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[[image:candida.jpg|Candida alb. in Gram-Färbung|thumb]]
 
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Das '''Candida Hypersensibilitäts-Syndrom''' (''Darmverpilzung, Candida-Syndrom'' oder ''Truss-Hypothese'', englisch: ''Candida/Yeast Hypersensitivity Syndrome, Chronic Candida Syndrome, Candida Related Complex, CRC'') bezeichnet eine [[pseudomedizin]]ische Hypothese der 1970er Jahre, um die angeblich zwingend krankheitsauslösenden Wirkungen von Sprosspilzen (bzw. Hefepilzen) der Gattung Candida species (meist Candida albicans) im Verdauungstrakt bzw. bezeichnet bestimmte beschuldigte Ernährungsformen der heutigen Zeit, die zwangsläufig zu einer "Darmverpilzung" führen würden. Das Candida Hypersensibilitäts-Syndrom ist in der wissenschaftlichen Medizin aufgrund ausführlicher Erörterungen und der eindeutigen Studienlage nicht anerkannt, ist jedoch in alternativmedizinischen Kreisen fest etabliert und gehört zu den häufigsten Pseudo- und Verlegenheitsdiagnosen in diesem Bereich. Sie ist ein weiteres Beispiel für eine alternativmedizinische [[Krankheitserfindung]]. In diesem Zusammenhang wurde auch kritisch von einem "Pilzwahn" gesprochen.<ref>Prof. Wolfgang Stille (Frankfurt/Main) auf der 30.&nbsp;Tagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft in Kiel. Phänomen "Pilzwahn" durch trivialmedizinische Bücher aus den USA</ref><ref>http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=4669</ref> Eine große Zahl von Hochglanz-Büchlein, Ratgebern und Werken medizinischer Laien sind in Buchhandlungen zu finden, die von der Existenz des Candida-Syndroms ausgehen und in diesem eine erhebliche Gesundheitsgefahr sehen. Hefen im Darm wurden als "heimliche Gefahr" apostrophiert, Candida als "entfesselter Hefepilz" bezeichnet, vorgebliche Candidainfektionen als verkannte oder schleichende Krankheit (etwa einer [[Alternativmedizinische Immunschwäche|''Immunschwäche'']]) eingeschätzt, nach der man gezielt suchen müsse. Szenetypisch werden derartige Werke gerne aus dem Englischen in europäische Sprachen übersetzt und elegant voneinander abgeschrieben. Modifizierte Kopien können dann wiederum in englischer Übersetzung auf dem amerikanischen Buchmarkt ankommen.
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Das '''Candida Hypersensibilitäts-Syndrom''' (''Darmverpilzung, Candida-Syndrom'' oder ''Truss-Hypothese'', englisch: ''Candida/Yeast Hypersensitivity Syndrome, Chronic Candida Syndrome, Candida Related Complex, CRC'') bezeichnet eine [[pseudomedizin]]ische Hypothese der 1970er Jahre, um die angeblich zwingend krankheitsauslösenden Wirkungen von Sprosspilzen (bzw. Hefepilzen) der Gattung Candida species (meist Candida albicans) im Verdauungstrakt bzw. bezeichnet bestimmte beschuldigte Ernährungsformen der heutigen Zeit, die zwangsläufig zu einer "Darmverpilzung" führen würden.  
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==Candida Hypersensibilitäts-Syndrom==
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Das Candida Hypersensibilitäts-Syndrom ist in der wissenschaftlichen Medizin aufgrund ausführlicher Erörterungen und der eindeutigen Studienlage nicht anerkannt, ist jedoch in alternativmedizinischen Kreisen fest etabliert und gehört zu den häufigsten Pseudo- und Verlegenheitsdiagnosen in diesem Bereich. Sie ist ein weiteres Beispiel für eine alternativmedizinische [[Krankheitserfindung]]. In diesem Zusammenhang wurde auch kritisch von einem "Pilzwahn" gesprochen.<ref>Prof. Wolfgang Stille (Frankfurt/Main) auf der 30.&nbsp;Tagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft in Kiel. Phänomen "Pilzwahn" durch trivialmedizinische Bücher aus den USA</ref><ref>http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=4669</ref> Eine große Zahl von Hochglanz-Büchlein, Ratgebern und Werken medizinischer Laien sind in Buchhandlungen zu finden, die von der Existenz des Candida-Syndroms ausgehen und in diesem eine erhebliche Gesundheitsgefahr sehen. Hefen im Darm wurden als "heimliche Gefahr" apostrophiert, Candida als "entfesselter Hefepilz" bezeichnet, vorgebliche Candidainfektionen als verkannte oder schleichende Krankheit (etwa einer [[Alternativmedizinische Immunschwäche|''Immunschwäche'']]) eingeschätzt, nach der man gezielt suchen müsse. Szenetypisch werden derartige Werke gerne aus dem Englischen in europäische Sprachen übersetzt und elegant voneinander abgeschrieben. Modifizierte Kopien können dann wiederum in englischer Übersetzung auf dem amerikanischen Buchmarkt ankommen.
    
