Humoralpathologie: Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''Humoralpathologie''' (syn. Galen'sche Säftelehre) war eine historisches Medizinkonzept, das seit langem widerlegt ist und auf Galenos von Pergamon (auch ''Galen'' 129 - 199 n. Chr.) zurückgeht.
 
Die '''Humoralpathologie''' (syn. Galen'sche Säftelehre) war eine historisches Medizinkonzept, das seit langem widerlegt ist und auf Galenos von Pergamon (auch ''Galen'' 129 - 199 n. Chr.) zurückgeht.
  

Version vom 16. Juni 2008, 18:06 Uhr

Galen

Die Humoralpathologie (syn. Galen'sche Säftelehre) war eine historisches Medizinkonzept, das seit langem widerlegt ist und auf Galenos von Pergamon (auch Galen 129 - 199 n. Chr.) zurückgeht.

Galenos von Pergamon war Sohn eines griechischen Mathematikers und Architekten. Er begann bereits im 14.-16. Lebensjahr, Philosophie, Mathematik und Medizin zu studieren. Als Gladiatorenarzt machte er sich in Rom schnell einen Namen. Nachdem er vor der Pest aus Rom fliehen musste, machten ihn die Imperatoren Marc Aurel (Marcus Aurelius Antonius, 121-180 n. Chr) und später Verus (Lucius Aurelius Verus, 130-169 n. Chr.) zu ihrem Leibarzt. Galen bekleidete damit bis zu seinem Tod am Hofe eine herausragende Position.

Galen entwickelte ein riesiges literarisches Konzept. Zum Teil wiederholte, kommentierte und ergänzte er die Schriften des Hippokrates (Corpus Hippocraticum), zum Teil übernahm er die Inhalte der Schriften der Ärzte Artemidorus Kaption (2. Jhrh. n. Chr.), Kallimachos (um 200 v. Chr.), Dioskurides Phakas (um 100 v. Chr.) und Erotianus (1 Jhrh. n. Chr.).

Aus diesen Schriften entwickelte Galen das Konzept der sog. Humoralpathologie als einer Vereinigung der vor seiner Zeit entstandenen Qualitäten-, Elementen- und Säftelehren. Seine Vorstellung von Krankheit basierte auf antiken griechischen Vorstellungen, wie sie z.B. von Empedokles (gest. ca. 435 v. Chr.) mit seiner 4-Elementen-Theorie (Feuer, Wasser, Erde, Luft) oder den vier Elementarqualitäten (warm, kalt, feucht, trocken) des Zenon (gest. ca. 264 v. Chr.) vertreten worden waren.

Galens Auffassung nach entstanden alle Krankheitserscheinungen als Ausdruck einer schlechten Mischung (Dyskrasie) der vier Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle). Zu diesen Säften wurden die Elemente Luft, Wasser, Feuer und Erde sowie die vier Jahreszeiten (Frühling, Sommer, Herbst und Winter) hinzugenommen. Mit den Grundqualitäten warm, trocken, kalt und feucht ergaben sich daraus unterschiedliche Zuordnungsmöglichkeiten. Galens Qualitätenlehre integrierte die alten griechischen Konzepte in eine Gesamtform: das Feuer war heiß und trocken, die Erde war kalt und trocken, die Luft war warm und feucht und das Wasser war kalt und feucht. Galens Meinung nach war das Verhalten der vier Qualitäten maßgeblich auch für die Mischung in den Säften un den Körperteilen verantwortlich und dies wirkte sich auch auf die verwendeten Arzneistoffe aus. Pfeffer enthielt demnach Wärme, aber nicht so wie das Feuer, sondern nur 'potentiell' (Haas 1981).

Aus Galens Lehre entstand später die Lehre von den durch die Körpersäfte bestimmten Temperamenten - nämlich des Sanguinikers (Blut), des Phlegmatikers (Schleim), des Cholerikers (gelbe Galle) und des Melancholikers (schwarze Galle).

