Ketogene Diät
Die Ketogene Diät entspricht einer Ernährungsweise, bei der auf Zucker und Kohlenhydrate in der Nahrung ganz oder teilweise verzichtet wird. Zur Energiegewinnung bildet der Körper aus Fettsäuren die so genannten Ketonkörper, die den Energiebedarf des Körpers, insbesondere des Gehirns, decken können. Es handelt sich um eine fettreiche, kohlenhydratarme und proteinarme Ernährungsweise, bei der biochemisch ein Fastenzustand nachgeahmt wird. Im Gegensatz zum Fasten bezieht hier der Körper seinen Energiebedarf nicht aus Körperfett, sondern aus Nahrungsfett. Nachdem die Glykogenreserven in der Leber und den Muskelgeweben verbraucht wurden (frühestens 12-24 Stunden, spätestens nach 14-tägiger Nahrungskarenz), werden vom Fettgewebe verstärkt freie Fettsäuren ins Blut abgegeben, die in der Leber zu den genannten Ketonkörpern (Acetacetat und Hydroxybutyrat) umgewandelt werden. Diese Ketonkörper dienen der Zelle als Energielieferant, indem sie in den Mitochondrien in den Citratzyklus eingeschleust und zu Kohlendioxid oxidiert werden. Das (zu einem geringen Anteil durch spontane Decarboxylierung aus Acetoacetat entstehende) Aceton wird als Abfallprodukt primär über die Nieren ausgeschieden. Ein wenig Aceton wird auch abgeatmet und mit dem Schweiß ausgeschieden, was bei streng Fastenden zu einem unangenehmen Körpergeruch nach 2-wöchiger Fastenkur führen kann.
Obwohl die ketogene Diät zumeist bei Menschen mit Wunsch einer Gewichtsreduktion populär ist, sie unbelegt zum "Bodybuilding" beworben und als Wundertherapie bei Krebs gepriesen wird, ist diese Diät tatsächlich eine Therapieoption bei bestimmten Erkrankungen. So ist diese Diät bei den beiden Erbkrankheiten Glukosetransporter(GLUT1)-Defekt und Pyruvatdehydrogenase-Mangel die einzige Therapiemöglichkeit. Bei einigen Formen der kindlichen Epilepsie lassen sich bei einem Teil der Kinder Anfallsfreiheit bzw. Besserung der Symptomatik erreichen.
Varianten der ketogenen Diät sind Low-Carb-Diäten, wie Atkins-Diät oder South Beach Diät, und die TKTL1-Anti-Krebs-Diät nach Johannes Coy.
Die Diät
Bei der ketogenen Diät soll das Gewichtsverhältnis von Fett zu Protein zu Kohlenhydraten etwa 3 bis 4 : 1 : 1 betragen, entsprechend 3 bis 4 g Fett zu 1 g Protein zu 1 g Kohlenhydrate. Statt Kohlenhydraten werden also hauptsächlich Fette aufgenommen. In einer Umstellungsphase gewinnt der Körper seine Energie aus dem Depotfett. Die Nahrung muss individuell zusammengestellt und zumindest in der Anfangsphase ärztlich überwacht werden. Es werden sowohl mittelkettige (MCT-Diät) als auch langkettige Triglyzeride (LCT-Diät) verwendet.
Die ketogene Ernährungsweise steht im kompletten und direkten Widerspruch zu bisherigen Erkenntnissen über eine gesunde ausgewogene Ernährung.
Nebenwirkungen
Es ist nach Expertenmeinung unklar, ob eine ketogene Diät das Arterioskleroserisiko steigert, da die Studienergebnisse widersprüchlich sind.[1][2][3] Die Verwendung mittelkettiger Triglyzeride (MCT-Diät) führt häufig zu gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit oder Durchfall. Bei der Nahrungsumstellung auf die ketogene Ernährung kann es zur Unterzuckerungssymptomen und "überschießenden" Ketosen kommen. Als mittelfristige Nebenwirkungen der ketogenen Diät sind Obstipation, Nierensteine und Hypercholesterinämie beschrieben. In Einzelfällen wurden EKG-Veränderungen (Verlängerung des QT-Intervalls), Veränderungen der Thrombozytenfunktion, Optikusneuropathie, Funktionsstörungen der neutrophilen Granulozyten und Pankreatitis berichtet. Das Wachstum von Kindern unter ketogener Diät scheint möglicherweise leicht beeinträchtigt zu sein.[4]
Ketogene Diät zur Behandlung einiger Formen der kindlichen Epilepsie
Die ketogene Diät wird als Therapieverfahren bei Kindern bei bestimmten Formen einer medikamentenresistenten Epilepsie (z.B. Lennox-Gastaut Syndrom[5], Ohtahara-Syndrom oder Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie (BNS-Epilepsie oder West-Syndrom) eingesetzt. Hier hat sich diese Ernährungsweise trotz der hohen Belastung (teilweise stationärer Krankenhausaufenthalt) und der langen Dauer der Ernährungseinschränkungen für die Kinder bewährt. Der genaue Wirkmechanismus ist hier jedoch trotz umfangreicher Forschung noch weitgehend unklar.
