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Paul ist Mitglied im Forschungsrat der Giordano Bruno Stiftung. Sabine Paul wirbt auf Veranstaltungen (siehe GBS, zertifizierte Lehrerfortbildung, GEW) offen für ihre Firma und ihr kommerziell umgesetztes Konzept einer "Evolutionären Ernährung" und empfiehlt in diesem Zusammenhang den umstrittenen IgG-Test. Pauls Behauptungen wurden in der Vergangenheit unkritisch und unkommentiert in Vortragsankündigungen der GBS wiedergegeben (Zitat: "Paläopower – Das Wissen der Evolution nutzen für Ernährung, Gesundheit und Genuss"), obwohl sie mit dem aktuellen Forschungsstand nicht übereinstimmten. | Paul ist Mitglied im Forschungsrat der Giordano Bruno Stiftung. Sabine Paul wirbt auf Veranstaltungen (siehe GBS, zertifizierte Lehrerfortbildung, GEW) offen für ihre Firma und ihr kommerziell umgesetztes Konzept einer "Evolutionären Ernährung" und empfiehlt in diesem Zusammenhang den umstrittenen IgG-Test. Pauls Behauptungen wurden in der Vergangenheit unkritisch und unkommentiert in Vortragsankündigungen der GBS wiedergegeben (Zitat: "Paläopower – Das Wissen der Evolution nutzen für Ernährung, Gesundheit und Genuss"), obwohl sie mit dem aktuellen Forschungsstand nicht übereinstimmten. | ||
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==Begriff "Evolutionäre Medizin"== | ==Begriff "Evolutionäre Medizin"== |
Version vom 10. September 2012, 08:00 Uhr
Unter dem Namen PaläoPower (von griechisch palaiós „alt“, englisch power „Kraft“; Werbeslogans: PaläoPower ist die Kraft, die aus der Steinzeit kommt; Kraft und Erfolgsfaktoren, die aus dem paläolithischen Leben stammen; die Steinzeitkraft oder innere Urkraft) werden von einem "PaläoPower-Institut für evolutionäre Strategien" in Frankfurt am Main[1] Produkte, Dienstleistungen, "Erfolgsgeheimnisse" und "Erfolgsstrategien" angeboten, die aus Eigensicht "neue Lösungen" für unterschiedliche, als Zivilisationskrankheiten bezeichnete Erkrankungen wie Übergewicht, Allergien, Unverträglichkeiten, Konzentrationsprobleme, ADS, ADHS, Stress und Burnout bieten sollen. Diese "neuen Lösungen" werden aus Interpretationen einer "evolutionären Medizin" und "evolutionären Ernährung" abgeleitet. Letztere erscheint als Variante der so genannten Steinzeitdiät, einer propagierten Ernährungsweise, die der der Steinzeitmenschen nachempfunden sein soll. Dabei wird auch Bezug auf eine "evolutionäre Psychologie" genommen, mit der Störungen wie ADHS oder Burnout erklärt werden.
Ein bedeutender Anteil der PaläoPower-Dienstleistungen bezieht sich auf Motivationstraining und Erfolgstraining.
Treibende Kraft des PaläoPower-Instituts für evolutionäre Strategien ist die promovierte Molekular- und Evolutionsbiologin Sabine Paul. Unterstützt wird sie vom Apotheker und Biologiehistoriker Thomas Junker, der wie Paul Mitglied der Giordano Bruno Stiftung (GBS) ist und sich einen Namen als Kreationismus-Gegner machte.
Das PaläoPower–Geschäftsmodell und Konzept
Im Eigenverständnis des PaläoPower-Instituts für evolutionäre Strategien sei PaläoPower "die Urkraft, die Menschen seit zwei Millionen Jahren als genetisches Erbe in sich tragen" und ein "innerer Kompass", der "wiederentdeckt werden könne", um ausschließlich positive Effekte auf bestimmte Erkrankungen oder Störungen auszuüben oder ein tieferes Verständnis für ihre Entstehung zu ermöglichen.
