Mit dem Begriff Ariosophie werden die rassistischen und okkulten Lehren bezeichnet, die Guido von List und Jörg Lanz von Liebenfels zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten. Sie hatten maßgeblichen Einfluss auf die völkische Bewegung dieser Zeit, die auch eine Keimzelle des Nationalsozialismus war.

Lehre und prominente Vertreter

Die Ariosophie greift v.a. auf zentrale Gedanken der Theosophie zurück, einer antimodernen okkulten Weltanschauung. Unter anderem postuliert die Theosophie die Existenz von „Wurzelrassen“, die mit bestimmten Zeitaltern der Menschheitsgeschichte identisch seien, allerdings ohne eine Bewertung der einzelnen Rassen vorzunehmen. Die Ariosophen verbanden diese Ideen mit den Theorien des Schriftstellers Arthur de Gobineau über die Höherwertigkeit der arischen Rasse. Verbindendes Merkmal der Ariosophen ist es, dass sie sich vor allem auf die germanische Mythologie berufen, aber auch in eklektischer Manier christliches Gedankengut und indische und nahöstlichen Mythen in ihre Weltanschauung einbinden.

Guido von List gilt als Begründer der Ariosophie. Das deutsche Volk ist laut List Nachkomme der Arier, der zur Weltherrschaft bestimmten Herrenrasse. Er sieht die Armanen (diese Bezeichnung setzt sich aus Arier und Germanen zusammen), eine mystische Priesterkaste, als Hüter eines uralten Wissens der Germanen. Durch die gewaltsame Christianisierung ging dieses größtenteils verloren. Nur in Runeninschriften sei es noch in verschlüsselter Form erhalten. List gewann seine Erkenntnisse über die Bedeutung germanischer Runen, die er 1907 in dem Werk Das Geheimnis der Runen niederlegte, nicht durch archäologische oder linguistische Forschung, sondern durch Eingebungen. Er nannte diese Technik „Erberinnern“. Auf diese Weise meinte er erfahren zu haben, dass die Armanen neben weitreichenden kosmologischen, astronomischen und medizinischen Kenntnissen auch über magische Fähigkeiten verfügten. List strebte nach der Rekonstruktion der "Wotansreligion", seiner Meinung nach die älteste und erhabenste Religion der Welt.[1] Bei ihm finden sich bereits starke dualistische Elemente. So stellte er germanische Mystik der lateinischen Rationalität gegenüber und brandmarkte Juden als rassisch minderwertiges „Schmarotzervolk“.[2] Die Vermischung der arischen Rasse mit anderen lehnte er strikt ab.

Der ehemalige Mönch Adolf Lanz, der sich Baron Dr. Jörg Lanz von Liebenfels nannte und ein Schüler Lists war, kombinierte Lists Ideen mit christlichen Elementen und Versatzstücken aus der Artus-Sage. In einem prähistorischen Paradies hätten die Arier als reinblütige und halbgöttliche Rasse gelebt, bis es durch die Vermischung mit niederen Rassen zum Sündenfall kam. Dadurch verloren die Arier ihre überragenden magischen und intellektuellen Fähigkeiten. Abhilfe sollte die „Rückzüchtung“ der arischen Rasse schaffen. Dazu wollte Lanz „Zuchtmutterklöster“ errichten, wo sich blonde und blauäugige Männer mit ausgewählten Frauen fortpflanzen sollten. „Minderrassige“, wozu er auch die Juden zählte, sollten deportiert und sterilisiert werden. Lanz verbreitete seine Ideen von 1905-1930 in der Zeitschrift „Ostara - Briefbücherei der Blonden und Mannesrechtler“. Von Adolf Hitler ist bekannt, dass er ein begeisterter Leser war.[3] Ariosophische Elemente spielten in der Ideologie des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle. Hitler selbst war jedoch stets darauf bedacht, Distanz zu den als wunderlich und verschroben geltenden Ariosophen zu wahren.

Ariosophische Organisationen

Die Ariosophen schlossen sich in verschiedenen Organisationen zusammen. Lanz von Liebenfels gründete 1905 in Wien die Guido-von-List-Gesellschaft, die sich bald zu einem Zentrum des österreichischen Antisemitismus entwickelte. Auch im deutschen Kaiserreich entstanden Ableger der List-Gesellschaft. Als inneren Zirkel der Gesellschaft gründete List 1911 den Hohen Armanen Orden. In ihm sah List die Keimzelle für die Führer der zur Weltherrschaft bestimmten Arier.[4] Lanz erwarb 1907 Burg Werfenstein an der Donau, um von dort seinen Orden des Neuen Tempels (ONT) zu betreiben. Lanz hisste auf seiner Burg eine Swastika-Fahne; das Symbol hielt er für altgermanisch. Er und seine Anhänger führten auf der Burg im so genannten Gralraum „Rituale“ durch, in denen sie Gott beschworen, die „Minderrassigen“ zu vernichten und die Arier wieder zur Weltherrschaft zu führen.

Nach 1945

Adolf und Sigrun Schleipfer gründeten 1976 den Armanenorden, der heute innerhalb rechter neuheidnischer Gruppen eine wichtige Rolle spielt[5]. Er vertreibt u.a. die Schriften von Lanz und List und setzt sich für die Verbreitung der "Wotansreligion" ein. Sigrun Schleipfer, die sich mittlerweile „von Schlichting“ nennt, erwarb 1995 „Feenschloss“ Rothenhorn (bei Szlichtyngowa im westlichen Polen), um es zu einem Zentrum eines heidnischen Germanentums auszubauen. Im Jahr 2000 wurde auch der ONT wiedergegründet; das Ordenshaus befindet sich in Leipzig.[6]

Quellennachweise

  1. Sünner, Rüdiger: Schwarze Sonne. Entfesselung und Missbrauch der Mythen im Nationalsozialismus und rechte Esoterik, Freibug i.B. 1999, 18
  2. Sünner, Rüdiger: Schwarze Sonne. Entfesselung und Missbrauch der Mythen im Nationalsozialismus und rechte Esoterik, Freibug i.B. 1999, 19
  3. Barth, Claudia: Über alles in der Welt – Esoterik und Leitkultur, Aschaffenburg 2003, 51
  4. Barth, Claudia: Über alles in der Welt – Esoterik und Leitkultur, Aschaffenburg 2003, 50
  5. http://www.relinfo.ch/ao/info.html
  6. http://www.deutschekirche.drhr.de/index.php?action2=Ordenszentrum&root=002