Melatonin
stark vereinfachte Darstellung der Biosynthese von Melatonin aus Tryptophan über Serotonin
circadiane Konzentrationsschwankungen und ihre Abhängigkeit vom Lebensalter
Melatonin und das Lebensalter des Menschen
J. Arendt

Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das vom Körper aus Serotonin synthetisiert wird und beim Menschen vor allem in der Zirbeldrüse (Epiphyse, bzw glandula pinealis oder corpus pineale) vorkommt. Eine geringe Melatoninproduktion und Freisetzung kommt jedoch auch außerhalb der Zirbeldrüse vor. Typisch für Melatonin ist ein circadianer (tageszeitabhängiger) Rhythmus der Melatoninkonzentration im Blut. Die höchsten Konzentrationen finden sich in der Nacht. Diese rhythmischen Konzentrationsschwankungen unterligen dabei einer Steuerung durch die sogenannte innere Uhr des Menschen, die in den suprachiasmatischen Kerngebieten (SCN) lokalisiert ist. Nervenbahnen vom Augen synchronisieren die innere Uhr, die wiederum über eine weitere Verschaltung die Melatoninproduktion in der Zirbeldrüse steuert. Der Melatoninspiegel wirkt wiederum zurück auf die SCN, sodass sich ein geschlossener Regelkreis ergibt, der durch von aussen eintreffende Reize (vor allem Tageslicht) phasenstarr synchronisiert ist. Die circadianen Spiegelschwankungen sind über das Blut ein körperweites chemisches Signal und dies ermöglicht es Körperzellen ihren eigenen circadian-rhythmischen Stoffwechsel mit dem des restlichen Körpers zu synchronisieren. Der bei Erwachsenen ausgeprägte circadiane Rhythmus des Melatoninspiegels ist beim alten Menschen weniger ausgeprägt und kann sogar ausbleiben, zudem sind die Melatoninkonzentrationen deutlich geringer und es zeigen sich häufig im Alter Verkalkungend der Zirbeldrüse, die im Röntgenbild sehr deutlich zu sehen sind. Die im Alter veränderte Freisetzungsrhythmik wird als ein möglicher Grund für die häufigen Schlafstörungen des alten Menschen angesehen. Bei Menschen, denen wegen eines Tumors die Zirbeldrüse entfernt werden mußte, haben häufig Schlafstörungen die mit einer pünktlich einzunehmenden Melatoninsubstitution behandelbar sind. Dennoch gibt es paradoxerweise auch Menschen, die ohne Zirbeldrüse schlafgesund sind.

Melatonin ist vor allem für die Steuerung von Biorhythmen wie den Tag-Nacht-Rhythmus (circadianer Rhythmus) und jahresperiodische Vorgänge (circanuale Rhythmen) bei verschiedenen Tierarten, z.B. die Auslösung des Vogelzuges im Herbst und Frühjahr („Zugunruhe“), die Steuerung der Fortpflanzung, den Fellwechsel und die Mauser bei Vögeln maßgeblich. Zudem scheint es eine Rolle bei der Steuerung des Winterschlafes zu spielen.[1] [2]

Außerdem ist Melatonin bei Schlafstörungen und dem Jet-Lag, Anpassungsstörungen nach Flugzeugreisen über mehrere Zeitzonen und der saisonal auftretenden Depression ("Winterdepression") beteiligt.

Melatonin gilt ein ein starkes Antioxidans, allerdings sind die Melatoninspiegel gleichzeitig relativ niedrig. Melatonin hat auch eine das Immunsystem stimulierende Wirkung und spielt eine Rolle bei der sexuellen Differenzierung in der Pubertät.

Als wohl bekannteste Autorin gilt die grande dame der Melatoninforschung, Josephine Arendt aus England.

