nächsten in der Nahrungskette durch Anreicherung der Gifte zu Problemen führen. MacKenzie et al. (2002) untersuchten Grünlippmuscheln von der nördlichen Westland-Coast der neuseeländischen South Island, die während einer Algenblüteperiode geerntet wurden, in denen auch die Grünlippmuscheln gut wuchsen. In Abhängigkeit der jahreszeitlichen Wachstumsstärke des Algenplanktons zeigte sich entlang einer 110 km langen Prüfstrecke entlang der Küste ein ganzes Spektrum diverser Algentoxine in den Grünlippmuscheln. Man fand pro 100 g Lebensgewicht u.a. 94-164 Microgramm Yessotoxin, 13.5-188 Microgramm 45OH-Yessotoxin, 0.8-19.3 Microgramm Pectenotoxin 2 und 22-1.132 Microgramm Pectenotoxin 2-SA. Es wurde noch einige weitere Algentoxine festgestellt.

So beschrieben Morohashi et al. (1999), die im Jahre 1993 auf der neuseeländischen Coromandel Peninsula, North Island Grünlippmuscheln gesammelt hatten, eine Belastung mit dem Algengift Brevetoxin. Wenn die belasteten Muscheln von Fischen gefressen werden, kommt es in deren Organismus zu einer Umwandlung in Analoga (Brevetoxin B2 bis -B4), was wiederum zu Fischsterben, aber auch zu Vergiftungserscheinungen bei jenen führen kann, die diese Fische ggf. im Rohzustand verzehren.

Auch Todesfälle sind möglich. So wurde im Jahr 2008 über eine Patientin berichtet, die über einen längeren Zeitraum ein Nahrungsergänzungsmittel, das u. a. Grünlippmuschelkonzentrat enthielt, eingenommen und eine toxische Hepatitis entwickelt hatte. Die Patientin verstarb an den Folgen der Leberparenchymschädigung und Multiorganversagen. Der Zusammenhang zwischen der Noxe und der aufgetretenen Symptomatik ist möglich[4].

Das Problem der Algentoxinbelastung in Neuseeland ist nicht neu. Seit 1992 wurde eine konsequente Suche der saisonalen Meerwasserbelastung hinsichtlich der marinen Biotoxine vorgenommen, weil sich immer wieder Lebensmittelvergiftungen u.a. nach Muschel- oder Fischkonsum einstellten, die auf Algentoxine zurückgeführt werden konnten. Ein Report des neuseeländischen Gesundheitsministeriums (MarineBiotoxinReportDec2000.pdf) gibt hierzu einen Überblick.

Aufgrund der Möglichkeit, dass es bei der Erzeugung der Grünlippmuschelextrakte zu einer Anreicherung dieser Algengifte kommen kann, besteht durchaus die Gefahr, sich bei der dauerhaften Einnahme von Grünlippmuschel-Extrakten einer chronischen Vergiftung mit Algentoxinen auszusetzen. Im Gegenzug besteht aber ebenfalls die Möglichkeit, dass die Anbieter entsprechender Nahrungsergänzungen vorher geprüftes und sauberes Muschelmaterial verwendet haben. Plant man, Grünlippmuschelextrakt einzunehmen, sollte man sich glaubhafte Laboranalysen vorlegen lassen, die eine geringe oder am besten fehlende Belastung der Rohware beweist. Die Analyse sollte von einem staatlichen Lebensmittelprüflabor stammen und mittels einer LC-MS/MS-Methode durchgeführt worden sein.

Bisher wurde nur über wenige ernste Schadenfälle in der Literatur berichtet. Problematisch kann jedoch eine Belastung mit verschiedenen Algentoxinen sein.

