Eurabia
Der Begriff Eurabia bezeichnet ein verschwörungstheoretisches Konstrukt, das von einer schleichenden Islamisierung und Arabisierung des europäischen Kontinents ausgeht, die seit den frühen 1970er Jahren sowohl von europäischen wie arabischen politischen Eliten geplant und gefördert werde. Die Theorie grenzt den Islam auf arabische Staaten ein, teils sogar noch weiter auf die arabischen Mittelmeeranrainerländer, und nimmt z.B. Muslime aus Asien oder Europa nicht wahr. Darüber hinaus geht sie von einer monolithischen islamischen Welt aus, wobei bestehende religiöse, soziale und politische Divergenzen und Konflikte zwischen islamisch geprägten Ländern ebenfalls ausgeblendet werden. Positiv rezipiert wird die These vorwiegend in der extremen und populistischen Rechten in Europa und in den USA.
Begriffsprägung
Im allgemeinen wird der Begriff der Autorin Bat Ye'or zugeschrieben, deren bürgerlicher Name Gisèle Littman lautet und als weiteres Pseudonym den Namen „Yahudiya Masriya“ [arab. = „ägyptische Jüdin“] verwendet.
Littman wurde 1933 als Gisèle Orebie in Kairo geboren. Nach der Suezkrise kam die Familie 1958 nach London; einige Quellen erwähnen, die Familie sei ausgewiesen worden und habe die ägyptische Staatsbürgerschaft verloren, nach anderen Darstellungen verließ die Familie Ägypten und habe in England einen Status als staatenlose Flüchtlinge gehabt. Littman studierte zunächst Archäologie in London, heiratete 1959 und übersiedelte 1960 in die Schweiz, wo sie 1961/62 an der Universität Genf tätig gewesen sein soll. Einen Studienabschluss hat Littman offenbar nie absolviert und auch nie eine akademische Position innegehabt. Durch die Heirat mit dem britischen Historiker David Littman besaß sie die britische Staatsbürgerschaft.[1][2]
Littman ist keine Akademikerin und wird daher häufig beschönigend als "unabhängige Forscherin" bezeichnet.[3]
Die Hypothese
In diversen Veröffentlichungen behauptet Littman, der angebliche Einfluss des Islam, des Anti-Amerikanismus, Antisemitismus und Antizionismus auf die europäische Kultur und Politik sei das Produkt einer Zusammenarbeit von radikalen Arabern und Muslimen auf der einen Seite mit Faschisten, Sozialisten, Nazis, antisemitischen Machthabern Europas auf der anderen Seite. Ihr Szenario eines "Eurabia" führt sie zurück auf eine "Allianz zwischen ... den neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft (EG), aus der 1992 vergrößert die Europäische Union (EU) wurde, und andererseits den um das Mittelmeer gelegenen arabischen Staaten".[1]
Entsprechende Bündnisse und Übereinkünfte, behauptet Littman, seien auf den höchsten politischen Ebenen der EU-Länder und den in der Arabischen Liga organisierten Staaten erarbeitet worden; das System werde durch die Vereinigung des Euro-Arabischen Dialogs (EAD) sychnronisiert, die 1974 in Paris gegründet wurde[1] und auf die Ölkrise von 1973 und die darauf entstandenen Dialoge zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschat und der Arabischen Liga zurückgeht. Littman sieht dies als ursächlich für die angebliche europäische Feindseligkeit gegenüber Israel und betrachtet die euro-arabische Außenpolitik als anti-amerikanisch und antizionistisch.[4]
Frankreich und die arabischen Staaten sieht Littman als Führer der Verschwörung an, die nicht nur darauf abzielt, Europa zu islamisieren und arabisieren, sondern gleichzeitig dessen bestehende Kultur und seine Verbindung zu den USA und Israel zu schwächen. Die Rolle der europäischen Länder charakterisiert sie dabei als "Dhimmitum"[4], d.h. die europäischen Staaten sollen eine Rolle als bloße Vasallen oder sogar Leibeigene akzeptiert haben.
