Symbioselenkung

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Mutaflor

Symbioselenkung (auch Darmsanierung oder missverständlich mikrobiologische Therapie) ist im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung für mehrere alternativmedizinische Behandlungsformen, die die Zusammensetzung der physiologischen Darmflora (gemeint sind hier harmlose bzw nützliche Bakterien in Darm) derart verändern sollen, dass es zu positiven Effekten käme. Gemeinsam ist bei den Symbioselenkungs-Methoden die Annahme eines krankeitsauslösenden "gestörten Mischungsverhältnisses" verschiedener Bakterienarten im Darm.

Nicht mit Symbioselenkung gemeint sind Therapien mit chemisch definierten Arzneimitteln wie Antipilzmittel (= Antimykotika) oder Antibiotika, die über ihre Wirkungen auf bestimmte Pilze oder Bakterien positiv auf die physiologische Darmflora Einfluss nehmen. Die Einführung effektiver Antibiotika (Sulfonamide, spätestens aber Penizillin) führte zu einem Niedergang der Symbioselenkungsmethoden, die heute zur Alternativmedizin gezählt werden. Sie spielen in der akademischen Medizin als begleitende oder einzige Maßnahme bei Durchfallerkrankungen eine begrenzte Rolle.

Die Symbioselenkung bzw mikrobiologische Therapie wird von ihren Befürwortern bei einem sehr großen Spektrum von Erkrankungen (Magen und Darm-Beschwerden, Allergien, Hautkrankheiten, Infekt-Neigung, Kopfschmerzen und rheumatische Erkrankungen) eingesetzt und soll vom Patienten als eine ursächliche, "ganzheitliche" Therapie verstanden werden, nicht hingegen als eine symptomatische Therapie. Bestandteil von Symbioselenkungsmaßnahmen sind fast immer eine Diät oder eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten, zusätzlich spielt die Einnahme bestimmter Präparate eine Rolle bei der Symbioselenkung. Dazu gehören sowohl Mittel mit anorganischen Substanzen (Magnesiumperoxid, Heilerde) als auch organische Substanzen wie Lactulose oder Mannit.

Unterschieden werden kann in der Symbioselenkung einerseits eine "enterale Therapie" oder "Orale Mikobiologische Therapie", bei der entsprechende Präparate eingenommen werden, und eine "parenterale Therapie", bei der das Präparat gespritzt wird.

Bei den verschiedenen Symbioselenkungsmethoden sind auch Analogien zum herkömmlichen aktiven Impfprinzip erkennbar, das im alternativmedizinischen Umfeld sonst überwiegend abgelehnt wird. So erinnert der Begriff "Autovaccine" daran.

Wissenschaftliche Belege für eine Wirksamkeit der Symbioselenkungsmethoden existieren nicht, mit der Ausnahme von Hinweisen für eine mögliche Eignung bestimmter probiotischer Lebensmittel. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten daher keine Kosten für eine "Mikrobiologische Therapie" oder Symbioselenkung.

Verfahren aus dem Spektrum der Methoden der Symbioselenkung

  • Fiebertherapie. Bei der Fiebertherapie werden mikrobielle Pyrogene (mit fiebererzeugenden Substanzen) unterschiedlichster Art in eine Vene injiziert, worauf es zu einem starken Fieberanstieg, in der Regel mit Schüttelfrost und anderen zum Teil gravierenden Begleitreaktionen kommt. Derartige Therapien werden meist stationär durchgeführt. Wegen der Nebenwirkungen und Risiken wurden die entsprechenden Präparate Anfang der 1990er Jahre vom deutschen Markt genommen.
  • Autovaccine. Darunter sind Präparate zu verstehen, die aus körpereigenen, im Darm zu findenden und inaktivierten Keimen hergestellt werden, die dem Patienten nach Inaktivierung gespritzt werden. Die Keime werden vorher aus Stuhlproben, Urin, Eiter oder Abstrichen gewonnen. Autovaccine werden entweder intracutan (in die Haut) oder subcutan (unter die Haut) gespritzt. Seltener wird die percutane Anwendung angewandt, bei der das Mittel auf die Haut eingerieben wird. Generell wird die Autovaccintherapie in steigender Dosierung durchgeführt, wegen der Gefahr von Zwischenfällen wie dem anaphylaktischem Schock bzw einer allergischen Reaktion. Die Gesamtbehandlungsdauer liegt dabei bei sechs bis acht Wochen oder auch mehr. Trotz der Anwendung in Injektionsform ist das Hauptzielorgan der Darm, aber auch eine allgemeine Infektanfälligkeit gehört zu den Indikationen, genauso wie Allergien, atopische Dermatitis (Neurodermitis), Autoimmunerkrankungen und Hauterkrankungen.
  • Probiotika und Prebiotika, Lebensmittel mit lebenden Bakterienkulturen.
  • Einnahme von Bakterienkulturen, die im Darm Sauerstoff freisetzen sollen. Dahinter steht die Annahme, dass anaerobe Keime (die auch ohne Sauerstoff überleben können) schädlicher wären als aerobe Keime. Die Gesamtzahl der Keime, die hier eine "gesunde Darmflora" wiederherstellen soll, ist jedoch viel zu gering, um einen bedeutenden Effekt zu erzielen. Zudem müssen die lebenden Bakterien die für sie schädliche Magensäure überstehen. Die Lebensmittelindustrie setzt auf derartige Konzepte mit zahlreichen Produkten. Nach der derzeitigen Health Claims-Verordnung sind gesundheitsbezogene (Werbe-)Aussagen erlaubt, wenn sie wissenschaftlich untermauert sind und in einer entsprechenden Liste von behauptbaren Aussagen enthalten sind.
  • Prosymbioflor und Symbioflor, Präparate mit inaktivierten Bakterien, die nicht aus körpereigener Quelle stammen. Diese Mittel enthalten Bakterienfragmente und werden über den Mund (oral) eingenommen.
  • Ernährungsempfehlungen. Dazu gehören nicht-pasteurisierte Lebensmittel wie Joghurt, Kefir und anderen Sauermilchprodukte, Sauerkraut und Kombucha. Diese Lebensmittel enthalten neben lebenden Bakterien auch Milchsäure, die eine gesunde Darmflora fördern soll.
  • "probiotische" Tampons zur Monatshygiene: Diese Tampons enthalten Milchsäurebakterien, welche die Scheidenflora während der Menstruation und das pH-Millieu stabilisieren sollen[1]

