Unkonventionelle Krebstherapien: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 8. Januar 2010, 20:48 Uhr

Fall Colleen Hauser[1]

Unter dem Begriff Unkonventionelle Krebstherapien werden unterschiedlichste alternativmedizinische und pseudomedizinische, aber auch schlicht nicht validierte oder bekanntermaßen unwirksame Verfahren gegen Krebserkrankungen zusammengefasst, die sich selbst zumeist als sanft oder natürlich bezeichnen und entweder als Alternative oder komplementär (also begleitend) zu üblichen Verfahren der evidenzbasierten Medizin in großer Zahl und in unterschiedlichster Weise angeboten werden. Zumeist ist bei Anbietern, Anwendern oder Befürwortern der Methoden eine mehr oder weniger ausgeprägte Ablehnung der wissenschaftlichen, akademischen Medizin oder auch sämtlicher wissenschaftlicher Zugänge zum Phänomen Krankheit zu beobachten. Zu den unkonventionellen Methoden in der Onkologie werden per definitionem Verfahren gezählt, deren Wirksamkeit fraglich oder erwiesenermaßen nicht existent ist. Trotz durchgeführter Therapievalidierungen wurde also kein eindeutiger Wirksamkeitsnachweis erbracht.

Häufig ist bei diesen Verfahren zu beobachten, dass diese auf einen einzelnen (meist verkannten) Forscher oder Erfinder zurückgehen, der dann weiter Jahrzehnte lang an seiner Methode festhält und von einem Kreis von Anhängern umgeben ist.

Die unkonventionellen Methoden unterliegen regelrechten „Moden“ oder Hypes wie bei Galavit oder Ukrain. Andererseits verbleiben auf dem Markt aber einige Klassiker wie die Misteltherapie oder bestimmte Krebsdiäten.

Unklare rechtliche Rahmenbedingungen, etwa bei der Zulassung oder der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung, tragen in Deutschland zu einer Verunsicherung nicht nur von Patienten, sondern auch von Ärzten bei.

Verbreitung

Etwa zwei Drittel aller Krebspatienten nehmen zusätzlich zu etablierten Verfahren weitere unkonventionelle Methoden in Anspruch und somit sind diese Verfahren durchaus als populär anzusehen.

Sehnsüchte und Befürchtungen Betroffener

Häufig ist zu beobachten dass Betroffene ein subjektives Bedürfnis zeigen nach:

  • Immunstärkung. (Mein Immunsystem hat versagt) und Zytostatika werden als schwächende Beeinflussung des Immunsystems erlebt.
  • der Beschäftigung mit einem angenommenen Grundproblem Psyche, konventionelle Therapien werden als herumdoktoren an Symptomen erlebt.
  • Reinigung von schädlichen Stoffen oder Giften (Quecksilber/Amalgam/sogenannte Schlacken).
  • Zufuhr von Substanzen (z.B. Vitaminen oder Mineralien) die angeblich fehlen würden.

Risiken und Gefahren

Gerade bei der Behandlung von Krebs besteht die Gefahr, dass wirksame Standard-Therapien nicht durchgeführt werden und mögliche Nebenwirkungen von unkonventionellen Methoden noch nicht bekannt sind.

Kommerzielle Aspekte und Scharlatanerievorwürfe

Krebserkrankte greifen bekanntlich oft nach jedem Strohhalm und sind daher leicht als Kunden für unkonventionelle Verfahren ansprechbar. In den Massenmedien werden häufig auch unseriöseste und vollkommen sinnlose Therapien als "sanfte" Therapie-Alternativen so dargestellt, als könnten sie genauso gut oder sogar noch besser - weil für die Patienten schonender - Krebsleiden heilen. Das Geschäft mit der Angst von Krebspatienten ist ein äußerst lukratives. Entsprechend viele Scharlatane tummeln sich auf diesem Gebiet, vom Edelsteintherapeuten über den Geistheiler bis hin zum Exorzisten. Siehe auch: Zehn Indizien für Quacksalberei

