Cranio-Sakrale-Therapie
Die Cranio-Sakrale Therapie (CST, Kraniosakrale Osteopathie) ist eine pseudomedizinische Therapieform aus dem Umfeld der Osteopathie.
Geschichte
Die craniosakrale Therapie basiert auf den Lehren der Osteopathie des US-Amerikaners Dr. Andrew Taylor Still (1828-1917). William Garner Sutherland (1873-1954) entwickelte das System Anfang der 1930er Jahre. Im Alter von 25 Jahren gab dieser seinen ursprünglichen Beruf (Journalist) auf, um bei Dr. A.T. Still in Kirksville/Missouri Osteopathie zu studieren. Nach erfolgreichem Abschluss erlangte er 1900 den Titel Doktor der Osteopathie, wobei dessen Wert als Qualifikation fragwürdig ist.
Während seines Osteopathie-Studiums war Sutherland aufgefallen, dass die Verbindungsflächen zwischen dem großen Keilbeinflügel und der Schläfenbeinschuppe wie die Kiemen eines Fisches geformt seien. Daraus leitete er die Theorie ab, dass es eine gelenkige Verbindung zwischen den menschlichen Knochen gebe. Obwohl die anatomische Fachliteratur lehrt, dass die Schädelnähte des Erwachsenen verknöchert sind, ließ Sutherland diese Idee nicht mehr los.
Sutherland war der Auffassung, dass der Schädel mit einer Frequenz von 6-14 pro Minute pulsiere und dies durch unterschiedliche Drücke des Liquors bedingt sei, in dem das Gehirn schwimme. Seine Auffassungen veröffentlichte er im Jahre 1939 in The Cranial Bowl. Harold Ives Magoun (1898-1981), erster Präsident der amerikanischen Akademie für Osteopathie im Jahre 1947, griff Sutherlands Ansichten auf und veröffentlichte seinerseits 1951 das Buch Osteopathy in the Cranial Field, mit dem er die Basis der craniosakralen Osteopathie schuf. Angeblich verpflichtete Sutherland 1954 auf dem Sterbebett Magoun dazu, die craniale Osteopathie auch in Europa zu lehren. Seit 1964 begannen Harold Magoun, Viola Frymann und Thomas Schooley damit an der British School of Osteopathy.
Eine Variante der CST ist die Cranial Fluid Dynamics - Methode (CFD).
Theorie der craniosakralen Osteopathie
Ausgangspunkt für Diagnose und Therapie ist der so genannte craniosakrale Rhythmus, der wie der Herz- und Atemrhythmus einen eigenständigen Körperrhythmus darstellen soll. Dieser Rhythmus beeinflusse angeblich den Stoffwechsel des Organismus und jede einzelne Körperzelle. Mit einer Frequenz von 6-14 pro Minute sollen die Schädelknochen sanft und fast unmerklich nach außen und innen rotieren bzw. auf- und abschwellen. Wenn dieser Rhythmus gestört sei, könne durch entsprechende körperliche Manipulationen, die u.a. am Schädel ansetzen, angeblich eine Heilung bzw. eine Aktivierung der Selbstheilungskräfte bewirkt werden. In diesem Zusammenhang sprechen die Befürworter auch von einem ansonsten wissenschaftlich unbekanntem "Craniosacralen System" (kurz CS). Zu diesem werden die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) sowie alle bindegewebigen und knöchernen Strukturen gezählt, die diese Flüssigkeit umgeben. Nach einer Hypothese beeinflusse das "CS" alle anderen Systeme des Körpers wie Nervensystem, Gefäß-, Lymph-, Muskel-, Endokrines- und Respirationssystem und werde andererseits aber auch von diesen beeinflusst.
Glaubwürdigkeit der Methode
Beim Erwachsenen kommt es zu keiner Veränderung der Schädelnähte, auch wenn dies immer wieder von entsprechenden Therapeuten der Szene behauptet wird. Die Schädelnähte, sofern altersgerecht verknöchert, bieten beim Erwachsenen eine ähnlich unnachgiebige Struktur wie der reguläre Knochen. Dies wurde u.a. von Hubbard et al. bereits nachgewiesen[1].
Auch die Behauptung, dass sich durch einen im Inneren entstehenden Druck (vermittelt durch den wässrigen Liquor) die Knochen auf und ab bewegten, konnte widerlegt werden. Wie die nachfolgende Abbildung zeigt, bildet sich der Liquor im Bereich der Ventrikel (= Öffnungen, die etwa in Gehirnmitte liegen) dadurch, dass Flüssigkeit aus den arteriellen Gefäßen durch ein kapillares Netzwerk aus den Gefäßen "abgepresst" und in das Gehirninnere geführt wird.