Ziel der humoralpathologischen Therapie war es, eine gute Mischung der Körpersäfte zu erzielen. Um das Überwiegen eines Elementes, eines Saftes oder einer Qualität zu vermeiden, wurde zur Ader gelassen, geschröpft, Erbrechen herbeigeführt, abgeführt, die Urinausscheidung gesteigert, geschwitzt, Niesen gelassen und es wurde auch die sog. 'Dreckapotheke' (Kot, Urin) benutzt.

Das Gesundheits- und Krankheitskonzept des Galen war als Analogieschluss-System augenscheinlich stimmig und interpretierte die Erkrankungen und Symptome auf eine fast schon absolutistisch anmutende Art und Weise, die ein kritisches Hinterfragen kaum zuließ und auch nicht erforderte. Für jedes Symptom gab es ein Mittel, für jede Erkrankung eine Therapie - auch wenn diese nicht wirksam war.

Die Galen'sche Lehre wurde nach dem Untergang des römischen Reiches und nach den Wirren der europäischen Völkerwanderung im letzten Drittel des 1. Jahrtausends zunächst von der arabischen Medizin übernommen. Bei Avicenna (980-1055 n. Chr.) findet sich in dessen 'Canon Medicinae' überwiegend die Galen'sche Qualitätenlehre, während dessen Säftelehre in den Hintergrund tritt. Der Canon des Avicenna wurde im 12. Jahrhundert von Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt und fand auf diese Weise wieder Zugang in die mittelalterliche europäische Medizin. Eine weite Verbreitung fand der Canon aber erst nach Einführung des Buchdrucks im 15. und 16. Jahrhundert, hinterließ seine Spuren dann aber bis in die Renaissance hinein. Der arabische Arzt Abu Mansur (ca. 975 n. Chr.), der ein umfangreiches Werk über pharmakologische Grundlagen verfasste, übernahm ebenfalls die Galen'schen Lehren (Haas 1981).

Die Galensche Lehre hielt sich trotz vieler Anfeindungen bis in das 17. Jahrhundert hinein. Dass sie gut 1.500 Jahre auf mehr als nur wakeligen anatomischen Grundlagen stand, spielte dabei eine geringe Rolle. Illustrativ mag hier z.B. die Vorstellung Galens über die Blutentstehungs und Blutbewegung sein. So glaubte er, dass die Blutbildung in der Leber erfolge, von wo aus sich das Blut einerseits zum rechten Herzen, andererseits direkt in die Körperperipherie bewegen würde. Aus der rechten Herzkammer gelangte seiner Meinung nach das Blut durch Diffusion in die linke Kammer und von dort aus in die Arterien des Körpers.

Galen veröffentlichte auch eine Pneumalehre, nach der das Gehirn 'Seelenpneuma' erzeuge und im Blut sich 'Lebenspneuma' befände - eine interessante historische Analogie zur Chakren- und Chi-Lehre des Fernen Ostens. Diese Bezüge sind keineswegs erstaunlich, denn durch Handelswege wie die Seidenstraße kam es auch zu Roms Blütezeit zu einem Austausch von Wissen bis hinunter nach China.

Teile der Galen'schen Ernährungslehre zeigen gewisse Parallelen zu Aspekten, die in der New-Age-Szene auch heute noch propagiert werden.

  • Die erste Verdauungsstufe erfolgte in der Milz. Aus der Nahrung entstehe Chylus, dessen schlechte Anteile als schwarze Galle über Magen und Darm ausgeschieden würden, während die reinen Anteile in die Leber gelangen sollten.
  • Die zweite Verdauungsstufe erfolgte in der Leber. Dort würden aus dem reinen Chylus die vier Säfte (Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle) entstehen, als Mischung über den Körper verteilt und der Restchylus über den Harn ausgeschieden
  • Die dritte Verdauungsstufe erfolgte in den Organen, die durch das Blut regeneriert würden. Dabei würde das Blut vollständig aufgebraucht und seine Abfallprodukte als Schweiß ausgeschieden.

