Schwache Quantentheorie: Unterschied zwischen den Versionen

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# H. Atmanspacher, H. Römer, H. Walach: Weak Quantum Theory: Complementarity and Entanglement in Physics and Beyond, Foundations of Physics 32:3, 2002
 
# H. Atmanspacher, H. Römer, H. Walach: Weak Quantum Theory: Complementarity and Entanglement in Physics and Beyond, Foundations of Physics 32:3, 2002
 
Internet: [http://arxiv.org/abs/quant-ph/0104109]
 
Internet: [http://arxiv.org/abs/quant-ph/0104109]

Version vom 10. Februar 2010, 23:14 Uhr

Einleitung

Die schwache Quantentheorie (englisch: „Weak Quantum Theory“, WQT; auch „verallgemeinerte Quantentheorie, VQT) ist ein Satz mathematischer Axiome, der weiterführenden Theorien Struktur geben kann. Anders als der Name andeutet, handelt es sich bei der schwachen Quantentheorie selbst noch nicht um eine physikalische Theorie, da keinerlei Aussagen über konkrete Phänomene gemacht werden. Die schwache Quantentheorie geht auf die Freiburger Wissenschaftler Harald Atmanspacher, Harald Walach und Hartmann Römer zurück; zuerst beschrieben wurde sie in einem Artikel in Foundations of Physics [1], einem wissenschaftlichen Journal mit peer-review-System. Sie wird vor allem als theoretischer Unterbau von Ideen propagiert, die im Allgemeinen der Esoterik bzw. der alternativen Medizin zugeordnet werden. Daneben gibt es noch einige spekulative, aber durchaus wissenschaftliche Anwendungen aus so unterschiedlichen Wissenschaften wie der Physik und der Psychologie.


Wesentliche Merkmale

Die mathematische Struktur der schwachen Quantentheorie orientiert sich an der algebraischen Formulierung der Quantenmechanik. Demnach kann ein System sich in unterschiedlichen Zuständen befinden; Beobachtungen des Systems entsprechen dem Einsatz von Observablen, d.h. von Operatoren, die den Zustand des Systems verändern. Im Vergleich zur Quantenmechanik fehlen jedoch einige wichtige Einschränkungen, so dass die schwache Quantentheorie über wesentlich mehr Freiheitsgrade verfügt. Daraus leitet sich auch die Namensgebung „schwache“ oder „verallgemeinerte“ Quantentheorie ab.

Die folgenden wesentlichen Eigeschaften der Quantenmechanik werden in der verallgemeinerten Version nicht vorgegeben:

- Interpretation von Zuständen als Wahrscheinlichkeiten

- Vektorraum komplexer Zahlen (Hilbert-Raum) als „Basis“ für die Zustände und Operatoren und daher

- Addierbarkeit der Zustände und deren Multiplizierbarkeit mit komplexen Zahlen (Superpositionsprinzip);

- Aufbau komplexer Systeme durch Zusammenfügen einfacher Teilsysteme bzw. Zerlegung in einfache Teilsysteme

- Äquivalent zur Planck-Konstante h


Für spezifische Anwendungen muss die sehr allgemeine Rahmentheorie natürlich um wesentliche Postulate erweitert werden. Diese können unter Umständen den oben aufgeführten Punkten entsprechen, so dass die verallgemeinerte Quantentheorie die Quantenmechanik als Spezialfall mit einschließt. Für solche Festlegungen werden jedoch keine Regeln vorgeschlagen.Vorschriften zur Konstruktion von Zuständen oder Operatoren werden ebensowenig diskutiert.

Durch das Fehlen einer Systematik zur Schaffung von Brücken zwischen konkreten Anwendungen und der sehr allgemeinen Rahmentheorie unterscheidet sich die schwache Quantentheorie radikal von ihrem Vorbild. Durch Korrespondenzprinzipien zwischen Quantenmechanik und klassische Physik wird genau beschrieben, wie die klassische Beschreibung eines Problems zu einem quantenmechanischen Modell erweitert werden kann. Aufgrund der eindeutigen mathematischen Formulierung können wesentliche Eigenschaften des beschriebenen Systems dann rechnerisch ermittelt werden.


