Logo (Bild: Wiki-Watch)
Wolfgang Stock (Bild: "Neuraltherapie Blog" des Marketingexperten Claus Fritzsche)
Kritik-Thema: Der zehnte Vorname von Karl-Theodor zu Guttenberg (Bild: W. Stock)

Wiki-Watch ist der Name eines umstrittenen internetbasierten Projekts, das sich als ein System zur Beurteilung der Qualität von Wikipedia-Artikeln versteht. Wiki-Watch stellt sich als Projekt der Europa-Universität Viadrina dar, wird aber privat betrieben.

Das Projekt geriet in die Kritik, als sich herausstellte, dass die Wiki-Watch-Betreiber auch dann Artikel bei der Wikipedia bewerteten, wenn sie selbst zuvor an diesen Artikeln Veränderungen vorgenommen hatten oder auch dann, wenn dieser Personenkreis selbst Initiator eines Wikipedia-Artikels war. Des Weiteren kam der Vorwurf des Astroturfing auf. Den am Projekt Beteiligten wurde beispielsweise vorgeworfen, Artikel zu Medikamenten der Firma Sanofi-Aventis vor kritischen Bewertungen durch Fachleute in Schutz zu nehmen. Die Kritik an Wiki-Watch erstreckte sich dabei auch auf eine verdeckte Vorgehensweise mit zahlreichen verschiedenen Benutzernamen.

Anlass zur Entstehung von Wiki-Watch soll nach Angaben der Macher eine Kontroverse bei der deutschsprachigen Wikipedia um den zehnten Vornamen "Wilhelm" des CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg gewesen sein.

Betreiber

Auf den Webseiten von Wiki-Watch und in deren Impressum firmiert das Projekt als Arbeitsstelle im Studien- und Forschungsschwerpunkt "Medienrecht" der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).[1] Auch eine Pressemitteilung der Viadrina vom Oktober 2010 vermittelt den Eindruck, dass es sich um ein universitäres Projekt handelt.[2] Tatsächlich wird Wiki-Watch aber von dem promovierten Journalisten Wolfgang Stock (geb. 1959) betrieben, dem geschäftsführenden Gesellschafter der PR-Beraterfirma Convincet GmbH. Im Studiengang "Kulturmanagement und Kulturtourismus" der Viadrina wird Stock in der Liste der Dozenten geführt. Er ist außerdem Vorstandsmitglied des "Christlichen Medienverbundes KEP". PR-Experte Stock hatte für Convincet die Videopodcasts der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel initiiert und anfänglich produziert.

Der zweite Leiter von Wikipedia-Watch ist der Jurist Johannes Weberling (geb. 1958), der als Honorarprofessor an der Viadrina beschäftigt ist. Insgesamt sollen nach Angaben von Weberling drei Personen für das Projekt tätig sein. Gemeint sind die beiden genannten Professoren, sowie ein Student.

Obwohl auf der Homepage von Wiki-Watch das Logo der Europa-Universität Viadrina abgebildet ist, gehören die dafür benutzten Domains wiki-watch.de und wiki-watch.com nicht der Viadrina, sondern sind auf die Privatadresse von Wolfgang Stock angemeldet. Die Domain wikiwatch.de, die auf die gleiche Seite führt, gehört Johannes Weberling. Auch das Logo von "Wiki-Watch" ist von Stock privat als Wort-Bild-Marke registriert worden.[3] Als telefonischer Kontakt zu Wiki-Watch ist eine private Mobilfunknummer von Stock angegeben.

Bewertungen von Wikipedia-Artikeln

Mit Mitteln der Statistik bewerten die Wiki-Watch-Beteiligten einzelne Artikel der Wikipedia hinsichtlich ihrer Qualität. Dabei werden Sterne vergeben, das Maximum sind 5 Sterne. Eingesetzt wird dabei eine abgeänderte Software der University of Santa Cruz. Kriterien zur Beurteilung sind unter anderem die Zahl der Autoren und der genannten Belege.

