Darmverpilzung

Aus Psiram
Version vom 29. Juni 2015, 16:36 Uhr von Abrax (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Candida alb. in Gram-Färbung

Das Candida Hypersensibilitäts-Syndrom (Darmverpilzung, Candida-Syndrom oder Truss-Hypothese, englisch: Candida/Yeast Hypersensitivity Syndrome, Chronic Candida Syndrome, Candida Related Complex, CRC) bezeichnet eine pseudomedizinische Hypothese der 1970er Jahre, um die angeblich zwingend krankheitsauslösenden Wirkungen von Sprosspilzen (bzw. Hefepilzen) der Gattung Candida species (meist Candida albicans) im Verdauungstrakt bzw. bezeichnet bestimmte beschuldigte Ernährungsformen der heutigen Zeit, die zwangsläufig zu einer "Darmverpilzung" führen würden.

Candida Hypersensibilitäts-Syndrom

Das Candida Hypersensibilitäts-Syndrom ist in der wissenschaftlichen Medizin aufgrund ausführlicher Erörterungen und der eindeutigen Studienlage nicht anerkannt, ist jedoch in alternativmedizinischen Kreisen fest etabliert und gehört zu den häufigsten Pseudo- und Verlegenheitsdiagnosen in diesem Bereich. Sie ist ein weiteres Beispiel für eine alternativmedizinische Krankheitserfindung. In diesem Zusammenhang wurde auch kritisch von einem "Pilzwahn" gesprochen.[1][2] Eine große Zahl von Hochglanz-Büchlein, Ratgebern und Werken medizinischer Laien sind in Buchhandlungen zu finden, die von der Existenz des Candida-Syndroms ausgehen und in diesem eine erhebliche Gesundheitsgefahr sehen. Hefen im Darm wurden als "heimliche Gefahr" apostrophiert, Candida als "entfesselter Hefepilz" bezeichnet, vorgebliche Candidainfektionen als verkannte oder schleichende Krankheit (etwa einer Immunschwäche) eingeschätzt, nach der man gezielt suchen müsse. Szenetypisch werden derartige Werke gerne aus dem Englischen in europäische Sprachen übersetzt und elegant voneinander abgeschrieben. Modifizierte Kopien können dann wiederum in englischer Übersetzung auf dem amerikanischen Buchmarkt ankommen.

Das Candida Hypersensibilitäts-Syndrom ist nicht mit einer Candidasepsis oder einer nachgewiesenen handfesten Mykose (genauer gesagt: Kandidose, Candidose, Candidiasis, Soor oder Monoliasis) zu verwechseln, für die effektive Therapien existieren.

Bei den meisten Menschen (bis zu 80%) lässt sich Candida nachweisen. Candida albicans ist nur in Ausnahmefällen der Verursacher von Beschwerden und spielt meist eine unauffällige Rolle im Bakterien-Pilz-Milieu des Darmes. Candida species ist Bestandteil der Darmflora aller Warmblüter, und ihr Nachweis im Stuhl ist beim immunkompetenten Menschen als unauffälliger Befund zu werten. Bei schwer erkrankten Patienten, z.B. AIDS oder Schwerverletzten mit Zusammenbruch oder Schädigung des Immunsystems kann es zu einer Candidabesiedlung der Lunge oder anderer innerer Organe kommen, die intensivmedizinisch behandelt werden muss.

Es bestehen Bezüge zwischen den ursprünglichen Erfindern Truss und Crook und der so genannten klinischen Ökologie nach Randolph und zu Franz Xaver Mayr.

Postulierte Folgen und Symptome

Folge dieses hypothetischen Candida Hypersensibilitäts-Syndroms sei laut Befürwortern ein Sammelsurium verschiedenster Beschwerden und Symptome:

  • Abgeschlagenheit bis hin zu chronischer Müdigkeit
  • Geblähter Bauch
  • Gier nach Süssigkeiten
  • Juckreiz der Haut
  • Durchfall
  • Depression
  • Asthma.

