Urzeit-Code
Als Urzeit-Code wird eine Methode bezeichnet, von der ihre Befürworter glauben, dass sie sich einerseits zur Ertragssteigerung in der Landwirtschaft eigne und andererseits für eine Art Jurassic-Park-Wiedererwachen längst ausgestorbener Tier- und Pflanzenarten geschaffen sei. Wissenschaftliche Literatur zu dieser Methode ist in Datenbanken nicht zu finden. Beachtung fand sie vor allem in Esoterikerkreisen und Esoterikzeitschriften wie Zeitenschrift und Raum & Zeit[1], in Unterhaltungssendungen im Fernsehen oder in der Kent-Depesche. Der Ehlers Verlag (Herausgeber von Raum & Zeit) gab sogar eine Pressemeldung heraus, in der die Methode von Urformen der Natur als Chance gegen den Welthunger beworben wurde.[2] Meist ist die Methode mit weiteren Annahmen, Verschwörungstheorien oder Ideologien verknüpft und wird auch als mögliche ökologische Alternative zur Gentechnologie verstanden.
Als Entdecker werden die zwei Schweizer Chemiker Guido Ebner und Heinz Schürch angegeben, die beim Basler Chemieunternehmen Ciba-Geigy (heute Novartis) bis in die 1990er Jahre das Verhalten von Organismen untersucht haben, die starken elektrostatischen Feldern ausgesetzt wurden. 1987 sollen sie eigenen Angaben zufolge die Methode des Urzeit-Code entdeckt haben, und 1989 wurde von Ciba Geigy ein Patent zu einem neuartigen Fischzuchtverfahren angemeldet. Nach dem Tod von Guido Ebner wird der Urzeit-Code heute von seinem Sohn Daniel Ebner weiter propagiert, und es wurde ein Guido Ebner Institut gegründet. Interessanterweise residiert das Guido Ebner Institut in Dornach bei Basel, der Hochburg der Anthroposophie. Ebner und Schürch gründeten eine eigene Firma namens Institute for Pharmaceutical Research in der Nähe von Basel, die später pleite ging. Im Namen dieser Firma meldete Guido Ebner 1997 ein weiteres Patent an. Darin wird die Auswirkung von elektrostatischen Feldern auf verschiedenste Spezies (Kresse, Weizen, Mais, Farn, Mikroorganismen, Bakterien) im Frühstadium beschrieben, bei denen es unter Anwendung von Hochspannung laut Patentschrift zu einer Veränderung der Genexpressionsmuster, der Morphologie und der Entwicklungs- und Wachstumseffizienz kommen soll.
Pflanzenarten, die über die beschriebene Methode verändert werden, müssten neu charakterisiert werden, um zugelassen zu werden.
Behauptungen
In diversen Fernsehauftritten und auf mehreren Webseiten wird seit einiger Zeit behauptet, dass sich das Pflanzenwachstum in einem statischen Hochspannungsfeld beschleunige und dass in einem Hochspannungfeld fossile Tier- und Pfanzenarten, aber auch solche, die erst in historischer Zeit ausgestorben sind, auf geheimnisvolle Weise wieder zum Leben erweckt werden könnten. Elektrostatische Felder werden andererseits aber auch zu den Feldern gezählt, denen im Rahmen des Elektrosmog ansonsten nur negative Effekte zugesprochen werden.
Als Beispiel für eine derartige Erweckung wird die Regenbogenforelle genannt, die erfolgreich in eine angebliche "ursprüngliche Wildform" zurückverwandelt worden sei, wie sie vor Jahrhunderten existiert habe. Eine Fischuntersuchungsstelle der Eidgenossenschaft in Bern soll angeblich vorgestellte Forellen als eine Urform der Forelle bezeichnet haben, die vor ca. 150 Jahren ausgestorben sei. Abbildung 1 zeigt im oberen Teil eine normale Regenbogenforelle im Vergleich zum unterem Bild, auf dem angeblich die Urform der Regenbogenforelle zu sehen ist, die sich entwickelt haben soll, nachdem der Laich mit einem elektrostatischen Feld behandelt wurde, erkennbar an dem "Lachshaken" am Unterkiefer des Fisches. Eine naturwissenschaftliche Erklärung für ihre jetzige Existenz gebe es angeblich nicht. Bei der auf dem unteren Bild erkennbaren Struktur handelt es sich um einen Lachshaken (auch Laichhaken genannt) der in der Biologie als ein unspektakuläres sekundäres Geschlechtsmerkmal erwachsener männlicher Salmoniden bekannt ist. Es entsteht durch veränderte Hormonpegel und bildet sich wieder zurück, sollten die Tiere die Laichzeit überleben. Auch unfruchtbare Hybriden wie die Tigerforelle (Salvelinus fontinalis x Salmo trutta) bilden den Laichhaken aus.
