Losada-Linie: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Die Experimente, die Losada als Grundlage für seine Theorie heranzieht, weisen Brown et al. zufolge methodische Schwächen auf und die Beschreibung sei sehr ungenau. Es wurden 60 "Business-Teams" aus jeweils acht Personen durch einen Einwegspiegel beobachtet. Zu den Randbedingungen wie der Zusammensetzung der Personengruppen nach Alter, Geschlecht, usw. oder Dauer der Zusammenkünfte werden keine Angaben gemacht. Anhand der Beobachtungen wurden "high-performance teams" und "low-performance teams" identifiziert. Während der Zusammenkünfte wurden die sprachliche Äußerungen ("speech acts") der Gruppenmitglieder protokolliert und klassifiziert, und zwar nach den drei Dimensionen "positivity-negativity", "other-self" und "inquiry-advocacy"; wie das im Einzelheiten gemacht wurde, bleibt unklar. Die Größen "inquiry-advocacy", "other-self" ordnet Losada sodann den Variablen X und Y zu, | + | Die Experimente, die Losada als Grundlage für seine Theorie heranzieht, weisen Brown et al. zufolge methodische Schwächen auf und die Beschreibung sei sehr ungenau. Es wurden 60 "Business-Teams" aus jeweils acht Personen durch einen Einwegspiegel beobachtet. Zu den Randbedingungen wie der Zusammensetzung der Personengruppen nach Alter, Geschlecht, usw. oder Dauer der Zusammenkünfte werden keine Angaben gemacht. Anhand der Beobachtungen wurden "high-performance teams" und "low-performance teams" identifiziert. Während der Zusammenkünfte wurden die sprachliche Äußerungen ("speech acts") der Gruppenmitglieder protokolliert und klassifiziert, und zwar nach den drei Dimensionen "positivity-negativity", "other-self" und "inquiry-advocacy"; wie das im Einzelheiten gemacht wurde, bleibt unklar. Die Größen "inquiry-advocacy", "other-self" ordnet Losada sodann den Variablen X und Y zu, Z nennt er "emotional space".<ref name="losada99">Losada M (1999): The complex dynamics of high performance teams. Mathematical and Computer Modelling 30 (9-10), 179-192</ref> Dabei definiert er "emotional space" als Verhältnis von "Positivität" zu "Negativität" ("ratio of positivity to negativity"). Die Definition werde allerdings schon innerhalb seines ursprünglichen Artikels aus dem Jahr 1999 nicht konsequent eingehalten und in einer späteren Veröffentlichung<ref name="Losada&Heaphy">Losada M, Heaphy E (2004): The role of positivity and connectivity in the performance of business teams: A nonlinear dynamics model. American Behavioral Scientist 47, 740-765</ref> erneut geändert. Des weiteren sage er nirgends, ob X und Y ebenfalls ''Verhältnisse'' sind, also dass X als inquiry/advocacy zu verstehen ist, oder ''Differenzen'', also X = inquiry - advocacy (beide Alternativen führten zu unterschiedlichen mathematischen Schwierigkeiten, die Losadas Anwendung der Lorenz-Gleichungen verböten). |
Schwerer noch als diese Ungenauigkeiten wiege laut Brown et al., dass Losada nicht mitteilt, wie er die zeit- und wertdiskreten "speech acts" in die kontinuierliche Variablen X(t), Y(t) und Z(t) umwandelt. Dies ist zwar im Prinzip möglich, aber es gebe keinerlei Belege, dass Losada es überhaupt versucht habe. Keiner seiner Artikel zum Thema lasse ein Bewusstsein dafür erkennen, dass ein Phänomen, dass durch eine Differentialgleichung beschrieben werden soll, zeit- und wertkontinuierlich darstellbar sein muss (eine der oben erwähnten Voraussetzungen zur Anwendbarkeit des Lorenz-Gleichungssystems). Losada behauptet, dass die Zeitreihen, die das Modell erzeugt, die "allgemeinen Eigenschaften" der Zeitreihen widerspiegelt, die im Labor an den Teams beobachtet wurden. Er zeigt jedoch nirgends Belege dafür, also keine experimentellen Daten für X, Y und Z und somit auch keine Vergleiche mit Modelldaten. Auch erklärt er nicht, was er mit dem diffusen Begriff "allgemeine Eigenschaften" ("general characteristics") meint. | Schwerer