Myten um postulierte Natürlichkeit unkonventioneller Krebstherapien

Gewebsnekrose nach Biss durch eine Lanzenotter

Eines der Stichworte, welche die gegen die orthodoxe Medizin gerichtete Kritik bestimmen, ist der Verweis auf die angestrebte Natürlichkeit alternativer medizinischer Konzeptionen. Dabei bleibt der Begriff des Natürlichen vage. »Natur«, so der Soziologe Norbert Elias in »Über die Natur«, sei eine Metapher, ein Symbol, auf das Menschen ihre Wunschphantasien projizieren. Was natürlich ist, gilt zugleich als stets gut bzw. gesund. Die Natur wird allgemein als »gütig« eingeschätzt, als eine sich sorgende und nährende »Mutter« personifiziert, analog dem esoterischen Konzept der Subjektivierung der Natur (Mutter Erde / Gaia). Dabei bleibt ausgeblendet, dass Fressen und Gefressen werden untrennbar zum Wesen der Natur gehören wie das synergistische-friedliche Zusammenleben und beispielsweise Schlangenbisse tödlich sein können. Geschätzt wird dass jährlich etwa 94000 Menschen an Schlangenbissen sterben und 1,8 Millionen durch diese verletzt werden [2]. Hinzu kommen Vergiftungen durch Pflanzen (Fass-)Gifte oder Schäden durch die natürliche Radioktivität (Monazidsande/Höhenstrahlung/Radon - z.B. in Kerala oder Brasilien). Elias schreibt: Die Natur ist voller Wollust und Leiden. In ihrem blinden Entwicklungsgang ist sie auf tausenderlei Kniffe gestoßen, wie in dem gnadenlosen Überlebenskampf aller Lebewesen diese oder jene Art vor anderen einen Vorteil gewinnen kann.... Das populäre mythische Verständnis von Natur ist allemal religiös grundiert. »Natur« symbolisiert Unsterblichkeit und unendliche Schöpferkraft, Regeneration und Gesundheit – kurz: Göttlichkeit.

Selbstheilung und Spontanremissionen

Die spontane und nicht durch Therapien induzierte Selbstheilung ist beim Menschen im Falle vieler (meist harmloser Krankheiten) der Normalfall. Es kann geschätzt werden, dass etwa vier Fünftel aller menschlichen Krankheiten irgendwann spontan abklingen und zu einem Ende gelangen, mit oder ohne bleibende Folgen. Autor Rothschuh ist der Meinung, dass die überwiegende Zahl von Erkrankungen spontan abheile, und zwar völlig unabhängig ob eine medizinische Therapie durchgeführt wird oder nicht.[3] Der Chirurg Matthias Schweiger[4] und Merrijoy Kelner[5] sind der Meinung, dass 80% aller Krankheiten ohne jegliche medizinische Hilfe wieder verschwinden. Dies trifft allerdings auf schwere, chronische Krankheiten wie Krebs nicht zu. Neben der wichtigen Prävention ist es die Rolle des verantwortungsvollen Arztes und Therapeuten frühest möglich Hinweise auf zukünftige Zustände des Patienten zu finden, die ein effektives therapeutisches Handeln erforderlich machen.

Nicht durch Therapien induzierbare Spontanremissionen (Spontanheilungen) bei bösartigem Krebs sind bis heute bei Erwachsenen die extreme Ausnahme (etwa 1 Fall auf 60.000 oder weniger), bei Kindern sind hingegen einige Krebsarten bekannt, die sich häufig spontan zurückbilden. Bei einigen seltenen Krebsarten im Kindesalter sind sogar Remissionen die Regel und nicht die Ausnahme. Eine einmal eingetretene vollständige Remission (therapiebedingt oder spontan) mit Nichtnachweisbarkeit des Tumors bedeutet leider nicht, dass Rezidive auszuschließen sind, also dass es trotzdem zu einem Rückfall kommen kann. Rückfälle sind jedoch mit sich verlängerndem Intervall der Tumorfreiheit zunehmend seltener zu erwarten, sodass bei den meisten Krebserkrankungen nach einer erfolgreichen Therapie und einer bestimmten tumorfreien Zeit die durchschnittliche Lebenserwartung von Gleichaltrigen erreicht werden kann (etwa im Bereich 5-10 Jahre nach Therapie, je nach Tumorart). Ab dann verlaufen die altersstandardisierten Überlebenskurven von ehemaligen Krebspatienten und des Vergleichskollektivs der gleichaltrigen Gesunden parallel. Bei einigen Krebsarten ist dies jedoch nicht in dieser Weise der Fall. Hier muss für die gesamte verbleibende Lebenszeit von einer gegenüber Gleichaltrigen niedrigeren Lebenserwartung ausgegangen werden.