Biosynthese

Melatonin ist ein Indolamin und wird vor allem in der Zirbeldrüse (Epiphyse) in zwei Schritten aus der Aminosäure Tryptophan über Serotonin synthetisiert. Die Bildung von Melatonin wird durch die mit der Netzhaut des Auges empfangenen Lichtreize gehemmt, so dass der Melatoninspiegel nachts am höchsten ist, und damit einem typischen Nacht-Tag-Rhythmus unterliegt. Der Melatoninspiegel unterliegt auch jahreszeitlichen Änderungen. Bedingt durch die längeren Dunkelphasen im Winter in wird in dieser Jahreszeit auch mehr Melationin synthetisiert.

Anwendung als Medikament

Melatonin wird als Arzneimittel zur Behandlung von Schlafstörungen und des Jet-Lags entgesetzt. Ein melatoninhaltiges Medikament ist seit Anfang 2008 in Deutschland zur Behandlung von primärer Schlaflosigkeit bei Patienten ab 55 Jahren zugelassen.[3][4] Eine dem Melatonin strukturell ähnliche Substanz befindet sich derzeit im Zulassungsverfahren zum Einsatz als Antidepressivum.[5]

Agomelatin (Handelsname Valdoxan, Hersteller Servier) ist eine dem Melatonin strukturell verwandte chemische Verbindung mit Zulassung als Arzneimittel in Europa. Die Substanz hat eine Zulassung als Antidepressivum und ist zur Zeit Gegenstand klinischer Forschung.

Anwendung in der Pseudomedizin

 
Melatoninforscher Russel Reiter
 
W.Pierpaoli

Neben dem Einsatz von Melatonin und den Melatoninanaloga für die ein medizinisches Rationale auf Basis kontrollierter Studien besteht, wird in manchen Ländern (insbesondere den USA) Melatonin als freiverkäufliches over-the-counter Nahrungsergänzungsmittel mit vielfältigen angeblichen gesundheitsfördernden Versprechungen angeboten. In Deutschland ist Melatonin jedoch ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel.

Melatonin wurde etwa ab den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern und populärwissenschaftlichen Buchautoren auf schwacher Datenbasis und im Rahmen von Hypothesen eine Reihe von Wunderwirkungen unterstellt, die von der amerikanischen Nahrungsergänzungsmittelindustrie sofort aufgegriffen wurden um Melatonin in Tablettenform anzubieten. Anfangs war Melatonin aus Rindern im Angebot, aus Sicherheitsgründen sind aber mittlerweile nur synthetisch hergestellte Melatoninpräparate im Handel.

Die Urheber der Melatonin-Hype der neunziger Jahre, die heute noch in abgeschwächter Form zu beobachten ist, waren eigentlich drei Melatoninforscher aus Texas und der Schweiz: in den USA (San Antonio) veröffentlichte der Forscher Russell J. Reiter ein populärwissenschaftliches Buch zu Melatonin, in dem er auf die antioxidativen Wirkungen von Melatonin hinwies und über mögliche zellschützende und lebenszeitverlängernde Effekte von Melatonin spekulierte. Sein Buch wurde in kurzer Zeit zu einem Bestseller und das Thema wurde von einer Vielzahl von Laienautoren dies- und jeseits des Atlantik aufgegriffen und in immer aufbauschenderen Worten wiederholt. In der Schweiz machten die Forscher Maestroni und Walter Pierpaoli (im internen Jargon die Schweizer) durch ähnliche Bestseller-Werke auf sich aufmerksam. Sie führten zudem Experimente an Versuchsratten durch, die zeigen sollten, daß Melatonin ein Hormon sei, daß das Altern steuere. In den Studien von Maestroni und Pierpaoli an Ratten wurden jedoch später schwerwiegende technische Mängel entdeckt, die verwendeten Inzucht-Ratten hatten einen Gendefekt, der zu einer nicht normalen Melatoninsekretion führte.