Das Candida Hypersensibilitäts-Syndrom ist nicht mit einer Candidasepsis oder einer nachgewiesenen handfesten Mykose (genauer gesagt: Kandidose, Candidose, Candidiasis, Soor oder Monoliasis) zu verwechseln, für die effektive Therapien existieren.
 
Das Candida Hypersensibilitäts-Syndrom ist nicht mit einer Candidasepsis oder einer nachgewiesenen handfesten Mykose (genauer gesagt: Kandidose, Candidose, Candidiasis, Soor oder Monoliasis) zu verwechseln, für die effektive Therapien existieren.
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==Typische Therapie des Candida Hypersensibilitäts-Syndroms==
 
==Typische Therapie des Candida Hypersensibilitäts-Syndroms==
Fast immer wird von den Diagnostikern des Candida-Hypersensibilitäts-Syndroms eine "Anti-Pilz-Diät" verordnet, die ausreiche, das angenommene Problem in den Griff zu bekommen. Teilweise sind die entsprechenden Diätvorschriften martialisch und entsprechen einer streng zuckerfreien Diät mit Obstverbot und enden bei einer absoluten Meidung sämtlicher Kohlenhydrate und Bäckerhefe für Monate bis zu zwei Jahren. Therapiert wird aber auch teilweise mit [[Homöopathie|homöopathischen]] Präparaten wie Albicansan D 5 oder über eine ''Orthomolekulare Darmsanierung'' (ODS). Auch sind hier [[Darmreinigung|Darmspülungen]], ([[Colon-Hydro-Therapie]]) und [[Probiotika]] bliebt. Manche Ärzte verschreiben aber auch anerkannte Antimykotika wie Nystatin.
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Fast immer wird von den Diagnostikern des Candida-Hypersensibilitäts-Syndroms eine "Anti-Pilz-Diät" verordnet, die ausreiche, das angenommene Problem in den Griff zu bekommen. Teilweise sind die entsprechenden Diätvorschriften martialisch und entsprechen einer streng zuckerfreien Diät mit Obstverbot und enden bei einer absoluten Meidung sämtlicher Kohlenhydrate und Bäckerhefe für Monate bis zu zwei Jahre. Therapiert wird aber auch teilweise mit [[Homöopathie|homöopathischen]] Präparaten wie Albicansan D 5 oder über eine ''Orthomolekulare Darmsanierung'' (ODS). Auch [[Darmreinigung|Darmspülungen]], [[Colon-Hydro-Therapie]]n und [[Probiotika]] sind beliebt. Manche Ärzte verschreiben aber auch anerkannte Antimykotika wie Nystatin.
    
==Kommerzielle Aspekte==
 
==Kommerzielle Aspekte==
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[[image:crook.jpg|William&nbsp;G. Crook|thumb]]
 
[[image:crook.jpg|William&nbsp;G. Crook|thumb]]
 
Die Geschichte mit dem Candida-Syndrom begann 1976. In diesem Jahr veröffentlichte der Internist C.&nbsp;O.&nbsp;Truss(*) aus Alabama (USA) sein Buch "Candida-Hypersensitivitäts-Syndrom". Seitdem sind zahlreiche weitere Bücher erschienen und in Fernsehsendungen und Zeitungsartikeln wurde der Mythos von der Invasion der Pilze hochgehalten. Truss veröffentlichte ausschließlich in Büchern und im unbedeutenden Journal of Orthomolar Psychiatry, einem Blatt aus dem Umfeld der [[Orthomolekulare Psychiatrie|orthomolekularen Psychiatrie]].<ref>Truss CO (1978): Tissue injury induced by Candida albicans, mental and neurologic manifestations. J Orthomol Psychiatry 7, 17-37</ref><ref>Truss CO (1980): Restoration of immunologic competence to Candida albicans. J Orthomol Psychiatry 9, 287-301</ref><ref>Truss CO (1981): The role of Candida albicans in human illness. J Orthomol Psychiatry 10, 228- 238</ref><ref>Truss CO (1984): Metabolic abnormalities in patients with chronic candidiasis, the acetaldehyde hypothesis. J Orthomol Psychiatry 13, 66- 93</ref> 1983 folgte das Truss-Buch ''The Missing Diagnosis''<ref>Truss CO (1983): The Missing Diagnosis. The Missing Diagnosis, Inc., Birmingham, Alabama</ref>.
 
