Urzeit-Code: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 25. September 2012, 17:06 Uhr
Als Urzeit-Code wird eine Methode bezeichnet, von der ihre Befürworter glauben, dass sie sich einerseits zur Ertragssteigerung in der Landwirtschaft eigne und andererseits für eine Art Jurassic Park-Wiedererwachen längst ausgestorbener Tier- und Pflanzenarten geschaffen sei. Wissenschaftliche Literatur zu dieser Methode ist in Datenbanken nicht zu finden. Beachtung fand sie vor allem in Esoterikerkreisen und Esoterikzeitschriften wie Zeitenschrift und Raum & Zeit[1], in Fernsehunterhaltungssendungen oder der Kent-Depesche. Der Ehlers Verlag (Herausgeber von Raum & Zeit) gab sogar eine Pressemeldung heraus, in der die Methode mit "Urformen der Natur als Chance gegen den Welthunger" beworben wurde.[2] Meist ist die Methode mit weiteren Annahmen, Verschwörungstheorien oder Ideologien verknüpft und wird auch als mögliche ökologische Alternative zur Gentechnologie verstanden.
Als Entdecker gelten die beiden Schweizer Chemiker Guido Ebner und Heinz Schürch, die beim Basler Chemieunternehmen Ciba-Geigy (heute Novartis) bis in die 1990er Jahre das Verhalten von Organismen untersuchten, die starken elektrostatischen Feldern ausgesetzt wurden. Eigenen Angaben zufolge sollen sie 1987 die Methode des Urzeit-Codes entdeckt haben und 1989 meldete Ciba-Geigy ein Patent zu einem neuartigen Fischzuchtverfahren an. Nach Ebners Tod propagierte dessen Sohn Daniel den Urzeit-Code weiter und es wurde ein Guido Ebner Institut gegründet. Interessanterweise residiert das Guido Ebner Institut in Dornach bei Basel, einer Hochburg der Anthroposophie. Ebner und Schürch gründeten eine eigene Firma namens Institute for Pharmaceutical Research in der Nähe von Basel, die später pleite ging. Im Namen dieser Firma meldete Guido Ebner 1997 ein weiteres Patent an. Darin wird die Auswirkung elektrostatischer Felder auf verschiedenste Spezies (Kresse, Weizen, Mais, Farn, Mikroorganismen, Bakterien) im Frühstadium beschrieben, bei denen es laut Patentschrift unter Anwendung von Hochspannung zu einer Veränderung der Genexpressionsmuster, der Morphologie sowie der Entwicklungs- und Wachstumseffizienz kommen soll.
Pflanzenarten, die über die beschriebene Methode verändert werden, müssten neu charakterisiert werden, um zugelassen zu werden.
Behauptungen
In diversen Fernsehauftritten und auf mehreren Webseiten wird seit einiger Zeit behauptet, dass sich das Pflanzenwachstum in einem statischen Hochspannungsfeld beschleunige und in einem Hochspannungfeld fossile Tier- und Pfanzenarten, aber auch solche, die erst in historischer Zeit ausgestorben sind, auf geheimnisvolle Weise wieder zum Leben erweckt werden können. Elektrostatische Felder werden andererseits aber auch zu den Feldern gezählt, denen im Rahmen der Elektrosmog-Diskussion ansonsten nur negative Effekte zugesprochen werden.
Als Beispiel für eine derartige Erweckung wird die Regenbogenforelle genannt, die erfolgreich in eine angebliche "ursprüngliche Wildform" zurückverwandelt worden sei, wie sie vor Jahrhunderten existiert habe. Eine Fischuntersuchungsstelle der Eidgenossenschaft in Bern soll vorgestellte Forellen angeblich als eine Urform der Forelle bezeichnet haben, die vor ca. 150 Jahren ausgestorben sei. Abbildung 1 zeigt im oberen Teil eine normale Regenbogenforelle im Vergleich zum unterem Bild, auf dem angeblich die Urform der Regenbogenforelle zu sehen ist, die sich entwickelt haben soll, nachdem der Laich mit einem elektrostatischen Feld behandelt wurde, erkennbar an dem "Lachshaken" am Unterkiefer des Fisches. Eine naturwissenschaftliche Erklärung für ihre jetzige Existenz gebe es angeblich nicht. Bei der auf dem unteren Bild erkennbaren Struktur handelt es sich um einen Lachshaken (auch Laichhaken genannt) der in der Biologie als unspektakuläres sekundäres Geschlechtsmerkmal erwachsener männlicher Salmoniden bekannt ist. Er entsteht durch veränderte Hormonpegel und bildet sich wieder zurück, sollten die Tiere die Laichzeit überleben. Auch unfruchtbare Hybriden wie die Tigerforelle (Salvelinus fontinalis x Salmo trutta) bilden den Laichhaken aus.
