Galavit: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 17. Februar 2023, 13:04 Uhr
Galavit ist der Handelsname eines umstrittenen und in Deutschland sowie den anderen EU-Staaten nicht zugelassenen Arzneimittels der russischen Herstellerfirma Medicor, das in Deutschland, aber auch in anderen Ländern in betrügerischer Absicht an Krebspatienten verkauft wurde.
Zusammensetzung
Der Wirkstoff des Galavit ist ein Derivat des Phthalazins (Amino-Tetrahydrophthalazin-Natriumsalz). Die Substanz ist chemisch eng mit Luminol verwandt, eine zu Färbezwecken in der Mikroskopie und in der Kriminalistik zum Spurennachweis von Blut verwendete Substanz.
Unterstellter Wirkmechanismus
Galavit soll nach Angaben der Hersteller und Verkäufer einen das Immunsystem stimulierenden Effekt haben. Es gibt jedoch keinen unabhängigen Wirksamkeitsnachweis bei Krebs. Auch sind genaue Angaben zu pharmakologischen Eigenschaften unbekannt geblieben.
Die Vermarktung
Galavit wurde und wird weiterhin als Wundermittel für schwerkranke Patienten ins Gespräch gebracht und zu sehr hohen Kosten angeboten. Während es in Russland für etwa 10 Euro erhältlich ist, kostete in Deutschland beispielsweise eine dreiwöchige Kur 27.000 Euro. Angeblich soll Galavit russischen Kosmonauten zu therapeutischen Zwecken verabreicht worden sein. Der russische Raumfahrtmediziner Igor Gontscharov (Leiter der medizinischen Betreuung der Kosmonauten in Baikonur) schloss jedoch die Verwendung in der Vergangenheit und Gegenwart am Boden oder in der Raumfahrt aus.
In der Vergangenheit wurde bekannt, dass es von den deutschen Ärzten Nikolaus Klehr und Eike Rauchfuss vertrieben wurde. Die Staatsanwaltschaft München II ermittelte im Jahre 2000 gegen Klehr wegen Verdachts des Betruges und der Körperverletzung. Eine frühere Pflegedienstleiterin der Klehr'schen Klinik in Bad Heilbrunn hatte ausgesagt, dass ihr Chef sie unter Druck gesetzt habe, an Tagen, an denen Galavit in der Praxis ausgegangen war, den Patienten Kochsalzlösung zu spritzen und so eine Behandlung vorzutäuschen.
Der Schauspieler Ivan Desny machte sich im Frühjahr 2000 als angeblich durch Galavit vom Krebs Geheilter zum Werbeträger des Wundermittels [1]. In der Boulevardpresse (u.a. in der in München erscheinenden tz München + Region) ließ er sich gemeinsam mit dem in München tätigen Eike Rauchfuß abbilden. Sein Manager Falco Dahms verkündete: "Herr Desny litt an einem faustgroßen Prostata-Tumor im fortgeschrittenen Stadium. Die Ärzte empfahlen dringend eine Operation." Mithilfe des in der Sensationspresse üblichen Stils maßloser Übertreibung wurde die Legende aufgestellt, Desny sei angeblich unter Geheimhaltung zur Behandlung in eine Moskauer Kreml-Klinik eingewiesen worden, zu der normalerweise nur hochrangige Politiker und Prominente Zugang hätten. Der Tumor hätte sich damals um 90% zurückgebildet. In der Zeitschrift Neue Post ließ Desny später verkünden: "Der Tumor ist weg. Es ist wie ein Wunder." Zur Jahresmitte 2001 platzte jedoch Desnys Lügengeschichte. Im STERN Nr.38/2001 erschien unter dem Titel Krebsgeschwür aus Lügen[2] ein Bericht über den Schauspieler. Dieser gab zu, niemals an einem Tumor gelitten zu haben. Er habe nur einem Freund einen Gefallen tun wollen. "Es war Promotion. Danach hat die Presse daraus einen Roman mit Moskau und Krebs gemacht." Ob er allerdings, wie der Stern berichtete, für diese Hilfestellung 25.000 Euro erhalten haben soll, ist bis heute unbewiesen.
Auch das Kroiss-Krebs-Zentrum in Wien bot Galavit auf seiner Homepage im Internet an.
Patente
Tadhudinovich Musa Abidov wurde ein Patent mit der Nummer RU2138264 erteilt, das nicht das Galavit direkt betrifft, jedoch seine Herstellung. "preparation Galavit is produced by way of preparation of 3-aminophtalhydrazide which is subjected to reaction of molecular re-grouping with subsequent attack with sodium hydroxide and separation of desired product. Effekt: increased output of product and reduced production of waste."