Eine argentinische Studie mit 20 Jahren Laufzeit bei 216 Kindern mit verschiedenen Epilepsieformen zeigte im Jahre 2011, dass 65% der Kinder die ketogene Diät bis zum Therapieende durchhielten. 20,5% der Kinder wurde anfallsfrei, bei 36% kam es zu einer Besserung der Symptomatik.[6] Zur Behandlung des medikamentenresistenten West-Syndroms bei Kindern liegen bis 2010 nur fünf retrospektive Untersuchungen mit fünf oder mehr Patienten vor (Evidenzklasse 3).[7][8][9][10][11] In rund einem Drittel (Durchschnittswert aller fünf genannten Studien) der behandelten Kinder konnte eine Anfallsfreiheit oder deutliche Besserung nach sechs Monaten ketogener Diät beobachtet werden. Eine Leitlinie der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) zur ketogenen Diät bei bestimmten Formen der Epilepsie wird für das Jahr 2013 erwartet (Therapieoption bei pharmakoresistenten Epilepsien im Kindesalter und Störungen des zerebralen Energiestoffwechsels[12]).
Der Einsatz der ketogenen Diät zur Behandlung der Epilepsie wurde in den Zwanziger- bis Dreißigerjahren des 20. Jahrhundert eingeführt, als die heutigen Antiepileptika noch nicht zur Verfügung standen (Phenytoin erst ab 1938, Valproinsäure erst ab den siebziger Jahren). Davor wurden zahlreiche Diätkuren und Ernährungsweisen zur Behandlung der Epilepsie beworben. Bereits aus der Bibel und dem Altertum gibt es Berichte über den Verzicht auf Nahrung und Trinkwasser zur Behandlung der Epilepsie. Ein Bericht über die Anwendung einer "Entgiftung" und Auswirkung des Fastens auf die Epilepsie ist in einem Fachartikel französischer Forscher aus dem Jahr 1911 dokumentiert.[13]
Ketogene Diät und Krebs
In der Vergangenheit wurde die ketogene Diät (bzw. eine Abwandlung als proteinreiche "neue" KD) mehrfach als vermeintlich kausal wirksame "Krebsdiät" propagiert. Eine Befürworterin ist beispielsweise die habilitierte Biologin Ulrike Kämmerer aus Würzburg, die die Webseite "www.keto-bei-krebs.de" betreibt. Die Autorin des an Laien gerichteten Werks "Krebszellen lieben Zucker - Patienten brauchen Fett"[14][15] Eine ausführliche Kritik des Buchs findet sich in einem Artikel "Krebszellen mögen Zucker, aber noch mehr lieben sie Fett und tierisches Eiweiß", der in der Deutschen Zeitschrift für Onkologie erschien.[16][17] Darüber hinaus wird die ketogene Ernährung zur Verbesserung der Lebensqualität Krebskranker empfohlen.[18] Eine mögliche krebshemmende Wirkung der ketogenen Diät wird wissenschaftlich diskutiert[19], gleichzeitig gibt es aber auch Hinweise auf mögliche krebsfördernde Wirkungen.[20] Bei Betrachtung der wissenschaftlichen Studienlage zeigt sich, dass die These einer "Glukose-Aushungerung" von Krebszellen mit Hilfe der ketogenen Diät nicht belegt ist.[21] Langzeitergebnisse einer ketogenen Diät als Krebstherapie liegen bis heute (Stand: 2012) nicht vor. Die Deutsche Krebsgesellschaft warnt in einer Pressemitteilung vom März 2010 vor einer ketogenen Ernährung als Anti-Krebs-Diät, da abgesehen von Tierversuchen bislang keine klinischen Studien vorliegen.