Ein nach der Urzeit-Code-Methode behandelter Wurmfarn (siehe Abb. 2) sei auch erfolgreich in eine Erscheinungsform "zurück"-verwandelt worden, wie sie angeblich vor 300 Millionen Jahren existiert habe (s.Abb. 3).
Ein Urmais, wie er einst in Südamerika gesprossen sein soll, habe sich aus normalem Mais entwickelt. Dabei hätten sich bis zu zwölf Kolben pro Stiel gebildet.
Methode
Den zur Verfügung stehenden Angaben kann entnommen werden, dass Forelleneier, Maiskörner oder Farnsporen einem elektrostatischen Feld von 1 bis 10.000 V/cm ausgesetzt waren. Ebner und Schürch gaben an, die Maiskörner vier Tage und die Farnsporen monatelang dem E-Feld ausgesetzt zu haben. In Analogie zu natürlichen elektrischen Feldern in der Atmosphäre soll der negative Pol dabei nach oben und der positive Pol nach unten in Richtung Erdoberfläche ausgerichtet sein. Im Feld soll sich ein beschleunigtes Wachstum gezeigt haben und in einigen Fällen hätten sich die Organismen gar zu einer Art "Urform" zurückentwickelt. Beim Wurmfarns habe sich die Anzahl der Chromosomen von 36 auf 41 erhöht und die gekeimten Pflanzen hätten das Aussehen eines Hirschzungenfarns angenommen.
Die Publicity
Als vermeintliche wissenschaftliche Sensation wurde am 17. Dezember 1988 in einer Unterhaltungssendung des Schweizerischen Fernsehens namens Supertreffer der Urzeit-Code von Showmaster Kurt Felix ernsthaft vorgestellt. (Felix ist dem deutschen Fernsehpublikum durch die Sendung Verstehen Sie Spaß? bekannt). In der Sendung wurden Bilder einer Pflanze gezeigt, die aus einer Jahrmillionen alten Urzeit als "Evolutionsrückschritt" elektrisch hervorgezaubert worden sei. Aus einem normalen Wurmfarn mit seinen gefiederten Blättern sei demnach ein Hirschzungenfarn mit rund zulaufenden, zungenartigen Blättern geworden, der als "Urfarn" bezeichnet wurde.
Der Schweizer Buchautor und Herausgeber der Zeitschrift für Okkultismus und Verschwörungstheorien Mysteries Luc Bürgin brachte über den Urzeit-Code ein Buch heraus. Bürgin will auch herausgefunden haben, dass an den Universitäten in Mainz und Freiburg die Ergebnisse von Ebner und Schürch reproduziert und bestätigt worden seien. Drei Professoren sollen dazu stehen, darunter der Schweizer Nobelpreisträger Werner Arber.
Als 1996 Bastler nach Anregung durch Ebner und Schürch in Internetforen über Versuche mit Hochspannungszellen an Pflanzen (Tulpen mit Stacheln) und Spinnentieren berichteten, wurde dies auch in der Süddeutschen Zeitung und bei Stern TV zum Thema. Warnungen machten die Runde, dass aus Hackern Genhacker werden, die Urzeitmonster wiedererwecken könnten. Bei Stern TV zeigte sich ein derartiger Genhacker nur im Profil verdeckt und behauptete, aus Spinnen kleine Saurier hervorgezaubert zu haben, und zum Beweis einen Glaskasten mit Elektronik vorzeigte. Anregungen hätte er aus dem Anzapfen von Daten bei Ciba-Geigy erhalten, die der Konzern ansonsten aber geheim halte.
Die Reaktion der Experten war einhellig: "Wir haben uns schlapp gelacht", äußerte sich Alex Olek vom Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Genetik in Berlin. "Die Behauptung, man könne Gene durch elektrische Felder revitalisieren, ist absoluter Unsinn", erklärt auch Kasper Zechel, Biophysiker vom MPI in Göttingen. "Köstlich" fand der Kölner Physikprofessor Günter Nimtz die "revolutionären Resultate" (laut Stern TV) der beiden Schweizer, weil seiner Meinung nach die ihm bekannte Versuchsanordnung so konzipiert worden sei, dass dort, wo sich die vermeintlich elektrisch beeinflussten Zellen befinden, "gar kein elektrisches Feld ist".
