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Strophanthin (auch Strophantin, en: Ouabain, verschiedene Derivate) ist ein herzwirksamer Wirkstoff pflanzlicher Herkunft, der in der Vergangenheit analog zu ähnlichen pflanzlichen Wirkstoffen wie Digitalis in der Behandlung von Herzerkrankungen eingesetzt, inzwischen obsolet wurde, aber weiterhin von einzelnen Befürwortern (meist Heilpraktiker) im alternativmedizinischen Bereich vehement und aggressiv beworben wird. Auch gibt es einige ältere Ärzte, die an ihrer Verschreibungspraxis festhalten und sich weniger an neueren Behandlungsleitlinien orientieren wollen.[1] Die Substanz kann auch in kleiner Menge tödliche Wirkungen haben. Sie wird in Afrika seit langem als Pfeilgift verwendet.[2] Die aktuelle Nichtverwendung dieses Wirkstoffs in der wissenschaftlichen Medizin wird von den Strophanthinaktivisten häufig mit Verschwörungstheorien in Zusammenhang gebracht. Entsprechende Argumentationsversuche sind häufig durch pseudowissenschaftliche Äußerungen und Anekdotenberichte gekennzeichnet. Valide Gegenargumente und Veröffentlichungen werden dabei nicht zur Kenntnis genommen. Strophanthin wird heute von den wenigen Befürwortern als ein Wundermittel bei Herzerkrankungen und als Milch des alternden Herzens dargestellt, das natürlich keinerlei Nebenwirkungen aufweise, obwohl es in Afrika seit langem als tödliches Pfeilgift verwendet wird. Dass das Mittel von einem schwedischen Pharmamulti mit Milliardenumsatz hergestellt wird, verschweigt man meist, um die abwegige Pseudoargumentation nicht in Frage stellen zu müssen, nach der dieses Mittel von der Schulmedizin unterdrückt werde. Entsprechende Horrormärchen werden von Secret-TV von Jo Conrad sowie bei Lnc-2010 verbreitet.

Chemie des Strophanthin

 
Strophantus gratus

Das Strophanthin oder Ouabain ist ein Cardenolid-Glykosid mit herzwirksamen Wirkungen (Herzglykosid). Das Aglykon ist g-Strophanthidin (Ouabagenin). Der Rezeptor für Strophanthin ist die Na+/K+-ATPase, also die Natrium-Kaliumpumpe der Herzzellen. Es gibt verschiedene Derivate des Strophanthins, die nach Herkunft entsprechend gekennzeichnet sind.

  • e-Strophanthin aus Strophanthus eminii
  • g-Strophanthin aus S. gratus und Acokanthera oblongifolia
  • h-Strophanthin aus S. hispidus
  • k-Strophanthin aus S. kombé

Am häufigsten wurde das g-Strophanthin eingesetzt, gefolgt vom k-Strophanthin.

Die Strophanthine sind weltweit in den Samen verschiedener Pflanzen zu finden. Dazu gehören vor allem afrikanische Pflanzen der Gattung Strophanthus aus der Familie der Hundsgiftgewächse. Aber auch in der Pflanze Acokanthera (Acokanthera oblongifolia, A. ouabaio und A. schimperi), die man bisweilen auch bei uns als Topfpflanze antrifft, ist das Strophanthin zu finden. Ouabain, die angelsächsische Bezeichnung für g-Strophanthin, hat seinen Namen vom afrikanischen Ouabaio-Baum (Acokanthera ouabaio), dessen Samen das g-Strophanthin enthält. Ouabaio ist die englische Schreibung des ostafrikanischen Wortes Wabayo. Das auch bei uns heimische Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis) enthält Strophanthidin, das Aglykon des k-Strophanthins, welches ebenfalls sehr giftig ist und bei Pferden tödlich sein kann.

Geschichtliches

 
John Kirk
 
Thomas Richard Fraser
 
Werbung für Kombetin

Es ist seit langem bekannt, dass einige afrikanische Völker aus den Samen der Strophanthus-Arten Pfeilgift herstellen. Strophanthin ist auch als Substanz bei Mordanschlägen bekannt. 1859 wurde die Herzwirkung des Strophanthus-Samens entdeckt, als während der Livingstone-Expedition in Afrika die Zahnbürste des Biologen John Kirk von diesem unbemerkt in Kontakt mit dem Strophanthus-Pfeilgift kam, und dieser unmittelbar darauf eine Wirkung auf das Herz bemerkte. 1862 gelang es dem schottischen Pharmakologen und Kliniker Thomas R. Fraser, aus dem Samen des Strophanthus kombé k-Strophanthin zu isolieren. 1885 wurde der Gesamtextrakt von S. kombé als Tinctura strophanthia in die Herztherapie eingeführt und 1893 ins deutsche Arzneibuch aufgenommen. 1888 isolierte der französische Chemiker Arnaud das g-Strophanthin aus Strophanthus gratus und Acokanthera ouabaio, welches ab 1904 als Reinsubstanz zur oralen Einnahme zur Verfügung stand.