Viele Therapeuten verlassen sich allein auf die genannten Symptome, um die Modediagnose Candida-Syndrom zu stellen. Es werden aber auch häufig völlig ungeeignete alternativmedizinische Diagnosemethoden wie Kinesiologie, Elektroakupunktur nach Voll oder Bioresonanz herangezogen.

Typische Therapie des Candida Hypersensibilitäts-Syndroms

Fast immer wird von den Diagnostikern des Candida-Hypersensibilitäts-Syndroms eine "Anti-Pilz-Diät" verordnet, die ausreiche, das angenommene Problem in den Griff zu bekommen. Teilweise sind die entsprechenden Diätvorschriften martialisch und entsprechen einer streng zuckerfreien Diät mit Obstverbot und enden bei einer absoluten Meidung sämtlicher Kohlenhydrate und Bäckerhefe für Monate bis zu zwei Jahre. Therapiert wird aber auch teilweise mit homöopathischen Präparaten wie Albicansan D 5 oder über eine Orthomolekulare Darmsanierung (ODS). Auch Darmspülungen, Colon-Hydro-Therapien und Probiotika sind beliebt. Manche Ärzte verschreiben aber auch anerkannte Antimykotika wie Nystatin.

Kommerzielle Aspekte

Das Candida-Hypersensibilitäts-Syndrom wird über (umstrittene) Nachweisverfahren versucht nachzuweisen. In der Regel wird dies anhand von Tests mit Stuhlproben durchgeführt. Allerdings ist bekannt, dass bei etwa 70% aller Menschen ein Candidanachweis im Stuhl positiv ausfällt. Derartige Nachweisverfahren muss der Patient in der Regel selbst bezahlen, die Kassen erstatten den Test zumeist nicht. Es hat sich inzwischen ein reger Markt um diese Testverfahren etabliert.

Die Geschichte des Candida-Syndroms, die Truss-Crook Hypothese

William G. Crook

Die Geschichte mit dem Candida-Syndrom begann 1976. In diesem Jahr veröffentlichte der Internist C. O. Truss(*) aus Alabama (USA) sein Buch "Candida-Hypersensitivitäts-Syndrom". Seitdem sind zahlreiche weitere Bücher erschienen und in Fernsehsendungen und Zeitungsartikeln wurde der Mythos von der Invasion der Pilze hochgehalten. Truss veröffentlichte ausschließlich in Büchern und im unbedeutenden Journal of Orthomolar Psychiatry, einem Blatt aus dem Umfeld der orthomolekularen Psychiatrie.[3][4][5][6] 1983 folgte das Truss-Buch The Missing Diagnosis[7]. Truss bezog sich auch ausdrücklich auf die so genannte Klinische Ökologie nach Randolph. Es folgte ein Buch des amerikanischen Kinderarztes William G. Crook aus Tennessee mit dem Titel The Yeast Connection, in dem dieser vermutete, dass eine chronische Besiedelung mit Candida-Hefepilzen eine Allergie-ähnliche Symptomatik bewirke. Crook empfahl Antibiotika, Kortison, Kontrazeptiva, Zucker und alle Süßigkeiten zu meiden. Nach seiner Ansicht würden Zucker und Süßigkeiten Candida quasi füttern. Darüber hinaus seien alle Nahrungsmittel, die selbst Pilze enthielten (zum Beispiel Hefe) oder fermentiert waren, ebenfalls zu meiden. Dazu sollte Bier, aber auch Käse gehören. 1998 gründeten Truss and Crook eine Organisation mit dem Namen Candida and Dysbiosis Information Foundation.

(*) Der vollständige Name ist wohl Claude Orian Truss aus Birmingham/Alabama.