Die Kontrolle über die eigenen Bewertungen erfolgt durch Wiki-Watch selbst.

"Sockenpuppen-Aktivitäten" bei der deutschsprachigen Wikipedia

 
Wikipedia-Kurier vom 2. Juli 2011

Wikipedia-Autoren und Lesern fielen eine mehrjährige hartnäckige Manipulation von bestimmten Seiten der Wikipedia auf, insbesondere in den Artikeln "World Vision International" und "Wiki-Watch"sowie in zahlreichen Konfliktthemen um Religion, Homosexualität und Politik. Des Weiteren fielen Änderungen in Artikeln zur Pharmafirma Sanofi und einem Mittel für Diabetiker auf. Die Wikipedia-Accounts Wiki-Watch-de, Diskriminierung und weitere waren in massive Konflikte in Bezug auf die Artikelgestaltung verwickelt. Um die Urheberschaft dieser sog. "POV"-Beiträge (Beiträge, die keinen neutralen Standpunkt aufweisen) zu klären, wurde ein so genanntes "Check-User"-Verfahren in Gang gesetzt, um festzustellen, ob bestimmte Autoren auch als "Sockenpuppen" oder als "IP" aktiv waren. Die CU-Beauftragten der Wikipedia konnten nachweisen, dass der Account Wiki-Watch-de und diverse offen evangelikale Propagandaaccounts (User Kewn Jänkins, Diskriminierung, Advocado2010, Advocado) von ein und derselben Stelle gesteuert wurden.[4] Dies könnte bedeuten, dass mit Mitteln der Viadrina und unbekannten Drittmittelgebern versucht wurde, evangelikale Propaganda und bestimmte Ansichten zur Homosexualität zu verbreiten.[5][6] Die Accounts wurden gesperrt, da eine Zusammenarbeit im Sinne der Wikipedia nicht möglich war.

Nach Angaben der FAZ soll der Benutzerkreis um den Wikipedia-User Wiki-Watch-de auch eine spezielle Anonymisierungssoftware eingesetzt haben, um eine Zuordnung zu bestimmten Personen zu erschweren.

Geschäftsbeziehungen der Betreiber, Aktivitäten bei Wikipedia

 
(Bild: W. Stock)
 
(Bild: W. Stock)

Convincet-Geschäftsführer und Wiki-Watch-Leiter Stock hatte in mindestens einem Vortrag Krisenprävention und soziale Medien (CV-Wirtschaftszirkel Düsseldorf des Cartellverbands der katholisch deutschen Studentenverbindungen) die Gefahren negativer Aussagen in sozialen Netzwerken und Wikipedia-Artikeln erklärt und den Nutzen der Convincet-Dienste in solchen Fällen herausgestellt.[7] Nach Ansicht von Stock biete Wikipedia nicht nur „null Transparenz“, sondern sei auch „sehr wirtschafts-kritisch“. Im Vortrag ging es u.a. um die Marktreaktion auf einen Artikel in der medizinischen Fachzeitschrift Diabetologica. Im September 2009 war der Artikel Risk of malignancies in patients with diabetes treated with human insulin or insulin analogues: a cohort study veröffentlicht worden, der auf eine erhöhte Anzahl der Krebs-Neuerkrankungen (Inzidenz) bei mit dem Diabetes-Wirkstoff Insulin glargin (Markenname Lantus, hergestellt von Sanofi-Aventis) hinwies und weitere Langzeit-Untersuchungen zur Sicherheit des Produktes anmahnte.[8][9] Am Artikel waren das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und dessen damaliger Leiter Peter Sawicki maßgeblich beteiligt gewesen.[10]

Die aus dieser Veröffentlichung resultierenden Kursverluste griff Stock in seinem Vortrag auf (Seite 12). Anschließend führte er aus: „Seither: Das gesamte Web wird beobachtet!“ und „Auch der Trend von kritischen Kanälen, Themen löst Alarm aus“ (Seite 13).[11]