Muslimische Einwanderung gilt innerhalb dieses Konstrukts als weiterer Eckpfeiler, da diese angeblich einen Prozess initiert habe, "... der es den Muslimen erlaubte, Machtbasen für den 'Jihad' in den meisten großen Städten zu etablieren". Verfechter dieser These behaupten außerdem häufig, dass aufgrund exorbitant hoher Reproduktionsraten muslimische Migranten bis 2025 einen Anteil von 25% an der europäischen Bevölkerung einnehmen werden und Europa bald mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung rechnen müsse. Gleichzeitig sei dieser These zufolge eine präventive Bewusstseins- und Gedankenkontrolle implementiert worden, die europäische Medien, Universitäten und Schulen in Kanäle der arabischen Propaganda verwandelt habe, die angeblich dafür sorgten, dass die islamischen Beiträge zur europäischen Kultur verherrlicht wurden, während das jüdisch-christliche Erbe Europas negiert worden sei.[5]
Littman glaubt, dass diese Bemühungen von der Erfindung eines angeblich nicht-existenten Volkes der Palästinenser flankiert wurde, das ihrer Ansicht nach jedoch nur eine Propagandadichtung sei. In der Sichtweise von Littman und anderer Autoren, die die Eurabia-These vertreten, habe all dies den Europäern einen Hass gegen ihre eigenen Werte und den Wunsch nach Zerstörung ihrer Ursprünge eingeimpft, was Europa zu einem sinkenden Kontinent zurückgestuft habe.[5] Die These unterstellt ferner, dass die europäischen Universitäten von Palästinensern kontrolliert würden.[3] Die verfochtene Nichtexistenz der Palästinenser scheint offenbar unerheblich zu werden, wenn ihnen eine angebliche und unrechtmäßige Kontrolle untergeschoben werden kann. Littman behauptet ferner, die europäischen Kirchen machten gemeinsame Sache mit den Muslimen und interpretierten die Bibel "mit einem koranischen Grundverständnis" und europäische Christen seien daher "eher geneigt, sich an einem koranisch-muslimischen Jesus, genannt Isa, und nicht am jüdischen Jesus zu orientieren".[3]
Verfechter der Hypothese behaupten auch, dass es in europäischen Ländern bzw. Städten zur Einrichtung sogenannter "Islamischer Zonen" gekommen sei, in denen die Autorität von Polizei und säkulärem Staat durch die des Imam und der Moschee ersetzt wurde. Diese angeblichen Zonen dienen dann als Beweis der Kapitulation vor islamischen Terroristen und für den unterstellten Verrat, den europäische Politiker an der Bevölkerung begingen.[5] Obwohl die Hypothese ansonsten nur arabische Staaten als Teilnehmer an der Verschwörung akzeptiert, beziehen die Verfechter im Fall der "Islamischen Zonen" auch Muslime aus anderen Weltregionen mit ein und erhöhen außerdem die tatsächlichen Zahlen der muslimischen Bevölkerung, um ihr Argument zu stützen.
Rezeption
Die Hypothese traf auf sehr unterschiedliche Rezeptionen: während sie im akademischen Rahmen bis auf wenige Ausnahmen im allgemeinen zurückgewiesen wurde, nahmen diverse Gruppierungen aus der politischen Rechten, aus populistischen Bewegungen und Parteien, aus islamophoben Strömungen bis hin in den rechtsextremen Bereich diese auf.
