Krebspersönlichkeit
Der Begriff der Krebspersönlichkeit beschreibt einen hypothetisch gebliebenen Menschentypus, der nach verschiedenen mittlerweile überholten Hypothesen vermehrt dazu neige an Krebs zu erkranken. Dieser Typus weise bestimmte intersubjektiv erkennbare Persönlichkeitsmerkmale auf. Ein wissenschaftlicher Nachweis für die Existenz dieses Menschentypus existiert nicht.
Des weiteren widersprechen sich einzelne Konzepte: Faktoren die innerhalb einer der Hypothesen krebsfördernd sein soll, kann innerhalb einer anderen Hypothese die umgekehrte unterstellte Wirkung haben. Die These von der postulierten „Krebspersönlichkeit“, einhergehend mit einem „Typ-C-Verhalten“, lässt sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Es findet sich nach Berücksichtigung der bis heute gemachten Untersuchungen kein Anhaltspunkt für ein persönlichkeitsgebundenes erhöhtes Krebsrisiko [1] [2].
Dennoch ist der Glaube an die Krebspersönlichkeit bei vielen Menschen verwurzelt und fand trotz fehlens von Belegen Eingang in eine Vielzahl von alternativmedizinischen und Aussenseiter-Konzepten.
Nach Reinhold Schwarz (Leiter der Abteilung Sozialmedizin Uni Leipzig) existiere eine Krebspersönlichkeit, aber eben erst nach einer Krebs-Diagnose wobei sich deutliche Unterschiede zwischen Patienten mit bösartigen und gutartigen Krebsarten unterscheiden lassen. Die postulierte Krebspersönlichkeit trage nach Schwarz laut Studienlage auch allenfalls weibliche Züge und zeigte paradoxerweise bei den überwiegend männlichen Lungenkrebspatienten das umgekehrte Bild.
Krebspersönlichkeit, Schuldzuweisungen und Positiv Denken
Mit dem Konzept der Krebspersönlichkeit sind häufig auch Schuldzuweisungen in Richtung Patient verbunden. Der starke Glaube an einen Einfluss der Psyche auf Krebs kann dazu führen, dass Betroffene zwanghaft versuchen, negative Gefühle aller Art auszublenden. Die Psychoonkologin Susanne Singer von der Universität Leipzig berichtete beispielsweise von einer jungen Brustkrebspatientin, die nicht weinen wollte, weil die Tränen angeblich Nahrung für die Krebszellen seien, wie man ihr einredete. Als Tyrannei des positiven Denkens hat die amerikanische Begründerin der Psychoonkologie Jimmie Holland dieses Phänomen scharf kritisiert. Denn das zwanghafte Unterdrücken negativer Gefühle kann zur seelischen Dauerbelastung werden und die Lebensqualität beeinträchtigen.
Historische Hypothesen und Ansichten zur Krebspersönlichkeit
Bereits im Altertum gab es Vorstellungen um bestimmte menschliche Merkmale deren Anwesenheit Krebs bedingen sollte. Die Schwermut oder Melancholie (bzw Depression) wird seit dem griechischen Arzt Galenus mit Krebs in Verbindung gebracht. Nach ihm würden melancholische Frauen an Brustkrebs erkrankten.
Wilhelm Reich
Reich äusserte als Psychiater ebenfalls Vermutungen zur Entstehung von Krebs (Biopathie des Krebses) und erfand dazu im Jahre 1938 verschiedene Bluttests (Zerfallprobe, Kulturprobe, biologische Resistenzprobe). Eine Störung der natürlichen Pulsationsfunktion des Organismus und die übermässige Abfuhr biosexueller Energie führten nach ihm zu einer sogenannten Biopathie. Reich kommt zu dem Schluss, dass es zwei biologische Grundreaktionen auf eine chronische Sexualstauung oder allgemeine affektive Blockierungen anderer Art gibt:
- entweder man blockiert äußerlich Abreaktion starker Emotionen, erlebt sie aber nach wie vor im Inneren in Form von Angstanfällen oder innerer Erregung
- oder der Organismus reagiert mit einem Prozess des inneren Rückzugs, der Resignation, der den Affekten die Energie entzieht
Krebs wird von ihm als eine Form der Biopathie verstanden, Krebs-Biopathie oder Schrumpfungsbiopathie bei der eine langanthaltende bioenergetische Schrumpfung des Organismus beobachtbar sei. Letzendlicht macht Reich Krebs zu einer psychosomatischen Erkrankung. Krebspatienten litten an Störungen der Sexualität, seien emotional blockiert.
Die Krebspersönlichkeit nach Ronald Grossarth-Maticek
Nach Grossart-Maticek disponieren bestimmte psychologische Merkmale des Menschen zur Entstehung von Krebserkrankungen und er entwickelte dazu ein entsprechendes System. Derartige Hypothesen wurden bereits vor über 2000 Jahren formuliert und spielten bis hinein ins 20. Jahrhundert eine begrenzte Rolle.
1985 veröffentlichte Grossarth-Maticek von der Universität Heidelberg eine aufgrund der Methodik und Statistik umstrittene Untersuchung von 1300 Menschen, die er über 10 Jahre beobachtet hatte. Er kam aus dieser Arbeit zum Schluss dass eine Psychotherapie in der Lage sei, zur Verhütung von Krebs beizutragen [3]. Mittels einer Kohortenstudie (Fragebogen zum Konzept der Selbstregulation) unterschieden die Autoren Grossarth-Maticek und Helm Stierlin 6 Typen, von denen Typ I die höchste Krebs- und Typ II die höchste Herzinfarkterkrankungsrate aufwiesen. Der Typ IV hatte dagegen die höchste Überlebensrate. Die 6 Typen sollen dabei sechs unterschiedliche Formen mehr oder weniger gelingender oder misslingender Selbstregulation beschreiben. Die spezifische Krebspersönlichkeit nach Grossarth-Maticek (Typ I) sei im Grunde genommen der Versagertyp: depressiv, harmoniebestrebt und unterdrücke seine Gefühle. Die individuelle Biographie und die Unfähigkeit zur Autonomie seien in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung und als wesentliche Ursachen anzusehen. Ähnlichkeiten ergeben sich zum Typus C nach Temoshok (cancer-prone typus).