Als im Februar 2011 bei Wikipedia Parallelen zwischen der im Vortrag dargestellten „Case Studie 2: Insulin“ und zahlreichen vorangegangenen, gleichsinnigen Änderungen durch verschiedene Benutzerkonten, die sich auf Wolfgang Stock zurückführen lassen, zur Sprache kamen, wurden Seiten aus dem im Internet verfügbaren Vortragsdokument entfernt. Gegenüber der ursprünglichen Version fehlen in der bereinigten Version die Seiten 12 (Kursrückgang der Sanofi-Aventis-Aktie), 13 (im Zusammenhang mit der Marktreaktion ergriffene Maßnahmen zur „Beobachtung des gesamten Webs“) und 20 (Werbetext der Convincet GmbH „Es geht nicht darum, die Beiträge zu zählen, die wir finden, sondern die Beiträge zu finden, die zählen. Weil sie Ihnen schaden können.")

Aus Vortragsdokument entfernte Seiten

Die Bearbeitungen zahlreicher Benutzerkonten, zu deren Identität sich Stock teils selbst bekannte bzw. deren Identität durch zahlreiche Indizien auf ihn zurückzuführen ist, wurden in einer Aufstellung dokumentiert und verknüpft. Die aufgeführten Benutzerkonten haben verschiedene Artikel aus dem Themenbereich „Insulin glargin“ und „Sanofi-Aventis“ gleichsinnig und in einer für das Unternehmen positiven Weise bearbeitet. In diesem Rahmen wurde auch unbelegte/verzerrte/übertriebe Kritik am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) und dessen damaligem Leiter Peter Sawicki geäußert. (Im Artikel Operation Hippokrates („Die Chronologie einer Intrige.“) stellte Spiegel-Autor Markus Grill die übergeordneten politischen Vorgänge um das Institut und dessen Leiter umfassend dar.) Zu den bearbeiteten Wikipedia-Artikel gehören u. a.:

Zu den beteiligten Benutzerkonten, die einschlägige Änderungen vornahmen, zählen:

Zu den Beiträgen der einzelnen Benutzer und deren Zusammenhänge siehe IQWIGundCo (pdf-Dokument).

Artikel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung

 
Mitteilung bei "FAZ-net" über juristische Schritte gegen die FAZ nach einem Artikel über Wiki-Watch

Auf FAZ.net erschien am 1. Juli 2011 ein Artikel zu den Manipulationen im Zusammenhang mit Wiki-Watch unter dem Titel "Hier prüft der Staatsbürger das Insulin noch persönlich"[16] Am 2. Juli wurde der Artikel auch in der Printausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) veröffentlicht. Der Text auf FAZ.net ist seit dem zweiten Juli 2011 vorerst nicht mehr verfügbar, nachdem Wolfgang Stock und Johannes Weberling juristisch gegen den Text vorgegangen waren.[17] Zu den zahlreichen gleichsinnigen, durch verschiedene Nutzerkonten („Sockenpuppen“) vorgenommen Änderungen erklärte Stock im Artikel „in einem großen Haushalt mit acht Personen mit gemeinsamem Internetanschluss zu leben.“ Dabei habe er versehentlich den „K.atarina.w“ benutzt, der einer Bekannten gehöre. Andere Beiträge wurden mit einer „aktiven Haltung als Staatsbürger“ begründet.

Wolfgang Stock gab auf Facebook bekannt:

„... Wiki-Watch, Johannes Weberling und ich sind heute Opfer eines unglaublich schlecht recherchierten, in sehr vielen Punkten ganz einfach widerlegbaren, miesen FAZ-Artikels. Es fängt schon damit an, dass Wiki-Watch angeblich 6 Sterne in der Bewertung vergeben würde - dabei sind es 5... Leider hört es damit nicht auf - aber es gibt ja deutsches Presserrecht: Gegendarstellung in gleicher Größe...Klar. Digial verschwindet er nicht so schnell. Aber Dienstag/Mittwoch wird die FAZ ja per Print auf unsere rechtlichen Forderungen reagieren müssen...“[18]

