Scheinstaat
Scheinstaaten (auch Mikrostaat, Mikronation, Spaßstaat, virtueller Staat) sind private Konstrukte und Staatssimulationen, die den Anschein erwecken, eigenständige souveräne Staaten zu sein.
Allgemeines
Scheinstaaten fehlen die völkerrechtlichen Vorraussetzungen, als eigenständiger Staat zu existieren und handeln zu können. Derartige Gebilde werden daher auch nicht von anderen Staaten anerkannt. Sie sind ebenfalls keine "atypischen Völkerrechtssubjekte" wie der "Souveräne Malteserorden" oder das "Internationale Komitee vom Roten Kreuz", die selbst keine Staaten sind, aber über eine internationale Anerkennung verfügen.
Schein- und Mikrostaaten sind nicht mit so genannten Zwergstaaten (San Marino, Monaco, Liechtenstein) oder Kirchenstaaten wie dem Vatikan zu verwechseln.
Scheinstaaten werden meist aus finanziellem Interesse gegründet. Zukünftigen "Staatsbürgern" werden niedrige oder fehlende Steuern versprochen oder gegen Gebühren Dokumente aller Art, Autokennzeichen, Führerscheine und Diplomatenpässe mit "diplomatischer Immunität" verkauft.
Auch gab es zahlreiche Scheinstaaten, die gegründet wurden, um politischen Ziele einer Gruppierung oder Bewegung mehr Aufmerksamkeit zu verleihen. So gab und gibt es Scheinstaatbildungen aus der so genannten Szene der kommissarischen Reichsregierungen.
Manche Scheinstaaten sind lediglich internetbasierend (Cybernation) oder computerspielbasiert und beanspruchen somit kein herkömmliches Staatsgebiet oder Territorium.
Einige Scheinstaaten wurden von Personen geründet, die man als Exzentriker bezeichnen könnte.
Scheinstaaten im deutschsprachigen Raum
Im deutschen Sprachraum bekannte Scheinstaaten waren die "Republik Freies Wendland" von Atomenenergiegegnern, die Berliner "Autonome Republik Utopia", die Republik "Kugelmugel" des Wiener Künstlers Edwin Lipburger, die Dorfrepublik Rüterberg, die Bunte Republik Neustadt in Dresden und NeuDeutschland.
Weitere Scheinstaatprojekte waren oder sind:
Fürstentum Germania
Das Fürstentum Germania war ein als "basisdemokratischer Kirchenstaat" getarntes KRR-Projekt und Scheinstaat, dem zu seinen Hochzeiten maximal etwa 220 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet angehörten. Zu diesem Personenkreis gehören rechtslastige Anhänger der Idee einer kommissarischen Reichsregierung (KRR), Freiwirtschaftler und "Libertäre" (im Sinne des englischsprachigen Begriffs "libertarian") um einen angeblichen Jessie Marsson (der unter diversen weiteren Pseudonymen auftritt) und einen Adoptiv-Adeligen namens Michael Freiherr von Pallandt, der im Fürstentum als Fürst fungierte. Ein Unterstützer war Braunesoteriker Jo Conrad. Zentraler Anlaufpunkt des Mikro-Scheinstaates war von Februar bis Mai 2009 ein baufälliges Schloss in der brandenburgischen Ortschaft Krampfer, das als Staatssitz fungierte, während das 4.000 m2 große Grundstück als Staatsgebiet bezeichnet wurde. Am 19. Mai 2009 wurde das Schloss durch die Polizei geräumt.
Spaß- und "Weltnetzwerkstaat" Terrania
Das 2011 entstandene internetbasierte Spaßstaatprojekt "Welt-Netzwerk-Staat Terrania" kann als eine Art Ausdruck des Generationenkonflikts von Internetinteressierten in Deutschland angesehen werden. Eine Beziehung zur KRR-Szene besteht insofern, als Terranieraktivisten unterstellen, dass Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland automatisch auch Staatsbürger des "Deutschen Reichs" seien. Als "Botschafter" von Terrania will ein "Jesus Urlauber" (alias Georg Berres, Spitzname "Bauchi") fungieren. Siehe auch: Nu Era).