Das Konzept geht von der Annahme aus, dass sich die Menschheit seit Beginn des Neolithikums vor ca. 20.000 bis 10.000 Jahren genetisch nicht wesentlich verändert habe. Zitat: "Wir tragen heute alle genetischen Informationen in uns, die unsere Vorfahren erfolgreich gemacht haben – und können sie in einem positiven Sinn für uns nutzen." Andererseits wird auch ein Zeitraum von 2 Millionen Jahren genannt, auf den Bezug genommen wird. Bestimmte Erkrankungen werden unter anderem darauf zurückgeführt, dass "heutige Umweltbedingungen" nicht mehr mit denjenigen übereinstimmten, unter denen unsere Vorfahren gelebt haben. Daraus sollen sich "Ungleichgewichte" ergeben, die zur Entstehung von Krankheiten und Konflikten führten. Der enorme Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten als Folge verbesserter Ernährung, Hygiene und Gesundheitsvorsorge und -versorgung spielt im Rahmen des PaläoPower-Konzepts keine erkennbare Rolle. Herausgestellt werden lediglich angenommene oder tatsächliche Störungen und (Zivilisations-)Erkrankungen, die mit der Umwelt der Menschen der "ersten Welt" in Verbindung gebracht werden. Die Steinzeit mitsamt Hungerzeiten, Parasiten und Infektionen und eine vergleichsweise geringe Lebenserwartung wird als Vorbild bezeichnet, um heute ein langes und gesundes Leben zu ermöglichen.
Letztendlich handelt es sich um in kostenpflichtigen Kursen gelehrte Ernährungsratschläge mit Elementen der so genannten Steinzeitdiät. Gesundheitliche Effekte werden allein von einer bestimmten Ernährungsweise erwartet, die der Ernährung des Altsteinzeitmenschen (knapp erste 2 Millionen Jahre der Menschheit) nachempfunden sein soll. Interessierten wird auch ein Bluttest angeboten, der angeblich die Frage beantworten könne, ob man ein Kandidat für die PaläoPower-Ernährungsratschläge sei. In diesem Zusammenhang werden vom Institut beispielsweise Moodfood-Konzepte und Wachteleier aus "artgerechter Haltung" empfohlen.[2]
Neben dem behaupteten prophylaktischen und therapeutischen Nutzen durch das PaläoPower-Konzept werden auch "Erfolgsstrategien" für "Wirtschaft und Management" im Sinne eines Erfolgs- oder Motivationstraining propagiert sowie Werke von Paul und Junker zu PaläoPower beworben.
Kritik
Ernährung in der Steinzeit
Allgemeine Aussagen über die Nahrungszusammensetzung steinzeitlicher Menschen sind nicht zulässig. Abhängig von den vorherrschenden Umweltbedingungen gab es unterschiedliche Nahrungsangebote. Damit variierten auch die Ernährungsformen erheblich. Getreide wurde bereits vor 30.000 Jahren für die menschliche Ernährung genutzt.[3]
Die Aussage, dass sich das menschliche Erbgut seit der Steinzeit nicht verändert habe, ist nicht haltbar. Wissenschaftler haben rund 700 genetische Veränderungen gefunden, die in den letzten 10.000 Jahren aufgetreten sind. Zu diesen genetischen Veränderungen gehört die Entwicklung der Lactosetoleranz bei Erwachsenen, und zwar vor allem bei den Nachkommen der Ethnien, die vor rund 10.000 Jahren die Viehzucht einführten und die heute vorwiegend in Europa, den USA und Australien leben. Hier verfügen 80% bis 90% der Bevölkerung über das für die Verarbeitung des Milchzuckers nötige Enzym Lactase. Entgegen der These der Steinzeitdiät-Vertreter hat diese Anpassung an ein neues Nahrungsmittel in einem relativ kurzen Zeitraum längst stattgefunden.
Therapie von Krankheiten
Wissenschaftlich völlig unhaltbar sind Annahmen, dass PaläoPower zur Vorbeugung bzw. Behandlung so genannter Zivilisationskrankeiten wie zum Beispiel Übergewicht, Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Allergien, Unverträglichkeiten, Burnout und AD(H)S geeignet sei:[4]
- "Aber wir können uns ihre Erfolgsstrategien bewusst machen und für körperliche und geistige Gesundheit nutzen, z.B. bei Übergewicht, AD(H)S oder Burnout."
Eine wissenschaftliche Begründung, warum ein Leben ohne Eier, Milchprodukte und Brot gesünder sein soll, fehlt beim PaläoPower-Konzept.