Ein nach der Urzeit-Code-Methode behandelter Wurmfarn (siehe Abb. 2) sei auch erfolgreich "zurück" verwandelt worden, in eine Erscheinungsform, wie sie angeblich vor 300 Millionen Jahren existiert habe (s.Abb. 3).
Ein Urmais wie er einst in Südamerika gesprossen sein soll, habe sich aus normalem Mais entwickelt. Dabei hätten sich bis zu zwölf Kolben pro Stiel gebildet.
Methode
Den zur Verfügung stehenden Angaben kann entnommen werden, dass Forelleneier, Maiskörner oder Farnsporen einem elektrostatischen Feld von 1 bis 10.000 V/cm ausgesetzt waren. Ebner und Schürch gaben an, die Maiskörner vier Tage lang und die Farnsporen monatelang dem E-Feld ausgesetzt zu haben. Der negative Pol soll dabei oben und der positive Pol nach unten, in Richtung Erdoberfläche ausgerichtet sein. Dies in Analogie zu natürlichen elektrischen Feldern in der Atmosphäre. Im Feld soll sich ein beschleunigtes Wachstum gezeigt haben und in einigen Fällen hätten sich die Organismen gar zu einer Art "Urform" zurückentwickelt. Im Falle eines Wurmfarns hätte sich dabei auch die Anzahl der Chromosomen von 36 auf 41 erhöht und die gekeimten Pflanzen hätten das Aussehen von Hirschzungenfarn angenommen.
Die Publicity
Als vermeintliche wissenschaftliche Sensation wurde in einer Unterhaltungssendung des Schweizerischen Fernsehens namens Supertreffer am 17. Dezember 1988 der Urzeit-Code von Showmaster Kurt Felix ganz ernsthaft vorgestellt. Felix ist dem deutschen Fernsehpublikum durch die Sendung Verstehen Sie Spaß? bekannt. Gezeigt wurden in der Sendung Bilder von einer Pflanze, die elektrisch aus einer Jahrmillionen alten Urzeit als "Evolutionsrückschritt" hervorgezaubert worden sei. Aus einem normalen Wurmfarn mit seinen gefiederten Blättern sei demnach ein Hirschzungenfarn mit rund zulaufenden, zungenartigen Blättern geworden, der als ein "Urfarn" bezeichnet wurde.
Der Schweizer Buchautor und Herausgeber der Zeitschrift für Okkultismus und Verschwörungstheorien Mysteries Luc Bürgin brachte über den Urzeit-Code ein Buch heraus. Bürgin will auch herausgefunden haben, dass an zwei deutschen Universitäten in Mainz und Freiburg die Ergebnisse von Ebner und Schürch reproduziert und bestätigt worden sein sollen. Drei Professoren sollen dazu stehen, darunter der Schweizer Nobelpreisträger Werner Arber.
Als 1996 in Internetforen der damaligen Zeit Bastler nach Anregung durch die Ebner und Schürch–Versuche mit Hochspannungszellen Versuche an Pflanzen (Tulpen mit Stacheln) und Spinnentieren unternahmen, wurde dies auch Thema bei der Süddeutschen Zeitung und bei Stern TV. Warnungen machten die Runde, dass aus Hackern Genhacker werden könnten, die Urzeitmonster wiedererwecken könnten. Bei Stern TV zeigte sich ein derartiger Genhacker verdeckt auch nur im Profil, der behauptete, kleine Saurier aus Spinnen hervorgezaubert zu haben und zum Beweis einen Glaskasten mit Elektronik vorzeigte. Anregungen hätte er aus dem Anzapfen von Daten bei Ciba-Geigy erhalten, die der Konzern ansonsten aber geheimhalte.
Die Reaktion der Experten war einhellig: "Wir haben uns schlapp gelacht", äußerte sich Alex Olek vom Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Genetik in Berlin. "Die Behauptung, man könne Gene durch elektrische Felder revitalisieren, ist absoluter Unsinn", erklärt auch Kasper Zechel, Biophysiker vom MPI in Göttingen. "Köstlich" fand der Kölner Physik-Professor Günter Nimtz die "revolutionären Resultate" (laut "Stern TV") der beiden Schweizer, weil seiner Meinung nach die ihm bekannte Versuchsanordnung so konzipiert worden sei, dass dort, wo sich die vermeintlich elektrisch beeinflussten Zellen befinden, "gar kein elektrisches Feld ist".
