Heilsteintherapie
Die Heilsteintherapie (Edelsteintherapie, Therapie mit Heilsteinen oder Kristallen) ist eine in Esoterik und Pseudomedizin verbreitete Methode.
Kristalle und andere Steine gelten in der Esoterik als heilkräftig und gut für das allgemeine Wohlbefinden. Dies gilt auch für die Anwendung von Bernstein. Nahezu in jeder Einkaufszone, auf Flohmärkten und Basaren bieten Händler farbenfrohe und dekorative Minerale und Schmucksteine zum Kauf an. Zu den Abnehmern gehören nicht nur Mineraliensammler, sondern auch Menschen, die, angeregt durch eine Vielzahl von Artikeln und Annoncen in Büchern und Zeitschriften, in diesen bunten und häufig bizarren Kristallen eine heilende Wirkung vermuten.
Wissenschaftlich betrachtet stellen Steine oder Minerale den festen Aggregatzustand eines chemischen Elements oder einer Verbindung dar, üblicherweise anorganischer Natur. Ihre Atome besetzen feste Plätze eines regelmäßig aufgebauten so genannten Kristallgitters. Im Wesentlichen bestimmt die chemische Zusammensetzung der Minerale deren Aufbau und chemisch-physikalische Eigenschaften, wie z.B. Löslichkeit, elektrische Leitfähigkeit, Farbigkeit, Magnetismus oder Härte.
Geschichtliches
Der Glaube an die vermeintliche Heilwirkung von Steinen lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Sechstausend Jahre alte sumerische Schriften berichten von heilsamen, heilenden oder medizinischen Anwendungen, ebenso der früheste bekannte medizinische Text Chinas, der auf etwa 3000 v. Chr. datiert wird. Hämatit fand sich als Beigabe in Gräbern der jüngeren Altsteinzeit. Friebe[1] nimmt an, dass dieses heute auch unter dem Namen 'Blutstein' bekannte Eisenoxid dem Verstorbenen offenbar im Leben nach dem Tod als Blutquelle dienen sollte. Mangels Kenntnis paläolithischer Jenseitsvorstellungen muss dies jedoch Spekulation bleiben.
Eine Verbindung von Heilstein-Glauben und Astrologie erfolgte durch die Zuordnung eines ausgewählten Minerals als glücksbringendes Amulett für jeweils ein Tierkreiszeichen. Eine einheitliche Kombination von bestimmten Mineralien und Sternzeichen ist in den verschiedenen Werken der Heilsteinliteratur jedoch nicht festzustellen. Im Christentum traten an die Stelle der zwölf Tierkreiszeichen die zwölf Apostel, denen jeweils ein Stein zugeordnet wurde. Auch in der Bibel selbst tauchen Edelsteine als Attribute der göttlichen Vollkommenheit auf, so in der Vision des Himmlischen Jerusalem aus der Johannes-Offenbarung (Offb. 21, 10-21). Die dort erwähnten zwölf Steine finden sich auch in der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches wieder, die (wahrscheinlich im Jahr 962) für Otto I. angefertigt wurde.