noch als diese Ungenauigkeiten wiege laut Brown et al., dass Losada nicht mitteilt, wie er die zeit- und wertdiskreten "speech acts" in die kontinuierliche Variablen X(t), Y(t) und Z(t) umwandelt. Dies ist zwar im Prinzip möglich, aber es gebe keinerlei Belege, dass Losada es überhaupt versucht habe. Keiner seiner Artikel zum Thema lasse ein Bewusstsein dafür erkennen, dass ein Phänomen, dass durch eine Differentialgleichung beschrieben werden soll, zeit- und wertkontinuierlich darstellbar sein muss (eine der oben erwähnten Voraussetzungen zur Anwendbarkeit des Lorenz-Gleichungssystems). Losada behauptet, dass die Zeitreihen, die das Modell erzeugt, die "allgemeinen Eigenschaften" der Zeitreihen widerspiegelt, die im Labor an den Teams beobachtet wurden. Er zeigt jedoch nirgends Belege dafür, also keine experimentellen Daten für X, Y und Z und somit auch keine Vergleiche mit Modelldaten. Auch erklärt er nicht, was er mit dem diffusen Begriff "allgemeine Eigenschaften" ("general characteristics") meint. |
Version vom 16. Oktober 2013, 09:40 Uhr
Die Losada-Linie (auch critical positivity ratio) ist ein pseudowissenschaftliches Konzept aus der Positiven Psychologie. Es besagt, dass es einen kritischen Quotienten aus positiven und negativen Emotionen gebe, oberhalb dessen ein Individuum "aufblüht" oder erfolgreich ist ("flourishing"). Bei Unterschreiten des kritischen Quotienten, der 2,9013 betragen soll, schlage der Erfolg in Misserfolg um. Entwickelt wurde diese Theorie ab 1999 von dem chilenischen Psychologen Marcial Francisco Losada (geb. 1939).
Kritik
Die Psychologen Nicholas Brown und Harris Friedman und der Physiker Alan Sokal haben die Theorie der Losada-Linie ausführlich untersucht und kommen zu dem Schluss, dass sie nicht nur falsch, sondern vollkommen unsinnig ist.[1][2][3] Den Autoren erschien es zweifelhaft, dass es eine universelle psychologische Konstante geben soll, welche die Auswirkung von etwas so Komplexem wie menschlichen Emotionen auf fünf Dezimalstellen genau beschreibt, und zwar unabhängig von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Bildung, oder sozialem Status der betreffenden Person. Zudem existiere nicht nur eine Untergrenze des Verhältnisses von positiven zu negativen Emotionen mit dem Zahlenwert 2,9013 unterhalb dessen ein erfolgreiches Fortkommen des Individuums nicht möglich ist, sondern auch eine Obergrenze. Diese betrage laut Marcial Losada und Barbara Fredrickson (geb. 1964, Professorin für Psychologie an der University of North Carolina at Chapel Hill) "geschätzt" 11,6346.[4]
Nicht gerechfertigte Modellierung durch Differentialgleichungen
Der wesentliche Kritikpunkt von Brown et al. ist Losadas Behauptung, man könne den zeitlichen Verlauf der positiven und negativen Emotionen eines Individuums durch ein System aus drei Differentialgleichungen modellieren. Sein Gleichungssystem hat die Form
- dX/dt = a (Y - X)
- dY/dt = rX - Y - XZ
- dZ/dt = XY - bZ
Es wurde 1963 von dem US-amerikanischer Meteorologen Edward Lorenz zur Beschreibung von Strömungsvorgängen in der Atmosphäre zum Zweck der Wettervorhersage entwickelt. Die abhängigen Variablen X, Y und Z stellen bestimmte physikalische Größen der Strömung und Temperaturgradienten dar, die unabhängige Variable t ist die Zeit. a, b und r sind Parameter, d.h. feste Zahlenwerte, mit denen das Gleichungssystem an die physikalischen Gegebenheiten angepasst wird. Populär wurde das Lorenz-Gleichungssystem in den 1970er Jahren mit der Chaostheorie bzw. dem mathematischen Gebiet der Nichtlinearen Dynamik. Für bestimmte Parameter und bestimmte Anfangsbedingungen hat das Lorenz-System so genannte chaotische Lösungen. Der Lorenz-Attraktor ist vereinfacht gesagt die Menge der chaotischen Lösungen, die bei grafischer Darstellung der Variablen X, Y und Z die bekannten ästhetisch wirkenden Schmetterlings- und Achter-Figuren liefert.