Guido Ebner war hingegen bis zu seinem Tode davon überzeugt, dass ihm 1985 mit seiner elektrischen "Evolutions-Umkehr-Maschine" ein Durchbruch geglückt sei. Unter seinen Kollegen soll er hingegen laut einem Artikel des Spiegel seitdem als Spinner gegolten haben.[3]
Verschwörungstheorien um eine Urzeit-Code-Unterdrückung
Die angeblich einfache Methode zur vermeintlichen "Rückholung" ausgestorbener Pflanzen- und Tierarten sowie die elektrische Stimulation des Pflanzenwachstums werde laut Anhängern des Urzeit-Code angeblich von der Firma Ciba-Geigy geheim gehalten und Unterlagen unter Verschluss gehalten. Unterstellt wird dabei Ciba-Geigy, dass das Verfahren mit angeblichem Ur-Getreide aus dem Elektrofeld im Vergleich zu modernen Saatgut-Züchtungen zu resistent gegenüber Schädlingen sei und daher weniger Pestizide benötige und höhere Erträge liefere. Wissenschaftlich hätten die beiden Erfinder auch über den Urzeit-Code nicht publizieren "dürfen", daher gebe es keine seriöse Fachliteratur zum Thema und sie mussten sich "auf Druck der Bevölkerung" an das Fernsehen richten.
Tatsächlich jedoch lassen sich Einzelheiten aus den Ebner-Patenten ersehen. Ciba-Geigy veröffentlichte auch eine Pressemeldung, in der erklärt wurde, Forschungen zur Anwendung von Hochspannung bei der Pflanzenzüchtung nicht weiter zu betreiben.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema
Über Einflüsse von elektrischen Felder während der Keimung und Zellteilung liegen wissenschaftliche Erkenntnisse vor, nicht jedoch darüber, wie aus heute lebenden Organismen ihre Vorfahren wieder zum Leben erweckt werden könnten. Erste Veröffentlichungen zum Keimverhalten von Pflanzen in Anwesenheit von elektrischen Feldern stammen aus den 1920er Jahren aus Deutschland von dem Pflanzenwissenschaftler Ernst Tamm[4] und wurden unter dem Begriff der Elektrokultur bekannt. Weitere Forschungen wurden in den siebziger Jahren aus Russland bekannt. Im Rahmen der In-Vitro-Fertilisation werden schwache elektrische Impulse verwendet, um Zellen zur Teilung anzuregen.
Bei all den Versuchen ist allerdings unklar, ob durch diese Methode tatsächlich direkte phylogenetische Vorfahren von Organismen gezüchtet werden können, da die tatsächlichen Urformen in den allermeisten Fällen unbekannt sind, da Fossilfunde keine eindeutigen Identifizierungen zulassen, ob es sich um direkte Vorfahren einer Spezies oder einen parallelen Entwicklungszweig handelt.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es zudem völlig unplausibel, wieso ursprünglichere Formen von Kulturpflanzen höhere Erträge liefern sollten als die derzeitigen hoch leistungsfähigen Sorten. Als Beispiel sei hier der Weizen genannt: Ältere Weizensorten, wie Emmer und Einkorn, liefern um Größenordnungen niedrigere Erträge als heutige Weizensorten. Es sind weder rezente, noch fossile oder historisch überlieferte Beispiele bekannt, wo Wildarten höhere Erträge liefern als domestizierte Arten.