Der wissenschaftliche Nachweis, dass Melatonin tatsächlich das Altern verzögert, fehlt bislang, ebenso Langzeitstudien zu möglichen Nebenwirkungen. Melatonin müsste, um präventiv wirksam zu sein, in relativ hoher Dosierung eingenommen werden, was eine Störung circadianer Rhythmen zur Folge hätte, wenn dieses nicht regelmäßig jeden Tag zu einer bestimmten Zeit eingenommen würde. Die Behandlung müsste streng genommen bereits in der Kindheit einsetzen, was sich wegen der störenden Einflüsse des Melatonins auf die kindliche sexuelle Entwicklung verbietet.

Melatonin als angebliches lebenszeitverlängerndes Anti-Aging Mittel

Unter anderem wird es als Anti-Aging-Mittel zur Vorbeugung von Altersbeschwerden und als Antioxidanz angepriesen. Melatoninprodukte werden meist in Form von Kapseln vertrieben. Daneben wird spezielle „Nachtmilch“ angeboten, die von nachts gemolkenen Kühen stammt und einen erhöhten Melatoningehalt aufweist.[6] In der Schweiz darf Nachtmilch seit 2005 nicht mehr als Lebensmittel vertrieben werden, da sie den strengen Anforderungen des Lebensmittelrechts nicht genügt.[7]

Diese behaupteten Wirkungen gegen das Altern haben sich beim Menschen bis jetzt nicht beweisen lassen. Dem Melatonin wird eine angeblich lebensverlängernde Wirkung zugeschrieben. Diese lebenszeitverlängernde Wirkung soll durch die Schutzwirkungen des Melatonins gegen Zellschäden entstehen, die ja eine Ursache (von mehreren) für die Zellalterung sind. Allerdings müsste dann ein Mensch Melatonin hochdosiert jeden Tag einnehmen (oder eine Retardform in anderen Intervallen), und das seit seiner Geburt für sein ganzes Leben. Dies hätte wahrscheinlich Folgen für die Fortpflanzungsfähigkeit, sexuelle Entwicklung und die circadianen Rhythmen des Individuums. Die Abnahme der Melatoninkonzentration mit dem Lebensalter ist die Folge und nicht die Ursache des Alterns.

Des Weiteren wird Melationin als Mittel zur Stärkung des Immunsystems sowie als Schutz vor Krebs und der Alzheimer-Erkrankung angeboten.[8] Ob Melatonin bei all diesen Indikationen wirkt, ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen.

Anwendung in kosmetischen Produkten

Melatonin wird einigen kosmetischen Cremes in geringen Mengen zugesetzt. Die Unbedenklichkeit dieser Prokukte ist nicht eindeutig belegt.[9]

Gesundheitliche Risiken

Die Risiken einer Langzeiteinnahme von Melatonin sind kaum untersucht. Nebenwirkungen können bisher kaum abgeschätzt werden. Unter anderem können diese daraus resultieren, dass der Körper, wenn er das Melatonin von außen zugeführt bekommt, die eigene Produktion einstellen könnte. Daneben gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Einnahme für Epileptiker und Parkinsonpatienten, sowie für Menschen die Blutgerinnungshemmer einnehmen, nicht ungefährlich ist. Auch ist durch die vermehrte Bildung weißer Blutkörperchen die Gefahr einer Leukämie erhöht.

Melatonin wirkt im Tierversuch schädigend auf die männlichen und weiblichen Fortpflanzungsorgane. Untersuchungen am Menschen haben gezeigt, dass die orale Anwendung von 300 mg Melatonin zu einer Beeinflussung der weiblichen Fruchtbarkeit führt.[10]

Da Melaton Hormon ist als Hormon in Europa wegen seines erheblichen Einflusses auf den Körper als Medikament eingestuft. Alle frei verkäuflichen erhältlichen Melatoninprodukte stammen aus Übersee. In Europa werden diese dann als nur unzureichend kontrolliertes Nahrungsergänzungsmittel in Drogerien angeboten, so dass die Qualität der entsprechenden Produkte für den Verbraucher nicht abschätzbar ist.[11]

Quellenverzeichnis

Weblinks