Brown et al. bezeichnen die angebliche Anwendbarkeit der Lorenz-Gleichungen auf menschliche Emotionen als "Missbrauch". Sie geben fünf Kriterien für die Anwendbarkeit von Differentialgleichungen zur Modellierung von zeitabhängigen Vorgängen in den Natur- und Sozialwissenschaften an. Diese Kriterien betreffen beispielsweise die Zuordnung von Variablen zu real beobachtbaren Größen. Keine der fünf Voraussetzungen ist in Losadas Arbeiten erfüllt.
Fehlende experimentelle Basis
Die Experimente, die Losada als Grundlage für seine Theorie heranzieht, weisen Brown et al. zufolge methodische Schwächen auf und die Beschreibung sei sehr ungenau. Es wurden 60 "Business-Teams" aus jeweils acht Personen durch einen Einwegspiegel beobachtet. Zu den Randbedingungen wie der Zusammensetzung der Personengruppen nach Alter, Geschlecht, usw. oder Dauer der Zusammenkünfte werden keine Angaben gemacht. Anhand der Beobachtungen wurden "high-performance teams" und "low-performance teams" identifiziert. Während der Zusammenkünfte wurden die sprachliche Äußerungen ("speech acts") der Gruppenmitglieder protokolliert und klassifiziert, und zwar nach den drei Dimensionen "positivity-negativity", "other-self" und "inquiry-advocacy"; wie das im Einzelheiten gemacht wurde, bleibt unklar. Die Größen "inquiry-advocacy", "other-self" ordnet Losada sodann den Variablen X und Y zu, Z nennt er "emotional space".[5] Dabei definiert er "emotional space" als Verhältnis von "Positivität" zu "Negativität" ("ratio of positivity to negativity"). Die Definition werde allerdings schon innerhalb seines ursprünglichen Artikels aus dem Jahr 1999 nicht konsequent eingehalten und in einer späteren Veröffentlichung[6] erneut geändert. Des weiteren sage er nirgends, ob X und Y ebenfalls Verhältnisse sind, also dass X als inquiry/advocacy zu verstehen ist, oder Differenzen, also X = inquiry - advocacy (beide Alternativen führten zu unterschiedlichen mathematischen Schwierigkeiten, die Losadas Anwendung der Lorenz-Gleichungen verböten).
Schwerer noch als diese Ungenauigkeiten wiege laut Brown et al., dass Losada nicht mitteilt, wie er die zeit- und wertdiskreten "speech acts" in die kontinuierliche Variablen X(t), Y(t) und Z(t) umwandelt. Dies ist zwar im Prinzip möglich, aber es gebe keinerlei Belege, dass Losada es überhaupt versucht habe. Keiner seiner Artikel zum Thema lasse ein Bewusstsein dafür erkennen, dass ein Phänomen, dass durch eine Differentialgleichung beschrieben werden soll, zeit- und wertkontinuierlich darstellbar sein muss (eine der oben erwähnten Voraussetzungen zur Anwendbarkeit des Lorenz-Gleichungssystems). Losada behauptet, dass die Zeitreihen, die das Modell erzeugt, die "allgemeinen Eigenschaften" der Zeitreihen widerspiegelt, die im Labor an den Teams beobachtet wurden. Er zeigt jedoch nirgends Belege dafür, also keine experimentellen Daten für X, Y und Z und somit auch keine Vergleiche mit Modelldaten. Auch erklärt er nicht, was er mit dem diffusen Begriff "allgemeine Eigenschaften" ("general characteristics") meint.