Das deutsche Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim entwickelte eine intravenöse Darreichungsform als Kombetin®. Strophanthin kam 1904 als herzwirksames Mittel auf den Markt. Intravenös zugeführtes Strophanthin wurde bis 1992 bei akuter Herzinsuffizienz als schnell wirksames Glykosid im klinischen Bereich in einigen Krankenhäusern eingesetzt, bis aufgrund neuerer Erkenntnisse das Strophanthin zugunsten geeigneterer Mittel obsolet wurde. Das i.v. Strophanthin war wegen der geringen Halbwertzeit besser steuerbar als vergleichbare Herzglykoside. Ab 1950 wurde intravenöses Strophanthin in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz aufgrund des Aufkommen der oral verfügbaren Digitalis-Präparate immer weniger verwendet. Neuere große Studien zum Herzinfarkt und zur Herzinsuffizienz zeigten jedoch, dass kein Effekt auf die Mortalität oder Lebenserwartung durch Herzglykoside nachweisbar war. Es blieb bei einer symptomatischen Wirkung. Daneben war Strophanthin bei niedergelassenen Ärzten auch als oral gegebenes Mittel in Gebrauch, und zwar insbesondere in Frankreich, Deutschland sowie einigen osteuropäischen Staaten, während es außerhalb dieser Länder kaum Beachtung fand.

In den 1990er Jahren wurden Stereoisomere des g-Strophanthins (Endogenes Ouabain) als körpereigene Hormone bekannt,[3] die offenbar eine Rolle bei der Entstehung des Bluthochdrucks spielen[4] und Ausgangspunkt zur Entwicklung zukünftiger Mittel gegen Bluthochdruck (z.B. Rostafuroxin) sind.

Aktuelle Situation

Heute plädieren die internationalen Leitlinien generell erst an zweiter Stelle für Herzglykoside (zu denen das Strophanthin gehört), dann aber für Digitoxin, Digoxin oder deren Abkömmlinge.[5]

Strodival/Stodival MR und homöopathische Strophanthin-Mittel

Aktuell ist Strodival (als orales Kardiakum) des schwedischen Pharmamultis Meda erhältlich. Des Weiteren gibt es diverse homöopathische Zubereitungen mit Strophanthin. Der i.v. Darreichungsform wurde die Zulassung inzwischen versagt.[6]

Problematisch ist die geringe und vorab schlecht kalkulierbare orale Resorption im Bereich von nur etwa 10% auf welche die internationale Fachliteratur hinweist. Wenn man sich die für Ärzte erhältliche Fachinformation für Strodival des Herstellers ansieht, dann müsste der Wert sogar noch schlechter sein. Dort steht nämlich, dass zum Erreichen der gleichen Serumkonzentration verglichen mit Gabe von 0,25 mg i.v. eine Dosis zwischen 8-10 mg oral notwendig wäre. Die geringe Bioverfügbarkeit ist einer der Gründe, warum die oralen Strophanthine heute keine Bedeutung mehr haben. In der Fachinformation zu Strodival sind auch Angaben zur Kinetik zu finden die zeigen, dass die Resorption bei ausreichender Dosierung ausreicht, um eine Wirkung zu erzielen, die Verfügbarkeit jedoch stark individuell schwankt und laufend angepasst werden muss. Dies ist bei allen Herzglykosiden der Fall, wirkt sich aber z.B. bei Digitalispräparaten durch deren längere Halbwertszeit und bessere Bioverfügbarkeit weniger stark aus.

Die magensaftresistente Variante, das Strodival MR, enthält Dibutylphtalat (DBP). Dieser pharmazeutische Hilfsstoff wurde im März 2006 in der Zeitung "Ökotest" thematisiert. Die Substanz DBP wurde von der Europäischen Union und der Weltgesundheitsorganisation als fruchtbarkeitsschädigend und entwicklungsschädigend eingestuft. Der Stoff stellt also ein Risiko für ungeborenes Leben dar. Es wird vermutet, dass DBP im Zusammenhang mit Fehlbildungen der Geschlechtsorgane von männlichen Neugeborenen stehen. Dies stieß in den entsprechenden medizinkritischen Heilpraktikerkreisen, die Strophanthin anpreisen erstaunlicher Weise auf keinerlei Interesse. Allerdings: Die Zielgruppe der herzwirksamen Glykoside befindet sich weitgehend jenseits des reproduktionsfähgen Altersbereiches.

