Eurythmie in der Anthroposophie
Das Goetheanum in Dornach

Die Anthroposophie (von griechisch Weisheit vom Menschen) ist eine theosophisch inspirierte neugnostisch-esoterische Weltanschauung europäischer Prägung, die von dem österreichischen Hellseher und autodidaktischen Philosophen Rudolf Steiner begründet wurde und untrennbar mit seiner Person und Funktion als selbsternanntem Menschheitsführer verbunden ist. In ihr finden sich auch christliche Einflüsse (wiederzufinden in der Steiner'schen Christologie und der Christengemeinschaft) sowie Elemente aus dem Rosenkreuzertum. Die Anthroposophie wird von ihren Anhängern als "Geisteswissenschaft" bezeichnet, im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Geisteswissenschaften.

Steiner benutzte den Begriff Anthroposophie erstmals 1902 während seiner Tätigkeit für die Theosophische Gesellschaft (1902–1913). Der Begriff der Anthroposophie war jedoch bereits im 16. Jahrhundert im Gebrauch[1] als Wissenschaft des Guten.

Heutige Belange der Anthroposophie werden von der Anthrosophischen Gesellschaft gesteuert. Bei dieser handelt es sich um eine der bedeutendsten und bestetablierten Esoterikgruppierungen des deutschsprachigen Raumes. Sie verfügt über weitverzweigte Wirtschaftsbetriebe (Wala, Weleda, Demeter), über eigene Banken, Finanzgesellschaften, Film- und Fernsehproduktionsstätten, Krankenhäuser, Studienzentren und private Hochschulen. Hinzu kommen mehrere Buch- und Zeitschriftenverlage. Finanzkräftige Unterstützung erhält die Anthroposophische Gesellschaft aus der Wirtschaft, aus staatlichen Subventionen sowie über Spenden und Schenkungen. Ihre Mitgliederzahl dürfte im deutschsprachigen Raum bei knapp 30.000 Mitgliedern liegen.

Anthroposophie als esoterische Lehre

Der Bezug zur Esoterik wird aus der Tatsache ersichtlich, dass Steiner im Zusammenhang mit der Anthroposophie von der "Geheimwissenschaft" und ihrem spezifischen "Schulungsweg", der schrittweisen "Einweihung" sprach. Mit Hilfe der Anthroposophie soll Eingeweihten ein Zugang zu höherer Erkenntnis einer übersinnlichen Weltanschauung möglich sein. Voraussetzung dafür ist ein spezieller Schulungsweg zu den Offenbarungen Steiners.

Anthroposophisches Credo

Nach Steiners "Erkenntnis" besitze der Mensch nicht nur den physischen Leib, sondern verfüge über drei weitere (aurische) Leiber, die wie russische Puppen oder Zwiebelschalen hierarchisch ineinander verschachtelt sind. In jeweils siebenjährigen Abständen sollen zusätzlich höhere Leiber erreicht werden. Der "Ätherleib" ergäbe sich im Alter von sieben Jahren und repräsentiere das Pflanzenreich und damit die Lebens- und Wachstumskräfte des Organismus. Der im Alter von vierzehn Jahren sich gebärende "Astralleib" repräsentiere das Tierreich und damit die Instinktkräfte. Der mit einundzwanzig Jahren hinzukommende "Ich-Leib" umfasse, als geistiger Wesenskern des Menschen, die drei anderen Leiber und trage, von Wiedergeburt zu Wiedergeburt, zu dessen Höherentwicklung bei. O-Ton Steiner: Dieser 'Ich-Leib' ist der Träger der höheren Menschenseele. Durch ihn ist der Mensch die Krone der Erdenschöpfung. Das 'Ich' ist aber in den gegenwärtigen Menschen keineswegs eine einfache Wesenheit. Man kann seine Natur erkennen, wenn man die Menschen verschiedener Entwicklungsstufen miteinander vergleicht. Man blicke auf den ungebildeten Wilden und den europäischen Durchschnittsmenschen [...]. Sie alle haben die Fähigkeit, zu sich 'Ich' zu sagen; der 'Ich-Leib' ist bei allen vorhanden. Der ungebildete Wilde folgt aber seinen Leidenschaften, Trieben und Begierden mit diesem 'Ich' fast wie ein Tier. Der höher Entwickelte sagt sich gegenüber gewissen Neigungen und Lüsten: diesen darfst du folgen, andere zügelt er und unterdrückt sie [...]. Auch nach der Geburt des "Ich-Leibes" setze sich laut anthroposophischem Credo die menschliche Entwicklung in "Lebensjahrsiebten" fort. Eine Störung in der ausgewogenen Balance der einzelnen Leiber beziehungsweise Seelen - besonders vor dem Eintritt in ein neues "Jahrsiebt" komme es regelmäßig zu einschneidenden Krisen - bedeute Krankheit im anthroposophischen Sinne, die mit der eigenen anthroposophischen Medizin angegangen wird.