Es ist nicht eindeutig geklärt, wie weit der Blutzucker- oder Insulinspiegel gesenkt werden muss, um tatsächlich eine selektive schädliche Wirkung auf Krebszellen auszuüben. Genauso wenig ist geklärt, ob im Falle eines dauerhaft erniedrigten Zuckerspiegels Tumorzellen nicht auch auf andere Energiequellen wie Eiweiße, Fette oder die Ketonkörper umsteigen können.[22] Es wurde zudem beobachtet, dass Tumoren auf einen Zuckerentzug mit der Überproduktion von Glukosetransportern reagieren und somit ein erniedrigtes Traubenzuckerangebot kompensieren können.
Eine Variante der ketogenen Diät ist die Krebsdiät nach Coy. Coy behauptet, dass das TKTL1-Gen bei Krebspatienten selektiv den Energiestoffwechsel der Tumorzellen beeinflusse und mit einer speziellen Ernährung (die Coy anbietet) ein krebshemmender Effekt zu erzielen sei. Unklar ist bislang, ob der Nachweis des TKRL-Gens tatsächlich einen Hinweis auf die Wirksamkeit der Diät gibt.
Zum Versuch, Krebserkrankungen durch Fasten zu beeinflussen: siehe Breuss Kur.
Ketogene "anabole" Diät
Die ketogene Ernährungsweise wird auch bei Gesunden zur Steigerung der Leistungsfähigkeit beworben. Sie soll zudem den Schlafbedarf senken, Hungergefühle und "Freßattacken" verhindern. Letzendlich soll sie Übergewicht vorbeugen. Ziel ist es, Muskelmasse zu erhöhen, ohne den Körperfettanteil zu steigern. Somit ist die ketogene Diät auch bei Bodybuildern verbreitet.
Anhängerschaft der ketogenen Diät
Im deutschsprachigen Raum propagiert der Verein "Deutscher Ketarier & Selbsthilfeverein e.V." aus 99301 Arnstadt die ketogene Ernährungsweise.[23] Ein weiterer Verbreiter ist Christoph Lenz (alias Christopher Ray) mit seinem Internetprojekt FAKTuell aus Görlitz (Ketario). Ray ist Anhänger der Germanischen Neuen Medizin von Ryke Geerd Hamer.
Literatur
- Nordli D.: The ketogenic diet: uses and abuses. Neurology, 2002 Jun 25;58(12 Suppl 7):S21-4
- Nangia S, Caraballo RH, Kang HC, Nordli DR, Scheffer IE: Is the ketogenic diet effective in specific epilepsy syndromes? Epilepsy Res. 2012 Jul;100(3):252-7. doi: 10.1016/j.eplepsyres.2012.01.015
- Ludwig Manfred Jacob, Nicole Weis: Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? Stellungnahme zum Schreiben von Frau Prof. Kämmerer. Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44: 154–161
- James W. Wheless:History and Origin of the Ketogenic Diet. In: Epilepsy and the Ketogenic Diet. (Herausgeber: C. E. Stafstrom, J. M. Rho) Humana Press Inc., Totowa, NJ (englisch)
Weblinks
Quellennachweise
- ↑ Kwiterovich PO Jr, Vining EP, Pyzik P, Skolasky R Jr. Freeman JM: Effect of a high-fat ketogenic diet on plasma levels of lipids, lipoproteins, and apolipoproteins in children. JAMA. 2003 Aug 0;290(7):912-20.