Vermutete Zivilisationskrankheiten sind auch aus ferner Vergangenheit bekannt. So litt bereits in der Jungsteinzeit „Ötzi” an Arteriosklerose und Arthritis.[5] Des weiteren hatte er einen Bandscheibenverschleiß im Bereich der Lendenwirbelsäule und stark abgenutzte Zähne. 2011 wurden bei Ötzi verschiedene Zahnerkrankungen wie Karies und leichte Parodontose diagnostiziert, genauso wie drei Gallensteine, die auf einen wahrscheinlich erhöhten Cholesterinspiegel hindeuten. Außerdem deuten gefundene Borrelien darauf hin, dass er an einer durch Zecken übertragenen Borreliose gelitten haben könnte.
In Lehrbüchern der Paläopathologie ist von Krankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionen oder Parasitosen die Rede.[6] Bereits Neandertaler litten an verschiedenen als Zivilisationskrankheiten bezeichneten Erkrankungen, wie zum Beispiel Tumore, Bandscheibenschäden und Karies.[7][8][9]
Sabine Paul
Sabine Paul (geb. 1968) ist promovierte Molekular- und Evolutionsbiologin und Buchautorin. Paul ist auch Vortragsrednerin und Workshop-Trainerin bzw. „Coach“ (Bodypainting-Workshops wie "Bodypainting in Südfrankreich auf den Spuren der Jäger und Sammler"). Sie studierte Biologie und promovierte an der Universität Tübingen. Nach ihrer Promotion 1999 war Sabine Paul nicht mehr wissenschaftlich forschend oder in der akademischen Lehre bei unabhängigen Institutionen tätig, sondern wechselte - laut ihrem Lebenslauf bei der GBS - zu Marketing- und PR-Abteilungen diverser Unternehmen. Ab 1999 war sie im Wissenschaftsmarketing tätig, von 2002 bis 2005 war sie Abteilungsleiterin "Kommunikation und Marketing" beim Verein Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt am Main[10][11] (Director Marketing and Communication). Seit 2009 leitet Sabine Paul das PaläoPower-Institut für evolutionäre Strategien.
Sabine Paul war in der Vergangenheit bei der Pharmafirma Procter & Gamble (Schwalbach i.Ts.) zuständig für Produktentwicklung, Marktforschung und Marketing und sitzt aktuell im Aufsichtsrat der Firma Tavarlin AG, die Produkte nach der umstrittenen Coy-Diät von Johannes Coy (Autor des Bestsellers „Die neue Anti-Krebs-Ernährung – Wie Sie das Krebs-Gen stoppen“) vermarktet, die in einem weiten Sinne als eine Erscheinungsform einer Krebsdiät zu verstehen ist. Weitere Tavarlin-Angebote sind kohlenhydratarmes Brot, Fette, Büffelsalami, Kakaokekse, Kakaocreme, Erdbeermarmelade, Bierwurst, Nusskuchen und eine proprietäre Diagnostik.
Sabine Paul ist auch für die Firma Evomed Diagnostics AG[12] als Marketing Director tätig.[13]. Evomed gründete in der Vergangenheit zusammen mit der Firma Indago[14] und mehr als hundert zuarbeitenden Ärzten ein Kartell mit dem Ziel der gemeinsamen Ausbeutung von Patienten. Schwerpunkt des gemeinsam betriebenen Geschäfts sind Kinder mit der Krankheit ADHS. Indago vermarktete die Nanopartikelanalyse, die nach erfolgreicher Klage inzwischen als Stoffwechselfunktionstest angeboten wird. Beispielsweise wird Indago-Kunden von ihren Behandlern empfohlen, Testverfahren der Evomed in Anspruch zu nehmen, unter anderem ein Evomed "ImuPro300"-Test zum angeblichen Nachweis von Nahrungsmittelallergien, auf die vorher der Stoffwechselfunktionstest einen Verdacht lieferte. Ein "CTL-Labor - Ortholab" bietet diesen umstrittenen IgG-Lebensmittel-Allergietest für 450 Euro an. Derartige IgG-Tests können jedoch nach Expertenmeinung im Gegensatz zu IgE-Tests weder Allergien noch Lebensmittelunverträglichkeiten feststellen. Die Ergebnisse sollen daher nicht zu Ernährungsempfehlungen herangezogen werden. Experimentell zeigte sich, dass erhobene Befunde nur wenig reproduzierbar waren. Das Verwaltungsgericht Lüneburg urteilte 2004, dass die IgG-Bestimmung im Gegensatz zur IgE-Bestimmung keine allgemein wissenschaftlich anerkannte Methode zur Austestung einer Lebensmittelallergie sei. Kunden des SFT werden somit zu immer weiteren unnötigen und kostspieligen Tests aufgefordert. Die Evomed AG ist auch Lieferant von TAVARLIN-Produkten nach Johannes Coy.