Dementsprechend haben seriöse Akademiker die Hypothese mit den verschiedensten Argumenten grundlegend abgelehnt. Prof. Robert Wistrich, der Vorsitzende des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism, äußerte:
- "Bis zu den 1980er Jahren, wurde sie [Littman] gar nicht akzeptiert. Akademische Kreise verachteten ihre Veröffentlichungen… Eine Änderung ergab sich während der 1990er und insbesondere in den letzten Jahren."[3]
Der amerikanische Historiker Prof. Robert Brenton Betts, der bei der Library of Congress und im Außenministerium gearbeitet hat, kritisiert:
- "Der allgemeine Tonfall des Buches ist schrill und antimuslimisch. Dies paart sich mit selektiver Wissenschaft, der es darum geht, die schlimmsten Beispiele antichristlicher Handlungen von muslimischen Regierungen aufzunehmen, die üblicherweise in Kriegszeiten oder in Situationen auftraten, in denen sie selbst bedroht waren (wie es beim beklagenswerten Genozid an den Armeniern von 1915 der Fall war). Fügen Sie hier den Versuch hinzu, die sogenannte islamische Bedrohung der westlichen Zivilisation zu verteufeln und das Endergebnis ist allgemein unerquicklich und häufig irritierend."[3]
Prof. Michael Sells von der University of Chicago schreibt:
- "Durch das Verschleiern des Vorhandenseins prächristlicher und anderer früher, nicht-christlicher Gemeinschaften in Europa sowie des Grundes für deren Verschwinden in anderen europäischen Regionen (aufgrund christlicher Verfolgung) konstruiert Bat Ye’or einen misslichen Vergleich zwischen dem angeblich humanen Europa der Werte des Christentums und der Aufklärung und einer immerwährenden Verfolgung im Islam. Wann immer sich die Möglichkeit bietet, die Umstände von Nichtchristen in Europa mit denen von Nichtmuslimen unter islamischer Regierung sorgfältig und umsichtig zu vergleichen, schließt Bat Ye’or einen solchen Vergleich aus."[3]
Rezeption in der europäischen politischen Rechten
Andererseits wurde die Eurabia-Hypothese in populistischen bis rechtsextremen Umfeldern in Europa, die sich ihrer als Schreckgespenst bedienen, positiv aufgenommen.
Der amerikanische TV-Experte Steven Emerson behauptete 2015 in einem Interview angebliche Beobachtungen, dass er in den muslimischen Bezirken der britischen Stadt Birmingham nicht einmal mit Polizeischutz recherchieren könnte, was mit dem Konzept eines Eurabia spielt. Behauptungen, es gäbe in Europa muslimische "no-go areas", tauchen regelmäßig im amerikanischen Fernsehen auf, insbesondere auf FOX-TV.
Der holländische Politiker Geert Wilders, Vorsitzender der Partij voor de Vrijheid (Freiheitspartei), schickte über sein Twitter-Account die folgende Mitteilung:
- "Donner van Christenen Dienen Allah (CDA) zit er faliekant naast. ISIS = islam dus anti-shariaverklaring noodzakelijk!"
- [Donner von den Christen Dienen Allah (CDA) hockt missmutig da. ISIS = islam, daher ist eine Anti-Sharia-Erklärung nötig!][6]
Bei einem anderen Vorfall behauptete Wilders:
- "Diese Regierung arbeitet begeistert an der Islamisierung der Niederlande mit. In ganz Europa öffnet die Elite die Schleusen ganz weit. Schon bald wird einer von fünf Menschen in der Europäischen Union ein Muslim sein. Gute Nachrichten für diese Multi-Kulti-Regierung, die es als ihre wichtigste Aufgabe ansieht, sich vor den Schrecken Allahs zu verneigen. Gute Nachrichten für die CDA: C-D-A heißt mittlerweile Christen Dienen Allah (Christenen Dienen Allah)."'[4]
Wilders entstellt hier absichtsvoll die Bezeichnung der niederländischen Christdemokraten (Christen Democratisch Appèl) und unterstellt deren Beteiligung an einer Verschwörung, die nicht nur die Niederlande, sondern ganz Europa dem Islam unterwerfen wolle.
