Werbung für ein "Quantum Marketing" auf Webseiten des englischen Esoterikers Karma Singh

Quantenmystik bezeichnet den pseudowissenschaftlichen Versuch, Erkenntnisse aus der etablierten Quantenphysik mit esoterischen, metaphysischen, betriebswirtschaftlichen, parapsychologischen oder pseudomedizinischen Konzepten zu verbinden (Paraphysik). Seit einigen Jahren sind quantenmystische Aussagen besonders im Zusammenhang mit der Vermarktung von esoterischen und alternativmedizinischen Dienstleistungen und Produkten zu beobachten, um deren Wirkung zu "belegen" oder um ihnen einen Anschein von Wissenschaftlichkeit zu verleihen.

Merkmale der Quantenmystik

Die Anleihen, die von Quantenmystikern bei der Quantenphysik – als Teildisziplin der Physik meist Quantenmechanik genannt – gemacht werden, sind unterschiedlich. Oft handelt es sich um nicht mehr als das Wort "Quantenphysik". Es werden auch die Namen von Teilgebieten der Quantenmechanik wie Quantenelektrodynamik oder Quantenfeldtheorie als Imponiervokabeln benutzt sowie eigene Wortkreationen mit der Silbe "Quant".

Ein typisches Merkmal ist die unsinnige Übertragung von Kernaussagen der Quantenmechanik auf makroskopische Vorgänge, das sind solche, die im Rahmen der klassischen Physik erklärt werden können. Den Quantenmystikern kommt entgegen, dass die Quantenmechanik schwer verständlich ist. Die subatomaren Objekte, mit denen sie sich beschäftigt, also die "Teilchen" oder "Quanten", lassen sich nicht herkömmlich abbilden, und ihr Verhalten lässt sich oft nicht mit der Alltagserfahrung in Einklang bringen. Ohne solide Kenntnisse in Mathematik und Physik ist ein tieferes Eindringen nicht möglich, erst recht ist ohne solches Rüstzeug keine "Weiterentwicklung" der Quantenmechanik zu bewerkstelligen, was einige Quantenmystiker gleichwohl für sich reklamieren. Am häufigsten sind allgemein gehaltene Formulierungen wie

  • "Die Quantenphysik hat gezeigt, dass wir Menschen nicht aus fester Materie, sondern aus Schwingungen und Energie bestehen."
  • "Die Quantenphysik hat gezeigt, dass unsere Welt völlig anders beschaffen ist als wir sie wahrnehmen. Alles ist Energie."
  • "Die Quantenphysik hat gezeigt, dass das Universum wie ein Hologramm aufgebaut und alles miteinander verbunden ist."
  • "Die Quantenphysik hat gezeigt, dass der Beobachter am Ergebnis beteiligt ist."

Solche Behauptungen können von Laien kaum auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Auf welche Befunde der Quantenmechanik sie sich konkret beziehen, ist oft auch nicht erkennbar. Das kann mehrere Gründe haben. Erstens und am häufigsten kann es daran liegen, dass tatsächlich kein Zusammenhang mit der Quantenmechanik besteht. Zweitens werden als Quellen überwiegend keine Lehrbücher der Physik benutzt, sondern es wird von anderen Quantenmystikern abgeschrieben. Drittens werden Begriffe wie "Energie", "Wellen", "Schwingungen", "Wechselwirkung" usw. oft nicht in ihrer naturwissenschaftlichen Bedeutung verwendet, sondern im Sinne des Sprachgebrauchs der Esoterik, der sich durch eine Vermeidung klarer Begriffsdefinitionen auszeichnet. Folglich liefern Quantenmystiker auch keine schlüssigen Erklärungen, wie das jeweils beworbene Konzept durch die Quantenphysik erklärt wird.[1]

"Alles besteht aus Schwingungen."

Diese beliebte Phrase kann man mit dem Welle-Teilchen-Dualismus in Verbindung bringen, in der Quantenmechanik mit den Materiewellen, einem mathematischen Modell, mit dem sich das Verhalten von Elementarteilchen beschreiben lässt, das sowohl Teilchen- als auch Wellencharakter annehmen kann (ein bekanntes Schlüsselexperiment dazu ist die Beugung von Elektronen am Doppelspalt). Wenngleich sich der Wellencharakter auch für größere Teilchen, d.h. Atome und Moleküle, mit einigem Aufwand experimentell nachweisen lässt, ist das Konzept der Materiewellen für das Verhalten makroskopischer Objekte ohne Belang und Sätze der zitierten Art sagen daher nichts aus. Oft werden auch Materiewellen mit elektromagnetischen Wellen verwechselt. Bei der elektromagnetischen Strahlung gibt es auch einen Welle-Teilchen-Dualismus (die Teilchen heißen hier Photonen). Materiewellen sind jedoch keine messbare Strahlung, sondern ein Erklärungsmodell.