Paul ist Mitglied im Forschungsrat der Giordano Bruno Stiftung. Sabine Paul wirbt auf Veranstaltungen (siehe GBS, zertifizierte Lehrerfortbildung, GEW) offen für ihre Firma und ihr kommerziell umgesetztes Konzept einer "Evolutionären Ernährung" und empfiehlt in diesem Zusammenhang den umstrittenen IgG-Test. Pauls Behauptungen wurden in der Vergangenheit unkritisch und unkommentiert in Vortragsankündigungen der GBS wiedergegeben (Zitat: "Paläopower – Das Wissen der Evolution nutzen für Ernährung, Gesundheit und Genuss"), obwohl sie mit dem aktuellen Forschungsstand nicht übereinstimmten.
Begriff "Evolutionäre Medizin"
Der Begriff "evolutionäre Medizin" wird unter anderem von Prof. Detlev Ganten[15] (Vorstand Charité) benutzt.[16][17]
Literatur und Zeitungsartikel
- Sabine Paul (Autor), Helge Nyncke (Illustrator): PaläoPower: Das Wissen der Evolution nutzen für Ernährung, Gesundheit und Genuss, Beck Verlag 2012
- Thomas Junker, Sabine Paul: Der Darwin-Code: Die Evolution erklärt unser Leben, Verlag C. H. Beck, München 2009. (Prof. Dr. Thomas Junker lehrt Geschichte der Biowissenschaften an den Universitäten Tübingen und Göttingen)
PaläoPower-Weblinks
- www.palaeo-power.de
- www.evolution-ernaehrung-medizin.de
- www.darwin-code.de
Weblinks
- Von Paläopower bis Lebenssinn, Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.02.2009, Nr. 41, S.28
- http://derstandard.at/1342139632084/Palaeopower-Arbeit-statt-Jagd-Kaefighaltung-statt-Leben
- E.U.L.E. ev: "Der Ruf der Wildnis", 2005
Blogs
- Giordano Bruno Stiftung und der Fall Sabine Paul, psiram-Blog vom 11. August 2012
- http://blog.psiram.com/2012/04/palaopower-giordano-bruno-stiftung-goes-marketing/
- Sabine Paul und PaläoPower fragwürdig rezensiert bei spektrum.de, RelativKritisch-Blog, 15. August 2012
Quellennachweise
- ↑ PaläoPower-Institut für evolutionäre Strategien, Dr. Sabine Paul, Skylineblick 14, D-60438 Frankfurt a.M.
- ↑ http://www.palaeo-power.de/home?page_id=5041
- ↑ Menschen mahlten Getreide schon vor 30.000 Jahren
- ↑ www.palaeo-power.de/home/
- ↑ Breuer G: Ötzi: Neue Befunde. Naturwissenschaftliche Rundschau 1995/48/S.236
- ↑ Aufderheide AC, Rodriduez-Martin C: The Cambridge Encyclopedia of Human Paleopathology. Cambridge University Press, Cambridge 1998
- ↑ Probst, Ernst: Mit Schmerzen auf die Pirsch Krankheiten der Urmenschen
- ↑ Krankheiten in der Urzeit, Archaeologie-News, 5. Juli 2005
- ↑ Der Neandertaler - Spuren eines harten Lebens Rheinisches Landesmuseum Bonn
- ↑ Verein Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Senckenberganlage 25, 60325 Frankfurt
- ↑ http://www.senckenberg.de
- ↑ Evomed Diagnostics AG, Landwehrstraße 54, 64293 Darmstadt
- ↑ http://anonym.to?http://de.linkedin.com/in/sabinepaul Marketing Director, Evomed Diagnostics AG, D-60308 Frankfurt
- ↑ INDAGO GmbH, Deutscher Platz 5a, D-04103 Leipzig
- ↑ http://de.wikipedia.org/wiki/Detlev_Ganten
- ↑ http://www.planet-wissen.de/alltag_gesundheit/medizin/evolutionsmedizin/interview_evolutionaere_medizin.jsp
- ↑ Detlev Ganten, Thilo Spahl, Thomas Deichmann: Die Steinzeit steckt uns in den Knochen: Gesundheit als Erbe der EvolutionMünchen und Zürich: Piper-Verlag 2011, siehe Rezension: [1]