Andreas Mölzer[7], langjähriges Mitglied der Freiheitlichen Partei Österreichs und deren "deutsch-nationalem" Flügel zugehörig, veröffentlichte ein Buch mit dem Titel: Eurabia. Der Albtraum von der Islamisierung Europas.[8] Mölzer war für zwei Legislaturperioden Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Von der Kandidatur für eine dritte Wahlperiode trat er 2014 aufgrund von Medienberichten über seine Äußerungen zurück, in denen er die EU als schlimmer als das nationalsozialistische Deutschland beschrieben hatte, das seiner Ansicht nach relativ "formlos und liberal" gewesen sei, da es weniger "Regeln, Vorschriften, Gebote und Verbote" kannte. Einen weiteren Kommentar, die EU sei ein "Negerkonglomerat", hatte Mölzer anfangs vehement bestritten, bis entsprechendes Audiomaterial veröffentlicht wurde.[9]
Die italienische Autorin Oriana Fallaci veröffentlichte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 drei Bücher mit islamophobem Inhalt, in denen sie u.a. behauptete, "die Söhne Allahs vermehren sich wie die Ratten"[10] und dass sich Europa zu "Eurabia" entwickelt habe. Fallaci beklagte ferner, dass Europa eine demographische Infiltration durch Muslime erleide und der Islam, wie bereits die Anschläge des 11.9. bewiesen, nicht nur offen, sondern auch verdeckt Krieg führe.[11] Ebenfalls verteidigte Fallaci Holocaustleugner wie z.B. Robert Faurisson mit dem Argument, es stelle kein Problem dar, alternative Sichtweisen der Geschichte wiederzugeben. In ähnlicher Weise hatte sie bereits die Ansichten von Brigitte Bardot verteidigt, die wegen Anstiftung zum Rassenhass mehrfach rechtskräftig verurteilt wurde.[12]
Auch in der extremen Rechten wurde die Hypothese begeistert aufgenommen. Die britische Neonaziplattform Altermedia UK (in Deutschland verboten seit Januar 2016) veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel "Eurabia - der Albtraum hat angefangen" und stellte auch die Existenz sogenannter "islamischer Zonen" in diversen europäischen Ländern als Tatsache hin, in denen die Autorität von Polizei und Säkularstaat der von Imam und Moschee gewichen sei; es wurde ferner behauptet, dass europäische Politiker ihre Bevölkerung im Namen von "Toleranz" und "Multikulturalismus" verrieten.[5]
Der norwegische Blogger Peder Are Nøstvold Jensen[4], der unter dem Pseudonym "Fjordman" schreibt, sprach von einem erneuten Jihad gegen das Christentum, nachdem dieser 1683 vor Wien aufgehalten worden war, und verglich den bevorstehenden Fall Europas mit einem zweiten Fall Roms.[5]
Der Fjordman-Blog wurde später zur Anregung für das 1.500 Seiten umfassende Manifest "2083: Eine europäische Erklärung der Menschenrechte" von Anders Behring Breivik, dem Täter der Morde in Norwegen im Jahr 2011, der lange Passagen aus Artikeln von Fjordman Jensen, aber auch von Bat Ye'or per "copy & paste" verwendet hatte.[4] Der Begriff "Eurabia" soll über einhundert Mal in Breiviks Manifest auftauchen.[11]
Die belgische separatistische Partei Vlaams Belang [Flämisches Interesse], 2004 als Nachfolgerin des "Vlaams Blok" gegründet und häufig als populistisch bzw. sogar rechtsextrem eingestuft, verwendet das Etikett "Eurabia" ebenfalls in ihrer Propaganda, in der sie vor einer bevorstehenden Islamisierung Europas warnt.[13]
In den deutschsprachigen Regionen Europas wurde die "Eurabia"-Hypothese von einem breiten Spektrum von politischen Parteien, Gruppierungen, Individuen, Internetprojekten, Medien etc. aufgegriffen, die sich von populistisch bis rechtsextrem einordnen und auch 'Querfront"-Anhänger einschließen, die auf eine Verbindung von politisch linken und rechtsextremen Ideologien abzielen.[14] Unter diesen sind z.B. Politically Incorrect[15], die Seiten zweiter PI-Autoren (Michael Mannheimer[16] (eigentlich Michael Merkle) und Gudrun Eussner[17]), krisenfrei.de, deren Autor Dieter Sordon ein sogenannter Libertarian und Mitglied der Partei der Vernunft war[18] und die Souveränität Deutschlands anzweifelt[19], der mehrsprachige klerikal-faschistische Internetsender Gloria.tv, Pro-Deutschland-Online.de, das vom Nazi-Multifunktionär Manfred Rouhs betrieben wird[20], der Blog des "Honigmann" Ernst Köwing, ein rassistischer Verschwörungstheoretiker, der wegen Anstiftung zum Rassenhass verurteilt wurde, und die populistische Seite paxeuropa.de.