Germanitien
Unter dem Namen Germanitien versuchen Privatleute (so genannte "Germaniten"), ebenfalls innerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland, einen eigenen Scheinstaat in der Ortschaft Westerheim zu betreiben, dem 7.000 Staatsbürger angehören sollen. Allerdings bezeichnen sich auch Personen außerhalb von Westerheim als zu Germanitien zugehörig. Dazu zählt beispielsweise die "Erbschänke Zum Schwan" in Schwanstetten. Nach Ansicht der "Präsidentin" Ulrike Kuklinski (zugleich Präsidentin der Ringvorsorge (RV)) “reiche es aus, sich auf ein "320. Übereinkommen (89/1) der UN" und eine Staatsproklamation zu berufen, um einen neuen Kleinstaat gründen zu können.[1] Der Fall "Germanitien" und der staatsrechtliche Hintergrund werden in einem interessanten Artikel der "Schwäbischen" vom 13. Mai 2011 erörtert.[2]
Als Inhaber eines gefälschten Diplomatenpasses des Scheinstaats Germanitien erwies sich der Automechaniker Karl Meyer. Meyer ist Mitglied des Zentralrat Souveräner Bürger und in Betrügereien um die Nürnberger Firma GFE verwickelt. Die GFE bot einen Rapsöl-Wundermotor mit unwahrscheinlich hohem Wirkungsgrad an. Kunden sollten 20 Jahre lang hohe Renditen durch eine betriebswirtschaftlich widersinnige Rückpachtung erhalten. Nach Anzeigen von GFE-Kunden wurde 2010 ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen 17 Beschuldigte eröffnet und 8 mutmaßliche Betrüger verhaftet (siehe: [1]). Laut Nürnberger Zeitung vom 20. August 2012 wurde Meyer von Münchner Bundespolizisten auf Grund eines Nürnberger Haftbefehls am Flughafen München festgenommen. Meyer war auf dem Heimweg von Tunis. Bei seiner Einreise nutzte ihm auch sein "professionell wirkender" Diplomatenpass von Germanitien nichts.[3]
Verein Weltanschauungsgemeinschaft NeuDeutschland / Königreich Deutschland
Der Verein "Weltanschauungsgemeinschaft NeuDeutschland e.V." eines Peter Fitzek aus Wittenberg ist Anbieter von privaten Schildern, die als Autokennzeichen verwendet werden sollen. Das "Staatsgebiet" scheint sich auf einzelne Privatanschriften in Wittenberg zu erstrecken: Coswigerstr. 7, Schloßstr. 29, Mittelstr. 7 und Am Bahnhof 4. Kunden wird dabei vermittelt, sie müssten bei Kauf der Schilder keine KFZ-Steuer mehr entrichten. Auch wird behauptet, dass Käufer zukünftig ihre Bußgeldbescheide in einem Scheinstaat "NeuDeutschland" entrichten müssten. Der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt 120 Euro. Angenommen wird aber auch so genanntes "Engelgeld".
Im "Team" des Scheinstaats wirkt auch der aus Italien stammende Esoteriker Roberto Liuzzi. Unterstützung erfährt "NeuDeutschland" durch ein "Lichtzentrum Wittenberg".[4]
Am 16. September 2012 verkündete Fitzek, ein Königreich Deutschland mit einem 9 Hektar großen "Staatsgebiet" und mit einer "Staatsgründungszeremonie" gegründet zu haben. Das Grundstück bzw. "Königreich" entspricht dem Grundstück eines ehemaligen Krankenhauses am Stadtrand von Wittenberg. Als Staatsfahne der Monarchie soll eine auf dem Kopf stehende Deutschlandfahne dienen (in der Seefahrt ein Seenotzeichen). Den ursprünglichen Plan, eine Konkurrenzdemokratie zur Bundesrepublik Deutschland zu gründen, gab Fitzek auf: "Aufgrund der fehlenden Menschenzahl und kompetenter Ratsmitglieder, einem noch fehlenden Wahlgesetz, fehlender Wahlberechtigter, wählbarer Minister und noch anderer Erfordernisse kann es nun leider keine basisdemokratische Räterepublik in Verbindung mit einer konstitutionellen Monarchie mehr werden". Im zukünftigen Königreich solle keine "Zinsknechtschaft" herrschen, behauptet Fitzek. Zukünftige Einwohner, die von einem Monarchen regiert werden möchten, sollen laut Fitzek lediglich einer von ihm geschriebenen so genannten "Verfassung" zustimmen. Auch müsse ein eventuell im eigenen Besitz befindliches Grundstück per Schenkung in den neuen Staat eingebracht werden. Dann entstehe der Anspruch auf einen Spaßpass, den Fitzek verkauft sowie ein lebenslanges Wohnrecht im verschenkten Grundstück. Fitzek behauptet auch, in Paraguay gewesen zu sein, um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vorzubereiten. Auch Kasachstan habe bereits Interesse angemeldet.