Die heutzutage meistzitierten Quellen zur Edelsteintherapie sind die Schriften der Äbtissin und Mystikerin Hildegard von Bingen (1098 - 1179), die ihre Vorstellungen meist aus visionärer Schau bezog. Die dort postulierten Wirkungen religiöser Entitäten auf das physische Befinden spiegeln das mittelalterliche Konzept der Einheit von seelischem und körperlichem Zustand wieder. So heißt es im vierten Buch ihres Werkes "Physica" ("Von den Steinen"):[2]
- "Gott hat in die Edelsteine wunderbare Kräfte gelegt [...] All diese Kräfte finden ihre Existenz im Wissen Gottes [...] und stehen dem Menschen in seiner leiblichen wie geistigen Lebensnotwendigkeit bei. [...] Jeder Stein hat Feuer und Feuchtigkeit in sich [...] Sie dienen dem Menschen als Segen und Heilmittel [...] Daher werden die Edelsteine vom Teufel gemieden und es erschaudert ihn bei Tag und bei Nacht"
Die Anwendung der Minerale ist bei Hildegard von Bingen mit alchimistischen Ritualen und Magie verknüpft: Achat, vor dem Zubettgehen in Kreuzform durch das Haus getragen, vertreibe Diebe. Über den Topas schreibt sie:
- "Wenn jemand Fieber hat, grabe er mit dem Topas drei kleinere Gruben in ein weiches Brot, gieße reinen Wein in dieselben [...] und betrachte sein Gesicht in dem Wein [...] und spreche: 'Ich sehe mich an wie in dem Spiegel [...], auf dass Gott dieses Fieber von mir vertreibe."
Auch der legendäre Arzt Paracelsus übernahm im 16. Jahrhundert das Prinzip des Analogiezaubers in seine Signaturenlehre: "Gott in seiner unendlichen Güte und Weisheit hat alle Stoffe, alles Leben mit besonderen Kräften ausgestattet. Damit der Mensch diese Kräfte erkennt, deuten Form und Farbe auf die möglichen Anwendungsbereiche."[1]
Edelsteine in der heutigen Esoterik
Dieser historische Exkurs zeigt auf, dass die Heilsteinkunde auf uralten magischen bzw. wissenschaftlich nicht haltbaren Vorstellungen beruht. In der heutigen Esoterik lebt sie als Konglomerat aus Magie und Elementen diverser Religionen weiter, verbunden mit Systemen wie der Astrologie. Minerale werden dabei neben Klängen, Düften und Farben eingesetzt, um Gesundheit und Wohlbefinden zu erlangen. Wissenschaftlich anmutende Argumente sollen die These von der Heilkraft der Steine untermauern.
Die vermeintliche Wirkung von Kristallen wird häufig auf eine besondere Kraft oder Energie zurückgeführt. Um diese zentrale Mutmaßung der Heilsteinkunde auf ihre Stichhaltigkeit hin zu untersuchen, soll zunächst die atomare Struktur der Kristalle betrachtet werden. Den Gesetzen der Thermodynamik Rechnung tragend, ist auf dieser Ebene alles oberhalb des (unerreichbaren) absoluten Nullpunkts von -273 °C in Bewegung. Auch die Atome fester Stoffe bleiben nicht starr an einer Stelle, sondern vibrieren auf ihren Gitterplätzen. Diese Gitterschwingungen sind temperaturabhängig und bewirken beim Erreichen einer spezifischen Temperatur das Schmelzen des Materials. Die Frequenz der Gitterschwingungen liegt im THz-Bereich (Terahertz, 1012 Schwingungen pro Sekunde), was einer Energie von wenigen meV (Millielektronenvolt) entspricht. Die Energie gewöhnlichen Tageslichts ist verglichen dazu tausendmal größer. Die durch die Gitterschwingung freigesetzte Energie wird unter Berücksichtigung des Welle-Teilchen-Dualismus als Phononenenergie bezeichnet. Die Phononen ihrerseits stehen auf komplexe Weise in Wechselwirkung mit den Bausteinen der Materie, wodurch ihre Energie kompensiert wird. Auf das Vorhandensein eines 'Kraft- oder Energiereservoirs' innerhalb eines Kristalls oder geheimnisvoller Strahlen gibt es daher keinen Hinweis.
Bezüglich der Auswahl designierter Heilsteine sind die Vertreter der Heilsteinkunde der Ansicht, dass nur "echte" wirksam seien. Ein Rauchquarz, der durch Bestrahlung von gewöhnlichem Quarz hergestellt wurde, habe ebenso wenig Heilkraft wie ein Citrin, der durch Erhitzen von Amethyst erhalten wird, oder wie künstlicher Bernstein aus gepresstem Harz. Da Plagiate nicht nur als unwirksam, sondern gar als schädlich eingestuft werden, vergibt der Steinheilkunde e.V. sogar ein Heilstein-Gütesiegel.
