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− | Die '''orthomolekulare Medizin''' (griech. ορθός, orthós, richtig; molekular, aus lat. Baustein) ist eine maßgeblich von Linus Pauling beeinflusste [[pseudomedizin]]ische Methode, in deren Mittelpunkt die Verwendung von hochdosierten Vitaminen und Mineralstoffen zur Vermeidung und Behandlung von Krankheiten steht. Der medizinische Nachweis der Wirksamkeit konnte bisher nicht erbracht werden. Synonym ist auch die Bezeichnung '''Megavitamine''' gebräuchlich. Bei der orthomolekularen Medizin werden in der Regel viel höhere tägliche Vitamindosen empfohlen, als physiologisch notwendig und naturwissenschaftlich und medizinisch zu rechtfertigen ist. | + | Die '''orthomolekulare Medizin''' (griech. ορθός, orthós, richtig; molekular, aus lat. Baustein) ist eine maßgeblich von Linus Pauling beeinflusste [[pseudomedizin]]ische Methode, in deren Mittelpunkt die Verwendung von hochdosierten Vitaminen und Mineralstoffen zur Vermeidung und Behandlung von Krankheiten steht. Synonym ist auch die Bezeichnung '''Megavitamine''' gebräuchlich. |
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| + | Der medizinische Nachweis der Wirksamkeit konnte bisher nicht erbracht werden. Bei der orthomolekularen Medizin werden in der Regel viel höhere tägliche Vitamindosen empfohlen, als physiologisch notwendig und naturwissenschaftlich und medizinisch zu rechtfertigen ist. |
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| + | Etliche Studien belegen, dass eine längerfristige hochdosierte Gabe von Vitaminen, wie sie in der orthomolekularen Medizin praktiziert wird, zu ernsthaften Gesundheitsschäden führen und die durchschnittliche Lebenserwartung verkürzen kann. |
| ==Theorie== | | ==Theorie== |
| Nach Ansicht der Vertreter der orthomolekularen Medizin führt ein biochemisches Ungleichgewicht im Körper zu Krankheiten. Dieses Ungleichgewicht versucht man durch Einnahme von hoch dosierten Vitaminen, Mineralstoffen, essentiellen Fettsäuren und Aminosäuren in Form von [[Nahrungsergänzungsmittel]]n zu beseitigen. | | Nach Ansicht der Vertreter der orthomolekularen Medizin führt ein biochemisches Ungleichgewicht im Körper zu Krankheiten. Dieses Ungleichgewicht versucht man durch Einnahme von hoch dosierten Vitaminen, Mineralstoffen, essentiellen Fettsäuren und Aminosäuren in Form von [[Nahrungsergänzungsmittel]]n zu beseitigen. |
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| ==Rechtliche Situation== | | ==Rechtliche Situation== |
− | In Deutschland haben nur wenige Vitaminpräparate eine Zulassung als Arzneimittel. Die anderen werden als Nahrungsergänzungsmittel verkauft, deren Werbung keine Hinweise auf eine vermeintliche arzneiliche Wirkung enthalten darf<ref>Krebsinformationsdienst des DKFZ: [http://www.krebsinformationsdienst.de/themen/behandlung/nahrungsergaenzungsmittel.php Nahrungsergänzungsmittel: Große Versprechungen, k(l)eine Wirkung?] </ref> und hohe, möglicherweise toxische Dosen sind unzulässig. Nahrungsergänzungsmittel unterliegen nicht dem Arzneimittelgesetz, sondern dem Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch.<ref>Bundesinstitut für Risikobewertung: [http://www.bfr.bund.de/cd/945 Nahrungsergänzungsmittel.] Abgerufen am 25. Februar 2010</ref> | + | In Deutschland haben nur wenige Vitaminpräparate eine Zulassung als Arzneimittel. Die anderen werden als Nahrungsergänzungsmittel verkauft, deren Werbung keine Hinweise auf eine vermeintliche arzneiliche Wirkung enthalten darf<ref>Krebsinformationsdienst des DKFZ: [https://www.krebsinformationsdienst.de/behandlung/nahrungsergaenzungsmittel.php Nahrungsergänzungsmittel: Große Versprechungen, k(l)eine Wirkung?] </ref> und hohe, möglicherweise toxische Dosen sind unzulässig. Nahrungsergänzungsmittel unterliegen nicht dem Arzneimittelgesetz, sondern dem Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch.<ref>Bundesinstitut für Risikobewertung: [http://www.bfr.bund.de/cd/945 Nahrungsergänzungsmittel.] Abgerufen am 25. Februar 2010</ref> |