Die Realität

Bereits 1986 prüfte die Amerikanische Akademie für Allergologie und Immunologie das Candida-Syndrom. Ihr Ergebnis: Das Konzept ist rein "spekulativ und unbewiesen". [8] Zu einer ähnlichen Aussage kam 1990 auch das renommierte New England Journal of Medicine. In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass sich die angesprochenen Krankheitssymptome durch eine Behandlung mit einem Anti-Pilzmittel nicht beeinflussen lassen, was gegen die Annahme spricht, dass eine Candidabesiedelung als Ursache anzunehmen ist. Eine andere Untersuchung zeigt, dass chronische Müdigkeit bei 100 Patienten unabhängig davon war, ob die Personen Pilze im Darm hatten oder nicht. Die beschuldigten Pilzgifte konnten bislang nie nachgewiesen werden. Die von Candida gebildete Gasmenge im Darm beträgt selbst bei einer relativ hohen Keimzahl von 107 Pilzen pro Gramm Stuhl nur 0,005% der gesamten im Darm gebildeten Gase. Ein schmerzhaft gedehnter Blähbauch kann somit nicht von dem Pilz hervorgerufen werden. Ähnlich gering wie die Gasbildung ist auch die Alkoholbildung.

In einer ausführlichen Stellungnahme kommen Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu folgender Einschätzung der komplementärmedizinischen Krankheitstheorie: "Weder klinisch-epidemiologische Untersuchungen noch Behandlungsstudien geben bisher Hinweise für die Existenz des "Candida-Hypersensitivitäts-Syndroms" bzw. "Candidasyndroms" mit den damit von seinen Befürwortern in Verbindung gebrachten vielfältigen Symptomen und Erkrankungen."[9]

Sowohl das RKI als auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung halten eine Anti-Pilz-Diät zur Behandlung einer Kandidose für nicht hilfreich. Das RKI schreibt dazu: "Die kohlenhydratarme oder -freie sogenannte 'Anti-Pilz-Diät' erscheint schon konzeptionell fragwürdig, da Mono-, Di- und Oligosaccharide in den proximalen Dünndarmabschnitten vollständig resorbiert werden und für Candida spp. im Colon nicht zur Verfügung stehen."[10]

Literatur

  • Renford L, Feder HM Jr, Lane TJ, et al. Yeast connection among 100 patients with chronic fatigue. Am J Med. 1989;86:165-168.
  • Middleton SJ, Coley A, Hunter JO. The role of faecal Candida albicans in the pathogenesis of food-intolerant irritable bowel syndrome. Postgrad Med J. 1992;68:453-454.
  • Dismukes WE, Wade JS, Lee JY, et al. A randomized, double-blind trial of nystatin therapy for the candidiasis hypersensitivity syndrome. N Engl J Med. 1990;323:1717-1723.
  • Haas A, Stiehm ER, The "yeast connection" meets chronic mucocutaneous candidiasis. N Engl J Med 1986; 314: 854–855

Weblinks


Quellennachweise

  1. Prof. Wolfgang Stille (Frankfurt/Main) auf der 30. Tagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft in Kiel. Phänomen "Pilzwahn" durch trivialmedizinische Bücher aus den USA
  2. http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=4669
  3. Truss CO (1978): Tissue injury induced by Candida albicans, mental and neurologic manifestations. J Orthomol Psychiatry 7, 17-37
  4. Truss CO (1980): Restoration of immunologic competence to Candida albicans. J Orthomol Psychiatry 9, 287-301
  5. Truss CO (1981): The role of Candida albicans in human illness. J Orthomol Psychiatry 10, 228- 238
  6. Truss CO (1984): Metabolic abnormalities in patients with chronic candidiasis, the acetaldehyde hypothesis. J Orthomol Psychiatry 13, 66- 93
  7. Truss CO (1983): The Missing Diagnosis. The Missing Diagnosis, Inc., Birmingham, Alabama
  8. Executive Committee of the American Academy of Allergy and Immunology: Candida hypersensitivity syndrome. J Allergy Clin Immunol 1986; 78: 271–273
  9. http://www.apug.de/archiv/pdf/bgbl_methkom_candida.pdf
  10. http://www.apug.de/archiv/pdf/bgbl_methkom_candida.pdf