Das Mitochondrium (links Schema, rechts EM-Aufnahme)

Als Mitochondrienmedizin kann ein alternativmedizinisches Denkmodell bezeichnet werden, das postuliert, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Erkrankungen des Menschen sich alleine oder in Kombination aus einer unterstellten Funktionsstörung der Mitochondrien ergebe. Die hier gemeinte außerwissenschaftliche Mitochondrienmedizin ist nicht mit der Erforschung bekannter und allgemein anerkannter, und in der Regel von der Mutter vererbter Störungen der Mitochondrienfunktion (Mitochondriopathien) zu verwechseln.

Eine zunehmende Störung der Mitochondrienfunktion wurde in der Vergangenheit auch als vermeintliche Ursache des Alterns angenommen.

Als eine Absurdität sind Annahmen zu bezeichnen, nach denen "leckgeschlagene" Mitochondrien durch ihren "Energiegehalt" zu einer spontanen menschlichen Selbstentzündung führen könnten.

Die hier gemeinte Lehre einer Mitochondrienmedizin ist neben zahlreichen anderen alternativmedizinischen Methoden auch Ausbildungsgegenstand für einen Masterlehrgang am Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) der Europa-Universität Viadrina.[1]

Zum Begriff einer Mitochondrienmedizin findet sich in der deutschsprachigen Wikipedia kein Eintrag.

Mitochondrien

Mitochondrien sind Organellen, die sich bei fast allen Eukaryoten (Organismen mit zellkernhaltigen Zellen) vorkommen, so auch beim Menschen. Sie fehlen beim Menschen beispielsweise in den roten Blutkörperchen. Sie sind von einer doppelwandigen Membran umschlossen und besitzen eine eigenständige, ringförmige DNA, die in ihrer Struktur der Bakterien-DNA ähnelt. Mitochondrien gehen durch Teilung auseinander hervor. Mitochondrien werden (bis auf wenige Ausnahmen) über das Plasma der Eizelle von der Mutter vererbt, daher kann die Mitochondrien-DNA zur Erforschung mütterlicher Verwandtschaftslinien verwendet werden.

Die Aufgabe der Mitochondrien ist es, als "Kraftwerke der Zelle", unter Sauerstoffverbrauch durch Fettsäureverbrennung, Abbau von Acetyl-CoA sowie oxidative Phosphorylierung in der Atmungskette energiereiche Adenosintriphosphatmoleküle (ATP) für die Zellen zur Verfügung zu stellen.

Alternativmedizinische Mitochodrienmedizin

Die in diesem Artikel hauptsächlich thematisierten Hypothesen und Denkmodelle unterscheiden sich von den wissenschaftsmedizinisch her bekannten und dokumentierten Mitochondriopathien in mehrfacher Hinsicht:

  • Die gemeinten Zuständen sollen erworbenen Funktionsstörungen der Mitochondrien entsprechen, und nicht angeborenen Erbkrankheiten
  • Die behaupteten Symptome entsprechen nicht den bekannten Symptomen für bekannte selektive Störungen einer Mitochondrienfunktion
  • Die behaupteten Symptome beziehen sich auf sehr unterschiedliche Krankheitsbilder, die bei medizinisch bekannten Zuständen ebenfalls vorkommen, aber hier nicht (oder nicht ausreichend) differentialdiagnostisch berücksichtigt werden. Als Symptome bzw. Krankheiten, die durch eine Mitochondriendysfuktion ausgelöst würden, werden Burn-out Syndrom, Allergien, Autoimmunerkrankungen, degenerative Störungen, Glaukom und Altersblindheit, Immundefizite oder Krebs genannt
  • Krebs als Folge einer selektiven Mitochondriendysfunktion ist eine häufig anzutreffende Meinung unter Anhängern einer "Mitochondrienmedizin", für die aber keine belastbaren Belege vorliegen
  • Therapeutisch werden häufig Nahrungsergänzungsmittel und Ernährungshinweise genannt

Verfahren, die auf den hier geschilderten Annahmen beruhen, sind beispielsweise die Bioimmuntherapie nach Tallberg und die Redifferenzierungstherapie nach Kremer. Aber auch von Anhängern der Idee die Warburg Hypothese therapeutisch umzusetzen, wird häufig davon ausgegangen, dass eine Mitochondriendsysfunktion zu Krebs führe. Dies ist auch bei der Krebsdiät nach Coy zu beobachten. Andere Anhänger einer Mitochondrienmedizin setzen auf Mittel aus der Orthomolekularen Medizin, Laserpointer-Geräte zur Zufuhr von "Energie" oder andere pseudomedizinische Geräte die Biophotonen freisetzen sollen wie das Lichttherapie-Produkt BioPhoton Prophymed.

Engagierte Vertreter der hier gemeinten Annahmen sind die deutschen Ärzte Heinrich Kremer, Juliane Sacher, Rainer Mutschler (Zentrum aller chronischen Erkrankungen ist die Mitochondrienstörung) und Enrico Edinger. Ein Vertreter der Mitochondrienmedizin ist auch der Rostocker Internist Bodo Kuklinski, der eine Krankheitslehre und Therapie im Spannungsfeld zwischen Mitochondrienmedizin und orthomolekularer Medizin vertritt, und letzendlich eine große Zahl von Erkrankungen auf Einwirkungen auf die Halswirbelsäule zurückführt, die zu oxidativem Stress und Mitochondrienfehlfunktion führen sollen. Neurologe und "Revitalisierungsmediziner" Edinger behauptet beispielsweise über das Thema Analyse der Herzrhythmusvariabilität (HRV) in der Behandlung von Herzkreislauferkrankungen durch die Mitochondriale Energiemedizin sich in Russland habilitiert zu haben. Auch der Medizingeschäftsmann und ehemalige Krankenpfleger Lothar Hirneise beruft sich auf die Mitochondrienschädigungshypothese. Zitat: Wenn ich also in den nächsten 20/30 Minuten das Wort Krebs benütze, dann meine ich folgendes damit: Krebs ist zuerst ein Selbstheilungsversuch, eine ganz normale "Problematik" unseres Körpers, die mit Sicherheit den Ursprung in der Zellmembran bzw. in den Mitochondrien hat.

Mitochondriopathien in der Medizin

 
Mitochondriopathie in einer Muskel-Biospsie

In der wissenschaftlichen Medizin sind etwa 50 verschiedene, ausschließlich von der Mutter vererbte Erbkrankheiten bekannt, die auf eine Funktionsstörung der Mitochondrien (Mitochondriopathie) bzw. Enzymdefekte in den Mitochondrien zurückgehen. Bei Mitochondropathien sind insbesondere Organe betroffen, in denen besonders viel Energie bereitgestellt werden muss, wie Gehirn und Muskulatur. Die Diagnose einer angeborenen Mitochondriopathie kann durch eine Muskelbiopsie gesichert werden. Da es sich in der Regel um Erbkrankheiten handelt, ist eine ursächliche Therapie bisher nicht möglich. Nur sehr, sehr selten kann es durch Vergiftungen zu einer selektiven Dysfunktion der Mitochondrien kommen.

Leitbefund der Mitochondriopathien sind hohe Milchsäurewerte (Laktazidose) durch Aufstau von Pyruvat vor dem Citratzyklus.

Weblinks

Quellennachweise