Anfang Juli 2011 verurteilte die 8. Strafkammer des Landgerichts Dessau Peter Fitzek wegen Kennzeichenmissbrauch zu 150 Tagessätzen à zwölf Euro. In der Vorinstanz war Fitzek zu vier Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt worden. Gegen das Urteil hatten sowohl er als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.[5]
Volksgemeinschaft "Das Deutsche Reich" (DDR)
Als Reichsdeutsche verstehen sich die Anhänger einer obskuren und rechtsgerichteten "Volksgemeinschaft Deutsches Reich". Als Abkürzung wurde DDR gewählt. Als einzige erkennbare Aktivität wird derzeit (Stand Mai 2012) eine dazugehörige "Weltnetzseite" präsentiert, die auf ihrer Frontseite Adolf Hitler zitiert.[6] Steckenpferde der Volksgemeinschaft sind Germanische Neue Medizin, Freie Energie, Chemtrails, Impfen, AIDS, Holocaustkritik, NWO und so genannte Reichsmobile. Ein DDR-Verkaufsportal und ein "Silbershop" soll folgen; hier sollen Produkte (mit Siegel: Hergestellt in der Volksgemeinschaft DDR) verkauft werden, für die die Verkäufer 1% Provision zahlen sollen. Erlöse sollen per Hermespaket in "Silber" ausgezahlt werden. Das Silber stamme dabei aus einer eigenen Reichsbank. Ziel sei es, die Volksgemeinschaftler vom verhassten Euro "zu trennen". Ein bereits eingerichtetes Forum für "Volksgenossen mit ID-Karte" sei zur Zeit gesperrt, heißt es, obwohl der Verfassungsschutz bereits die Identität der "Volksgenossen kenne". Zitat:
- Letztendlich setzen wir Reichsdeutsche auf die Gier und Geiz der Bundesbürger, die dann unser Portal benutzen. Sie werden jeden Tag mit der deutschen Realität konfrontiert und irgendwann, werden Sie dann einige Links auch einmal ankicken. Jeder von Euch kennt den Aufwachprozeß, einmal falsch geklickt und schon erschlägt einen die bittere Realität.
Initiator ist ein Ingo Köth (alias Ingo von der Schmiede, Zitat: Viele haben mir geschrieben, ich soll Sie nicht mit dem Nazikram belästigen. Das wäre auch ganz gut so, aber es geht leider nicht.) aus D-06369 Arensdorf, der eine (steuerfreie) "erste freie Reichswerkstatt der DDR - Das Deutsche Reich" führt.[7]
Minderheitenstaat Freies Deutschland und Republik Freies Deutschland
Eine Scheinstaatbildung in Deutschland nannte sich seit Mai 2012 "Minderheitenstaat Freies Deutschland" (FD) mit dem "Kommissarischen Präsidenten" Peter Frühwald. Wie aus einem Schreiben der FD-Aktivisten an den UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon ersichtlich wird, hoffte man auf die Rückkehr zu einem deutschen Staat in den Grenzen von 1937: "Die Alliierten Siegermächte haben am 29.09.1990 durch den 2plus4-Vertrag Deutschland in den Grenzen von 1937 freigegeben – durch ein Postliminium im Artikel 7 dieses Vertrages." Peter Frühwald wurde später aus der Gruppierung wieder entfernt. Daraufhin gründete er ein "Freies Deutschland" (FD). Seine Gegner hingegen gründeten den Gegenscheinstaat "Republik Freies Deutschland" (RFD). Laut Frühwald habe man im Jahr 2012 Gespräche mit der KRR-Bürgerwehr Deutsches Polizeihilfswerk (DPHW) über die "Bürgersicherheit in Deutschland und die Formen der weiteren konstruktiven Zusammenarbeit" geführt.
