Calligaris-Methode
Die Calligaris-Methode ist ein fragwürdiges Diagnoseverfahren für schwere Erkrankungen wie Krebs oder Multiple Sklerose, das von dem italienischen Neurologen, Geistheiler und Parapsychologen Giuseppe Calligaris (29. Oktober 1876, Forni di Sotto - 31. März 1944) erfunden wurde. Seine Methode stieß auf Grund fehlender Belege, der Widersprüchlichkeit zu etablierten Erkenntnissen und offensichtlicher Abwegigkeit nicht auf wissenschaftliches Interesse und Calligaris verlor seinen akademischen Arbeitsplatz. Auf seine Erfindungen berufen sich medizinische Außenseiterverfahren und Scharlatane zur Promotion ihrer Produkte. Mehrere alternativmedizinische Verfahren bauen inzwischen auf Calligaris' Annahmen auf. Dazu können außerhalb des deutschen Sprachraumes selten anzutreffende Methoden wie Chronoreflexologie (time reflexology) / AgeGate-Therapy und Emotional Genomics und die "Psychophysiologie" (Psychokausale Linien) des Wuppertaler Künstlers und Honorarkonsuls Ivan Koval gezählt werden. Bezüge existieren zur Akupunktur, Germanischen Neuen Medizin und zur Psycho-Genealogie der französischen Psychologin Anne Ancelin Schützenberger.
Giuseppe Calligaris
Calligaris wurde 1876 in der Provinz Udine in Norditalien geboren. Nach seinem Medizinstudium promovierte er 1901 in Bologna über das Thema "Il pensiero che guarisce" (Die heilende Art zu denken). Er arbeitete als Neuropathologe in Rom und entwickelte dort ab 1908 seine Methode. Seine Calligaris-Experimente der späten 1920er Jahre an Patienten sprachen sich herum: Der Druck auf bestimmte Körperbereiche soll dabei die Patienten befähigt haben, übersinnliche Erfahrungen zu machen, was dem inzwischen zum Professor anvancierten Calligaris den Ruf einbrachte, verrückt zu sein. Eine eigene Klinik musste er 1939 schließen.
Die Methode
Calligaris glaubte ein brauchbares, diagnostisches System zur Erkennung von schweren Erkrankungen wie Krebs oder der Multiplen Sklerose gefunden zu haben.
Nach Calligaris wäre auf der Oberfläche der Haut ein geheimnisvolles Netz von Symbolen senkrechter und waagerechter Linien zu finden, das er Linearketten des Körpers und des Geistes nannte. An den Schnittpunkten zwischen den horizontalen und vertikalen Körperlinien nimmt Calligaris die Existenz von sogenannten Plaques an. An diese Schnittpunkte wird (teilweise bis zu Stunden) ein Aluminiumzylinder gehalten und leicht rotiert. Peinlichst soll darauf geachtet werden, dass der Zylinder nicht verrutscht und nicht drückt, da sonst das Experiment sofort misslinge. Je nach Plaque erwartet den Probanden Hellsichtigkeit für einen Tag oder Stunden, bzw. erfährt er von Ereignissen in ferner Zukunft oder Vergangenheit und Telepathie. Laut Calligaris wäre die Haut als organo di confine Grenzziehung zwischen Körper und Geistwesen.
Nach Calligaris durchströmt eine kosmische höhere Intelligenz den Menschen und trete in Wechselwirkung mit seinen Hautplaques. Die postulierte Resonanz zum Kosmos oder zu kosmischer Energie könnte einem Menschen zur Verbesserung seines Gesundheitszustandes verhelfen.
Die Akupunktur wird als Unterstützung der These herangezogen, obwohl die verschiedenen bekanntgewordenen Akupunkturpunkte (die ja bekanntlich nicht einheitlich sind) nicht mit den Calligaris-Plaques übereinstimmen. Die Auswirkungen der Plaques-Manipulationen, die Calligaris bei seinen Patienten beobachtet haben will, sind in der chinesische Medizin nicht, auch nicht annährend beschrieben worden. Weiterhin sind die vertikalen und vor allem die horizontalen Calligaris-Linien fast wie mit Lineal gezogen, und nicht mit den TCM-Meridianen kompatibel.
Die Calligaris-Experimente
Ab Ende der 1920er Jahre führte Calligaris parapsychologische Experimente mit eigenen Patienten durch. Das eigene Liniensystem sei seiner Überzeugung nach als ein Fenster zum Kosmos anzusehen und dazu geeignet, nach dem einfachen esoterischen Motto Wie oben, so unten den Körper als in Resonanz zum Kosmos stehend aufzufassen. Ein Druck auf sein Liniensystem mit Metallen führe zu PSI-Erfahrungen wie die der Telepathie, Hellsehen, Gedankenlesen, Bilokation, Präkognition und so weiter.
- Ein stundenlanger Druck auf bestimmte Aurasichtigkeitspunkte an den Unterschenkeln soll dazu führen, dass der Proband eine Aura wahrnimmt.
- Der Druck auf den Zukunftspunkt an der Rückseite des Fußes führe nach angemessener Zeit zu übersinnlichen Wahrnehmungen der Zukunft. Zunächst sollen sich schemenhaft gewisse Umrisse abzeichnen, die sich zunehmend verdichten.
Die Stimulation anderer Plaques führe zur Wahrnehmung von Farbenwirbeln und anderen Halluzinationen.
Chronoreflexologie und AgeGate Therapy
Heutige Anwender der Calligaris-Methode gehen davon aus, dass eine Störung energetischer Flüsse und traumatisierende Ereignisse zu Zuständen mit Krankheitswert sowie zu schweren Erkrankungen führen. Sämtliche Krankheiten wären demnach psychosomatischer Natur. Auf Grund der individuellen Unterschiede würden jedoch bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Erkrankungen die Folge gleichartiger Ereignisse sein. Jeder traumatisierende Einfluss hinterließe Spuren in bestimmten Körperzonen, genau wie dies auch Zustände des Wohlbefindens tun sollen. Aufgrund der Annahme seiner Plaques ist es aus Sicht der Calligaris-Methode dann möglich, vergangene traumatische Ereignisse durch bestimmte Berührungen nicht nur zu erkennen, sondern sie auch zu behandeln.
Nach Calligaris biete ein Mensch mehr als 100 diagnostisch relevante körperliche Messpunkte im Sinne seiner Methode, ein Messpunkt pro Lebensjahr. Auch wenn ein Mensch relevante traumatisierende Ereignisse vergesse, so würde dennoch die Erinnerung daran körperlich fixiert bleiben.
Durch die Reizung (Stimulation) bestimmter Plaques käme es nach Calligaris zu krankheitsspezifischen Erscheinungen auf der Haut, die sich früh-diagnostisch nutzen ließen. Erkennbar wären mit dieser Methode die Multiple Sklerose, Röteln, Windpocken, Meningitis und weitere Krankheiten bis hin zum Krebs. Nach Calligaris träten die Symptome lange Zeit vor Auftreten der eigentlichen Krankheit auf.
Verschwörungstheorien und Geheimdienstgerüchte um Calligaris
Zur nachträglichen Aufwertung von Calligaris und zur Bewerbung seiner Bücher wird verbreitet, dass der US-Geheimdienst 1943 angeblich seine gesamten Bücher in Italien aufgekauft hätte, um seine Ansichten zu PSI-Phänomenen kontrollieren zu können. 1945 soll jedoch der Kulturattaché der Sowjet-Botschaft in Bern in den Besitz einiger Exemplare von Calligaris-Büchern gelangt sein.