Guido Ebner war hingegen bis zu seinem Tode davon überzeugt, dass ihm 1985 mit seiner elektrischen "Evolutions-Umkehr-Maschine" ein Durchbruch gelungen sei. Unter seinen Kollegen soll er hingegen laut einem Artikel des Spiegel seitdem als Spinner gegolten haben.[3]
Verschwörungstheorien um den Urzeit-Code
Die angeblich relativ einfache Methode zur vermeintlichen "Rückholung" ausgestorbener Pflanzen- und Tierarten sowie die elektrische Stimulation des Pflanzenwachstums werde laut Anhängern des Urzeit-Codes von der Firma Ciba-Geigy geheim und Unterlagen unter Verschluss gehalten. Dabei wird Ciba-Geigy unterstellt, dass das Verfahren mit angeblichem Ur-Getreide aus dem Elektrofeld im Vergleich zu modernen Saatgutzüchtungen zu resistent gegenüber Schädlingen sei und daher weniger Pestizide benötige und höhere Erträge liefere. Wissenschaftlich hätten die beiden Erfinder auch über den Urzeit-Code nicht publizieren "dürfen", daher gebe es keine seriöse Fachliteratur zum Thema, so dass sie sich "auf Druck der Bevölkerung" an das Fernsehen hätten richten müssen.
Tatsächlich jedoch lassen sich Einzelheiten aus den Ebner-Patenten ersehen. Ciba-Geigy veröffentlichte auch eine Pressemeldung, in der erklärt wurde, keine weiteren Forschungen zur Anwendung von Hochspannung bei der Pflanzenzüchtung zu betreiben.
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Über Einflüsse elektrischer Felder während der Keimung und Zellteilung liegen wissenschaftliche Erkenntnisse vor, nicht jedoch darüber, wie aus heute lebenden Organismen ihre Vorfahren wieder zum Leben erweckt werden könnten. Erste Veröffentlichungen zum Keimverhalten von Pflanzen in Anwesenheit elektrischer Felder stammen aus den 1920er Jahren aus Deutschland von dem Pflanzenwissenschaftler Ernst Tamm[4] und wurden unter dem Begriff der Elektrokultur bekannt. Weitere Forschungen wurden in den 1970er Jahren aus Russland bekannt. Im Rahmen der In-Vitro-Fertilisation werden schwache elektrische Impulse verwendet, um Zellen zur Teilung anzuregen.
Bei all den Versuchen ist allerdings unklar, ob durch diese Methode tatsächlich direkte phylogenetische Vorfahren von Organismen gezüchtet werden konnten, da die tatsächlichen Urformen in den allermeisten Fällen unbekannt sind, da Fossilfunde keine eindeutigen Unterscheidungen zwischen einem direkten Vorfahren einer Spezies und einem parallelen Entwicklungszweig zulassen.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es zudem völlig unplausibel, aus welchem Grund ursprünglichere Formen von Kulturpflanzen höhere Erträge liefern sollten als die derzeitigen Hochleistungssorten. Beispielsweise liefern ältere Weizensorten wie Emmer und Einkorn um Größenordnungen niedrigere Erträge als heutige Weizensorten. Es sind weder rezente noch fossile oder historisch überlieferte Beispiele bekannt, in denen Wildarten höhere Erträge liefern als domestizierte Arten.
Am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz (Leitung: Gunter M. Rothe) wurden die Ebner-Schürch-Versuche offenbar 2001-2002 wiederholt. Der Diplomand Axel Schoen führte dazu analoge Hochspannungsexperimente durch; die Diplomarbeit wird mit der Jahresangabe 2001 angegeben.[5] Eine Veröffentlichung der Experimente in einem Journal erfolgte nicht, die Diplomarbeit wurde jedoch auszugsweise in einem Buch zitiert. Einem Aachener Biologen namens Rauschen, der die Arbeit im Jahre 2008 einsehen wollte, wurde nach mehrmaligen Anfragen mitgeteilt, dass die Arbeiten nicht abgeschlossen seien. Er solle doch stattdessen das Buch des Journalisten und Laien Luc Bürgin kaufen. Später erhielt er jedoch Kopien von Auszügen der Diplomarbeit, so wie sie ab der Seite 196 im Buch von Bürgin wiedergegeben sind.[6] Es wurden lediglich Keimungsrate und Pflanzenwuchshöhe im E-Feld untersucht. Aus den Unterlagen ist keine Dosis-Wirkungs-Beziehung erkennbar. Die Pflanzen wurden demnach mit 1.111 V/cm, 2.222 V/cm, 3.333 V/cm, 4.444 V/cm und 5.555 V/cm (manchmal auch mit 5.554 V/cm) behandelt. Bei einigen Kulturpflanzen traten Effekte nur bei einer einzelnen Behandlung auf, mal bei der niedrigsten, mal bei der höchsten, manchmal bei einer mittleren Behandlung. Der Effekt erscheint dabei in den allermeisten Fällen nicht mit der benutzten Spannung in Bezug zu stehen. Die Effekte sind bei den einzelnen Pflanzen extrem unterschiedlich. Manchmal findet eine deutliche Steigerung der Keimrate oder der Pflanzengröße statt, in anderen Fällen sind beide oder nur einer der Parameter deutlich erniedrigt. In weiteren Fällen ist gar kein Einfluss erkennbar. Bei Versuchen mit Mais fiel auf, dass mehr Blütenstände gebildet wurden, bei Lemna minor (Kleine Wasserlinse, Familie der Aronstabgewächse) wurden höhere Teilungsraten beobachtet (bis 470% höher als in der Kontrolle). Das bedeutet, dass im Grunde gar nicht erwiesen ist, ob auch ein höherer Ertrag erzielt wird. Zudem ist nicht klar, wie sich die Zusammensetzung (zum Beispiel Wassergehalt) der Pflanzen ändert. Ein häufigere Zellteilung kann prinzipiell auch als Stressreaktion verstanden werden.
