Pleomorphismus
Der Begriff Pleomorphismus (griechisch pleion = mehr, morphe = Gestalt, auch Pleomorphismologie) bezeichnet in der Biologie die sichtbaren Veränderungen des äusseren Erscheinungsbildes von Mikroorganismen der gleichen Spezies (Art) oder auch von Zellen des menschlichen Körpers in Abhängigkeit zu bestimmten Faktoren.
Pleomorphismus als überholtes Konzept des 19. Jahrhunderts
Der historische Pleomorphismus ist eine überholte und seit langer Zeit widerlegte wissenschaftliche Lehrmeinung des 19. Jahrhunderts, derzufolge sich Zelle, Viren, Bakterien, Pilze und Einzeller aller Art ineinander umwandeln und in unterschiedlicher Erscheinungsform auftreten könnten. Es würde demnach möglich sein, dass dass sich aus einem Virus eine Bakterie oder Körperzelle bildete und sich somit aus einer Spezies sich eine andere Spezies mit anderem Genom bilden könne. Das historische Pleomorphismuskonzept galt jedoch bereits im 19. Jahrhundert, und spätestens in den 1930er Jahren als widerlegt[1] und wird von der modernen wissenschaftlichen Medizin oder Biologie vollständig abgelehnt und seit langem nicht mehr diskutiert.
Der italienische Naturwissenschaftler Lazzaro Spallanzani wies 1768 nach, dass aus sterilem Versuchsmaterial keine Lebewesen entstehen können. Spallanzani kochte biologisch aktives Ausgangsmaterial 45 Minuten lang und versiegelte das umschliessende Gefäß sofort. Er konnte auch nach mehreren Tagen keine neuen Organismen feststellen. Erst nach Öffnen der Gefäße waren diese wieder zu beobachten. Im 19. Jahrhundert wurden verschiedene Sterilisationstechniken entwickelt (durch Franz Schulze, Theodor Schwann, Heinrich Schröder und Louis Pasteur). Der englische Physiker John Tyndall (1820-1893) konnte durch seine Theorie der hitzeinstabilen und hitzestabilen Phase (Sporen) bei Bakterien endgültig alle Zweifel aus dem Weg räumen.
Ein Teil der Pleomorphismusanhänger geht davon aus, dass Zellen oder vielmehr deren Bestandteile sogar noch nach dem Absterben der Zelle als kleinste Partikel weiterleben können und später sich zu neuen Lebensformen zusammensetzen könnten. Der französische Forscher Antoine Béchamp führte dazu den Begriff der sogenannten Mikrozyme ein, die er auch granulations moleculaires nannte und sich auf den bereits vorher eingeführten Begriff der unbelebten Zymasen bezog. Theodor Schwann hatte bereits 1837 bewiesen [2] daß eine Erhitzung von biologischem Material (Sterilisation) dazu führt daß Lebensprozesse beendet werden, die erfolgreiche Anwendung der Erhitzung durch Louis Pasteur (das Pasteurisieren) im Jahre 1863 bestätigte dies ebenso.
bekannte Anhänger des historischen Pleomorphismus
- Günther Enderlein
- Ferdinand Hüppe
- Max Gruber
- Edwin Klebs
- Joseph Lister
- Ernst Hallier
- Wilhelm Zopf
- Jules Tissot
- Carl Wilhelm von Nägeli
- Antoine Béchamp
- Antoine Nebel (1870-1954) aus Lausanne
- Gaston Naessens
- Erik Enby
- Wilhelm von Brehmer
- Hulda Clark
- Tamara Lebedewa
- Alfons Weber
Der Streit um die Nachweisbarkeit
Anhänger der Pleomorphismustheorie behaupten, der Monomorphismus der die Unmöglichkeit der Speziesumwandlung vertritt, sei widerlegt [3] Demgegenüber stehen die Erkenntnisse der Zell-, Molekular- und Mikrobiologie. Diese belegen eindeutig, dass die Grundannahmen, auf denen der Pleomorphismus beruht, falsch sind.
Der auf den französischen Chemiker und Biologen Pierre Jacques Antoine Béchamp (1816-1908) zurückgehende Pleomorphismus erreichte in Deutschland zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein gewisses Maß an Akzeptanz innerhalb der Mikrobiologie, vor allem beruhend auf den späteren Arbeiten von Günther Enderlein. Diese wurden jedoch bereits zu seinen Zeiten von der Mehrheit der mikrobiologisch forschenden Naturwissenschaftler abgelehnt. So schrieb E. Klieneberger 1931 in einer Arbeit, die den Pleomorphismus mit der Pettenkoferien-Hypothese und der mehrheitlich akzeptierten Monomorphismus-Theorie vergleicht:
- „... Ein nicht auf getreuen Beobachtungen, sondern mehr auf theoretischen Spekulationen fußendes systematisches Gebäude eines Bakterienentwicklungskreislaufs hat G. ENDERLEIN aufgestellt. ... So müssen die Enderleinschen Spekulationen völlig abgelehnt werden, da sie jede reale Grundlage vermissen lassen. ...“[1]
Analog dazu schreiben C. Stapp und H. Zycha ebenfalls 1931 in einer experimentellen Arbeit zur Morphologie von Bacillus mycoides:
- „... Auf die meist theoretischen Abhandlungen Enderleins (1925, 1930) hier einzugehen, erscheint uns unnötig, da dieser Autor von gänzlich anderen Gesichtspunkten ausgeht und eine Diskussion jeder gemeinsamen Basis entbehrt. ...“[4]
Die Pleomorphismus verlor nach der Veröffentlichung entsprechender Forschungsergebnisse schnell an Bedeutung und wird heute nur noch von einer bedeutungslosen Minderheit vertreten, insbesondere im alternativmedizinischen Bereich.
heutige Bedeutung und Verwendung des historischen Pleomorphismus
Eine wenige Personen aus dem ausserwissenschaftlichen Bereich sind jedoch weiterhin vom historischen Pleomorphismuskonzept überzeugt und vertreten dieses Konzept in einem alternativmedizinischen und/oder pseudowissenschaftlichen Kontext. Hier wird beispielsweise von einigen Vertretern angenommen es gäbe lediglich 19 verschiedene Bakterienarten.
Das historische Pelomorphismuskonzept ist auch die Basis der Isopathie, einem der Homöopathie ähnlichen Konzepts das in der Sanum Therapie eine Rolle spielt.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 E. Klieneberger: Die heutigen Auffassungen der verschiedenen Formen der Bakterienzellen einer Art. In: Klinische Wochenschrift 10/1931, S. 31ff
- ↑ Th. Schwann, " Vorläufige Mitteilung betreffend Versuche über Weingährung und Fäulniss. ", Annalen der Physik und Chemie, XLI, 1837, p. 184-193
- ↑ Laut Helmut Körner, einem Anhänger des Pleomorphismus, sei der Monomorphismus widerlegt
- ↑ C. Stapp und H. Zycha: Morphologische Untersuchungen an Bacillus mycoides; ein Beitrag zur Frage des Pleomorphismus der Bakterien. In: Archiv für Mikrobiologie. 2/1931, S. 33ff