Strophanthin
Strophanthin (auch Strophantin, engl.: Ouabain, verschiedene Derivate) ist ein herzwirksamer Wirkstoff pflanzlicher Herkunft, der in der Vergangenheit analog zu ähnlichen pflanzlichen Wirkstoffen wie Digitalis in der Behandlung von Herzerkrankungen eingesetzt und inzwischen obsolet wurde, aber weiterhin von einzelnen Befürwortern (meist Heilpraktikern) im alternativmedizinischen Bereich vehement und aggressiv beworben wird. Auch gibt es einige ältere Ärzte, die an ihrer Verschreibungspraxis festhalten und sich weniger an neueren Behandlungsleitlinien orientieren wollen.[1] Die Substanz kann auch in kleiner Menge tödliche Wirkungen haben. Sie wird in Afrika seit langem als Pfeilgift verwendet.[2] Die aktuelle Nichtverwendung dieses Wirkstoffs in der wissenschaftlichen Medizin wird von den Strophanthinaktivisten häufig mit Verschwörungstheorien in Zusammenhang gebracht. Entsprechende Argumentationsversuche sind häufig durch pseudowissenschaftliche Äußerungen und Anekdotenberichte gekennzeichnet. Valide Gegenargumente und Veröffentlichungen werden dabei nicht zur Kenntnis genommen. Strophanthin wird heute von den wenigen Befürwortern als ein Wundermittel bei Herzerkrankungen und als Milch des alternden Herzens dargestellt, das angeblich keinerlei Nebenwirkungen aufweise, obwohl es eine nur geringe therapeutische Breite und schlechte Dosierbarkeit aufweist.[3] An Nebenwirkungen sind Verwirrtheit mit gestörter Farbempfindung, Schwindel, Herzrhythmusstörungen und schließlich Herzversagen bekannt. Dass das Mittel von einem schwedischen Pharma-Multi mit Milliardenumsatz hergestellt wird, verschweigt man meist, um die abwegige Pseudoargumentation nicht in Frage stellen zu müssen, nach der dieses Mittel von der Schulmedizin unterdrückt werde. Entsprechende Horrormärchen werden von Secret-TV von Jo Conrad sowie bei Lnc-2010 verbreitet.
Chemie des Strophanthins
Strophanthin oder Ouabain ist ein Cardenolid-Glykosid mit herzwirksamen Wirkungen (Herzglykosid). Das Aglykon ist g-Strophanthidin (Ouabagenin). Strophanthin hemmt die körpereigene Na+/K+-ATPase, also die aktive (energieabhängige) Natrium-Kaliumpumpe der Zellen. In Folge kann die ATPase keinen Natrium-Konzentrationsgradienten aufbauen, der zur Funktion eines passiven Natrium-Calcium-Austauschers notwendig ist. Die Calciumionen reichern sich intrazellulär an und sorgen für eine leichtere Erregbarkeit und höhere Kontraktionskraft des Herzmuskels. Auch die Natriumkonzentration steigt intrazellulär an. Wegen der allgemeinen Hemmung der Na+/K+-ATPase haben herzwirksame Glykoside auch eine leicht diuretische Wirkung, die bei therapeutischer Dosierung jedoch meist unerheblich ist.
Es gibt verschiedene Derivate des Strophanthins, die nach Herkunft entsprechend gekennzeichnet sind.
- e-Strophanthin aus Strophanthus eminii
- g-Strophanthin aus S. gratus und Acokanthera oblongifolia
- h-Strophanthin aus S. hispidus
- k-Strophanthin aus S. kombé
Am häufigsten wurde das g-Strophanthin eingesetzt, gefolgt vom k-Strophanthin.
Die Strophanthine sind weltweit in den Samen verschiedener Pflanzen zu finden. Dazu gehören vor allem afrikanische Pflanzen der Gattung Strophanthus aus der Familie der Hundsgiftgewächse. Aber auch in der Pflanze Acokanthera (Acokanthera oblongifolia, A. ouabaio und A. schimperi), die man bisweilen auch bei uns als Topfpflanze antrifft, ist Strophanthin zu finden. Ouabain, die englische Bezeichnung für g-Strophanthin, hat seinen Namen vom afrikanischen Ouabaio-Baum (Acokanthera ouabaio), dessen Samen g-Strophanthin enthält. Ouabaio ist die englische Schreibweise des ostafrikanischen Wortes Wabayo. Das auch bei uns heimische Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis) enthält Strophanthidin, das Aglykon des k-Strophanthins, welches ebenfalls sehr giftig ist und bei Pferden tödlich sein kann.