Empirische Studien widerlegten jedoch seine Angaben [4], sodass das vermutete Konzept der Krebspersönlichkeit als eine medizinhistorische Kuriosität anzusehen wäre, würde es nicht fortlaufend neu in alternativmedizniischen Konzepten neu als wissenschaftliche Erkenntnis auftauchen. Dagegen lassen sich bestimmte Verhaltensweisen identifizieren, die sowohl mit der psychischen Verfassung als auch mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen, z.B. Tabak- und Alkoholabusus. Die Inanspruchnahme präventiver Angebote ist sehr wohl abhängig von psychosozialen Faktoren. In der Folge von Krebserkrankungen lassen sich typische Persönlichkeitsmerkmale feststellen. Diese sind jedoch nicht die Ursache, sondern die Folge schwerer, oft lebensbedrohlicher, Erkrankungen [5].
Einige Ansichten decken sich mit denen von Max Otto Bruker.
Typus C (cancer-prone) nach Lydia Temoshok
Auf der Suche nach möglichen krebsdisponierenden psychologischen Persönlichkeitsmerkmalen entwickelte die amerikanische Virologin Lydia Temoshok in den achtziger Jahren ein mögliches Modell: den Typus C (cancer-prone). Temoshok bezieht sich ausdrücklich auf Hans Eysenck, der Ende der 80er Jahre Krebspatienten beobachtet hatte. Der Temoshok Typ C hatte folgende Eigenschaften:
- emotional eingeschlossener Typus
- Tendenz zu Hilf- und Hoffnungslosigkeit
- kooperativ, geduldig, rational
- Alexitymie und Unfähigkeit Ärger auszudrücken
Viele Parameter drücken die Art und Weise aus wie mit Stress umgegangen wird. Typ C soll damit Probleme haben. Die Auswirkungen wären dann neuro-endokrine Faktoren (spezifische Hormonlage und damit beeinflusste Immunabwehr) die die Krebsabwehr erschwerten.
Problematisch ist die Datenlage zum Typ C. Es konnte festgestellt werden, dass der Typ C von Temoshok im wesentlichen die Reaktion auf eine fortschreitende bereits erfolgte Krebserkrankung ist. Er konnte nicht als möglicher Faktor zu einer Initialzündung von Krebs erkannt werden.
Krebspersönlichkeit nach Hürny und Adler 1991
Hürny und Adler beschrieben 1991 elf Verhaltenseigentümlichkeiten einer "zu Krebs neigenden Persönlichkeit", die sich teilweise mit anderen Beschreibungen einer derartigen hypothetischen Persönlichkeitsstruktur decken. Kennzeichen seien Verleugnung und Unterdrückung wichtiger eigener Wünsche, reduzierte Selbstwahrnehmung, reduzierte Emotionalität, blockierter Ärgerausdruck, Schuldvorwürfe und Selbstanklagen, zwanghafter Lebensstil mit hoher Anpassung an andere, Glaube an Autoritäten und Religiosität, starke Anerkennung der Realität, oberflächliche zwischenmenschliche Beziehungen, gehemmte Sexualität und hohe moralische Anforderungen an sich selbst. Die Autoren kamn zu dieser Auffassung aus retrospektiver betrachtung bereits erkrankter Patienten. Spätere Untersuchungen konnten die Annahmen nicht bestätigen.[6] [7] [8].
Literatur
- Schwarz R: Die Krebspersönlichkeit. Schattauer Verlag (1994,2001)
- ZEIT ONLINE 48/1989 S. 94 [1]
Weblinks
- http://home.arcor.de/g.mackenthun/lect/psysom/psysom16.htm
- http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=heft&id=49834
- http://www.brustkrebs-web.de/fakten/549_fakten_krebspersoenlichkeit.php
Quellennachweise
- ↑ Schwarz Die Krebspersönlichkeit 2001
- ↑ Bleiker EM, Hendriks JH, Otten JD, Verbeek AL, van der Ploeg HM: Personality factors and breast cancer risk: a 13-year follow-up, J Natl Cancer Inst. 2008 Feb 6;100(3):213-8. Epub 2008 Jan 29
- ↑ Interview mit Grossarth-Maticek in "Psychologie Heute" 5/1998
- ↑ Claudia Schmidt Rathjens: Persönlichkeit und Krebs: Studien zur subjektiven und objektiven Relevanz von psychologischen Faktoren bei der Krebsentstehung. Verlag: Pabst Science Publishers (1997), ISBN-10: 3931660974.
- ↑ http://www.medizinfo.de/krebs/allgemein/psyche.shtml
- ↑ Meerwein, Fritz (Hrsg.) (1991): Einführung in die Psycho-Onkologie. 4. Auflage Bern Göttingen Toronto 1991
- ↑ Hürny, C.: Psychische und soziale Faktoren in Entstehung und Verlauf maligner Erkrankungen. In: Uexküll Th. v., Lehrbuch der Psychosomatischen Medizin. 5. Auflage. 953-969, Urban und Schwarzenberg, München (1996)
- ↑ Amelang, Manfred (1997): Using Personality Variables to Predict Cancer and Heart Disease. In: European Journal of Personality, Heft 11, 1997, 319-342