Verschwörungstheorien um Strophanthin

Die aktuelle geringe Bedeutung von Strophanthin-haltigen Mitteln wird von den Befürwortern mit typischen Verschwörungstheorien um eine angebliche Unterdrückung durch die Schulmedizin erklärt, ohne dabei die geringen therapeutischen Vorteile zur Kenntnis zu nehmen. Angeblich soll der schwedische Konzern Meda Pharma auch finanziell nicht in der Lage sein, kontrollierte Studien in Auftrag zu geben, die eine Überlegenheit zu anderen Therapien aufzeigen könnten. Auch den vorherigen Patent-Besitzern Brahms und Herbert wurde dies bereits attestiert.

Die Strophanthin-Szene

In Deutschland engagieren sind rund ein Dutzend Personen für dieses Mittel. Dazu gehören Heinz Gerhard Vogelsang, die Heilpraktiker Rolf-Jürgen Petry (der bei Secret-TV auftrat) und Wolf-Alexander Melhorn, sowie einige Nahrungsergänzungsmittelanbieter und Laien-Pharmakritiker wie Helmut Gobsch. HP Melhorn, der auch Autor eines Strophanthin-Lobeswerkes ist, bemühte sich vergebens bei Veronica Carstens um eine Wiedererteilung der Zulassung des i.v.-Strophanthin und setzte eine Bundestag-Petition in Gang,[7] die sich gegen eine wettbewerbswidrige Begünstigung der Pharmakonzerne richtet, obwohl das zur Zeit einzige relevante Strophanthin-Mittel selbst ein Produkt eines schwedischen Pharmakonzerns ist. Strophanthin-Aktivist Melhorn (überzeugter Impfgegner und Empfehler von homöopathischen Nosoden bei Borrelieninfektionen[8][9][10]) beschwor sogar eine auf ihn gerichtete Verschwörung herauf: Unbekannte Hacker würden verhindern, dass er seine zahlreichen Werke zu Strophanthin im Internet verbreiten könne, und bei Wikipedia würden anonyme Schreiber solange den Artikel zu Strophanthin bearbeitet haben, dass dort schließlich das afrikanische Pfeilgift als giftig dargestellt werde. (Offenbar hatte er sich im Gegensatz zur Fachliteratur gewünscht, dass das Strophanthin fälschlich als Hormon dargestellt wird, anstatt auf das tatsächliche Hormon endogenes Ouabain zu verweisen). Weitere Befürworter sind ein Friedrich Lautemann sowie Hans Kaegelmann. In der Vergangenheit war es jedoch der inzwischen verstorbene Internist Berthold Kern, der sich mit schwer verständlichen Werken im Eigenverlag und einem eigentümlichen Jargon am intensivsten für Strophanthin einsetzte.

Weblinks

Quellennachweise

  1. http://www.akdae.de/25/Archiv/200204.pdf
  2. http://www.neuwinger-online.de/ethnobot.html
  3. Hamlyn JM et al.: Identification and characterization of an ouabain-like compound from human plasma. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 88 (14): 6259-63, 1991. PMID 1648735
  4. http://medschool.umaryland.edu/blaustein_ppg/default.asp
  5. http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll-na/019-010.htm
  6. Meda
    Otto-von-Guericke-Ring 9
    65205 Wiesbaden
    14.02.2006
    Strodival i.v., 10 Ampullen, Charge: 4241: Rückruf
    Die Firma Meda GmbH, 65205 Wiesbaden, bittet um folgende Veröffentlichung:
    "Da für Strodival i.v., 10 Ampullen (PZN 1223908), die Zulassung erloschen ist, bitten wir um Rücksendung eventuell noch vorhandener Packungen über den pharmazeutischen Großhandel. Der Rückruf betrifft nur die i.v.-Formulierung, Strodival Kapseln sind nicht betroffen, sondern weiterhin verkehrsfähig." Das APG-Formular wird am Ende der Pharmazeutischen Zeitung Ausgabe 07/2006 veröffentlicht.
  7. Pet 2 - 16-15-2120-035710
  8. http://www.transgallaxys.com/~kanzlerzwo/showtopic.php?threadid=2135
  9. Zitat Melhorn: Nach einem Insektenstich, der borrelienverdächtig ist und immer nach einem Zeckenbiss, nehmen Sie 5 Tage lang täglich 3x1 Streukügelchen. Das wird in der Regel ausreichen. Auch wer unter Spätfolgen leidet, sollte es zunächst so versuchen!
  10. http://www.melhorn.de/BorrelioseII/index.htm