Als Chiemgau-Impakt wird ein möglicher Meteoriten- oder Kometeneinschlag im deutschen Chiemgau östlich des Chiemsees bezeichnet. In der Fachwelt stößt die These eines Meteoriteneinschlags auf einstimmige Ablehnung. Sowohl Geologen, das Landesamt für Umwelt, als auch Astronomen und Historiker sehen keinerlei Beweise für einen Impakt an diesem Ort. Die Hypothese eines derartigen Impakts wird vor allem vom Verein Chiemgau Impakt Research Team (CIRT) vertreten und war mehrfach Thema in deutschen überregionalen Medien wie Der Spiegel oder Welt[1].

Der Verein Chiemgau Impakt Research Team

Das Chiemgau Impakt Research Team (CIRT) ist eine im Jahr 2000 entstandene deutsche Gruppierung (seit 2006 firmiert sie als Verein), die die Hypothese vertritt, dass in der Bronzezeit ein Komet oder auch Meteorit im Chiemgau östlich des Chiemsees bzw. auch in den See selbst eingeschlagen oder auch in der Atmosphäre explodiert (der Verein legt sich dahingehend nicht fest) sein soll. Dabei soll u.a. der Tüttensee, ein See mit ca. 400m Durchmesser mit einer teilweisen, hügeligen Umrandung (dem „Kraterwall“) entstanden sein.

Die Hypothese wird auf einer Website propagiert, auf denen die verschiedenen angeblichen Belege für den Meteoriteneinschlag gesammelt und veröffentlicht werden. Außerdem betreibt das Team eine Vereinsseite.[2][3]

Personen

Zu Beginn bestand die Gruppierung aus heimatkundlich interessierten Hobbyarchäologen, die bei Sondierungen mit einem Metalldetektor auf ihnen unbekannte Metallpartikel stießen. Da diese Partikel gelegentlich in muldenförmigen Geländevertiefungen zu finden waren, entstand die Idee, sie könnten Teile eines Meteoriten sein, oder durch einen Einschlag veränderte Mineralien darstellen. Daraufhin bildete sich unter der Mitwirkung u.a. des Geophysikers Kord Ernstson und dem Archäoastronomen Michael Rappenglück der oben genannte Verein.

Ernstson ist als außerplanmäßiger Professor an der Universität Würzburg gelistet, es finden sich dort aber keine Lehrveranstaltungen unter seinem Namen. Seine Tätigkeit konzentriert sich auf die freiberufliche Leitung eines Büros für Geophysik.[4] Ernstson hat bereits vor einigen Jahren in Spanien angebliche Impaktstrukturen postuliert.[5] In letzter Zeit ist auch die Rede von einem weiteren Impakt im Saarland, der zahlreiche Parallelen zum Chiemgau-Ereignis aufweisen soll.[6]

Rappenglück hat Philosophie, Geschichte der Naturwissenschaften und Theologie studiert und ist Leiter der Volkshochschule Gilching bei München[7] sowie Leiter der Volkssternwarten Fürstenfeldbruck und Gilching. Seine Ehefrau Barbara Rappenglück, Historikerin und Sekretärin an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München, firmiert ebenfalls in einigen Veröffentlichungen des CIRT als Autorin.[8]

Öffentlichkeit

Einen größeren Bekanntheitsgrad erlangte die Kometenhypothese durch die Massenmedien; unter anderem durch einen Film, der im ZDF in der Reihe Terra X unter dem Titel „Stunde Null im Keltenreich“ im Jahr 2006 zum ersten Mal gesendet wurde, und in dem die These kritiklos übernommen und dramatisch ausgestaltet wurde.[9]

Die Lokalpolitik griff die vermutete Existenz eines Kometeneinschlags in der Region auf und fördert die Bekanntheit der Hypothese. In Presseberichten aus der Region wird sie durchwegs als wissenschaftlich gesichert dargestellt.[10]