An der Universität Mainz, Institut für Allgemeine Botanik (Leitung: Gunter M. Rothe), wurden die Ebner-Schürch-Versuche offenbar 2001-2002 wiederholt. Der Diplomand Axel Schoen führte dazu analoge Hochspannungsexperimente durch; die Diplomarbeit wird mit der Jahresangabe 2001 angegeben.[5] Eine Veröffentlichung der Experimente in einem Journal erfolgte nicht, die Diplomarbeit wurde jedoch auszugsweise in einem Buch zitiert. Einem Aachener Biologen namens Rauschen, der die Arbeit im Jahre 2008 einsehen wollte, wurde nach mehrmaligen Anfragen mitgeteilt, dass die Arbeiten nicht abgeschlossen seien. Er solle doch stattdessen das Buch des Journalisten und Laien Luc Bürgin kaufen. Später erhielt er jedoch Kopien von Auszügen der Diplomarbeit, so wie sie ab der Seite 196 im Buch von Bürgin wiedergegeben sind.[6] Es wurden lediglich Keimungsrate und Pflanzenwuchshöhe im E-Feld untersucht. Aus den Unterlagen ist keine Dosis-Wirkungs-Beziehung erkennbar. Die Pflanzen wurden demnach mit 1.111 V/cm, 2.222 V/cm, 3.333 V/cm, 4.444 V/cm und 5.555 V/cm (manchmal auch mit 5.554 V/cm) behandelt. Bei einigen Kulturpflanzen traten Effekte nur bei einer einzelnen Behandlung auf, mal bei der niedrigsten, mal bei der höchsten, manchmal bei einer mittleren Behandlung. Der Effekt erscheint dabei in den allermeisten Fällen nicht mit der benutzten Spannung in Bezug zu stehen. Die Effekte sind bei den einzelnen Pflanzen extrem unterschiedlich. Manchmal findet eine deutliche Steigerung der Keimrate oder der Pflanzengröße statt, in anderen Fällen sind beide oder nur einer der Parameter deutlich erniedrigt. In weiteren Fällen ist gar kein Einfluss erkennbar. Bei Versuchen mit Mais fiel auf, dass mehr Blütenstände gebildet wurden, bei Lemna minor (Kleine Wasserlinse, Familie der Aronstabgewächse) wurden höhere Teilungsraten beobachtet (bis 470% höher als in der Kontrolle). Das bedeutet, dass im Grunde gar nicht erwiesen ist, ob auch ein höherer Ertrag erzielt wird. Zudem ist nicht klar, wie sich die Zusammensetzung (zum Beispiel Wassergehalt) der Pflanzen ändert. Ein häufigere Zellteilung kann prinzipiell auch als Stressreaktion verstanden werden.
Literatur
- Goodman, Henderson. Sine waves enhance cellular transcription. Bioelectromagnetics, 7, 23-29 (1986)
- Schoen, Axel. Auswirkungen elektrostatischer Felder auf das Keimverhalten und die Ontogenie verschiedener Getreidearten. 2001. Biologie-Diplomarbeit. Universität Mainz, Institut für Allgemeine Botanik. Gunter M. Rothe
- Demiray H. Effect of static electric fields in root cells of Vicia faba (Fabaceae). Electromagn Biol Med. 2006;25(1):53-60.
- Grigor'eva NN, Shakhbazov VG, Nebogatikova EI. Mutagenic effects of direct electric current. Genetika. 1989 Jan;25(1):158-60.
- Portnov OG, Shakarnis VF, Maĭore DIa. Mutagenic action of static electric fields on Drosophila melanogaster females. Genetika. 1975;11(6):177-9.
- DER SPIEGEL 35/1996 vom 26.08.1996, Seite 175. Gentechnik - Köstliche Chimäre [2]
Weblinks
Siehe auch
Angemeldete Patente
- EP 0351357 B1 - Verbessertes Fischzuchtverfahren. Angemeldet: 15.06.1989, veröffentlicht am 03.03.1993. Patentinhaber: Ciba Geigy AG, Basel [3]
- EP 0791651 A1 - Methode zur Behandlung von biologischem Material. Angemeldet: 22.01.1997. Vertreter: IPR Institute for Pharmaceutical Research, Riehen (CH)
- http://www.freepatentsonline.com/5048458.html
Quellenangaben
- Fernsehsendung ARD-Report vom 5. Oktober 1992
- ↑ Raum & Zeit, Heft 152
- ↑ Pressemeldung Urformen der Natur als Chance gegen Welthunger, Ehlers Verlag GmbH. Zitat: Zurück in die Zukunft. Kann man die Evolution zurückdrehen? Elektro-Feld-Versuche aus der Schweiz stellen Pflanzen aus der Urzeit wieder her- und das ganz ohne Genmanipulation.
- ↑ DER SPIEGEL 35/1996 vom 26. August 1996, Seite 175. Gentechnik - Köstliche Chimäre [1]
- ↑ Tamm E: Über den Einfluß der durch den Boden geleiteten elektrischen Energie auf Keimfähigkeit, Triebkraft und Jugendwachstum von Pisum sativum. Ein Beitrag zur Frage der Elektro-Kultur. Habil.-Schr. Landw. Hochschule Berlin 1928. - Zugl in: Botanisches Archiv Bd. 21, 1928, S. 9-115.
- ↑ Schoen, Axel. Auswirkungen elektrostatischer Felder auf das Keimverhalten und die Ontogenie verschiedener Getreidearten. 2001. Biologie-Diplomarbeit. Universität Mainz, Institut für Allgemeine Botanik
- ↑ Bürgin L: Der Urzeit-Code, Herbig Verlag