Krebs und unberechtigte Schuldzuweisungen

Aufgrund etablierter wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Krebsentstehung kommt einzelnen Krebspatienten durchaus eine gewisse Mitverantwortung zu, beispielsweise ist es mittlerweile nicht mehr zu leugnen dass das Rauchen einen großen Teil der Lungenkrebsfälle mit verursacht. Dennoch ist eine Schuldzuweisung in diesen Fällen stets fehl am Platz.

Im Umfeld unkonventioneller Krebstherapien wird oftmals dem Patienten nicht nur eine Mitschuld an der Entstehung eines Tumors zugewiesen, da häufig unberechtigterweise davon ausgegangen wird, dass es eine psychisch bedingte des Krebses gäbe. Die wissenschaftlichen Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung auf dem Gebiete der Psychoonkologie können diese Annahmen jedoch nicht belegen. Darüberhinaus werden im Umfeld unkonventioneller Therapien jedoch in völlig überflüssiger Weise den Patienten zusätzliche Schuldzuweisungen bei ausbleibender Genesung zugewiesen (Extrembeispiel: Germanische Neue Medizin), die das Selbstwertgefühl der Patienten und die Lebensqualität negativ beeinträchtigen können. Psychoonkologen warnen vor ungeprüften Heilsversprechen wegen der negativen Folgen für die Krankheitsverarbeitung. Es gibt nicht wenige Berichte über alternative Therapeuten, die beim Versagen ihrer Methode die Ursache nicht etwa in deren fehlender Wirksamkeit sahen. Sie schoben die Schuld vielmehr dem Patienten zu – er habe sich nicht genug bemüht, sich nicht an ihre Anweisungen gehalten oder sei insgesamt einfach zu spät gekommen.

bekannte unkonventionelle Krebstherapien und Krebsmittel


Literatur

  • Münstedt K. (Hrsg.) Ratgeber Unkonventionelle Krebstherapien. Ecomed
  • Petra Thienel, Karsten Münstedt: Patientenratgeber Krebs: alternative Therapien medizinisch bewertet. Verlag: Droemer/Knaur (September 2008). ISBN-10: 3426644703 ISBN-13: 978-3426644706
  • Federspiel Krista: Die andere Medizin Stiftung Warentest 1991
  • American Cancer Society's Guide to Complementary and Alternative Cancer Methods, American Cancer Society, (September 2000), ISBN-10: 0944235247 / ISBN-13: 978-0944235249
  • Vickersa Andrew J, Barrie R Cassiletha: Unconventional therapies for cancer and cancer-related symptoms. The Lancet Oncology Volume 2, Issue 4, April 2001, Seiten 226-232. doi:10.1016/S1470-2045(00)00293-X
  • Baum M. Complementary and alternative medicine (CAM) and cancer: The ugly face of alternative medicine. Int J Surg. 11. Aug. 2009
  • Ernst E. Complementary and alternative medicine (CAM) and cancer: The kind face of complementary medicine. Int J Surg. 2009 27. Aug. 2009.

Weblinks


Quellennachweise

  1. http://www.startribune.com/local/45489212.html
  2. Janaka de Silva, University of Kelaniya (Ragama/Sri Lanka) im Fachjournal PLoS Medicine
  3. Rothschuh KE (1978): Iatrologie. Zum Stand der klinisch-theoretischen Grundlagendiskussion. Eine Übersicht. In: Hippokrates 49/1978, S. 3-21
  4. Schweiger M. (2005): Medizin. Glaube, Spekulation oder Naturwissenschaft? Gibt es zur Schulmedizin eine Alternative? W. Zuckerschwerdt Verlag, München
  5. Kelner M: unkonventionellen Therapien von heute. C. H. Beck Verlag, München / KELNER M./WELLMAN B. (2000): Complementary and Alternative Medicine: Challenge and Change. Laylor & Francis Ltd.