Vorsitzender des Vereins Chiemgau Impakt e.V. ist der stellvertretende Landrat des Landkreises Traunstein Josef Konhäuser. Es gibt einen beschilderten „Kometenwanderweg“ rund um den Tüttensee und ein „Impakt-Museum“.[11]

Vorgehensweise des CIRT

In relevanten Fachjournalen (Geologie, Astronomie) publiziert das CIRT nicht. Veröffentlichungen finden sich u.a. in der „Zeitschrift für Anomalistik“ (einer Fachzeitschrift für Parawissenschaften)[12] und in „Antiquity“[13], einem archäologischen Fachjournal, worin die Hypothese aufgestellt wurde, der Fall des Kometen hätte den altgriechischen Mythos des Phaeton initiiert. Eine Widerlegung erfolgte kurz darauf.[14]

Darüber hinaus hat das CIRT in einer chinesischen und einer russischen Zeitschrift Artikel platziert. Bei einigen geologischen Fachtagungen wurden Poster – die keiner peer-review unterliegen - eingereicht. Das eigentliche Publikationsmedium ist jedoch die eigene Homepage, auf der keine Kommentierung durch Außenstehende möglich ist.[15]

Die Fundorte der angeblichen Krater aus dem „Streufeld“ des Kometen werden in der Regel nicht veröffentlicht, so dass dort keine Überprüfung durch andere Wissenschaftler stattfinden kann.

Auch eine Überprüfung der gefundenen Mineralien durch andere Wissenschaftler kann nicht bzw. nur anhand der auf der Vereinshomepage veröffentlichten Fotos stattfinden.

Die Veröffentlichungen des CIRT werden seit Beginn nur durch eine kleine, immer gleiche Gruppe von Autoren - Mitgliedern des Vereins - getragen.

Auf Widerlegungen seiner Hypothese reagiert der Verein mit persönlich abwertenden, z.T. aggressiven Texten auf seiner Homepage.[16][17][18]

Ein Beispiel für die Argumentationen des CIRT: Eine Bohrung, die durch das Landesamt für Umwelt am Rand des Tüttensees durchgeführt wurde, ergab eine völlig ungestörte Schichtfolge bis in eine Tiefe, die dem Ende der letzten Eiszeit entspricht. Es wurde dabei auch keinerlei Auswurfmaterial gefunden, das sich bei einem Impakt normalerweise am Rand des Kraters ablagern würde.[19] Dies wurde vom CIRT mit dem Hinweis abgetan, dass das entsprechende Material exakt diese Stelle überflogen haben musste.

Rezeption durch die Fachwelt

In der Fachwelt stößt die These eines Meteoriteneinschlags auf einstimmige Ablehnung. Sowohl Geologen, das Landesamt für Umwelt, als auch Astronomen und Historiker sehen keinerlei Beweise für einen Impakt. Eine neuere Arbeit von Geologen erklärt die Geländeform des Tüttensees und seiner Umgebung zwanglos durch die eiszeitliche Überformung der Region.[20]

Inzwischen wurde der Tüttensee in die Liste der wertvollen Geotope aufgenommen – als Beispiel für ein eiszeitliches Toteisloch[21]

Aus Wikipedia

Die deutschsprachige Wikipedia befasst sich ebenfalls in einem entsprechenden Artikel mit dem Thema: Artikel "Chiemgau-Einschlag" in der Wikipedia. Eine Gruppe von über 20 Wissenschaftlern gab im November 2006 zu der Theorie eine Erklärung ab, in der kritisiert wurde, dass „trotz Mangels an Beweisen und fehlender Dokumentation in wissenschaftlichen Fachzeitschriften […] die ‚Chiemgau Impakt-Theorie‘ in den Medien sehr einseitig publik gemacht worden“ sei. Deshalb werde „die Herkunft der Krater durch den Einschlag eines Kometen eindeutig zurückgewiesen.“[22]