Das Konzept wird auch von der Zeitung "Junge Freiheit" vertreten, die der Neuen Rechten zuzurechnen ist[21] sowie vom Kopp Verlag, der die Segmente rechte Esoterik, Pseudo-Wissenschaft und Verschwörungstheorien abdeckt, u.a. über die von Kopp verlegten Veröffentlichungen von Udo Ulfkotte.
Die kürzlich hervorgetretene Bewegung "Pegida" (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands) behauptet ebenfalls die Islamisierung Europas durch eine Überflutung durch muslimische Migranten; die Bewegung war insbesondere im Bundesstaat Sachsen erfolgreich, wo sie die größte Anzahl von Demonstranten mobilisieren konnte, obwohl nur 0.2% der Bevölkerung des Bundesstaates muslimisch ist.[22] Einen ähnlichen Standpunkt vertrat die islamophobe Bewegung "Hogesa" (Hooligans gegen Salafisten).[23][24]
Weitere Bündnisse beziehen auch fundamentalistische Christen aus der katholischen sowie den protestantischen Kirchen mit ein, die die islamophoben Ansichten teilen. Artikel in neurechten und Querfront-Zeitungen wie der "Jungen Freiheit", des Magazins eigentümlich frei oder des Blogs "Politically Incorrect werden von fundamentalistischen Medien beider Bekenntnisse propagiert und die neurechten Medien werben bei fundamentalistischen Christen um Leser und Autoren.[25]
Kritik und Defizite
Der Hypothese liegen mehrere Voraussetzungen zugrunde, die nicht mit Fakten übereinstimmen. Wie oben erwähnt ist eine Voraussetzung die angebliche Existenz eines monolithischen Blocks islamischer bzw. arabischer Länder, die bestehende Disparitäten hinsichtlich religiöser, politischer, sozialer und anderer Unterschiede und Konflikte ignoriert. Gleichzeitig muss die Hypothese den Islam auf die arabischen Länder einengen und die Existenz des Islam in anderen Regionen der Welt ignorieren. Ferner unterscheidet sie nicht zwischen Islam und islamischem Fundamentalismus, während andererseits christliche und jüdische fundamentalistische Strömungen nicht auf dieselbe Weise gleichgesetzt werden, sondern gar nicht erwähnt zu werden scheinen. Die Gleichsetzung des Islam mit dem Fundamentalismus dient darüber hinaus dazu, den Islam als Problem per se darzustellen, nochmals im Gegensatz zur Wahrnehmung anderer Religionen und ohne einen Beweis dafür anzubieten, warum sich der Islam in dieser Hinsicht von anderen Religionen unterscheiden sollte. Diese Gleichsetzung erhält den Charakter eines zugrundelegenden Glaubenssatzes der Hypothese, ebenso wie die Wahrnehmung von Muslimen als minderwertig im Vergleich zu Menschen anderen Bekenntnisses.