- ↑ Klepper J, Scheffer H, Leiendecker B, Gertsen E, Binder S, Leferink M, Hertzberg C, Nake A, Voit T, Willemsen MA.: Seizure control and acceptance of the ketogenic diet in GLUT1 deficiency syndrome: a 2- to 5-year follow-up of 15 children enrolled prospectively. Neuropediatrics. 2005 Oct;36(5):302-8
- ↑ Freeman JM, Kossoff EH, Hartman AL.: The ketogenic diet: one decade later. Pediatrics. 2007 Mar;119(3):535-43. Review
- ↑ Vining EP, Pyzik P, McGrogan J, Hladky H, Anand A, Kriegler S, Freeman JM.: Growth of children on the ketogenic diet. Dev Med Child Neurol. 2002 Dec;44(12):796-802
- ↑ Hartman AL: Does the effectiveness of the ketogenic diet in different epilepsies yield insights into its mechanisms? Epilepsia. 2008 Nov;49 Suppl 8:53-6. doi: 10.1111/j.1528-1167.2008.01835.x
- ↑ Caraballo R, Vaccarezza M, Cersósimo R, Rios V, Soraru A, Arroyo H, Agosta G, Escobal N, Demartini M, Maxit C, Cresta A, Marchione D, Carniello M, Paníco L.: Long-term follow-up of the ketogenic diet for refractory epilepsy: multicenter Argentinean experience in 216 pediatric patients. Seizure, 2011 Oct;20(8):640-5. doi: 10.1016/j.seizure.2011.06.009
- ↑ Douglas R. Nordli, Maxine M. Kuroda, Joanne Carroll, Dorcas Y. Koenigsberger, Lawrence J. Hirsch, Harlan J. Bruner, William T. Seidel, Darryl C. De Vivo: Experience With the Ketogenic Diet in Infants. Pediatrics, Vol. 108 No. 1 July 1, 2001, S.129-133 doi: 10.1542/peds.108.1.129 [1]
- ↑ Kossoff, E. H., P. L. Pyzik, et al. (2002): Efficacy of the ketogenic diet for infantile spasms. Pediatrics 109(5): 7803
- ↑ Francois, L. L., V. Manel, et al. (2003): Ketogenic regime as antiepileptic treatment: its use in 29 epileptic children. (fr) Arch Pediatr 10(4):3006
- ↑ Eun, S. H., H. C. Kang, et al. (2006): Ketogenic diet for treatment of infantile spasms. Brain Dev 28(9): 56671
- ↑ Kang, H. C., Y. M. Lee, et al. (2007): Safe and effective use of the ketogenic diet in children with epilepsy and mitochondrial respiratory chain complex defects. Epilepsia 48(1): 828
- ↑ http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/022-021_S1_Ketogene_Diaet_abgelaufen.pdf
- ↑ Guelpa G, Marie A.: La lutte contre l’épilepsie par la désintoxication et par la rééducation alimentaire. Rev Ther Medico–Chirurgicale 1911;78:8–13
- ↑ Ulrike Kämmerer, Christina Schlatterer, Gerd Knoll: Krebszellen lieben Zucker - Patienten brauchen Fett. Verlag: Systemed, Mai 2012
- ↑ http://www.welt.de/gesundheit/article5338941/Fettreiche-Ernaehrung-soll-gegen-Krebs-helfen.html
- ↑ Ludwig Manfred Jacob, Nicole Weis: Krebszellen mögen Zucker, aber noch mehr lieben sie Fett und tierisches Eiweiß. Deutsche Zeitschrift für Onkologie, 2012; 44(3): S. 109-118. DOI: 10.1055/s-0032-1314699 Artikel
- ↑ Ludwig Manfred Jacob, Nicole Weis: Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? Stellungnahme zum Schreiben von Frau Prof. Kämmerer
- ↑ http://www.spektrum.de/alias/krebszellen-lieben-zucker-patienten-brauchen-fett/lassen-sich-krebszellen-aushungern/1155258
- ↑ Klement RJ, Kämmerer U.: Is there a role for carbohydrate restriction in the treatment and prevention of cancer? Nutr Metab (Lond). 2011 Oct 26;8:75. doi: 10.1186/1743-7075-8-75
- ↑ Martinez-Outschoorn UE, Lin Z, Whitaker-Menezes D, Howell A, Sotgia F, Lisanti MP: Ketone body utilization drives tumor growth and metastasis. Cell Cycle, 2012 Nov 1;11(21):3964-71. doi: 10.4161/cc.22137
- ↑ http://www.biokrebs.de/images/stories/download/Newsletter_Links/2012_ketogene_Diaet.pdf
- ↑ Barger JF, Plas DR: Balancing biosynthesis and bioenergetics: metabolic programs in oncogenesis. Endocr Relat Cancer 2010; 17(4): R287–304
- ↑ Deutscher Ketarier & Selbsthilfeverein e.V., Postfach 1137, 99301 Arnstadt