Aufgrund von Presseberichten in Lokalzeitungen, die die Impakt-Theorie als wissenschaftlich anerkannt bezeichneten, aber auch, weil das CIRT zunehmend öffentlich und politisch präsent sei, um seine Ideen zu verbreiten, veröffentlichten 16 Wissenschaftler im Mai 2011 einen „Offenen Brief“, in dem die bis heute getätigten Nachweisversuche des CIRT als abstrus bezeichnet werden. In dem Brief wird entschieden dem Eindruck entgegengetreten, dass die Impakt-Theorie auf einer wissenschaftlichen Basis beruhe oder gar einer wissenschaftlichen Überprüfung standhielte.[23] In der vom Planetary and Space Science Centre (PASSC) an der University of New Brunswick (Kanada), geführten Datenbank über bestätigte Impaktstrukturen auf der Erde, dem Earth Impact Database, finden sich für Deutschland nur zwei Einträge: der Rieskrater und das Steinheimer Becken. Da die Bestätigung durch unabhängige Wissenschaftler fehlt, werden die von CIRT postulierten Krater von der Wissenschaftsgemeinde nicht anerkannt.

Literatur

Es liegt ein Taschenbuch zum Thema vor, verfasst von Befürwortern der Hypothese.

  • Kord Ernstson: Der Chiemgau-Impakt (Teil II): Ein bayerisches Meteoritenkraterfeld, 27 März 2015

Weblinks

Quellennachweise

  1. https://www.welt.de/wissenschaft/article9174351/Fiel-den-Kelten-eine-kosmische-Bombe-auf-den-Kopf.html
  2. https://www.chiemgau-impakt.de/
  3. https://verein.chiemgau-impakt.de/
  4. http://www.ernstson.de/
  5. http://www.impaktstrukturen.de/spain/
  6. http://saarland-impakt.de/
  7. https://programm.vhs-gilching.org/index.php?id=51&kathaupt=213&dsnr=61&kathauptalt=222&letter=R
  8. https://www.academia.edu/2540099/The_fall_of_Phaethon_a_Greco_Roman_geomyth_preserves_the_memory_of_a_meteorite_impact_in_Bavaria_south_east_Germany_
  9. https://www.youtube.com/watch?v=ZuNKoNYq1Nk
  10. https://verein.chiemgau-impakt.de/2020/05/das-virtuelle-impakt-museum-grabenstaett/
  11. https://verein.chiemgau-impakt.de/2020/05/das-virtuelle-impakt-museum-grabenstaett/
  12. https://www.anomalistik.de/images/pdf/zfa/zfa2017_03_235_rappenglueck_et_al.pdf
  13. https://www.academia.edu/2540099/The_fall_of_Phaethon_a_Greco_Roman_geomyth_preserves_the_memory_of_a_meteorite_impact_in_Bavaria_south_east_Germany_
  14. James, P. & van der Sluijs, M.A. (2016): The Fall of Phaethon in Context: A New Synthesis of Mythological, Archaeological and Geological Evidence. Journal of Ancient Near Eastern Religions 16, 67-94
  15. https://www.chiemgau-impakt.de
  16. https://www.chiemgau-impakt.de/2021/01/20/sterne-und-weltraum-und-der-tuettensee-krater-beim-chiemgau-impakt/
  17. https://verein.chiemgau-impakt.de/2013/11/die-donnerlocher-von-kienberg-das-lfu-meldet-sich-zu-wort
  18. https://verein.chiemgau-impakt.de/2017/09/wofuer-sie-besonders-schwaermt-wenn-er-wieder-aufgewaermt/
  19. https://www.lfu.bayern.de/geologie/doc/tuettensee_datierungen_kurztext_kea_end.pdf
  20. https://egqsj.copernicus.org/articles/69/93/2020/egqsj-69-93-2020.pdf
  21. https://www.umweltatlas.bayern.de/mapapps/resources/reports/geotope/generateBericht.pdf?additionallayerfieldvalue=189R039
  22. https://idw-online.de/en/news185966
  23. https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2011/05/20/offener-brief-zum-chiemgauimpakt