Da die liquorgefüllten Ventrikel untereinander und mit der Gehirnaußenseite in Verbindung stehen, kommt es zu einem permanenten Zustrom von Flüssigkeit in die inneren Ventrikel. Diese fließt nach unten ab, umströmt dabei das Gehirn und verlässt dieses letztlich in Richtung Rückenmark, wo die Flüssigkeit wieder resorbiert wird. Es kommt zu einem mehrfachen, vollständigen Flüssigkeitsaustausch während des Tages. Zwar unterliegt dieses System einem indirekten Druckwechsel, weil der Liquor letztlich indirekt aus der unter Druck stehenden arteriellen Blutbahn stammt, aber der Druck ist zu gering, um den knöchernen Schädel von innen heraus zu beeinflussen. Bei einer Druckzunahme des Liquors wird dieser zuerst eine Verkleinerung der Gehirnmasse nach sich ziehen, weil das weiche ZNS-Gewebe bei weitem nicht so druckfest ist wie der umgebende Schädelknochen. Die Behauptung, man könne den Liquorfluss mit den Händen erspüren, wird zwar von den craniosakralen Therapeuten geäußert, wurde aber nie bewiesen.
Wirksamkeit
Einen Wirksamkeitsnachweis der craniosakralen Therapie gibt es bis heute nicht. In einer Übersichtsstudie von Green et al. [2], in der 33 entsprechende Studien untersucht wurden, konnte kein glaubwürdiger Nachweis der Wirksamkeit der Methode gefunden werden.
Die Sutherland-Methode ist eine Placebotherapie und kann durchaus Scheinerfolge liefern. Da sie einen nicht unerheblichen Gesprächsanteil hat sowie die Notwendigkeit erfordert, sich tiefergehend mit den (psychischen) Problemen des Patienten zu befassen, ist die Methode vor allem für scheinbar oder tatsächlich gestresste Personen interessant. Es ist eine Art Wellness-Programm. In England ist die Methode u.a. deshalb beliebt, weil das britische Königshaus nicht nur die Homöopathie, sondern auch die craniosakrale Therapie tatkräftig finanziell unterstützt. So war z.B. Prinzessin Diana eine prominente Anhängerin der Methode und machte sie in England sehr populär.[3]
Risiken
Eine niederländische Fachzeitschrift berichtet im Jahre 2009 von einem Todesfall, bei dem ein dreimonatiger Säugling nach unfachmännischen Manipulationen im Bereich der Wirbelsäule und Halswirbelsäule durch einen CST-Therapeuten verstarb[4].
Craniosacralbalancing
Als "Craniosacralbalancing" wird in der Szene der Anhänger der Cranio-Sakralen Therapie eine ansonsten nicht anerkannte Therapiemethode bezeichnet, die als Körperarbeit am gemeinten CS angesehen wird um Selbstheilungseffekte zu fördern. Der Behandler wendet bei dieser Methode Druck auf Schädelknochen, Membranen und Bindegewebe aus. Behauptet wird, dass die Methode hilfreich sei bei unterschiedlichsten Beschwerden und Krankheiten wie Kopf- und Rückenschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Migräne, Seh- und Lernschwierigkeiten, Gehirnerschütterung, "Dysfunktionen des Kiefergelenkes" und weiteren Zuständen.
Siehe auch
Weblinks
- D. Karch, G. Groß-Selbeck, H.-G. Schlack, A. Ritz, D. Rating: KRANIOSAKRALTHERAPIE Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie
- Colin Goldner: Im mysteriösen Rhythmus der Hirnflüssigkeit Süddeutsche Zeitung 23.04.2007
- Steve E Hartman, PhD, James M Norton, PhD: Craniosacral Therapy Is Not Medicine Physical Therapy November 2002 vol. 82 no. 11 1146-1147
Quellennachweise
- ↑ Hubbard RP, Melvin JW, Barodawala IT: Flexure of cranial sutures. J Biomechanics, 4, 491-496, 1971
- ↑ * Green C, Martin CW, Bassett K, Kazanjian A: A systematic review of craniosacral therapy: biological plausibility, assessment reliability and clinical effectiveness. Compl Ther Med, 7, 201-207, 1999
- ↑ Ernst E: Neuester Renner der Alternativmedizin: Schädelgelenke justieren. Münch Med Wschr, 142, Nr.6, 26, 2000
- ↑ Holla M. and others. Nederlands tijdschrift voor geneeskunde 153:A290, 2009
- Du Boulay, O'Connell J, Currie J, Bostick T, Verity P: Further investigations on pulsatile movements in the cerebrospinal fluid pathway. Acta Radiol Diag, 13, 496-523, 1972