Prinzipiell können Grünschalmuscheln Schwermetalle anreichern. In einer Studie wurde jedoch festgestellt, dass einerseits die Schwermetallbelastung vertretbar gering ist und unter gesetzlichen Grenzwerten liegt, und andererseits ein üblicher gelegentlicher Verzehr der Muscheln nicht zu einer über unzumutbaren Schwermetallaufnahme führt. Einzig ureinwohner von Neuseeland, die regelmässig große Mengen der Muscheln konsumieren würden, wären möglicherweise einer übergrenzwertigen Schwermetallaufnahme ausgesetzt.[5]

Sekundärliteratur

  • Brien S, Prescott P, Coghlan B, Bashir N, Lewith G. "Systematic review of the nutritional supplement Perna Canaliculus (green-lipped mussel) in the treatment of osteoarthritis.", QJM. 2008 Mar;101(3):167-79. Epub 2008 Jan 25. PMID: 18222988
  • Cobb CS, Ernst E. "Systematic review of a marine nutriceutical supplement in clinical trials for arthritis: the effectiveness of the New Zealand green-lipped mussel Perna canaliculus.", Clin Rheumatol. 2006 Mai;25(3):275-84. Epub 2005 Oct 12. PMID: 16220229
  • Halpern GM: "Anti-inflammatory effects of a stabilized lipid extract of perna canaliculus (Lyprinol®)". Allergie Immunologie, 32, 272-278, 2000

Primärliteratur

  • Couch RAF, Ormrod DJ, Miller TE, Watkins WB: Anti-inflammatory activity in fractionated extracts of the green-lipped mussel. N Z Med J, 24, 803-806, 1982
  • Gibson RG, Gibson SLM, Cnoway V, Chappell D: Perna canaliculus in the treatment of arthritis. The Practioner, 224, 955-960, 1980
  • MacKenzie L, Holland P, McNabb P, Beuzenberg V, Selwood A, Suzuki T: Complex toxin profiles in phytoplankton and Greenshell mussels (Perna canaliculus), rvealed by LC-MS/MS analysis. Toxicon, 40, 1321-1330, 2002
  • Miller TE, Ormrod D: The anti-inflammatory activity of perna canaliculus (NZ green lipped muscle). N Z Med J, 92, 187-193, 1980
  • Morohashi A, Satake M, Naoki H, Kaspar HF, Oshima Y, Yasumoto T: Brevetoxin B4 isolated from greenshell mussels Perna canaliculus, the major toxin involved in neurotoxic shellfish poisoning in New Zealand. Natural Toxins, 7, 45-48, 1999
  • Rainsford KD, Whitehouse MW: Gastroprotective and anti-inflammatory properties of green lipped mussel (Perna canaliculus) preparation. Arzneim Forsch Drug Res, 30, 2128-2132, 1980
  • Caughey DE, Grigor RR, Caughey EB, Young P: Perna canaliculus in the treatment of rheumatoid arthritis. Eur J Rheum Inflam, 6, 197-200, 1983

Quellenverzeichnis

  1. Halpern GM: "Anti-inflammatory effects of a stabilized lipid extract of perna canaliculus (Lyprinol®)". Allergie Immunologie, 32, 272-278, 2000
  2. Cobb CS, Ernst E: "Systematic review of a marine nutriceutical supplement in clinical trials for arthritis: the effectiveness of the New Zealand green-lipped mussel Perna canaliculus"., Clin Rheumatol, 2006, vol 25, issue 3, Seiten 275–284
  3. Brien S, Prescott P, Coghlan B, Bashir N, Lewith G. "Systematic review of the nutritional supplement Perna Canaliculus (green-lipped mussel) in the treatment of osteoarthritis.", QJM. 2008 Mar;101(3):167-79. Epub 2008 Jan 25. PMID: 18222988
  4. http://www.bfr.bund.de/cm/238/aerztliche_mitteilungen_bei_vergiftungen_2008.pdf, Seite 64f
  5. Whyte AL, Hook GR, Greening GE, Gibbs-Smith E, Gardner JP. "Human dietary exposure to heavy metals via the consumption of greenshell mussels (Perna canaliculus Gmelin 1791) from the Bay of Islands, northern New Zealand.", Sci Total Environ. 2009 Jul 1;407(14):4348-55.
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