Komplementarität und Verschränkung

Aufgrund der zur Quantenmechanik ähnlichen mathematischen Struktur besteht die Möglichkeit, dass in einem durch die schwache Quantentheorie beschriebenen System komplementäre Größen oder verschränkte Zustände auftreten. Komplementäre Variablen zeichnen sich dadurch aus, dass eine gleichzeitige und exakte Kenntnis beider Größen nicht möglich ist (Heisenberg'sches Unschärfeprinzip). Verschränkung kann zu Korrelationen zwischen unterschiedlichen Teilen eines Systems führen, die selbst dann nicht verschwinden, wenn diese Teile so gründlich voneinander isoliert werden, dass jede Art von Kommunikation zwischen ihnen unterbunden ist (Einstein-Podolsky-Rosen bzw. EPR-Paradoxon). In der klassischen Physik oder in der Alltagswelt gibt es nichts Entsprechendes zur Komplementarität oder zur Verschränkung, dementsprechend fehlen anschauliche Erklärungen. Insbesondere die Verschränkung gilt deshalb als mysteriös und faszinierend. Komplementarität und Verschränkung folgen jedoch nicht notwendigerweise aus einer Anwendung der schwachen Quantentheorie. Ob und wann es in dazu kommt, kann nur anhand eines passenden, auf das konkrete System explizit zugeschnittenen mathematischen Modells bestimmt werden.


Anwendungen

Mittels quantenmechanischer Verschränkung ist es möglich, eine Art von Verbindung zwischen scheinbar voneinander isolierten Systemen herzustellen. Aufgrund dessen wird das Phänomen oft missbraucht, um holistische Weltbilder aller Art zu rechtfertigen. Quantenmechanische Verschränkungen zwischen getrennten Systemen aufrecht zu erhalten ist jedoch außergewöhnlich schwierig und erfordert eine möglichst vollständige Trennung von der Umgebung (d.h. vom „Rest der Welt“). Daher scheint der Versuch, Phänomene wie Spukschlösser, Magie, Voodoo, Telepathie oder Channeling durch Quantenmechanik zu erklären, zum Scheitern verurteilt zu sein. Da diesen Phänomenen aber offensichtlich eine Art „verstecktes Band“ zwischen getrennten Dingen zugrunde liegt, bietet die schwache Quantentheorie einen scheinbaren Ausweg: Ihre Anwendung auf die „Lebenswelt“ eröffnet die Möglichkeit von Verschränkungen, die nicht quantenmechanischer Natur sind und auch daher nicht an die Restriktionen der Quantenmechanik gebunden sind. Dabei lädt die Tatsache, dass kein Äquivalent zur Planck-Konstante h spezifiziert wird, zum Spekulieren ein: Da h ein Maß für die Stärke quantenmechanischer Effekte ist, können ihre Pendants in der schwachen Quantentheorie beliebig groß sein.

Beispiel 1: Transpersonale Phänomene

Harald Walach schlägt vor, transpersonale Phänomene – dazu gehören „[...] außer den genuin spirituellen Erfahrungen der Einheit mit anderen oder dem All, Reinkarnations-, Nahtoderfahrungen [all jene] die suggerieren, dass unser Ich über die Grenzen unseres Organismus hinausreichend ist [...]“ [2] – durch die schwache Quantentheorie zu erklären. Unabhängig davon, dass er ihre Existenz für offensichtlich hält und nicht weiter auf den Stand der Forschung eingeht, liegt die Hauptschwäche seiner Argumentation darin, dass er kein konkretes, auf der schwachen Quantentheorie basierendes Modell transpersonaler Phänomene anbietet. Obwohl ein mathematisches Rahmenmodell bemüht wird, bleibt seine Diskussion rein verbal und geht im Endeffekt nicht über einen simplen Logikfehler hinaus: Transpersonale Phänomene sind real, die schwache Quantentheorie beschreibt verallgemeinerte Verschränkung, also sind transpersonale Phänomene Manifestationen solcher verallgemeinerter Verschränkungen. Zweifellos richtig daran ist höchstens, dass die schwache Quantentheorie verallgemeinerte Verschränkungen nicht generell ausschließt.