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| Viele Patienten kaufen daher Präparate von ausländischen Versandhändlern, die über das Internet erreichbar sind. Die gesetzlichen Krankenkassen tragen die Kosten nicht. | | Viele Patienten kaufen daher Präparate von ausländischen Versandhändlern, die über das Internet erreichbar sind. Die gesetzlichen Krankenkassen tragen die Kosten nicht. |
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| ==Bekannte Verfechter== | | ==Bekannte Verfechter== |
| ===Linus Pauling=== | | ===Linus Pauling=== |
− | Der bekannteste Verfechter hochdosierter Vitamindosen (primär Vitamin C) war der zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling. Im Jahre 1954 erhielt er gemeinsam mit zwei anderen Forschern den Nobelpreis für Chemie und im Jahre 1962 wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt. | + | Der bekannteste Verfechter hochdosierter Vitamindosen (primär Vitamin C) war der zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling. Im Jahre 1954 erhielt er gemeinsam mit zwei anderen Forschern den Nobelpreis für Chemie und im Jahre 1962 wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Der am 28. Februar 1901 geborene Linus Pauling war zu seiner Zeit ein bedeutender Forscher, der u.a. die Alpha-Helix-Struktur der DNA mittels Röntgenstrahlen entdeckte. |
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− | Der am 28. Februar 1901 geborene Linus Pauling war zu seiner Zeit ein bedeutender Forscher, der u.a. die Alpha-Helix-Struktur der DNA mittels Röntgenstrahlen entdeckte. Einem Nachruf ist zu entnehmen, dass er im Jahre 1942 an einer schweren Nierenerkrankung litt, die er mit hohen Vitamin-C-Dosen kuriert haben soll. Dies soll sein Interesse an Vitamin-C-Megadosen geweckt haben, welche er als Heilmittel bei Erkältungen und sogar Krebs ansah. Sogar heute noch wird z.B. in England Vitamin-C-Pulver unter dem Namen Linus Powder verkauft.<ref>Perutz MF: Linus Pauling 1901-1994. Structural Biology, 1, 667-671, 1994</ref> Pauling schluckte täglich bis zu 18 Gramm Vitamin C.
| + | Ab 1966, im Alter von 65 Jahren, begann er die Ideen des Biochemikers Irwin Stone (1907–1984) zu übernehmen, der in der Gabe großer Dosen von Vitamin C ein Mittel gegen Erkältungen sah. Pauling jedoch ging noch weiter und glaubte, dass man mit Vitamin C auch Krebserkrankungen vorbeugen könne. Er selbst nahm jeden Tag etwa 18 Gramm Vitamin C zu sich und propagierte mit plakativen Formulierungen („Vitamine, Vitamine!“) die Vitamingabe gegen fast jedes medizinisches Problem.<ref>Linus Pauling: My Love Affair with Vitamin C. 1992 [http://profiles.nlm.nih.gov/ps/access/mmbbkt.pdf PDF-Datei]</ref> Sogar heute noch wird z.B. in England Vitamin-C-Pulver unter dem Namen Linus-Powder verkauft.<ref>Perutz MF: Linus Pauling 1901-1994. Structural Biology, 1, 667-671, 1994</ref> |
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| Im Jahr 1970 verkündete Pauling in seinem Buch ''Vitamin C and the Common Cold'', das 1972 auch in deutscher Sprache erschien, dass die tägliche Einnahme von 1 g Vitamin C die Häufigkeit von Erkältungen und Schnupfen um bis zu 45% senken könne. In einer weiteren Publikation (''Vitamin C, the Common Cold and the Flu'') setzte er noch höhere Dosen an. Im Jahre 1979 propagierte er in seinem Buch ''Vitamin C and Cancer'' die Behauptung, dass hohe Vitamin-C-Dosen sogar Krebs vorbeugen könnten. | | Im Jahr 1970 verkündete Pauling in seinem Buch ''Vitamin C and the Common Cold'', das 1972 auch in deutscher Sprache erschien, dass die tägliche Einnahme von 1 g Vitamin C die Häufigkeit von Erkältungen und Schnupfen um bis zu 45% senken könne. In einer weiteren Publikation (''Vitamin C, the Common Cold and the Flu'') setzte er noch höhere Dosen an. Im Jahre 1979 propagierte er in seinem Buch ''Vitamin C and Cancer'' die Behauptung, dass hohe Vitamin-C-Dosen sogar Krebs vorbeugen könnten. |