Für Anthroposophen ist der Reinkarnationsgedanke also geistige Realität. In Steiners "geistiger Welt" absolvieren die Menschen "wiederholte Erdenleben". In jedem dieser Leben muss als Karma eine Rechnung aus dem jeweils vorausgegangenen Dasein beglichen werden, andererseits können Pluspunkte für die nächste Erdenpräsenz gesammelt werden. Pluspunkte sammelt der Anthroposoph, indem er sein Leben, Denken, Handeln und Fühlen von der anthroposophischen "Weisheit" leiten lässt.

Engel und Erzengel gegen Luzifer und Ahriman

 
Ahriman

Engel und Erzengel spielen genauso eine zentrale Rolle im anthroposophischen Selbstverständnis wie ihre Gegenspieler Luzifer und Ahriman. Steiners Schriften sind durchzogen von Angeloi, Archangeloi, Exusai, Kyriotetes, Seraphimen.

Luzifer (lat.: lichtbringend) bezeichnet den Planeten Venus als Morgenstern. Die Gleichsetzung mit dem Satan beruht auf einer Missinterpretation des hebräischen Urtextes der Bibel und seiner Falschübersetzung. Sie bezieht sich auf das Bibelzitat Jes 14,12-14 EU[2]. Jedoch hat die dort erscheinende Allegorie eines untergehenden Morgensterns (Venus) nichts mit dem christlichen gefallenen Engel Luzifer zu tun, sondern bezieht sich auf den Untergang des babylonischen Reiches und seines Königs Nebukadnezar, der mit dem Morgenstern verglichen wird, der von der Sonne, die Israel darstellt, überstrahlt wird. Auf diese Untergangsgeschichte bezieht sich die Vorstellung, Luzifer sei der gefallene Engel Satan, der aus dem Himmel verbannt worden sei. In der Anthroposophie wird Luzifer als geistige Wesenheit beschrieben, die polar zur Wesenheit Ahriman steht. Luzifer wird charakterisiert mit Kräften des Bewegten und Auflösenden, Ahriman mit Kräften des Strukturierenden und Verhärtenden.

Ahriman ist in der Anthroposophie eine Geistige Wesenheit der Finsternis und der Widermächte, die das schädliche Prinzip des materialistisch-technischen Verstandes und der kalten Intelligenz darstellen soll.

Einflüsse

Die Anthroposophie beeinflusste die Waldorfpädagogik, die anthroposophische Medizin, die anthroposophische Architektur, die religiöse Christengemeinschaft, die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die Anthroposophische Ernährungslehre, die Anthroposophische Rassenlehre und die Bildschaffenden Verfahren als eine anthroposophisch-proprietäre Anwendung dessen, was im anthroposophischen Umfeld als wissenschaftlich angesehen wird.