Geschichtliches
Es ist seit langem bekannt, dass einige ostafrikanische Völker aus den Samen der Strophanthus-Arten Pfeilgift herstellen, zur Jagd und auch für Kampfeinsätze. Strophanthin ist auch als Substanz bei Mordanschlägen bekannt. 1859 wurde die Herzwirkung des Strophanthus-Samens entdeckt, als während der Livingstone-Expedition in Afrika die Zahnbürste des Biologen John Kirk von diesem unbemerkt in Kontakt mit dem Strophanthus-Pfeilgift kam und dieser unmittelbar darauf eine Wirkung auf das Herz bemerkte. 1862 gelang es dem schottischen Pharmakologen und Kliniker Thomas R. Fraser, aus dem Samen des Strophanthus kombé k-Strophanthin zu isolieren. 1885 wurde der Gesamtextrakt von S. kombé als Tinctura strophanthia in die Herztherapie eingeführt und 1893 ins deutsche Arzneibuch aufgenommen. 1888 isolierte der französische Chemiker Arnaud das g-Strophanthin aus Strophanthus gratus und Acokanthera ouabaio, welches ab 1904 als Reinsubstanz zur oralen Einnahme zur Verfügung stand.
Das deutsche Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim entwickelte eine intravenöse Darreichungsform als Kombetin®. Strophanthin kam 1904 als herzwirksames Mittel auf den Markt. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Gift Strophantin vereinzelt in Konzentrationslagern zur Ermordung von Häftlingen eingesetzt, so z. B. bei Pfarrer Paul Schneider.[4]
Intravenös zugeführtes Strophanthin wurde bis 1992 bei akuter Herzinsuffizienz als schnell wirksames Glykosid im klinischen Bereich in einigen Krankenhäusern eingesetzt, bis Strophanthin aufgrund neuerer Erkenntnisse zugunsten geeigneterer Mittel obsolet wurde. Das intravenös zu applizierende Strophanthin war wegen der geringen Halbwertzeit besser steuerbar als vergleichbare Herzglykoside. Ab 1950 wurde zur Therapie der chronischen Herzinsuffizienz die intravenöse Strophanthin-Gabe aufgrund des Aufkommen oral verfügbarer Digitalis-Präparate immer seltener verwendet. Neuere große Studien zu Herzinfarkt und Herzinsuffizienz zeigten jedoch, dass Herzglykoside keinen Effekt auf Sterblichkeit oder Lebenserwartung hatten. Es blieb bei einer lediglich symptomatischen Wirkung. Daneben war Strophanthin bei niedergelassenen Ärzten auch als oral gegebenes Mittel in Gebrauch, und zwar insbesondere in Frankreich, Deutschland sowie einigen osteuropäischen Staaten, während es außerhalb dieser Länder kaum Beachtung fand.
Bis 1990 waren fast alle Ouabain-Präparate vom Markt genommen worden. Das Strodival der Firma Herbert Arzneimittel GmbH wurde als einziges Produkt noch angeboten. Herbert Arzneimittel GmbH wurde von der Brahms Arzneimittel AG übernommen, welche 2003 von dem schwedischen Generikahersteller Meda aufgekauft wurde. Im Juli 2011 wurde die fiktive Zulassung für Strodival (das Mittel wurde nie durch klinische Studien zugelassen, es war lag lediglich eine "fiktive Zulassung" vor) vom deutschen BfArM zurückgezogen. Meda durfte Bestände noch verkaufen und stellte den Vetrieb im August 2012 ein. Seither gibt es in Deutschland und anderen Ländern kein zugelassenes Ouabain-Präparat mehr, von homöopathischen Mitteln abgesehen.
In den 1990er Jahren wurden Stereoisomere des g-Strophanthins (Endogenes Ouabain) als körpereigene Hormone bekannt[5], die offenbar eine Rolle bei der Entstehung des Bluthochdrucks spielen[6] und Ausgangspunkt zur Entwicklung zukünftiger Mittel gegen Bluthochdruck (z.B. Rostafuroxin) sind.