Uneinigkeit herrscht bei der Begründung des vermeintlichen Heilmechanismus. Ohne quasi-wissenschaftlichen Überbau kommt der älteste Zweig der Steinheilkunde aus, die intuitive Steinheilkunde, die jeweils durch Intuition das passende Mineral ermittelt. Anders Michael Gienger, Begründer des "Steinheilkunde e.V." und Autor diverser Heilsteinbücher (Gienger 1996). Zwar räumt er ein, dass der exakte Wirkmechanismus der Minerale nicht aufgeklärt ist. Die generelle Wirkung der Steine beschreibt er jedoch unter Berufung auf ein einfaches physikalisches Phänomen: die Farbigkeit. Jeder Gegenstand absorbiert einen Teil des Lichts, das auf ihn fällt. Abhängig von der Wellenlänge des restlichen, reflektierten Lichtes erscheint der Gegenstand für uns farbig. Diese vom Mineral reflektierte Strahlung beeinflusst nach Auffassung Giengers die menschlichen Körperzellen (über Biophotonen) und wirkt damit auf den Energiefluss esoterischer Körperzentren wie der Meridiane und der Chakren sowie auf die Aura, ebenso auch auf die elektrische Reizleitung der Nerven, Gewebe und Organe. Die konstante, gleichmäßige Emission farbigen Lichts bewirke das Einpendeln und Harmonisieren chaotischer und verwirrter Frequenzen in uns.[3]
Durch die Wechselwirkung eines Minerals mit Licht und Wärme sei es von einem ihm eigenen elektromagnetischen Feld umgeben, das gewissermaßen die Informationen seiner chemischen Zusammensetzung, Struktur und geologischen Entstehung wie ein Sender ausstrahle. Diese Informationsstrahlen sollen zu geistigen, seelischen oder körperlichen Reaktionen führen: Durch das Tragen eines eisenhaltigen Minerals werde unser Körper daran erinnert, mehr Eisen aus der Nahrung aufzunehmen.
Beim Versuch, die vermeintliche Wirkung von Steinen auf den Menschen wissenschaftlich fassbar zu machen, ordnet die analytische Steinheilkunde sämtlichen Attributen, mit denen Minerale beschrieben werden, eine spezifische Wirkung zu: dem Kristallsystem, der Mineralklasse, der chemischen Zusammensetzung, der Genese, der Farbe und der Form. Selbst linksdrehender und rechtsdrehender Quarz sollen unterschiedliche Wirkungen haben. Beim Quarz werden sogar je nach Anordnung der Kristallflächen 15 verschiedene Typen mit jeweils unterschiedlicher Wirkung beschrieben. Gleiches gilt für den sehr variablen Achat (chemisch ebenfalls ein Quarz-Aggregat), der 13-fach unterteilt wird. Trotz der Verwendung wissenschaftlicher Terminologie ist auch diese Form der Zuordnung nichts anderes als Analogiedenken. So sollen Oxide (Sauerstoffverbindungen) analog dem für uns wichtigen Sauerstoff belebend wirken. Phosphate setzen angeblich Energiereserven frei, da der Energieträger unserer Körperzellen ATP (Adenosintriphosphat) ist. Inselsilikate regen das Streben nach Selbstverwirklichung an, während Schichtsilikate die Abgrenzung stärken. Eisenhaltige Minerale wirken blutbildend, da der rote Blutfarbstoff Hämoglobin ein zentrales Eisenatom enthält. Calciumhaltige Minerale wirken positiv auf Knochen und Zähne, die bekanntlich Calcium enthalten. Rote Minerale sollen die Blutgefäße stimulieren und die Liebe fördern, blaue Minerale wirken angeblich kühlend und beruhigend, transparente Kristalle fördern die Erkenntnis. Augenachat hilft bei Augenerkrankungen, Flammenachat wirkt fiebersenkend. Bernstein, versteinertes Harz, fördert die Wundheilung, weil Harz der Wundverband der Bäume ist.