Als „Streisandeffekt“ verbreiteten zahlreiche deutsche Blogs den entfernten FAZ-Artikel. Nach Rivva nahmen nach der Entfernung des Artikels die Twitter-Meldungen und Blogbeiträge zum Thema deutlich zu.[19]

Wiki-Watch und VroniPlag

Wiki-Watch engagierte sich auch gegen das anonym betriebene Projekt "VroniPlag"[20], das Dissertationen von prominenten Trägern von Doktortiteln auf Plagiate überprüft. Diesem Projekt wurde im Wiki-Watch-Blog vorgeworfen, nicht korrekt zu zitieren, dabei wurde das Projekt jedoch bezeichnenderweise fälschlich "vreniplag" genannt.[21] Bei VroniPlag war die Wiki-Watch-Gruppe auch undercover aktiv und hatte eine eigene Benutzerseite. Diese wollten die Beteiligten jedoch sofort gelöscht sehen, nachdem sie enttarnt waren. Als das nach dem Prinzip der Wikisoftware nicht wie gewünscht funktionierte, beantragten sie beim Betreiber eine Sperrung. Dem wurde auch entsprochen, die Beiträge sind aber noch über die History aufrufbar.[22]

Webseiten von Wiki-Watch

Weblinks zum Thema

Quellennachweise

  1. www.wiki-watch.de/index.php?Content=Impressum
  2. Medieninformation Nr. 181-2010 der Europa-Universität Viadrina vom 22. Oktober 2010
  3. http://register.dpma.de/DPMAregister/marke/register/3020100520442/DE
  4. http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Gustav_Mitderhupe/Wiki-Watch_Juni_2011
  5. http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Checkuser/Anfragen#.288._Dezember_2010.29_-_Benutzer:Diskriminierung
  6. http://erbloggtes.wordpress.com/2011/02/04/wiki-watch-wachter-uber-wikipedia/
  7. http://erbloggtes.wordpress.com/2011/02/04/wiki-watch-wachter-uber-wikipedia/
  8. Risk of malignancies in patients with diabetes treated with human insulin or insulin analogues: a cohort study. In: Diabetologia. 2009 September; 52(9): 1732–1744.
  9. Schlussfolgerungen des Diabetologica-Artikels: Considering the overall relationship between insulin dose and cancer, and the lower dose with glargine, the cancer incidence with glargine was higher than expected compared with human insulin. Our results based on observational data support safety concerns surrounding the mitogenic properties of glargine in diabetic patients. Prospective long-term studies are needed to further evaluate the safety of insulin analogues, especially glargine.
  10. siehe Autorenliste des o.g. Artikels
  11. Vortragsfolien in ursprünglicher Fassung
  12. „Ich habe als Autor der ersten Biographie über Merkel (…) Wolfgang Stock“
  13. Zudem Äußerung Kan900s über das Konto „Wiki-Watch-de: „Sie haben soeben den Account von meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter genutzen Account Benutzer:Wiki-Watch-de gesperrt.“
  14. Über den Artikel „Wolfgang Stock“: „Ich bin eindeutig KEINE „Person des öffentlichen Lebens“, sondern eine „weniger bekannte Person“.
  15. zahlreiche Indizien hinsichtlich der dahinter stehenden Person, vgl. http://commons.wikimedia.org/wiki/File:IQWIGundCo.pdf
  16. Jörg Wittkewitz: Hier prüft der Staatsbürger das Insulin noch persönlich, FAZ, 2.7.2011, Seite 42. Volltext als pdf
  17. http://www.faz.net/artikel/C31013/wiki-watch-zum-artikel-hier-prueft-der-buerger-das-insulin-noch-persoenlich-30453452.html
  18. http://www.facebook.com/Prof.Dr.WolfgangStock
  19. http://rivva.de/121970885
  20. http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Home
  21. http://blog.nz-online.de/vipraum/2011/06/27/wiki-experten-unter-sich/
  22. http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Benutzer_Diskussion:Wiki-Watch