Aktuelle Situation
Heute plädieren die internationalen Leitlinien generell erst an zweiter Stelle für Herzglykoside (zu denen das Strophanthin gehört), dann aber für Digitoxin, Digoxin oder deren Abkömmlinge.[7][8]
Pharmakokinetik, Strodival/Strodival MR und homöopathische Strophanthin-Mittel
Aktuell ist Strodival (als orales Kardiakum) des schwedischen Pharma-Multis Meda erhältlich. Des Weiteren gibt es diverse homöopathische Zubereitungen mit Strophanthin. Der intravenösen Darreichungsform wurde 2006 die Zulassung versagt.[9]
Die intravenöse Gabe von Straphanthin führt zu einer sofortigen Wirkung, die nach etwa 5 Minuten maximal ist und rund 5-7 Stunden andauert, bis die Wirkung stark abnimmt.[10]
Problematisch ist die geringe und vorab schlecht kalkulierbare orale Resorption im Bereich von nur etwa 10%, auf welche die internationale Fachliteratur hinweist.[11][12] Wenn man sich die für Ärzte erhältliche Fachinformation des Herstelles für Strodival ansieht, dann müsste der Wert sogar noch niedriger sein. Dort steht nämlich, dass zum Erreichen der gleichen Serumkonzentration verglichen mit Gabe von 0,25 mg i.v. eine Dosis zwischen 8-10 mg oral notwendig sei. Die geringe Bioverfügbarkeit ist einer der Gründe, warum heutzutage die oralen Strophanthine keine Bedeutung mehr haben. In der Fachinformation zu Strodival sind auch Angaben zur Kinetik zu finden, die zeigen, dass bei ausreichender Dosierung und Resorption zwar eine Wirkung erzielt, die individuelle Bioverfügbarkeit jedoch stark schwankt und laufend angepasst werden muss. Dies ist bei allen Herzglykosiden der Fall, wirkt sich aber z.B. bei Digitalispräparaten durch deren längere Halbwertzeit und bessere Bioverfügbarkeit weniger stark aus.
Die magensaftresistente Variante, das Strodival MR, enthält Dibutylphtalat (DBP). Dieser pharmazeutische Hilfsstoff wurde im März 2006 in der Zeitung "Ökotest" thematisiert. Die Substanz DBP wurde von der Europäischen Union und der Weltgesundheitsorganisation als frucht- und entwicklungsschädigend eingestuft. Der Stoff stellt also ein Risiko für ungeborenes Leben dar. Es wird vermutet, dass DBP im Zusammenhang mit Fehlbildungen der Geschlechtsorgane männlicher Neugeborener stehen. Dies stieß in den entsprechenden medizinkritischen Heilpraktikerkreisen, die Strophanthin anpreisen, erstaunlicher Weise auf keinerlei Interesse. Allerdings: Die Zielgruppe der herzwirksamen Glykoside befindet sich weitgehend jenseits des reproduktionsfähgen Altersbereiches.
Verschwörungstheorien um Strophanthin
Die aktuelle geringe Bedeutung Strophanthin-haltiger Mittel wird von den Befürwortern mit typischen Verschwörungstheorien um eine angebliche Unterdrückung durch die Schulmedizin erklärt, ohne dabei die geringen therapeutischen Vorteile zur Kenntnis zu nehmen. Angeblich soll der schwedische Konzern Meda Pharma nicht in der Lage sein, kontrollierte Studien zu finanzieren, die eine Überlegenheit zu anderen Therapien aufzeigen könnten. Auch den vorherigen Patent-Besitzern Brahms und Herbert wurde dies bereits unterstellt.
Die Strophanthin-Szene
In Deutschland engagieren sich rund ein Dutzend Personen für dieses Mittel. Dazu gehören der Bordesholmer Arzt Markus Peters, der verstorbene Heinz Gerhard Vogelsang, der Gersfelder Internist und Querdenker-Internist Jürgen Freiherr von Rosen, der Impfgegner Joachim Bennien (verurteilt wegen Austellung gefälschter Masken-Atteste 2023), die Heilpraktiker Rolf-Jürgen Petry (der bei Secret-TV auftrat) und Wolf-Alexander Melhorn sowie einige Nahrungsergänzungsmittelanbieter und Laien-Pharmakritiker wie Helmut Gobsch. HP Melhorn, der auch Autor eines Strophanthin-Lobeswerkes ist, bemühte sich vergebens bei Veronica Carstens um eine Wiederzulassung des i.v.-Strophanthins und setzte eine Bundestagspetition in Gang[13], die sich gegen eine wettbewerbswidrige Begünstigung der Pharmakonzerne richtet, obwohl das zur Zeit einzige relevante Strophanthin-Mittel selbst ein Produkt eines schwedischen Pharmakonzerns ist. Strophanthin-Aktivist Melhorn, (überzeugter Impfgegner und Empfehler von homöopathischen Nosoden bei Borrelieninfektionen[14][15][16]) beschwor sogar eine gegen ihn gerichtete Verschwörung herauf: Unbekannte Hacker verhindern angeblich, dass er seine zahlreichen Werke zu Strophanthin im Internet verbreiten könne, und bei Wikipedia sollen anonyme Schreiber solange den Artikel zu Strophanthin bearbeitet haben bis dort schließlich das afrikanische Pfeilgift als giftig dargestellt werde. (Offenbar hatte er sich im Gegensatz zur Fachliteratur gewünscht, dass das Strophanthin fälschlich als Hormon dargestellt wird, anstatt auf das tatsächliche Hormon endogenes Ouabain zu verweisen). Weitere Befürworter sind ein Friedrich Lautemann sowie Hans Kaegelmann. In der Vergangenheit war es jedoch der inzwischen verstorbene Internist Berthold Kern, der sich mit schwer verständlichen Werken im Eigenverlag und einem eigentümlichen Jargon am intensivsten für Strophanthin einsetzte. Mit Kern entwickelte das Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim ab 1947 orales Strophanthin-Präparat, das zu 90 % aus g- und zu 10 % aus k-Strophanthin bestand, das Strophoral zur oralen Einnahme, in Tabletten- und Tropfenform.