Erlösterreich
Unter der Bezeichnung Erlösterreich verstehen Anhänger der österreichischen Bewegung "Freemen Austria" von Joe Kreissl ein eigenes scheinstaatliches Gebilde. Kreissl erkennt weder den österreichischen Staat noch Gesetze an. Die Republik Österreich bezeichnete er als "Firma Österreich". Kreissl wird die Leugnung des Holocaust vorgeworfen. Zuvor war er mit seiner Mutter im Volksmusikgeschäft tätig (Beispiel: Schlager "Steirermen san very good"). Als "österreichische Freemen" sind sie der Meinung, dass die örtliche Polizei ihnen unterstellt sei.
Im Sommer 2014 kam es zu einem Zwischenfall im niederösterreichischen Hollenbach, als sich 200 Erlösterreich-Sympathisanten auf dem Anwesen einer Anwältin versammelten, um diese von ihrer Sachwalterin zu "befreien", da ein Haftbefehl vorlag. Die Polizei beendete die Aktion mit einem Großaufgebot. Mehrere Freemen sollen wegen Nötigung angeklagt werden.[8]
Ähnliche Bewegungen in anderen Ländern
In vielen Staaten lassen sich Bewegungen finden, die - satirisch oder ernsthaft - versuchen, eigene Staaten zu gründen bzw. geben solche Gründungen vor. Die zugrunde liegenden Motivationen reichen vom Protest gegen eine als unfähig erlebte Verwaltung bis zum schlichten Versuch, Zahlungen von Steuern und Abgaben etc. zu umgehen.
Italien
Aus Italien wurde der Fall des Rentners Giuseppe Dellavalle bekannt, der satirisch einen eigenen Staat auf dem ihm wegen einer Straßenbaumaßnahme enteigneten Gelände ausgerufen hat, um gegen die Verschleppung der Entschädigungszahlung zu protestieren.[9]
Vereinigtes Königreich
Im UK gibt es die Splittergruppe British Constitution Group, betrieben von ehemaligen Mitgliedern der UKIP (also der extremen Rechten), der es in der Hauptsache um die Vermeidung von Steuern geht. Siehe auch RationalWiki und den Webauftritt der Gruppe [2].
"Sovereign Citizens" in den USA
In den USA sind verschiedene Gruppierungen bekannt, die sich als "Sovereign Citizens" oder "Freemen on the land" etc. bezeichnen, die US-Regierung als nicht mit der US-Verfassung konform ablehnen und Steuerzahlungen verweigern. Einige dieser Gruppierungen sind extrem gewalttätig und werden daher vom FBI beobachtet. Mehrere Morde an Polizisten werden den "Sovereign Citizens" zurechnet.[10]. Siehe auch Wikipedia und RationalWiki.
Weblinks
- http://wiki.sonnenstaatland.com/wiki/Liste_von_reichsideologischen_Scheinstaaten
- http://de.wikipedia.org/wiki/Mikronation
- Scheinstaat "Sealand"
Quellennachweise
- ↑ http://blog.krr-faq.net/?p=1327
- ↑ http://www.schwaebische.de/region/biberach-ulm/laichingen/rund-um-laichingen_artikel,-Bundesrepublik-erkennt-Germanitien-nicht-an-_arid,5074465.html
- ↑ http://www.nordbayern.de/nuernberger-zeitung/nz-regionews/gfe-prozess-16-zeugen-und-ein-diplomat-aus-germanitien-1.2292703
- ↑ Lichtzentrum Wittenberg, Coswiger Straße 7, 06886 Wittenberg. Telefon: 03491-874 599, Fax: 03491-432 477
- ↑ http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1300343012421&openMenu=1121028317628&calledPageId=1121028317628&listid=1121028317620
- ↑ http://volksdeutschland.to/
- ↑ http://www.motorrevision.de/
- ↑ derstandard.at/2000029896813/Einblicke-in-die-seltsame-Welt-der-Freemen
- ↑ Bericht "Spiegel Online"
- ↑ http://www.patrickpretty.com/2012/10/07/recommended-reading-times-picayune-details-louisiana-shootout-involving-purported-sovereign-citizens-that-left-2-sheriffs-deputies-dead/