Kritik
Galavit hat in Deutschland keine Zulassung als Arzneimittel, wird daher gelegentlich von interessierten Verbrauchern aus dem Ausland (Russland oder der Schweiz) importiert. Ärzte, die in Deutschland gewerbsmäßig oder regelmäßig Galavit zur Therapie anbieten, müssen mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.
Galavit soll in Russland lediglich eine Zulassung als entzündungshemmendes Mittel haben und ist dort für etwa 10 Euro erhältlich.
Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfarM) äußerte sich ablehnend zu Galavit.[3]
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und die Deutsche Krebsgesellschaft [4] sprachen sich gegen Galavit aus, ebenso wie die schweizerische Studiengruppe für komplementäre und alternative Methoden bei Krebs.
Gegen eine fünfköpfige Dealerbande, darunter auch ein Arzt und ein Medizinjournalist, die das Präparat zu weit überteuerten Preisen an Krebskranke verkauft hatte, wird seit dem 5. März 2007 vor dem Landgericht Kassel verhandelt[5][6]. Der Drahtzieher Falko Dahms hatte durch den Arzt Eike Rauchfuß Galavit in einer Privatklinik in Bad Karlshafen an die größtenteils mittlerweile verstorbenen Patienten verabreichen lassen. Im Juli 2008 wurden die Beschuldigten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, Eike Rauchfuß wurde wegen Fluchtgefahr noch im Gerichtssaal verhaftet.[7][8][9]
Die Beschuldigten legten 2008 beim Bundesgerichtshof (BGH) Revision ein. Das Landgericht verhandelte daraufhin 2010 erneut, doch auch diesmal gingen zwei der Beschuldigten erfolgreich in Revision: Nur zwei der drei zuständigen Richter hatten das Urteil fristgerecht unterschrieben. Medienberichten zufolge war der dritte Richter versetzt worden und hatte das Urteil nicht vorgelegt bekommen.[10]
Siehe auch
Literatur
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Zur Anwendung des Präparates „Galavit“ in der Krebstherapie. Dtsch Arztebl 2001; 98(15): A-1016
- Krebsliga Schweiz (SKAK): Galavit. Dokumentation Nr. 06/07 [3] (PDF, 365kB)
- Deutschsprachiger Beipackzettel zu Galavitum/Galavit
- Annette Tuffs: Three jailed in Germany for selling a fraudulent cancer cure to terminally ill patients. BMJ 2008;337:a875, 18. Juli 2008. doi: 10.1136/bmj.a875. [4]
- arznei-telegramm: GALAVIT gegen Krebs? a-t 11/2000 [5]
- arznei-telegramm: GALAVIT = LUMINOL? [6] a-t 01/2001
- Raymond Tice: Luminol. Review of toxicological literature. National Institute of Environmenta Health Sciences (531-31-3), Juli 1997
Weblinks
- Kathrin Zinkant: Medikamentenbetrug. Böses Spiel mit Todgeweihten Die Zeit, 15. Juli 2008
- Malte Arnsperger: Prozess-Auftakt Tödlicher Betrug mit Krebswundermittel Stern Magazin, 5. März 2007
- Kurt-Martin Mayer: In obskurer Mission. Eine Handelsfirma aus der Schweiz zockt Krebskranke mit einem russischen „Immunmodulator“ ab. Fokus online, Nr. 44 (2000), 30. Oktober 2000
- Rolf Schälike: Ein "Wundermittel" aus Rußland ? September 2001
- Verena Rais: Galavit: Zwielichtige Geschäfte, gefährliche Experimente verbrauchernews.de, 9. März 2001
- Thomas Meißner: Als Wundermittel gegen Krebs macht es Schlagzeilen, aber keiner weiß wieso Ärzte Zeitung, 8. Dezember 2000
- Krebswundermittel: Weitere Urteile im Galavit-Prozess Apotheke adhoc, 3. August 2011
Quellennachweise
- ↑ http://www2.netdoktor.de/nachrichten/index.asp?y=2007&m=3&d=3&id=126282
- ↑ http://www.ariplex.com/ama/galavit/texte/de/stern.html
- ↑ http://www.ariplex.com/ama/galavit/texte/de/BfArM.htm
- ↑ http://www.transgallaxys.com/~kanzlerzwo/showtopic.php?threadid=2100&s=6116abda74a28a7321f3df1c1af54e98
- ↑ Artikel in Der Stern vom 5. März 2007 [1]
- ↑ Artikel in Offenbach-Post online 26.6.2008 [2]
- ↑ http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=36086&key=standard_document_34714048
- ↑ http://www.zeit.de/online/2008/29/galavit-prozess-urteil
- ↑ http://www.focus.de/panorama/welt/betrugsprozess-hohe-haftstrafen-fuer-angebliche-krebsheiler_aid_318063.html
- ↑ http://www.apotheke-adhoc.de/Nachrichten/Panorama/16120.html
- ↑ https://www.laborjournal.de/editorials/2691.php