Ebenso setzt die Hypothese die Existenz eines monolithischen europäischen Blocks voraus und ignoriert gleichermaßen die religiösen, politischen, sozialen etc. Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern innerhalb der EU wie auch außerhalb gegenüber den muslimischen bzw. arabischen Ländern. Die Hypothese leugnet nicht nur die Disparitäten zwischen den Ländern, die in den 1970er Jahren EU-Mitglieder waren: Da seit dem Zusammenbruch des Ostblocks mehrere Länder der EU beigetreten sind, die früher dem COMECON bzw. der Sowjetunion angehörten, unterstellt die Hypothese offensichtlich, dass diese Länder sich einer Gemeinschaft angeschlossen haben, die sich selbst dem Islam und den arabischen Ländern unterworfen hat. Es ist schwer vorstellbar, dass eine solche EU für Staaten attraktiv gewesen sein könnte, die sich gerade erst aus einer solchen Hegemonie gelöst hatten. Die Hypothese bildet weder die politischen Fakten der heutigen Zeit oder die der 1970er Jahre ab, noch die politische Entwicklung der letzten 40 Jahre sowohl in Europa wie auch in muslimischen Ländern.
Die Hypothese unterstellt eine Kooperation europäischer Politiker und Eliten einer säkulär ausgerichteten EU, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, warum diese auf eine Islamisierung des Kontinents hinarbeiten sollten. Einige Verfechter der Eurabia-Hypothese behaupten, bei diesem Personenkreis handele es sich um kulturelle Marxisten, die die westliche Zivilisation zerstören wollten und den Islam nur als Mittel zum Zweck einsetzten.[26] Hier wird bequemerweise ignoriert, dass ein Gutteil der politischen Parteien, die im Europäischen Parlament sowie in den gegenwärtigen und früheren Parlamenten der EU-Länder vertreten waren und sind, politische Standpunkte einnehmen, die dem Marxismus entgegengesetzt sind. Andererseits bewertet Littman die angeblich beteiligten europäischen Politiker und Eliten als eine Verbindung von "Faschisten, Sozialisten, Nazis, antisemitischen Führern".[1] Diese Wahrnehmung ist einmal mehr nicht in Übereinstimmung mit den Fakten.
Der einzige Nachweis eines Dokumentes, der für Eurabia angeführt wird, ist die "Strasburger Resolution" von 1975, eine nicht bindende Erklärung über eine euro-arabische Zusammenarbeit. Dem Dokument kommt von Seiten der Eurabia-Verfechter ein mythischer Status zu, der Text erhärtet jedoch keine Verschwörungstheorie. Zudem wird das europäisch-israelische Freihandelsabkommen ignoriert, das im selben Jahr geschlossen wurde. Die Hypothese führt außerdem keinen plausiblen Grund dafür an, warum die europäischen Eliten und die - offenkundig säkuläre - EU den gesamten Kontinent islamisieren wollte. Einige Verfechter führen an, dass diese Eliten aus kulturellen Marxisten beständen, deren eigentliches Ziel die Vernichtung der westlichen Zivilisation sei und der Islam lediglich das Mittel der Wahl darstelle.[26]
Die Hypothese beschreibt eine angebliche Realität multipler Verschwörungen, wie die eines konzertierten Komplotts zur Unterwerfung Europas, an dem alle arabischen Regierungen ungeachtet vorhandener Disparitäten beteiligt seien. Sie unterstellt ferner, dass die europäischen Regierungen der letzten 40 Jahre diese Verschwörung einmütig unterstützt haben sollen, ungeachtet dessen, welche politischen Parteien Stimmenmehrheiten erhielten und gegebenenfalls welche Koalitionen realiter zustande kamen. Gleichzeitig setzt die Hypothese die Existenz eines geheimen Gremiums voraus, das die Fähigkeit hätte, politische, ökonomische und kulturelle Institutionen aller europäischen Staaten in willige Instrumente einer angeblichen arabischen Verschwörung umzuwandeln. All dies außerdem, ohne dass europäische Presse oder Institutionen dies zur Kenntnis nähmen bzw. berichteten. Es ist daher nicht überraschend, dass weder Littman noch andere Verfechter dieser Hypothese keine Belege präsentieren und Littmans Unterstellungen als "lächerlich"[3] oder "nichts als gekläffter Kokolores"[5] charakterisiert wurden.