Die Anwendung der so genannten Heilsteine ist ebenso ominös wie die zugrunde liegende Theorie: Auf der Haut getragen, in der Hosentasche, unter dem Kopfkissen oder am Arbeitsplatz sollen die Minerale in gleicher Weise ihre heilende Wirkung entfalten. Magische Steinkreise und Heilsteinelixiere sind weitere Anwendungsbeispiele.
Im Handel wird eine breite Produktpalette angeboten; z.B. sind Baby-Heilstein-Ketten oder "esoterische heilende Glückshalsbänder" für Hunde erhältlich. Es sind Todesfälle bekannt geworden, bei denen sich Babys mit Bernstein-Zahnungshilfeketten selbst stranguliert haben.[4] Selbst einige Zahnärzte vermarkten neben ihrer Praxis Heilsteine.[5]
Ähnlich der Automobilindustrie weist die Heilsteinkunde ebenfalls eine Art Zulieferindustrie auf: Eigens angefertigte Heilsteinsäckchen, Antistressketten, Steinpflegeöle, Heilsteinmassagegriffel, Managerketten und Reichtumssteine werden angeboten.
Auch eine computergestützte Heilsteinberatung ist als Dienstleistung verfügbar. Dabei werden Steine individuell von einem Spezialisten unter Berücksichtigung von Geburtsminute und Geburtsort ausgetestet.[6] Durch eine zweijährige Ausbildung bei einem Dozenten für Steinheilkunde avanciert man sogar zur VHS-Dozentin. Wochenendkurse für 150 Euro liefern den designierten Heilsteinexperten ein lukratives Nebeneinkommen.
Urteil des Landgerichts Hamburg zur Werbung mit Heilsteinen
In einem Rechtsstreit entschied das Hamburger LG im Urteil vom 21. August 2008 (Az.: 327 O 204/08), dass es gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, 5 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) und gemäß §§ 1 I Nr. 2, 3 S. 2 Nr. 1 HWG (Heilmittelwerbegesetz) irreführend ist, bestimmten Steinen krankheitslindernde und/oder krankheitsheilende Wirkung zuzuschreiben, da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass die so genannten "Heilsteine" heilende Wirkung entfalten. Insbesondere sei es verboten, für krankheitsbezogen beworbene Mittel/Gegenstände in der Weise zu werben, dass der Käufer therapeutische Wirkungen erwartet, denen das Mittel in Wahrheit nicht gerecht wird oder deren Wirkung nicht hinreichend gesichert ist. Gleichgültig soll es dabei sein, ob mit konkreten Wirkungen der Steine geworben oder den Steinen in allgemeiner Weise heilende Wirkung zugesprochen wird.[7]
Weblinks
- Bernd Friede: Mineralmagie und schwingende Kristalle Skeptiker 1/2002
- Krista Federspiel: Edelsteintherapie – Kristallmedizin – Lithotherapie
Quellennachweise
- ↑ 1,0 1,1 Friebe JG: Schlangeneier und Drachenzungen. Vorarlberger Naturschau, Dornbirn, 1995
- ↑ Riethe P: Das Buch von den Steinen. Otto Müller Verlag, Salzburg, 1986
- ↑ Gienger M: Steinheilkunde. Lebensart 5/1999
- ↑ http://www.forum-kindersicherheit.de/viewtopic.php?t=552
- ↑ www.heilsteine-ullmann.de
- ↑ http://www.prima-fit.de/Heilsteine/heilsteine.html
- ↑ http://www.it-recht-kanzlei.de/irrefuehrende-werbung-heilsteine.html
Dieser Text ist ganz oder teilweise von Paralex übernommen