Die Geschichte mit dem Candida-Syndrom begann 1976. In diesem Jahr veröffentlichte der Internist C.&nbsp;O.&nbsp;Truss(*) aus Alabama (USA) sein Buch "Candida-Hypersensitivitäts-Syndrom". Seitdem sind zahlreiche weitere Bücher erschienen und in Fernsehsendungen und Zeitungsartikeln wurde der Mythos von der Invasion der Pilze hochgehalten. Truss veröffentlichte ausschließlich in Büchern und im unbedeutenden Journal of Orthomolar Psychiatry, einem Blatt aus dem Umfeld der [[Orthomolekulare Psychiatrie|orthomolekularen Psychiatrie]].<ref>Truss CO (1978): Tissue injury induced by Candida albicans, mental and neurologic manifestations. J Orthomol Psychiatry 7, 17-37</ref><ref>Truss CO (1980): Restoration of immunologic competence to Candida albicans. J Orthomol Psychiatry 9, 287-301</ref><ref>Truss CO (1981): The role of Candida albicans in human illness. J Orthomol Psychiatry 10, 228- 238</ref><ref>Truss CO (1984): Metabolic abnormalities in patients with chronic candidiasis, the acetaldehyde hypothesis. J Orthomol Psychiatry 13, 66- 93</ref> 1983 folgte das Truss-Buch ''The Missing Diagnosis''<ref>Truss CO (1983): The Missing Diagnosis. The Missing Diagnosis, Inc., Birmingham, Alabama</ref>.
Truss bezog sich auch ausdrücklich auf die so genannte [[Klinische Ökologie nach Randolph]]. Es folgte ein Buch des amerikanischen Kinderarztes William&nbsp;G. Crook aus Tennessee mit dem Titel ''The Yeast Connection'', in dem dieser vermutete, dass eine chronische Besiedelung mit Candida-Hefepilzen eine Allergie-ähnliche Symptomatik bewirke. Crook empfahl Antibiotika, Kortison, Kontrazeptiva, Zucker und alle Süßigkeiten zu meiden. Nach seiner Ansicht würden Zucker und Süßigkeiten Candida quasi ''füttern''. Darüber hinaus seien alle Nahrungsmittel, die selbst Pilze enthielten (zum Beispiel Hefe) oder fermentiert waren, ebenfalls zu meiden. Dazu sollte Bier, aber auch Käse gehören. 1998 gründeten Truss and Crook eine Organisation mit dem Namen ''Candida and Dysbiosis Information Foundation''.
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Truss bezog sich auch ausdrücklich auf die so genannte [[Klinische Ökologie nach Randolph]]. Es folgte ein Buch des amerikanischen Kinderarztes William&nbsp;G. Crook aus Tennessee mit dem Titel ''The Yeast Connection'', in dem dieser vermutete, dass eine chronische Besiedelung mit Candida-Hefepilzen eine Allergie-ähnliche Symptomatik bewirke. Crook empfahl Antibiotika, Kortison, Kontrazeptiva, Zucker und alle Süßigkeiten zu meiden. Nach seiner Ansicht würden [[Zucker]] und Süßigkeiten Candida quasi ''füttern''. Darüber hinaus seien alle Nahrungsmittel, die selbst Pilze enthielten (zum Beispiel Hefe) oder fermentiert waren, ebenfalls zu meiden. Dazu sollte Bier, aber auch Käse gehören. 1998 gründeten Truss and Crook eine Organisation mit dem Namen ''Candida and Dysbiosis Information Foundation''.
    
(*) Der vollständige Name ist wohl Claude Orian Truss aus Birmingham/Alabama.
 
(*) Der vollständige Name ist wohl Claude Orian Truss aus Birmingham/Alabama.
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