Berechnung des "critical positivity ratio"
Anhand verschiedener mathematischer Veröffentlichungen zum Lorenz-System kommen Fredrickson und Losada[4] zu dem Schluss, dass es einen kritischen Wert rcrit = 24,7368 für den Parameter r im Lorenz-Modell gibt, oberhalb dessen es einen chaotischen Attraktor zeigt. Ferner gelte
- rcrit = a (a + b + 3) / {b (a - b - 1)}
Hierin sind a und b die anderen beiden Kontrollparameter im Lorenz-Gleichungssystem, siehe oben. Mit a = 10 und b = 8/3 erhält man rcrit = 470/19 ≈ 24,7368. Das "critical positivity ratio" ist dann gegeben durch
- P/Ncrit = a (a + b + 3) / {b (a - b - 1)} - (i + 1) / b
Die Zahl i definiert einen Startzustand der Modellierung ("the initial value of the positivity/negativity state variable"[6]) und wird von Losada et al. stets auf den Wert 16 gesetzt. Mit den beiden anderen genannten Parameterwerten a = 10 und b = 8/3 erhält man
- P/Ncrit = 441/152 ≈ 2,9013
Der entscheidende Punkt ist: Die eingesetzten Werte für a, b und i sind völlig willkürlich und haben auch keinerlei Bezug zu Losadas experimentellen Beobachtungen. Mit anderen Zahlenwerten erhält man ein anderes Ergebnis für die "Losada-Line", die damit ebenfalls eine willkürliche Zahl darstellt.
Reaktionen auf die Kritik
In einer Stellungnahme zur Analyse von Brown et al. räumte Losadas Mitautorin Fredrickson ein, dass Losadas mathematische Modellierung "fragwürdig" sei,[7] vertrat aber auch die Ansicht, der Nutzen einer hohen "Positivitätsverhältnisses" sei bewiesen. Sie teilte außerdem mit, dass Losada es ablehne, sich zu der Kritik zu äußern. Fredrickson hat ein populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel Positivity geschrieben,[8] in dem sie das Konzept der Losada-Linie mit dem vermeintlich bedeutsamen Zahlenwert von etwa 3 bewirbt.[9]
Quellen
- ↑ Brown NJL, Sokal AD, Friedman HL (2013): The Complex Dynamics of Wishful Thinking: The Critical Positivity Ratio. American Psychologist, Advance online publication, doi: 10.1037/a0032850
- ↑ "Positivity Ratio" Criticized In New Sokal Affair. Neuroskeptic, 16. Juli 2013
- ↑ Ulrich Berger: Sokal reloaded: zur Selbstreinigungskraft der Wissenschaft. Scienceblogs, 29. August 2013
- ↑ 4,0 4,1 Fredrickson BL, Losada, MF (2005): Positive Affect and the Complex Dynamics of Human Flourishing. American Psychologist 60(7), 678-686
- ↑ 5,0 5,1 Losada M (1999): The complex dynamics of high performance teams. Mathematical and Computer Modelling 30 (9-10), 179-192
- ↑ 6,0 6,1 Losada M, Heaphy E (2004): The role of positivity and connectivity in the performance of business teams: A nonlinear dynamics model. American Behavioral Scientist 47, 740-765
- ↑ Fredrickson BL (2013): Updated Thinking on Positivity Ratios. American Psychologist, advance online publication, doi: 10.1037/a0033584
- ↑ Barbara L. Fredrickson: Positivity: Groundbreaking Research To Release Your Inner Optimist And Thrive. Oneworld Publications, 2011 (deutsch: Die Macht der guten Gefühle: Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert. Campus Verlag, 2011)
- ↑ Zitat: Now, in Positivity, she shares how experiencing positive emotions in a 3-to-1 ratio to negative emotions leads people to achieve what they once could only imagine. www.positivityratio.com/book.php, eine Werbeseite von Barbara Fredrickson für ihr Buch Positivity, aufgerufen am 14. Oktober 2013