Beispiel 2: Homöopathie

Ebenfalls von Harald Walach stammt ein Modell der Homöopathie [3], das auf der schwachen Quantentheorie basiert. Der Anspruch dieses Modells ist hoch, denn neben bekannten Beobachtungen aus der homöopathischen Praxis soll auch erklärt werden, warum homöopathische Hochpotenzen, in denen mit Sicherheit kein einziges Molekül der Urtinktur mehr vorhanden ist, dennoch eine spezifisch, weit über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung haben. Walach nimmt an, dass das Homöopathikum durch die Potenzierung mit der Urtinktur, die Urtinktur über die homöopathische Anamnese wiederum mit dem Symptombild des Patienten verschränkt ist. Die Wirkung der Arznei soll demnach darin bestehen, dass die Symptome vom Patienten zum Homöopathikum – analog zur quantenmechanischen Teleportation – übertragen werden. Das homöopathische Mittel kann demnach als eine Art leerer Behälter für die Symptome angesehen werden, dessen Fassungsvermögen umso größer ist, je stärker die Ursubstanz aus ihm herausverdünnt wurde. Problematisch an Walachs Modell ist wiederum, dass die Argumentation nicht über die verbale Ebene hinausgeht. Nirgends wird klargestellt, wie ein Zustand aussehen oder mit welchen Observablen gerechnet werden könnte. Daher kann eine ernsthafte Diskussion, etwa um Voraussetzungen oder Effektstärken bei den angenommenen Verschränkungen, nicht stattfinden. Von Lionel R. Milgrom, einem emeritiertem Chemiker des Imperial Colleges in London, stammt ein weiteres Modell der Homöopathie, dass sich auf die schwache Quantentheorie beruft. Es wird in einer Serie von Veröffentlichungen (z.B. [4], [5]) beschrieben. Den zwei Verschränkungen aus Walachs Modell wird eine Dritte hinzugefügt („Patient-Practitioner-Remedy Entanglement“), die den Homöopathen berücksichtigt. Anders als Walach versucht Milgrom, sein Modell mit quantenmechanisch inspirierten Rechnungen weiterzuentwickeln. Es bleibt jedoch größtenteils unklar, welche Bedeutung die Variablen in seinen Rechnungen haben. Darüber hinaus wurden ihm von Kritikern zahlreiche Rechenfehler nachgewiesen [6]. Walach und Milgrom folgern aus ihren Modellen, dass bei einer randomisierten, plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie eine Art Verschränkung zwischen Verum- und Placebogruppe entstehen sollte. Demnach würden die Genesungsverläufe der einen Gruppe auf die jeweils andere „überschwappen“, so dass solche Studien prinzipiell nicht geeignet wären, um die Wirksamkeit homöopathischer Behandlungen zu prüfen. Sie fordern daher Studien mit weniger restriktiven Kontrollen.

Kritik

Kritiker werfen den Proponenten der schwachen Quantentheorie vor, sie als eine Art wissenschaftliches Feigenblatt zu verwenden, um ihren vagen Spekulationen einen Anschein von Seriosität und mathematischer Exaktheit zu verleihen [6-8]. In den bisher veröffentlichten Arbeiten aus dem Bereich der alternativen Medizin wird (ganz im Gegensatz zur Quantenmechanik!) entweder gar nicht oder nicht richtig gerechnet, so dass die Notwendigkeit des mathematischen Unterbaus nicht gegeben ist. Es kann nicht unabhängig nachvollzogen werden, ob Schlussfolgerungen aus den Modellen gerechtfertigt sind oder dem Wunschdenken des Autors entspringen. Da aus der Theorie letztendlich keine nachvollziehbaren und überprüfbaren Aussagen abgeleitet werden, sind die allermeisten Anwendungen der schwachen Quantentheorie – zumindest in ihrem heutigen Zustand – nicht wissenschaftlich. Potentielle Ausnahmen finden sich vor allem außerhalb des alternativmedizinischen Bereichs [10].

Referenzen

  1. H. Atmanspacher, H. Römer, H. Walach: Weak Quantum Theory: Complementarity and Entanglement in Physics and Beyond, Foundations of Physics 32:3, 2002

Internet: [1]

  1. H. Walach: Generalisierte Quantentheorie (Weak Quantum Theory): Eine theoretische Basis zum Verständnis transpersonaler Phänomene, [2]
  2. H. Walach: Entanglement Model of Homeopathy as an Example of Generalized Entanglement Predicted by Weak Quantum Theory, Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde, 10, 2003
  3. L.R. Milgrom, Conspicuous by its absence: the Memory of Water, macro-entanglement, and the possibility of homeopathy, Homeopathy 96:209-219, 2007
  4. L.R. Milgrom: Journeys in The Country of The Blind: Entanglement Theory and The Effects of Blinding on Trials of Homeopathy and Homeopathic Provings, eCAM 2007 4(1):7-16, online auf [3]
  5. D. Chrastina: Weak Quantum Theory isn't that weak, Electronic Letters to eCAM 2007; 4: 7-16, [4]
  6. P. Leick: Homeopathy, 97:50-51, 2008, online auf [5]
  7. P. Leick: Die „schwache Quantentheorie“ und die Homöopathie, Skeptiker 3/06
  8. A.P. Gaylard, Straw men and black swans: the philosophy of contemporary science, Homeopathy, 97:47-48, 2008, online auf [6]
  9. H. Römer, P. Leick, Skeptiker 4/06