"Alles besteht aus Energie."

Ein Bezug dieser schwammigen Aussage zur Quantenphysik lässt sich eventuell zur Paarbildung herstellen, das ist die Entstehung eines Teilchen-Antiteilchen-Paares, sowie dem umgekehrten Prozess, der Annihilation eines solchen Teilchenpaares, und im Weiteren zu den Quantenfeldtheorien. Es kann aber auch die Äquivalenz von Masse und Energie gemeint sein ("E = mc²"), die im Rahmen der Relativitätstheorie ausgearbeitet wurde.

"Der Beobachter ist am Ergebnis beteiligt."

Der Satz spielt auf das Problem der quantenmechanischen Messung an. Dieses besagt vereinfacht, dass bei der Messung quantenmechanischer Größen wie Ort, Impuls oder Spin eines Elementarteilchens der Messprozess das Ergebnis beeinflusst. Zum Beispiel kann es völlig unterschiedlich ausfallen, je nachdem, welche der Größen zuerst gemessen wird.

Zu beachten ist aber, dass man es hier mit Phänomenen zu tun hat, die sich der Alltagserfahrung völlig entziehen (und dort auch keine Rolle spielen). Vor allem haben sie nichts mit dem trivialen Einfluss des Messvorgangs auf das Messobjekt im Sinne der klassischen Physik zu tun, etwa wenn ein Voltmeter zur Messung der elektrischen Spannung selbst "Strom verbraucht" und damit einen Schaltkreis gegenüber dem Zustand vor oder nach der Messung beeinflusst. Dennoch werden solche Aussagen ohne jede Rechtfertigung auf makroskopische Objekte oder auch auf das Verhalten von Menschen bezogen. Dass bei einer Gruppe handelnder Personen auch nicht unmittelbar beteiligte Beobachter einen Einfluss auf das Geschehen haben können, ist aber keine tiefschürfende Erkenntnis aus der Quantenphysik, sondern banal.

Beispiele für quantenmystische Konzepte, Begriffe und Produkte

 
Quantenheilung nach Kinslow
 
Unkritischer Jubelartitel bei esotera[2] und "Horus-Media" zum quantenmystischen Perpetuum Mobile "RQM" am Institut für Raum-Quanten-Forschung von Hans Lehner[3]

Viele der im Folgenden genannten Begriffe sind dem Pseudomedizinmarkt zuzuordnen.

Vertreter

Bekanntere Vertreter quantenmystischer Konzepte sind:

Geschichtliches

 
Populärer Buchtitel von 1985

Die wissenschaftliche Quantenphysik geht auf den Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zurück. Zu nennen sind Forscher wie Erwin Schrödinger, Werner Heisenberg, Wolfgang Pauli, Niels Bohr oder Eugene Wigner. Philosophische Interpretationen quantenphysikalischer Beobachtungsergebnisse und daraus sich ergebende Theorien und Vorhersagen kamen bereits im zwanzigsten Jahrhundert fast zeitgleich auf, wurden aber außerhalb der Fachwelt kaum beachtet. Populär wurden quantenmystische Ideen erst Jahrzehnte später in der New Age-Periode in den 1970er Jahren. Als ein Wegbereiter kann der österreichische Physiker Fritjof Capra mit seinem Buch Das Tao der Physik aus dem Jahr 1975 angesehen werden. In der Folge versuchten populärwissenschaftliche Autoren zunächst vor allem, Verbindungen zwischen der Quantenmechanik und fernöstlichen Philosophien herzustellen. Quantenmystik als Marketing-Instrument für esoterische Dienstleistungen und Erzeugnisse, insbesondere auch für pseudomedizinische Produkte, ist seit Mitte der 1990er Jahre zu beobachten.

Weblinks

Quellennachweise

  1. Eine typische "Erklärung", hier für die "Quantenmedizin", liest sich so: "Eine wissenschaftliche Erklärung der Quantenmedizin ist schon möglich, nur sind die Grundlagen im Gegensatz zur Mechanischen Physik hier völlig anders. Das Nervensystem und das Quantenvakuum, die virtuell- energetischen Welten, besitzen jeweils Potenziale und Ladungen, die über Skalarwellen und das universale Informationsfeld (die Holographische Fraktalmatrix) gegenseitig in Kontakt stehen und wechselwirken können. Die Struktur des Potenzials ist dabei die entscheidende physikalische Größe für die Kommunikation mit dem Vakuum. Da unser Organismus alle seine Funktionen mit Hilfe der Potenzial- Regulierung steuert, werden speziell für diese Kommunikation Materiewelt - Vakuumwelt neu entwickelte Quantenpositronische Geräte eingesetzt." (www.quantenmed-schattmann.de/quantenmedizin.htm)
  2. esotera, Heft 4/1996, Seiten 98-99
  3. http://www.horusmedia.de/1996-strom/strom.php