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− | Aufgrund des damals noch hohen wissenschaftlichen Ansehens Paulings initiierte man nach der Publikation seines ersten Buches verschiedene Studien, um die Wirksamkeit einer Vitamin-C-Gabe bei Erkältungen zu untersuchen.<ref>Chalmers TC: Effects of ascorbic acid on the common cold. An evaluation of the evidence. Am J Med, 58, 532-536, 1975</ref> In keiner dieser Studien konnte ein Zusammenhang zwischen der Vitamin-C-Einnahme und dem Auftreten bzw. Verschwinden von Erkältungssymptomen gesichert werden. Paulings These überstand den Kontakt mit der klinischen Realität nicht. | + | Aufgrund des damals noch hohen wissenschaftlichen Ansehens Paulings initiierte man nach der Publikation seines ersten Buches verschiedene Studien, um die Wirksamkeit einer Vitamin-C-Gabe bei Erkältungen zu untersuchen.<ref>Chalmers TC: Effects of ascorbic acid on the common cold. An evaluation of the evidence. Am J Med, 58, 532-536, 1975</ref> In keiner dieser Studien konnte ein Zusammenhang zwischen der Vitamin-C-Einnahme und dem Auftreten bzw. Verschwinden von Erkältungssymptomen gesichert werden. Paulings These überstand den Kontakt mit der klinischen Realität nicht. Pauling starb im Alter von 93 Jahren auf seiner Farm in Big Sur in Kalifornien an Prostatakrebs.<ref>http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9288337.html</ref> |
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| ===Matthias Rath=== | | ===Matthias Rath=== |
| Der deutsche Arzt [[Matthias Rath]] versteht sich als Erbe der Lehren von Linus Pauling. Nach internen Auseinandersetzungen mit Paulings Erben, die Raths Führungsanspruch nicht anerkennen wollten, zog sich Rath nach Europa zurück, um ein eigenes Therapiesystem - die sogenannte [[Zellularmedizin]] - zu propagieren. Nach seiner Ansicht heilen Vitamine nicht nur Erkältungen und Krebs, sondern wirken auch gegen Arteriosklerose und den sich daraus entwickelnden Herzinfarkt sowie gegen AIDS. | | Der deutsche Arzt [[Matthias Rath]] versteht sich als Erbe der Lehren von Linus Pauling. Nach internen Auseinandersetzungen mit Paulings Erben, die Raths Führungsanspruch nicht anerkennen wollten, zog sich Rath nach Europa zurück, um ein eigenes Therapiesystem - die sogenannte [[Zellularmedizin]] - zu propagieren. Nach seiner Ansicht heilen Vitamine nicht nur Erkältungen und Krebs, sondern wirken auch gegen Arteriosklerose und den sich daraus entwickelnden Herzinfarkt sowie gegen AIDS. |
| + | ===Weitere Protagonisten der orthomolekularen Medizin=== |
| + | *[[Andreas Noack]], deutscher Chemiker und Nahrungsergänzungsmittel-Unternehmer. |
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| ==Orthomolekulare Psychiatrie== | | ==Orthomolekulare Psychiatrie== |
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| ==Siehe auch== | | ==Siehe auch== |
| + | *[[Gerson-Diät]] |
| *[[Catherine Kousmine]] | | *[[Catherine Kousmine]] |
| *[[AGFG]] | | *[[AGFG]] |
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| * http://jama.ama-assn.org/cgi/content/short/301/1/52 | | * http://jama.ama-assn.org/cgi/content/short/301/1/52 |
| * http://jama.ama-assn.org/cgi/content/full/301/1/39 | | * http://jama.ama-assn.org/cgi/content/full/301/1/39 |
| + | ==Videos== |
| + | *https://www.youtube.com/watch?v=-leJ6p3DXtk (Science Cops) |
| + | {{OtherLang|ge=Orthomolekulare Medizin|fr=Médecine orthomoléculaire}} |
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| ==Quellenverzeichnis== | | ==Quellenverzeichnis== |