Wie man erkennen kann, ist demnach das 'Ausschwitzen von Schlacken', wie es heute noch in der naturheilkundlichen Szene propagiert wird, eindeutig der Galen'schen Lehre zuzuordnen. Schlacken gibt es im Organismus allerdings nicht. Wer sie jedoch finden will, mag einen Besuch in einem Stahlwerk machen und in einen abgekühlten Hochofen blicken. Dort wird er dann wirkliche Schlacken (Metallablagerungen) finden.

Erstmals nachdrücklich kritisiert wurde das Galen'sche System der Humoralpathologie durch Paracelsus (1493-1541), der sie u.a. mit den Worten bekämpfte: Im Leib sind die Krankheiten in der Wurzel weder kalt noch warm, wider was sollte dann kalte oder warme Arznei fechten?.

Mit der durch Andreas Vesalius (genannt Versal; 1514-1564) neu aufgenommenen Kunst der Sektion Verstorbener kam es zu starken Zweifeln an den Galen'schen Lehren. Die sorgfältige Menschensektion und ein diese Sektionen stets begleitender kritischer Vergleich zwischen den Berichten klassisch-anatomischer Doktrin und den nunmehr gefundenen Resultaten legten die Basis der modernen Anatomie. Vesalius legte seine Erkenntnisse in sieben Büchern ('De humani corporis fabrica libri septem') nieder. In Zusammenarbeit mit Jan Stephan von Calcar (1500-1550), eines Schülers des Malers Tizian, konnte Vesalius viele Fehler der Galen'schen Anatomie aufdecken und auch eine Reihe unzulässiger Analogieschlüsse eliminieren, die sich aus den antiken Tiersektionen Galens in die Vorstellung menschlicher Anatomie eingeschlichen hatten.

Aber der eigentliche Todesstoß wurde der Galen'schen Säftelehre nie versetzt. Schon Versal, der durch seine Sektionen allen Grund gehabt hätte, die Lehre des Galen umzustürzen, vermied die offene Konfrontation mit den damaligen, mächtigen Verfechtern der Galen'schen Lehren. So fand Versal eindeutig kein anatomisches Korrelat für die Diffusion des Blutes von der rechten in die linke Herzkammer, schob aber sein Unvermögen, die dafür notwendigen Poren nachzuweisen, darauf, dass die Poren wohl so winzig seien, daß sie für ihn bzw. das menschliche Auge nicht mehr erkennbar wären. Versal trug mit seinen harmonisierenden Tendenzen, nämlich die Galen'sche Lehre und die Sektionslehre zu integrieren, eher dazu bei, das Bild der Galen'schen Lehre zu stützen als es zu revidieren. Aus heutiger Sicht kann man Versal wegen seiner windelweichen Haltung keinen wirklichen Vorwurf machen, denn auch heute noch dominieren gerade im rückwärtsgewandten Bereich der Komplementär- und Alternativmedizin jene Strömungen, die sich problemlos auf die Galen'schen Vorstellungen zurückführen lassen. Gerade solche Säftepathologen sind es, die dem unwissenden Verbraucher harmlos und logisch erscheinende (inhaltlich aber in der Regel grob falsche) Erklärungstheorien für quacksalberische Methoden andienen und damit exzellent verdienen. Fachwissen ist ein Feind solcher Kreise, weshalb gerade laienverständliche Information von Säftepathologen auch heute noch heftig bekämpft wird.

Dass die Galen'sche Denkweise in der Vergangenheit nicht offen abgelehnt oder widerlegt wurde, mag auch ein Grund dafür sein kann, dass sich so manches paramedizinisches Behandlungssystem (z.B. Eigenurintherapie, ausleitende Verfahren, Colon-Hydro-Therapie, Baunscheidieren) problemlos als 'neues' Therapiekonzept etablieren konnte. Solche Systeme sind nichts anders als modernisierte Auflagen der immer wieder gleichen alten und längst überholten Galen'schen Ideologien.

Quellennachweise

  • Eckart, W.: Geschichte der Medizin. Thieme Verlag, 12. Auflage, 1998
  • Haas, H.: Ursprung, Geschichte und Idee der Arzneimittelkunde. B.I. Wissenschaftsverlag, Mannheim, Band 1, S.9, 1981

Quelle: Paralex