Darüber hinaus gibt die Hypothese auch historische Ereignisse und Entwicklungen falsch wieder, um sich diese dienstbar zu machen. Ein Beispiel dafür ist Littmans in einem Interview aufgestellte Behauptung, während der arabischen Eroberung von Jerusalem im Jahr 638 hätten die Invasoren "das Land verwüstet, die jüdischen und christlichen einheimischen Bevölkerungen massakriert und versklavt, wie von zeitgenössischen Quellen berichtet wird."[3] Das ist sogar in dramatischer Weise falsch: während der Belagerung von Jerusalem im Jahr 637 gab der arabische Kalif Umar ibn Al-Khattab dem Patriarchen Sophronius die Garantie, dass christliche heilige Stätten und die christliche Bevölkerung unter muslimischer Herrschaft geschützt seien. Ein weiteres Angebot gewährte den Christen während der Belagerung freien Abzug aus der Stadt, was aber nur eine Minderheit der christlichen Bewohner annahm. Die arabische Eroberung hob vielmehr eine fast 500jährige Phase der jüdischen Verbannung aus der Stadt auf, da sich Juden nach der Eroberung wieder frei in Jerusalem niederlassen konnten. Die Entscheidung der Christen für die Beherrschung durch Muslime und nicht durch Byzanz erklärt sich durch die Tatsache, dass die christliche Bevölkerung überwiegend Glaubensrichtungen angehörte, die in Byzanz als häretisch angesehen wurden und bereits Verfolgungen ausgesetzt waren, während der Islam sie als der sogenannten "Familie des Buches" von Religionen mit heiliger Schrift zugehörig betrachtet wurden.[27][28]
Im Interview behauptet Littman außerdem:
- "I wrote these books because I had witnessed the destruction, in a few short years, of a vibrant Jewish community living in Egypt for over 2,600 years and which had existed from the time of Jeremiah the Prophet."[3]
Bei dieser Darstellung ignoriert Littman die Tatsache, dass von diesen 2.600 Jahren der jüdischen Geschichte in Ägypten ungefähr 1.300 Jahre unter muslimischer Herrschaft abliefen, die in Ägypten 639 begann und während der - sogar nach Littmans Ansicht - sich die jüdische Gemeinde eines "pulsierenden" Lebens erfreute.
Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass Littman sich auch der religiösen Glaubenssätze in entstellender Weise bedient, um sie für ihre Ideologie dienstbar zu machen. Sie behauptet, dass europäische Christen nunmehr "dem koranischen muslimischen Jesus [folgen] und nicht dem jüdischen Jesus".[3] Sowohl Judentum wie Islam sehen Jesus nicht als Gottessohn, sondern betonen dessen menschliche Natur; beide weisen die Sicht von Jesus als Teil einer göttlichen Trinität zurück, die sie beide als Häresie betrachten. Sowohl Judentum und Islam lehnen es strikt ab, in Jesus den Messias zu sehen. Während in der jüdischen Tradition Malachi (ca. 420 n.u.Z.) als letzter Prophet betrachtet wird, sieht der Islam Jesus als Propheten, der mit einer Botschaft entsandt wurde, die jedoch später verfälscht wurde, so dass ein weiterer, letzter Prophet mit der Person von Muhammad erforderlich war.[29] Während es bei allen drei Religionen also sowohl grundlegende Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten in der Sichtweise der Person Jesus gibt, liegen diese jedoch sehr deutlich vor einer angeblichen, in den 1970er Jahren ausgeheckten Verschwörung. Hierüber muss sich Littman sehr wohl im Klaren sein, so dass es wahrscheinlicher ist, dass sie mit dieser Darstellung einmal mehr den Islam und Muslime verteufeln möchte.
Anderssprachige Psiram-Artikel
- English: Eurabia
Quellenverzeichnis
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