Weblinks
- Prof. Dr. med. Fritz Scheler: Digitalis – ein Beispiel für Irrtümer in der Medizin Arzneiverordnung in der Praxis ~ Ausgabe 4/2002 – 1/2003, S. 20-23; Herausgeber: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Quellennachweise
- ↑ http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/Archiv/20031.pdf
- ↑ [http://www.neuwinger-online.de/ethnobot.html H.D. Neuwinger: Afrikanische Ethnobotanik: Gifte und Arzneien
- ↑ U. C. Hoppe, E. Erdmann. Leitlinien zur Therapie der chronischen Herzinsuffizienz. Mitt Österr Ges Kardiol 1999; 2 (2): 9–16.
- ↑ Walter Poller:Arztschreiber in Buchenwald, Offenbach a. M.: Verlag Das Segel, 1960; (zitiert aus/nach: Prediger in der Hölle, Gedenkheft zur 25. Wiederkehr des Todestages von Paul Schneider, Verlag Kirche und Mann, Gütersloh).
- ↑ Hamlyn JM et al.: Identification and characterization of an ouabain-like compound from human plasma. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 88 (14): 6259-63, 1991. PMID 1648735
- ↑ http://medschool.umaryland.edu/blaustein_ppg/default.asp
- ↑ http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll-na/019-010.htm
- ↑ http://leitlinien.dgk.org/2009/pocket-leitlinie-therapie-der-chronischen-und-akuten-herzinsuffizienz-2009/
- ↑ Meda
Otto-von-Guericke-Ring 9
65205 Wiesbaden
14.02.2006
Strodival i.v., 10 Ampullen, Charge: 4241: Rückruf
Die Firma Meda GmbH, 65205 Wiesbaden, bittet um folgende Veröffentlichung:
"Da für Strodival i.v., 10 Ampullen (PZN 1223908), die Zulassung erloschen ist, bitten wir um Rücksendung eventuell noch vorhandener Packungen über den pharmazeutischen Großhandel. Der Rückruf betrifft nur die i.v.-Formulierung, Strodival Kapseln sind nicht betroffen, sondern weiterhin verkehrsfähig." Das APG-Formular wird am Ende der Pharmazeutischen Zeitung Ausgabe 07/2006 veröffentlicht. - ↑ Furstenwerth H; lnt J Clin Pract, 2010, 64 (12) 1591-4
- ↑ Osol, A. (Hrsg). Remington's Pharmaceutical Sciences. 16. Ausgabe. Easton, Pennsylvania: Mack Publishing Co., 1980., S. 798
- ↑ Gosselin, R.E., R.P. Smith, H.C. Hodge. Clinical Toxicology of Commercial Products. 5th ed. Baltimore: Williams and Wilkins, 1984., Seite. II-842
- ↑ Pet 2 - 16-15-2120-035710
- ↑ http://www.transgallaxys.com/~kanzlerzwo/showtopic.php?threadid=2135
- ↑ Zitat Melhorn: Nach einem Insektenstich, der borrelienverdächtig ist und immer nach einem Zeckenbiss, nehmen Sie 5 Tage lang täglich 3x1 Streukügelchen. Das wird in der Regel ausreichen. Auch wer unter Spätfolgen leidet, sollte es zunächst so versuchen!
- ↑ http://www.melhorn.de/BorrelioseII/index.htm