Astralische Kopfbedeckung und Bekleidungsgewohnheiten

 
Anthroposophin Lilli Kolisko
 
Mützenträger und Anthroposoph Theodor Schwenk

Aufmerksamen Beobachtern fallen bestimmte Bekleidungsgewohnheiten ("Gewandung" genannt) bei Anthroposophen auf. Angaben zu einem "Kleiderkult" des aktiven Anthroposophen ist im Werk "Achtung, Anthroposophie!" von Lydie und Andreas Baumann-Bay zu finden:

"eine würdig aufrechte Haltung [...] einen Hut, eine Baskenmütze oder [...] ein Kopftuch, im Sommer [...] ein Strohhut. Die Kleidung ist wenig bis gar nicht figurbetont, meist ein bisschen zu warm für die Jahreszeit und selbstverständlich aus 100-prozentig natürlichen Materialien, bevorzugt Wolle oder Seide. Bei den Farben dominieren neben diskreten Erdfarben zarte Töne."[3][4]

Selbst info3, dem Anthroposophen-Blatt, sind derartige Eindrücke nicht fremd:

Bedrohlich wirkende Anthro-Barockbauten, klobige Holzrahmen mit einem düster blickenden Steiner-Bild, wallende Gewänder, einen betulichen Tonfall, in dem mitklingt: Ich bin schon längst weiter als du. [...]

werden dabei den angeblichen positiven "Vibrations" gegenübergestellt:

[...] Baskenmützen, graue Strumpfhosen und langweilende Frisuren – aber da war doch noch etwas anderes. [...] eine irgendwie besondere, angenehme Atmosphäre – bewusst gestaltete Räume, ansprechende Materialien, Menschen, die ihnen die Hand geben und ihnen dabei direkt in die Augen schauen [...][5]

Auf derartige Äußerlichkeiten geht auch Susann Sitzler in ihrem "Zeit"-Artkel "Wo der Weltgeist wohnt" im Jahre 2004 ein:

[...] Dann bemerkt man vielleicht, dass überdurchschnittlich viele ältere Herren eine Baskenmütze tragen. Diese Herren sind Wesen aus einer zweiten Welt, die innerhalb von Dornach und der Nachbargemeinde Arlesheim existiert. [...] Wenn man in Dornach unterwegs ist, erkennt man die Anthroposophen leicht. An den aufwändigen Zopfkonstruktionen, mit denen die Damen ihre Haare hochgesteckt haben. An den exakten, ruhigen Schritten, die wirken, als gäbe es außerhalb des eigenen Körperradius nichts, dem man Aufmerksamkeit schenken muss. [...] Im Bus sitzen schmale Damen mit geradem Rücken und ruhigem Gesicht. [...] Sie halten ruhige Gesichter gegen das milde Winterlicht, faltige junge Mädchen. Die Männer tragen Wollwesten und packen anspruchsvolle Tageszeitungen aus.[6]

Offenbar ist der Gebrauch von Kopfbedeckungen bei Anthroposophen mit Angaben von Steiner zu einer Kopfaura zu erklären, die er aus "geistigen Welten" als "geisteswissenschaftliche Wahrheiten"[7] hellgesehen haben will. Nach Steiner gehe eine "Ätherströmung vom Herzen nach dem Kopfe" [...] Es strömt also eine Substanz von dem Herzen nach dem Kopfe, in welcher Teile, substantielle Teile sowohl des Ätherleibes wie des astralischen Leibes des Menschen vorhanden sind."). Das Gehirn sei dabei durchlässig für die Ätherströmung, aber nicht durchlässig für die astralische Strömung. Diese staue sich gleichermaßen und bilde eine Art Mütze über dem Kopf. Über dem Kopf sollen sich demnach eine äußere einströmende "kosmische Astralität" und eine aufsteigende vom Herzen kommende Astralität begegnen. Steiner:

Also das, was wir als astralischen Leib um den Kopf herum fin­den, ganz in der Nähe unserer Kopfhaut, das hat gleichsam eine Verdickung, etwas wie eine Mütze, wenn ich mich paradox ausdrücken darf, die wir als astralische Substanz fortwährend auf-haben. Wir haben eine solche astralische Kopfbedeckung, die aus der Verdickung entsteht, durch welche die äußere und die innere Astralität hier in der Nähe des Kopfes gleichsam zusammengenäht werden. Durch diese astralische Haube oder Mütze dringen nun die Strahlen des Ätherleibes hindurch, da sie ja nicht aufgehalten werden vom Gehirn, und um so heller und glänzender erscheinen sie für den hellseherischen Blick, je reiner sie sind, das heißt, je weniger sie noch enthalten von den Trieben, Begierden und Leiden­schaften, von den Affekten der menschlichen Natur. Dadurch gewinnt das, was wir als die Aura des Menschen bezeichnen, eine Art von Kranz, wenn wir es von vorne anschauen, einen Kranz von Astralität, durch welchen die Strahlen des Ätherleibes des Menschen hindurchstrahlen. Das ist die Kopfaura, welche von den alten noch heilseherisch begabten Menschen bei solchen Persön­lichkeiten wahrgenommen wurde, bei denen durch die Reinheit ihres Wesens dieser Ätheraurateil hellstrahlend war: das, was als der Heiligenschein auch auf den Bildern abgebildet wird.[8]

Nach Steiner würden Kopfbedeckungen von der angenommenen "Kopfaura" abgeleitet sein:

Ich erinnere Sie daran, daß man in alten Zeiten doch eben solche Dinge gesehen hat, und das, was in der alten Zeit noch sichtbar war, den Aurenteil, hat man in der Gewandung nachgeahmt. Helme haben sich die Menschen deshalb aufgesetzt, weil sie den Helm im Sinne der astralen Mütze oder Haube, die jeder Mensch aufhat, geformt haben.

Allgemein bemängelt Steiner nun, dass zu seinen Lebzeiten der Mensch derart einem Materialismus verfallen sei, dass er eine Aura leugnen würde und auch "Gewandungen" nunmehr ablehne, die sich aus der Kopfaura ableiten würden. Dies drücke sich beispielsweise auch in der aufkommenden "Nacktkultur" (FKK) aus.[9]

Anderssprachige Psiram-Artikel

Literatur

  • Michael Grandt: Schwarzbuch Waldorf, Gütersloher Verlagshaus, September 2008. ISBN-10: 3579069950 ISBN-13: 978-3579069951. Inzwischen beklagt, siehe: [3]
  • Helmut Zander: Geschichte der Anthroposophie in Deutschland.
  • Guido und Michael Grandt: Waldorf Connection. Rudolf Steiner und die Anthroposophen, Aschaffenburg 2001
  • Peter Bierl: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik, Hamburg 2005

Weblinks

Quellennachweise

  1. Anonymes Buch Arbatel de magia veterum, summum sapientiae studium (1575) wahrscheinlich von Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim
  2. Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie bist du zur Erde gefällt, der du die Heiden schwächtest! 13 Gedachtest du doch in deinem Herzen: "Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen; 14 ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht; ich will über die hohen Wolken fahren und gleich sein dem Allerhöchsten."
  3. Baumann-Bay: "Achtung, Anthroposophie!", S.15
  4. http://www.geschichteinchronologie.ch/steiner-terror/Baumann-Bay2000_steiners-heilslehre-unheil.htm
  5. Laura Krautkrämer: "Rock me Rudolf", Info3, Januar 2011.[1]
  6. Susann Sitzler: Wo der Weltgeist wohnt - Hoch über Dornach bei Basel liegt ein faszinierender Koloss – das Heiligtum der Anthroposophen, Die Zeit, 2.12.2004 [2]
  7. Geisteswissenschaftliche Wahrheiten sind durch sich selbst wahr. Man braucht nicht ihre Bewahrheitung durch [...] äußerliche Methoden". Rudolph Steiner: GA 327, 6.Vortrag)
  8. Rudolph Steiner, 9. Vortrag in München, 26. August 1911. GA 129 Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistesoffenbarungen
  9. Rudolph Steiner, GA 129, S. 198