Literatur
- Goodman, Henderson. Sine waves enhance cellular transcription. Bioelectromagnetics, 7, 23-29 (1986)
- Schoen, Axel. Auswirkungen elektrostatischer Felder auf das Keimverhalten und die Ontogenie verschiedener Getreidearten. 2001. Biologie-Diplomarbeit. Universität Mainz, Institut für Allgemeine Botanik. Gunter M. Rothe
- Demiray H. Effect of static electric fields in root cells of Vicia faba (Fabaceae). Electromagn Biol Med. 2006;25(1):53-60.
- Grigor'eva NN, Shakhbazov VG, Nebogatikova EI. Mutagenic effects of direct electric current. Genetika. 1989 Jan;25(1):158-60.
- Portnov OG, Shakarnis VF, Maĭore DIa. Mutagenic action of static electric fields on Drosophila melanogaster females. Genetika. 1975;11(6):177-9.
Weblinks
- Gentechnik. Köstliche Chimäre DER SPIEGEL 35/1996 vom 26.08.1996
- Silas Kieser (SimplyScience-Sonderpreis beim nationalen Wettbewerb 2011 von Schweizer Jugend forscht): "Elektrokulturen: Wächst Weizen (Triticum sp.) in einem E-Feld schneller?"
- http://www.transgen.de/forum/index.php?f=1&i=7868&t=7868&v=f&inc=read
Siehe auch
Angemeldete Patente
- EP 0351357 B1 - Verbessertes Fischzuchtverfahren. Angemeldet: 15.06.1989, veröffentlicht am 03.03.1993. Patentinhaber: Ciba Geigy AG, Basel [2]
- EP 0791651 A1 - Methode zur Behandlung von biologischem Material. Angemeldet: 22.01.1997. Vertreter: IPR Institute for Pharmaceutical Research, Riehen (CH)
- http://www.freepatentsonline.com/5048458.html
Quellenangaben
- Fernsehsendung ARD-Report vom 5. Oktober 1992
- ↑ Raum & Zeit, Heft 152
- ↑ Pressemeldung Urformen der Natur als Chance gegen Welthunger, Ehlers Verlag GmbH. Zitat: Zurück in die Zukunft. Kann man die Evolution zurückdrehen? Elektro-Feld-Versuche aus der Schweiz stellen Pflanzen aus der Urzeit wieder her - und das ganz ohne Genmanipulation.
- ↑ DER SPIEGEL 35/1996 vom 26. August 1996, Seite 175. Gentechnik - Köstliche Chimäre [1]
- ↑ Tamm E: Über den Einfluß der durch den Boden geleiteten elektrischen Energie auf Keimfähigkeit, Triebkraft und Jugendwachstum von Pisum sativum. Ein Beitrag zur Frage der Elektro-Kultur. Habil.-Schr. Landw. Hochschule Berlin 1928. - Zugl in: Botanisches Archiv Bd. 21, 1928, S. 9-115.
- ↑ Schoen, Axel. Auswirkungen elektrostatischer Felder auf das Keimverhalten und die Ontogenie verschiedener Getreidearten. 2001. Biologie-Diplomarbeit. Universität Mainz, Institut für Allgemeine Botanik
- ↑ Bürgin L: Der Urzeit-Code, Herbig Verlag