Das Effektive Mikroorganismen - Konzept nach Higa wird ebenfalls für Zwecke beworben, die denen der Symbioselenkung entsprechen.

Geschichte der Symbioselenkung

Bereits 1880 experimentierte Louis Pasteur mit abgetöteten oder abgeschwächten Krankheitserregern, so dass man ihn als Begründer der mikrobiologischen Therapie bezeichnen kann, aber auch als Forscher auf dem Gebiet der Impfforschung. 1895 äußerte er die Meinung, dass tierisches, und damit auch menschliches Leben, ohne Darmbakterien nicht möglich sei. Im Zeitraum 1890 bis 1910 publizierten Eugen F. Fraenkel und Almeroth Edward Wright (1898) über Autovaccine. Als einer der Urheber der Symbioselenkung wird der Mikrobiologe und Rassehygieniker Alfred Nißle genannt, der ab 1912 chronische Krankheiten mit einer "Fehlbesiedelung" des Darmes ursächlich in Verbindung brachte. Nißle isolierte während des ersten Weltkrieges bei einem Soldaten, der von einer Typhusepidemie verschont geblieben war, einen Escherichia-coli-Stamm und forschte mit diesem Stamm und führte Therapien mit dem Stamm "E. coli strain Nissle 1917" durch. Dieser Stamm diente als Grundlage von Nißles bereits seit 1917 kommerziell vertriebener Mutaflor-Zubereitung, die zur Behandlung von Darmerkrankungen eingesetzt wurde. Die Schutzmarke Mutaflor hatte Nißle bereits 1916 registriert. Adolf Hitler, sein Leibarzt Theodor Morell und Rudolf Heß interessierten sich persönlich für das Mittel Mutaflor und die Reichskanzlei unterstützte die Entwicklung auf persönliche Anweisung von Hitler mit 70.000 RM. Auf Nißle geht auch der Begriff der "Dysbakterie" zurück. Ilja Metschnikow (1845 - 1916) hatte die Überlegung Joghurt und "Milchsäurebakterien" anzuwenden, um schädliche Bakterien zu "vertreiben". 1954 wurde in Deutschland ein "Arbeitskreis für mikrobiologische Therapie" gegründet (Hans Kolb, Arthur Becker, Hans Peter Rusch, Helmut Mommsen).

Menschliche Darmflora und Symbiose

Im Darm des erwachsenen Menschen leben rund 100 Billionen Mikroorganismen (*), die in ihrer Gesamtheit als Darmflora bezeichnet werden. Die Gesamtzahl der Bakterien des Menschen liegt etwa zehnmal höher als die Zahl der Zellen des menschlichen Körpers, die jedoch deutlich größer sind und ein Vielfaches des Volumens einer Bakterie haben. Die Gesamtmasse aller Bakterien eines Erwachsenen beträgt dabei etwa 2 Kilogramm. In einem Gramm Stuhl finden sich etwa 1 Billion Keime(*). Die Bakterien der Darmflora finden über die menschliche Nahrung im Darm ihre überlebenswichtigen Substrate und profitieren von der konstanten Körperkerntemperatur von 37 °C. Im Gegenzug dafür versorgen sie den Menschen mit einigen Vitaminen und spielen ein Rolle bei der Verdauung. Außerdem haben sie eine Funktion bei der Abwehr bestimmter pathogener Keime. Die für beide Seite nützliche Gemeinschaft wird Symbiose genannt.

Als Dysbiose wird ein Zustand bezeichnet, der als Gegenbegriff zur Symbiose zu verstehen ist.

(*): Schätzungen unterschiedlicher Quellen

Siehe auch

Literatur

  • Oepen I, Kritische Bewertung unkonventioneller diagnostischer und therapeutischer Methoden in der Zahnheilkunde. Journal of Orofacial Orthopedics/Fortschritte der Kieferorthopädie. Heft Volume 53, Number 4. Seiten 239-246. Juli 1992. DOI 10.1007/BF02327641
  • Kerstin Rusch und Volker Rusch: Mikrobiologische Therapie: Grundlagen und Praxis. Karl F. Haug Fachbuchverlag, November 2001 (Ein Buch aus Innensicht der MT)

Quellenverzeichnis